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Vulkan
Ich höre die Sirenen. Aber sie werden zu spät kommen.
Ich habe nie Hand an sie gelegt. Nein, das habe ich nie getan. Es kam vielleicht mal zu einem kurzen Gerangel. Zweimal, vielleicht dreimal habe ich Anna geschubst, aber nie habe ich sie geschlagen. Ich bin tief abgestiegen, doch das würde ich niemals tun. Da gab’s die Sache mit dem Auto – aber das war ihre eigene schuld … Und einmal hat Anna etwas abbekommen, als ich den Küchentisch umgeworfen habe. Ich glaube, es war die Butterdose. Von ihrer Mutter, dieser Hexe. Hat mich nie ausstehen können. Ihre Tochter hätte etwas Besseres verdient. Tat immer so, als würde sie flüstern, sprach aber natürlich so laut, dass ich alles mitbekommen musste. Blöde Schlampe. Hat ihr Leben so gründlich versaut, dass sie sich nicht anders zu beschäftigen wusste, als unablässig ihrer Tochter ins Dasein zu pfuschen.
Meinte zu ihr, sie kenne meine Sorte Mensch. Sie hätte schließlich das Pech gehabt, ständig von Typen wie mir heimgesucht zu werden.
Seit dem Unfall im Auto war Annas Mutter überzeugt, ich würde ihre Tochter misshandeln. Auch vorher hatte sie nur Verachtung für mich übrig, jetzt aber versuchte sie mich bei jeder Begegnung mit ihren Blicken zu erdolchen.
Die Behauptung war so lächerlich wie ihre gesamte Erscheinung. Eine Mittfünfzigerin, die sich auftakelte, als hätte sie erst die Hälfte an Jahren auf dem Buckel. Eigentlich hieß sie Marina, aber sie wollte Marie genannt werden – der Name klänge jugendlicher und entspräche mehr ihrem Charakter. Sonnenstudioverbrutzelte Haut, peinlich aufdringliche Schminke und knallrote falsche Fingernägel gehörten ebenso zu ihrem jugendlichen Charakter. Dazu dieses penetrante Parfum. Sie trug das herzförmige Flakon stets mit sich und vergaß nie zu bemerken, wie kostbar dieser Duft doch sei.
Mochte das Zeug noch so teuer sein, an ihr roch es einfach nur billig. Eine krude Mischung, aus der deutlich Zitrus hervorstach und unweigerlich die Assoziation zu WC-Reiniger hervorrief. Zuverlässig bescherte mir dieser Gestank Kopfschmerzen.
Und ich wette, Marina (ich machte mir eine hämische Freude daraus, sie bei ihrem wahren Namen zu nennen) wusste das. Nie ließ sie es aus, sich damit in meiner Gegenwart zu bestäuben.
Die Geschichte mit dem Auto hat sie uns damals natürlich nicht geglaubt.
Anna und ich stritten uns oft, ja. Ich bin da nicht ganz unschuldig, das stimmt. Aber bin ich dafür verantwortlich, dass Anna nicht angeschnallt war? Bin wütend auf die Bremse gelatscht, das gebe ich zu. Aber das war nicht meine Schuld. Anna musste ja unbedingt streiten. Wegen einem Einkauf. Ist das nicht bescheuert? Nur weil ich einen Kasten Bier gekauft habe. War gegen die Abmachung, okay. Aber trotzdem. Und woher sollte ich auch wissen, dass es so einen Knall gibt? Verdammt, wir waren noch auf dem Parkplatz, ich bin keine fünfzehn gefahren. Der Ruck schleuderte sie gegen die Armaturen und der Aufprall brach ihr die Nase, kostete sie zwei Zähne. Ist das meine Schuld? Ist das meine Schuld?
Marina ließ sich schlagen. Aber dafür bin ich nun wirklich nicht verantwortlich. Wie saublöd muss man auch sein, zu einem Kerl zurückzugehen, der einen grün und blau prügelt? Heulend und blutend kam sie damals zu uns. Mitten in der Nacht. Hat unsere Couch vollgesaut. Verdammt, dieser Mistkerl hätte sie fast umgebracht.
Da krümmte sie sich also auf unserer Couch, ein Fetzen Restmensch, verströmte den Geruch von Schweiß und Blut und Zitrus – und sah mich mit diesen hasserfüllten Augen an. Als wäre ich Schuld an ihrer Dämlichkeit. Und dann folgte das Unfassbare. Sie drohte mir. Kein Wort des Dankes oder der Entschuldigung. Nein, sie drohte mir!
„Wenn du jemals wieder meiner Tochter etwas antun solltest, dann bringe ich dich um!“
Ihre Worte waren kaum mehr als ein heiseres Krächzen gewesen und doch schien es mir, als hätte sie die Worte mit ihren nuttigen Fingernägeln in mein Gesicht gekratzt.
Ich konnte es nicht fassen, war wirklich vollkommen fassungslos. Ich fühlte einen Zorn in mir, der alles Bisherige überschattete. Sie verglich mich mit ihren miesen Schlägertypen, setzte mich gleich mit diesem feigen Pack, das sich an Frauen vergriff. Ein Pack, das sie anzog, wie der Scheißhaufen die Fliegen. Sie drohte mir. In meinem Haus! Ich kann mich noch erinnern, wie ich am ganzen Körper zu zittern begann. Ich legte meine Hände um ihren widerlich weichen Hals und drückte zu, ich packte die Tischlampe und schmetterte sie in das blutige Gesicht, schälte die falschbraune Haut darunter ab, bohrte die Scherben in ihre Augäpfel, trieb ihr den beschissenen Flakon ins Herz, ich schrie!, schrie!, schrie! … Aber bevor ich eine meine Fantasien in die Tat umsetzen konnte, fiel ich in Ohnmacht. Zack. Aus.
Ich habe die Vulkantheorie.
Ich bin der Vulkan. In mir wälzt ein Strom ungebändigter heißer Magma. Doch wie die meisten Feuerberge bin ich friedlich, harmlos.
Es passiert nur dann etwas, wenn man mich reizt. Werde ich nämlich zornig, beginnt die Magma Blasen zu werfen, aufzusteigen. Ich kann das wirklich spüren: Wie plötzlich diese Hitze in mir entsteht, ansteigt, das Feuer sich in Bewegung setzt. Mein Herzschlag beschleunigt sich, mein Atem geht heftiger - und wenn man mich weiter reizt, koche ich über. Meine Wut entlädt sich dann einer Lavabombe gleich. Sie sprengt nach außen mit einer Macht, die jeden Widerstand zermalmt.
Mein Vater konnte seine Eruptionen nicht kontrollieren. Ein Ausbruch von ihm begrub alles in seinem Umfeld unter einer Decke glühender Lava. Er hinterließ Krater im Gesicht meiner Mutter und Tränen, die schneller verdampften, als sie austreten konnten.
Aber ich bin nicht mein Vater. Ich kann mich kontrollieren. Die Magmakammer ist mächtig, doch der Schlot, der das Feuer seiner Freiheit entgegen führt, ist eng und robust und unterliegt meinem Willen. Es passt nicht viel auf einmal hindurch. Wenn die erste Welle Lava sich erbrochen hat, würge ich den Schlot ab und es entlädt sich nur noch zischender Dampf.
In diesem Moment jedoch brodelte das Magma in nie gekannten Dimensionen. Das flüssige Feuer entglitt vollkommen meiner Kontrolle und kochte auf einen Schlag nach oben. Da alles gleichzeitig aufwärts schoss und durch den dünnen Hals drängte, blockierte sich die Masse in ihrer Gewalt selbst. Ähnlich dem Salzstreuerprinzip. Die Körner verkeilen sich, nichts passt mehr hindurch. Aber der geballte Ansturm der Wut schäumte so heftig in mein Gemüt, dass ich die Besinnung verlor.
Wie gesagt, von der Nacht bekam ich nichts mehr mit und die Woche, die Marina bei uns blieb, ging ich ihr aus dem Weg. Aber ich habe natürlich gemerkt, wie sie die ganze Zeit über auf Anna einredete. Hat ihr unablässig eingetrichtert, dass ich nicht gut für sie bin. Dass es ihr eines Tages so ergehen wird wie ihrer Mutter.
Letztlich habe ich sie aus der Wohnung bekommen. Nicht aber ihren Einfluss auf Anna. Hat sie regelrecht verhext. Meine zierliche Anna, mein Engel. Sie ist ein scheues Reh und sie braucht mich. Sie braucht meine Kraft, wie ich ihre Ruhe brauche. Wir sind füreinander geschaffen. Das wissen wir beide.
Aber nach dem Vorfall mit ihrer Mutter verhielt sich Anna so … anders. Provozierend. Sie hat es darauf angelegt, das weiß ich genau. Sie wollte mich wütend machen. Hat mich gereizt, wo sie konnte. Immer wieder. Den Vulkan gekitzelt. Die Ausbrüche vernichteten das Wohnzimmer und die Küche. Aber Anna habe ich nie geschlagen.
Als sie gehen wollte, habe ich sie gehen lassen. Ich habe sie nur einmal kurz am Arm gehalten und sie gebeten, zu bleiben. Ich habe gefleht und geheult dabei wie ein Hund. Wie ein verdammter scheiß jämmerlicher Köter. Und sie hat geschrieen, ich täte ihr weh, aber ich weiß, dass es nur ihre Angst war, die sie schreien ließ. So fest drückte ich nicht zu. Nein, tat ich nicht. Sie hat es bewusst darauf angelegt, aber ich vergebe ihr. Ja, ich vergebe ihr. Und das weiß sie auch.
„Vielleicht hättest du mal ein bisschen fester drücken sollen“, meinte der Typ neben mir. Er unterstrich seine Worte mit einem schnalzenden Zwinkern. Weiß auch nicht, warum ich dem Kerl die ganze Geschichte erzählt hatte. Blöder Wichser, der. Hatte die ganze Zeit so ein überhebliches Grinsen im Gesicht. Die alberne bunte Lichterkette über der Bar spiegelte sich auf seiner polierten Glatze. Blinkte.
Er widerte mich an. Die Kneipe widerte mich an. Es stank nach Pisse und Bier. Am meisten aber ekelte ich mich vor mir selbst. Und deswegen saß ich wohl in dieser Spelunke. Eine Art Buße. Seit Anna weg war, büßte ich hier ziemlich oft.
Ich nuckelte den letzten Tropfen aus meiner Bierflasche. Das Glas war von meiner verkrampften Umklammerung schon ganz warm. Ich hätte meine Seele für ein neues Kühles gegeben. Aber die fünfzig Euro waren schnell verflossen. Mehr Geld hatte ich nicht. Nahm ich nie mit. War ja nicht einer von den dummen Säufern, die ihr ganzes Geld auf einen Schlag versoffen. Ich konnte mich kontrollieren.
Glatzkopf stieß mich mit dem Ellenbogen an. „Manchmal muss man den Frauen eben zeigen, wo es lang geht. Sieh dich doch mal an, wo sie dich hingetrieben hat. Heulst hier wie ein versiffter Penner in der Bar rum, anstatt mit deinem Weibchen zuhause `ne Nummer zu schieben.“
Das Grinsen wurde breiter, öliger. Die Lichterkette blinkte auf seiner Stirn.
„Hättest du ihr mal eine gescheuert, wäre das nicht passiert. Was die Weiber hin und wieder mal brauchen, ist ein bisschen Respekt. Die wollen …“
Ohne Vorwarnung entlud sich der Vulkan. Die Lava explodierte und riss den Hals entzwei, sodass sich eine gewaltige Fontäne freisetzen konnte. Ich hieb dem Kerl meine Bierflasche über den Schädel. In einem Scherbenregen ging er zu Boden. Aber noch immer schickte der Vulkan sein Feuer empor und verbrannte die Luft. Gleichzeitig vernebelte dicker Qualm jede Sicht. Blind tobend und schreiend versetzte ich dem Kerl Hiebe und Tritte, ließ unerbittlich meine Eruption auf ihn niederhageln.
Ich war rasend vor Wut, doch irgendwann wurde ich überwältigt. Man schmiss mich aus der Bar.
„Ich würde Anna niemals schlagen!“, schrie ich dem Wirt sinnlos hinterher. Aber es war eigentlich mehr ein Schluchzen.
„An deiner Stelle würde ich schnell machen, dass du davon kommst!“, riet er mir. Dann schlug die Tür hinter ihm ins Schloss. Ein sonderbar endgültiger Laut.
Die Hitze war fort. Ich fror erbärmlich. Ich raffte mich auf und torkelte durch die Nacht, dem Rat des Wirtes folgend.
Ich hörte zwar die Schritte meiner Verfolger, konnte ihnen aber dank der verflüssigten fünfzig Euro nicht entgehen. In einer Seitengasse holten sie mich ein. Sie waren zu dritt. Meine Widerwehr wurde gar nicht zur Kenntnis genommen. Zwei Kerle verdrehten meine Arme im Rücken und einer von ihnen riss meinen Kopf an den Haaren in den Nacken. Glatzkopf stand vor mir, blickte auf mich herab. Ich suchte nach der Lichterkette auf seiner Stirn, fand sie nicht. Das Grinsen war einer dämonischen Fratze gewichen. Roch sein Atem tatsächlich nach Schwefel?
„Wer sich nicht mal traut, sich gegen eine Frau zu wehren, sollte sich nicht mit einem Mann anlegen.“
Damit rammte er mir seine Faust in den Magen. Ins Gesicht. Immer wieder. Als ich am Boden lag, halfen ihm seine Kumpanen. Derweil sie meinen ganzen Körper mit Tritten zertrümmerten, verhöhnten sie mich. „Muttersöhnchen, verdammtes Fotzenhirn!“
Der Vulkan in mir schweigt. Träge sickert das Magma aus meinen Poren, umfängt mich, badet mich in einem roten See. Ich warte darauf, dass mich das Feuer verzehrt, doch keine Hitze will aufkommen. Da ist nur Kälte. Es beginnt zu schneien und es kommt mir vor, als regne es Asche.