Wünsch dir was
Wünsch dir was
Die Musik klang entlastend. Zumindest genau so lang, wie sie andauerte. Wenn die CD durch war, waren alle Probleme wieder da. Wie sollte es auch anders sein. Aber immerhin, mit Musik fühlte er sich verstanden. Der Kaffee war heiß und schmeckte leicht bitter, so wie er ihn am liebsten trank. Die Sonne schien zum Fenster herein, die Strahlen reichten jedoch nicht bis zu seinem Schreibtisch. So etwas entlockte ihm nicht einmal mehr ein wehmütiges Lächeln. Wenn es einem nicht gut ging, entdeckte man immer überall Bestätigungen des eigenen Verfalls. Dabei wären die Dinge so einfach. Wenn.
Er wünschte sich Seelenfrieden. Das war schon alles. Er stand auf und ging zum Fenster. Die Sonne schien ihm ins Gesicht und es dauerte einen Moment bis seine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Die Bushaltestelle auf der anderen Seite der Straße war leer. Er fragte sich, ob er heute irgendwohin fahren würde. Es gab sicher genug Gründe, es nicht zu tun. Er würde welche finden. Er fand immer welche.
Er ging in die Küche um sich Kaffee nachzuschenken. Seelenfrieden. Er dachte über Selbstmord nach. Was hielt ihn hier schon? Er liebte das Leben. Aber er hasste diese Welt. Dilemma. „Hör auf so weinerlich zu sein.“ Die Stimme seiner Mutter klang metallisch nach. Das fiel ihm erst jetzt auf, dieser stählerne Klang. Wie hatte sich eigentlich die Stimme seines Vaters angehört? Ach ja, er hatte gar keinen. Nein, kein Selbstmitleid darüber. That’s life. Phrasen fürs Durchhalten.
Seelenfrieden. Er wünschte sich so sehr inneren Frieden.
„Du hast doch aber die Lösung schon gefunden“, kicherte es plötzlich aus dem Wohnzimmer. Er schrak zusammen. Vorsichtig schaute er um die Ecke, durch die offene Tür. Auf seiner Couch saß ein Clown der ihm – als wäre es sein zuhause – Platz anbot.
Ich träume, dachte er.
„Weit davon entfernt, mein Freund.“ Die Stimme seines Vaters? Warm und schützend.
„Wie kommen Sie hier herein?“
„Ist das wichtig?“
Nein.
„Nein.“
„Die Frage ist doch…“
Was er hier will.
„…was sie hier wollen“, vollendete er.
Der Clown kicherte. „Du funktionierst.“
Das war ja sein Problem. Er funktionierte obwohl er nicht funktionierte. Paradox.
„Das Leben ist voll davon“, konstatierte der Fremde.
Wovon…
„Paradoxons“.
Ah. Gedankenlesen. Irgendwie nicht verwunderlich, betrachtete man die Tatsache, dass der Clown vor fünf Minuten noch nicht da gewesen war. Oder er war nun schlussendlich doch verrückt geworden.
Er nickte einfach, verstand aber nichts.
„Das tut keiner.“
Nett. Ich muss überhaupt nichts sagen.
„Es würde sich aber nicht so einseitig anhören“, lachte der Clown.
„Okay.“
„Bisschen einsilbig, findest du nicht?“
„Weiß auch nicht, normalerweise bin ich kommunikativ.“
„Da draußen?“
„Da draußen.
„Aber jetzt bist du hier drinnen.“
„Ja.“
„Und schweigsam“.
Ja.
Der Clown grinste. Nein. Er lächelte. Es sah nur so aus als ob er grinste. Die aufgemalte Maske verlängerte, verzerrte das Lächeln.
„Ich bin hier um deinen Wunsch zu erfüllen.“
Er sah auf.
„Welchen?“
„Was denkst du?“
Seelenfrieden. Er wünschte sich sonst nichts.
Lächelndes Gegenüber.
Er sackte in sich zusammen. Der heiße Kaffee lief aus der Tasse in seinem Schoß und tränkte seine Hose. Die Hitze machte ihm nichts mehr aus.
Der Clown lächelte nicht.
Er stand neben sich selbst. Nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal buchstäblich.
„Ich bin nicht sicher, ob ich das so meinte.“
„Ich weiß.“
„Aber du hast trotzdem…“
Der Clown zuckte mit den Schultern. „So ist das nun mal.“
Er sah seinen leblosen Körper an. Sah leer aus. Irgendwie nicht so, wie er sich im Spiegel gesehen hatte.
„Interessant nicht wahr?“
„Ja. Ich dachte da wäre mehr.“
„Dachte ich auch mal.“
„Du hast gelebt?“
„Nein.“
Sie gingen zur Tür und er wollte sie aufmachen.
„Das brauchst du nicht mehr“.
Unwillkürlich musste er grinsen. Er fühlte sich leichter, fiel ihm auf.
Er drehte sich und sah den Clown an. „Wird mich jemand vermissen?“
Der Clown sah traurig aus, als er mit den Schultern zuckte.