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Wüste des Lebens
Pedro lag zusammengekauert auf einer alten Couch, seine Hände zitterten. Ein dünner Lederriemen zog sich um seinen rechten Arm, direkt darunter erhoben sich, wie Krater einer Eiswüste, kleine Einstichlöcher. Einige waren verkrustet und von roten Rändern umschlossen, andere schon fast schwarz. In einem steckte noch die Spritze, sie war zur Hälfte entleert und lag neben einem verkohltem Teelöffel.
Aus seinem Mund floss ein kleiner Fluss aus Speichel und bahnte sich einen Weg durch die kümmerliche Brustbehaarung.
Eine Woche später fand ihn die Polizei. Die Todesursache lautete: Tod durch eine Überdosis Heroin.
Lauter Motorenlärm drang von der Straße durchs offene Fester, die matt-grauen Vorhänge waren zugezogen. „Bleib doch noch.“ Maria lag auf dem Bett, zupfte kurz an ihrem Rock und fuhr dann mit der Hand durchs Haar. Pedro lehnte am Türrahmen und knüpfte sein Hemd zu. „Schaaatz, ich würd doch soo gern, weißt du doch. Aber hab diesen Monat schon drei ma gefehlt, Barthos schmeißt mich raus, wenn ich nich aufpass.“ Sie war im sechsten Monat schwanger und er nicht der leibliche Vater. Er war gerade mal 16 und arbeitete auf einem Ölfeld, keine zwei Stunden mit dem Bus entfernt.
Barthos war Pedros Vorgesetzter, gleichzeitig jedoch auch so eine Art Vater. Er war zwar weit über 40, hatte einen leichten 3-Tage-Bart, meistens Sonnenbrand und roch immer nach Schweiß, aber er griff dem Jungen wieder und wieder unter die Arme und gab ihm Ratschläge, wo er sie brauchte. Pedros gab Maria noch einen letzten Kuss, dann verlies er den Raum.
Ein junges Mädchen lehnte an einer Hauswand. Sie hatte heute schon zwei Freier, dabei war es nicht mal Mittag. Manchmal, wenn alles gut lief, schaffte sie es sich vorzustellen, dass sie am Strand sei. Ihre Füße gruben sich in den warmen Sand. Hinter ihr ein Palmenhain, Kokosnüsse, ihre Freunde spielten mit ihr Federball.
Sie hatte davon mal ein Bild in einer Zeitschrift gesehen.
Muscheln in allen erdenklichen Farben und Formen, Palmen in sattem grün, weißer Sand. Sie hätte jedes Wort dazu auswendig gelernt, wenn sie doch nur lesen könnte.
So lehnte sie allein, dreckig und traurig an einer Wand und träumte.
Letzten Sommer hatte sie diesen Jungen geliebt. Pedro. Ein leichte Erregung durchfuhr sie. Er sagte, er käme zurück, doch das war gelogen. Sie las monatelang die Sterbeanzeigen der örtlichen Tageszeitung, immer auf der Suche nach einem Hinweis, doch hatte sie nie wieder etwas von ihm gehört.
Pavlos, der eigentliche Vater, besuchte sie einige Monate später wieder. Er kam betrunken.
Pedro kehrte der Wellblechhütte den Rücken zu. Maria kam noch ans Fenster gelaufen und winkte, doch der camioneta, ein Drittklassebus, der nur alle 3 Stunden durch das Zentrum der Favela fuhr, stand schon bereit, so blickte er nicht zurück.
Seine Eltern hatten früher einmal in São Paulo gewohnt. Eines Tages, als Pedro in der Schule war, erschoss sein Vater seine ganze Familie und erhängte sich an einem Apfelbaum hinten im Garten. Letztendlich zog es ihn in eine Hüttensiedlung.
Die Straße sah aus, als wären tausende Bomben eingeschlagen, tiefe Risse zogen sich durch den lehmigen Boden.
„Los, Pavlos. Der da.“ Der verstümmelte Finger von Salva zeigte auf einen Sportwagen. Der Fahrer kommt nich von hier, nie im Leben dachte sich Pavlos. Der Mann im Wagen trug eine Sonnenbrille, Schweiß bedeckte seine Stirn.
„Der is doch viel zu teuer. Mit sowas bist du nie im Leben eingestiegen“ sagte Pavlos. Die Bande der Red Clocks stellte hohe Anforderungen an ihre Mitglieder. Jeder Anwerber musste einen Wagen klauen um einer der ihren zu werden. Doch es lohnte sich. Sie teilten ihre Beute und keiner musste hungern.
„Ich machs.“ fügte Pavlos an. „Gebt mir ne halbe Stunde.“
Im Schatten der Slums rannte er dem Auto hinterher. Einige Meter später hielt es am Cafe Belladonna. Der Mann suchte sich einen Platz im Schatten und stöberte in der Karte. Pavlos war gerade erst 14, und doch hatte er schon einige Tricks als Taschendieb gelernt. Letzten Sommer hatte er in der Brieftasche eines dicken Bonzen sogar eine Mastercard gefunden.
Er wartete.
Nach dem dritten kühlen Bier stand der Mann auf und ging aufs Klo. Es war erst Vormittag, so war in dem Cafe ziemlich wenig Betrieb. Pavlos folgte ihm langsam, vorbei an der Theke, kurz vor der Tür zog er den kleinen Revolver. Er war mit sechs glänzenden Patronen bestückt. Jede davon hatte er einzeln poliert. Einfacher, als einem Kind den Lolli wegzunehmen, dachte er sich. Keine zwei Minuten später verlies er mit einem Autoschlüssel das Cafe.
Das würde für sie und das Kind wohl einige Zeit reichen. Er dachte lächelnd an Maria.