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Wüstenblut
„Hassan, stimmt etwas nicht?“
„Was? Nein, nein, alles in Ordnung.“
„Ich bin dein Schwertbruder, lüg mich bitte nicht an!“
„Es geht mir gut. Wirklich!“
„Du hast Mitleid mit diesen Menschen.“ Raschid tätschelte den Knauf seines Säbels. Einen Augenblick schien es, als würde Hassan nicht auf die Vermutung seines Bruders eingehen.
„Du hast Recht. Wir hatten keinen Grund jene Menschen zu töten und ihr Hab und Gut zu rauben. Es waren nur Bauern, keine Krieger, keine Söldner, nur Bauern“, erwiderte Hassan mit leiser Stimme.
Raschid schüttelte den Kopf: „Du weißt das es notwendig war. Wir brauchen die Vorräte. Hätten sie sie uns überlassen, wäre niemanden etwas geschehen.“ Hassan lachte auf aber es klang eher wie ein Schrei.
„Und glaubst du, mein Bruder, diese Menschen brauchten die Nahrung nicht?“
„Du redest wirre! Schlaf ein wenig und vertreib diese Dämonen aus deinem Herz. Im Morgengrauen reiten wir weiter.“ Raschid verließ mit hastigen Schritten das Zelt und brüllte einige Befehle in die trockene Wüstennacht hinaus. Eine Weile blickte Hassan an die Decke des Zeltes, während draußen, die Krieger seines Stamms ein altes Siegeslied anstimmten. Er wusste er sollte mitsingen, die eigene Toten betrauern, anstatt mit sich und Gott zu hadern. Dann schlief er ein…
***
Das Grün der Zuckerpflanze ist ein Ausdruck des Lebens der kleinen Oase. Kinder spielen im grünen Wasser des Maresch, tauchen die Köpfe unter Wasser und kommen prustend und lachend wieder an die Oberfläche. Die Mütter knien am Ufer, waschen die Wäsche und schütteln lachend die Köpfe, über den Unsinn, den die Kinder treiben. Der Duft von frisch gebackenem Brot liegt schwer in der Luft. Die kleinen, weiß getünchten Lehmhütten schmiegen sich an die zerklüfteten Felsen und bieten den Alten des Dorfes Schutz vor der goldenen Sonnenscheibe, die hoch am saphirblauen Himmel steht…
***
„Hassan! Wach auf!“ Heftig rüttelte Raschid seinen Bruder wach. Im ersten Augenblick wusste Hassan nicht so recht wo er war. Zwielicht herrschte in dem Zelt und eine Myriade von goldenen Staubkörnen brachte die Luft zum glitzern. Er rieb sich verwirrt die Augen, immer noch halb im Banne seines Traums gefangen.
„Raschid? Was ist los?“
„Sie sind hier!“ Die Verwirrung fiel von Hassan ab wie die Haut einer Wüstennatter nach der Erneuerung. Er packte seinen Säbel, der neben ihm lag und sprang auf die Beine.
„Wie kann das sein? Hasrul lag mit seinen Soldaten doch Tage hinter uns zurück! Unmöglich dass sie uns so rasch eingeholt haben!“
„Und doch spreche ich die Wahrheit. Die Staubwolke ist deutlich zu sehen.“
„Vielleicht ist es eine Karawane.“
„Nein, die Späher sind nicht zurückgekehrt. Es ist Hasrul.“
Vor dem Zelt machten sich die Krieger zum Kampf bereit. Die Gesichter der Männer waren durch die Harhish – das Tuch der Todgeweihten – verschleiert. Die kurzen Kriegslanzen schimmerten in der Sonne, Säbel und Messer wurden geölt, die wenigen Bogen an die Ältesten verteilt. Hassan war sich sicher dass es Gottes Zorn war, der ihre Feinde so dicht und überraschend zu ihnen geführt hatte. Trotz der Hitze spürte Hassan eine Kälte, die nicht von dieser Welt zu sein schien.
„Wir müssen zurück. Hier können wir uns dem Kampf nicht stellen“, sagte Raschid laut, so das jeder einzelne Mann ihn hören konnte. Hassan riss seinen Bruder so brutal herum, dass dieser beinahe im Staub gelandet wäre: „Was redest du da? Bist du von Sinnen? Diese Menschen haben genug gelitten! Willst du die Oase ein zweites Mal in ein Schlachtfeld verwandeln?“ Hassans Augen glühten vor Zorn und Entsetzen. Erschrocken stellte er fest, dass seine Hände um den Hals seines Bruders Raschid lagen. Einige Männer zogen Hassan fort und Raschid zog hustend frische Luft in seine Lungen. Die etwa sechzig Krieger standen verwirrt bei ihren Pferden, ratlos über das Vorgefallene. Langsam rappelte sich Raschid auf die Beine und sah seinen Bruder wortlos an. Dann stieg er auf sein Pferd und brüllte: „Dieser Mann ist nicht länger unserer Waffenbruder, ein Dämon hat von seinem Körper Besitz ergriffen! Lasst diesen Wahnsinnigen zurück, auf das die Wüste ihn verschluckt!“
Wenige Minuten später war Hassan allein. Ohne Pferd, ohne Nahrung, ohne Wasser. Im Süden wurde die Staubwolke immer größer, die das Nahen Hasruls und seiner Soldaten ankündigte. Seinen Säbel hatte Raschid ihm gelassen. Sehr lange starrte er die scharfe Klinge an und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Das alles ergab keinen Sinn. War er wahrhaftig verrückt, weil er kein erneutes Leid unter diese Menschen bringen wollte…
***
Als die ersten Reiter am Horizont auftauchen, verstummt das Lachen der Kinder. Shania lässt ein eingeseiftes Kleidungsstück fallen und treibt die Kinder aus dem Wasser. Rote Flecken erscheinen auf ihrer makellosen Haut, als sie, so schnell ihre Füße es zulassen, die Kinder in die Dorfmitte führt. Ihr Mann, Ali, versucht sie zu beruhigen und redet sanft auf sie ein. Das die Männer wahrscheinlich nur Wasser brauchen und vielleicht ein wenig Brot. Sie versucht zu lächeln, bricht stattdessen aber in Tränen aus. Einige Männer eilen herbei, Hacken und schartige Messer in den Händen…
***
Als Hasruls Späher das verlassene Lager erreichten, blickte Hassan ihnen furchtlos entgegen. Den Säbel hatte er bis zum Heft in den weichen Sand gestoßen; er würde nicht kämpfen, nie wieder.
„Alter Mann, haben dir die Männer Schaden zugefügt?“ Hassan schaute hinter sich, konnte aber niemanden entdecken.
Der Reiter sah zu seinen zwei Kumpanen rüber und nickte ihnen zu. Die beiden wendeten ihre Streitrösser und folgten den sich entfernenden Staubwolken. Hassan war verwirrt und ihm schwindelte. Die Hitze hatte in den letzten Stunden sehr stark zugenommen.
„Hier, Alter Mann, nimm meinen Wasserschlauch. Du wirst ihn dringender brauchen als ich.“ Der Reiter lächelte und ritt von dannen.
Hassan hob den Wasserschlauch auf, so vorsichtig als wäre es eine Giftschlange, und betrachtete ihn voller Unglauben. Er tastete nach seinem Gesicht um nach Falten zu fühlen, die natürlich nicht da waren. Dann lachte er, nahm einen Schluck von dem Wasser und wanderte nach Westen – in das Herz der Wüste – um Erleuchtung zu finden…
***
Sechs der Bauern liegen tot im Wüstensand. Auch Ali ist unter ihnen. Die Frauen weinen leise, während die Krieger sich über die Vorräte hermachen. Einige von ihnen lachen. Andere stehen einfach nur da. Shanias Augen bohren sich in die eines Mannes, der etwas abseits seiner Kumpane steht. Ihr Zorn ist groß, aber nicht so groß wie die Trauer in seinen Augen. Als die Krieger die Oase verlassen, bleibt der Mann zurück, er schneidet einen Lederbeutel von seinem Bauchtuch und wirft es Shania zu. Dann reitet auch er davon, mit gesenktem Haupt. Sie öffnet den Beutel, und schüttet den Inhalt auf die Erde. Zwanzig Goldmünzen schimmern im Sonnenlicht. Shania rührt sie nicht an. Aber sie weiß, dass er es gut meinte.