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Wahre Liebe?!
Plötzlich lag meine Hand auf ihrem Schenkel. Ich weiß heute noch nicht, wie sie dahin kam. Natürlich hatte ich einiges getrunken und deshalb bekam ich nicht mehr alles so richtig mit. Irgendwie war es ihre Idee gewesen oder die Situation war bei irgendeinem Spiel entstanden. Ich wollte eigentlich nichts von ihr. Sie streichelte meine Hand und schaute mich so verliebt an. Ich bekam das gar nicht richtig mit. Die Streicheleinheit schien dennoch zu wirken und mit ihr der Alkohol. Kurioserweise war ich es dann, der fragte:
„Sollen wir kurz raus gehen?“
„Wenn du willst?“ sagte sie mit gebrochenem deutsch. Sie war eine ungarische Austauschschülerin. Ich nahm sie an der Hand und führte sie nach draußen an die frische Luft. Dort versuchte ich allmählich wieder einen klaren Kopf zu bekommen, während sie in meinem Arm gelehnt auf einer Fensterbank saß. Sie versuchte es wohl so romantisch wie möglich zu gestalten.
„Ich bin so dumm!“ begann sie nach einer Runde Schweigen.
„Warum?“
„Weil ich mich bei Austäuschen immer in jemanden verliebe.“ Ihr Deutsch war nahezu perfekt.
„Dann bin ich auch dumm!“
„Weshalb du?“
„Aus demselben Grund!“
Wie bitte? Was sagte ich gerade? Ich hatte mich beim Ungarnaustausch verliebt? Und in wen? Gut, vor fünf Jahren war da so ein Austausch gewesen, der in Richtung Abenteuer ging. Weniger verliebt, als die Suche nach einem Mädchen im selben pubertären Stadium. Aber bei diesem Austausch? Ich hatte mich nicht verliebt, gab aber vor, das Mädchen, das mir durch meine eigene Dummheit in die Arme geriet, zu lieben. Ich belog sie. War das alles eine Wirkung des Alkohols oder brauchte ich nur mal wieder eine Freundin? Während mir diese Gedanken durch den Kopf schossen, war es wieder still geworden zwischen uns. Dreißig Sekunden vergingen, sechzig Sekunden, neunzig, hundertzwanzig – jetzt erst traute sie sich mich mit ihrer Zunge zu überraschen, doch ich bemerkte es im letzten Augenblick und tat so, als hätte ich es nicht gesehen.
„Wir sollten es lassen. In vier Tagen bin ich weg. Und dann werden wir nur weinen!“
„Weinen werde ich auf jeden Fall!“
Was erzählte ich für einen Unfug? Ich liebe dich nicht, warum sollte ich dann um dich weinen? In meinen Gedanken ging alles so einfach: Ich hatte sie schon längst sitzen gelassen und war mit meinem Austauschschüler auf dem Weg nach Hause. Doch in der Realität sah alles anders aus. Ich war einfach zu schwach dazu, die Befehle meines Gehirns auszuführen. Ihrem nächsten Versuch mich zu überraschen, konnte ich nicht widerstehen. Es war schon eine Weile her gewesen, als ich das letzte Mal ein Mädchen geküsst hatte, doch es ging nur wenige Sekunden bis ich den Dreh mit der Zunge wieder raus hatte. Was solls? So schlecht sieht sie auch wieder nicht aus.
Der nächste Abend fand in einer anderen Kneipe statt, als am Tag zuvor. Meine neue Freundin begrüßte ich nur mit einer kurzen Umarmung – traute sie nicht vor Publikum zu küssen, auch wenn es tags zuvor noch anders gewesen war. Der erste Kuss fiel erst nach dem ersten Schluck aus dem ersten bestellten alkoholischen Getränk. Nach einer Weile fragte ich, ob sie Lust hätte, durch die Innenstadt spazieren zu gehen. Sie hatte und wir gingen los – Hand in Hand. Als wir schon fast wieder an der Bar zurück waren, brachte sie die rettende Idee, wie ich mich „legal“ von ihr lösen konnte:
„Wir könnten uns für einen Tag trennen und schauen, wie wir ohne einander auskommen.“
Warum antwortete ich das falsche?
„Das können wir nicht!“
„Du hast Recht! Vergiss meine Idee!“
Ich bemerkte sofort, jedoch zu spät, meine Dummheit und tat so, als würde ich überlegen.
„Nein! Eigentlich hast ja du Recht! Lass es uns doch versuchen.
Sie blieb auf einmal stehen und lies meine Hand los. Irgendwie wussten wir beide nicht, was wir wollten.
„Dann kannst du gleich alleine gehen.“
„Ich dachte, du wolltest es. Wenn du es nicht willst, dann lassen wir es gleich sein.“
Nur widerstrebend erfasste sie meine Hand. Wie wäre es ausgegangen, hätte ich gleich ja gesagt? Ihr Vorschlag jedoch ging mir den ganzen Abend lang nicht mehr aus dem Kopf. Irgendwann im Laufe des Abends, wir waren längst wieder in der Bar und hatten uns an der Gesprächsrunde beteiligt, versuchte ich es auf ein neues bei ihr:
„Es ist besser, es doch zu tun.“
„Was tun?“
Sie schien es tatsächlich verdrängt zu haben.
„Uns für einen Tag zu trennen!“
Sie schaute mich verdutzt an, kämpfte gegen die Tränen. Dann blickte sie weg und ein Schluchzen verriet mir, dass sie den Kampf verloren hatte. Ich versuchte sie zu trösten, doch sie riss sich von mir los und verschwand nach draußen. Irgendjemand rannte ihr hinterher, jemand anders setzte sich neben mich und fragte, was denn los sei. Ich jedoch beachtete ihn oder sie nicht. Ich war mit mir beschäftigt.
Nach einer Stunde kam sie in Tränen aufgelöst zu mir, setzte sich und fragte mehr schluchzend als sprechend:
„Sollen wir es weiter versuchen!“
Sie tat mir leid.
„Nein! Geben wir uns noch bis 24 Uhr Zeit.“
Sie war nur bedingt getröstet.
„Okay!“ antwortete sie und setzte sich wieder in meine Arme. Ich hatte nicht nur mir den Abend versaut, sondern speziell auch ihr, aber auch der ganzen Gesellschaft, die durch unser Verhalten nur noch mehr verwirrt war. Gott sei Dank kam dann jemand in Tränen aufgelöst rein. Die ganze Gesellschaft, auch meine Freundin, stürzte sich auf sie, um sie zu trösten. Sie gingen alle zusammen raus. Eine Klassenkameradin setzte sich neben mich.
„Ist jetzt Schluss zwischen euch?“
„Ab zwölfe?“
„Warum gerade dann?“
„Wir trennen uns nur für einen Tag. Wenn es uns gut geht, dann bleiben wir getrennt, wenn nicht, dann nicht.“
„Ach so!“
Ich nahm einen Schluck aus meinem Bier. Aus den Boxen der Kneipe ertönte ein Liebeslied. Ich zeriss das Etikett der Bierflasche, nahm den Fetzen Papier in den Mund, spuckte ihn in meine Hand, machte ein Kügelchen daraus und warf das Ergebnis in den Aschenbecher. Dann lauschte ich einen Moment der Musik, tat gar nichts, sondern dachte nur über den Abend zuvor nach. So schlecht sieht sie auch wieder nicht aus. Tränen stiegen mir in die Augen. Ein dumpfes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Mehr krächzend als gesprochen, sagte ich:
„Ich hätte nur die Hand wegziehen sollen!“ Dann brach alles aus mir heraus. Ich weinte. Meine Klassenkameradin versuchte mich zu trösten.
„Komm, ihr ward beide betrunken!“
„Auch besoffen kann man noch eine Hand wegziehen.“
Darauf wusste sie auch keine Antwort. Sie stand auf und ging, lies mich alleine mit mir hadern.
Wir hatten noch fünf Minuten bis 24 Uhr. Sie und ich saßen auf der Treppe der Kneipe.
„Du liebst mich nicht!“ warf sie mir vor.
„Doch liebe ich dich!“ Als ich das sagte, drehte es mir fast den Magen um. Sie weinte, heulte und flehte mich an und ich? Ich log, dass sich die Balken bogen. Ich liebte sie wirklich nicht. Ich machte allen nur was vor. Es war ein Witz, wie sie der Reihe nach drauf hereinflogen.
„Nein, du liebst mich nicht, sonst wärst du nicht auf diese Idee gekommen!“ warf sie mir mehr als einmal vor.
„Stimmt, ich liebe dich nicht, darum kann ich ja jetzt gehen,“ sagte ich, denn ich hatte genug von ihrem Flehen, konnte es nicht mir mehr anhören,es nicht mehr ertragen!
Trotz ihrer Nein-Rufe, ihres Flehens, ihres lauten Weinens ging ich ohne mich umzudrehen – bis zur nächsten Ecke, um mich dort an die Wand zu lehnen und in die Sterne zu schauen. Ich dachte über die vergangenen Tage nach und es schossen mir Tränen in die Augen. So schlecht sieht sie auch wieder nicht aus.