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Wand & Wandel

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12.04.2007
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Wand & Wandel

Die Wand der Wende und der Wandel

<Then happy Eye, that love & am beloved
Where Eye may not remove nor be removed>
Sehr unfrei nach Shakespeare, Son. 25​

Der Wandel sei tot, behauptet einer. Als ein andrer zweifelt -
so'n Berg von Kerl fiele doch nicht einfach um!? -
sagt der eine nur >isser aber!<
>Einfach so?<
>So einfach!<
>Wie, vor allem aber: warum konnte das geschehn?<, fragen wir -
dem eine lange Geschichte folgt.

Die begann mit aller überlieferten Geschichte kurz nach den zwo Sündenfällen, die sanktioniert wurden. Da wäre zum einen die Vertreibung aus dem Paradies und zum andern die Sündflut, in der bis auf wenige Auserwählte alles, was beseelt war, ersäuft wurde. Dass von außen keine Gefahr in ihre Welt eindränge und auch nichts aus ihr verloren ginge, mauerten sich die Auserwählten in der Welt ein mit allem, was dazu gehörte, wussten sie doch noch um das Paradies als dem umwallten und befriedeten Garten der Glückseligkeit. So war denn die Wand zugleich Damm gegen die Flut von Außen wie von Innen. Die sicherste und beste aller denkbaren Welten war geschaffen, was es schier endlos zu feiern galt - woher die Welt auch ihren Namen hat: Festung. Doch irgendwann erlahmt die Freude auch am schönsten Fest und die Welt glich immer mehr einem Friedhof, den die Mauer konservierte.

Auf diesem Friedhof biss einst der Storch einem jungen Ding ins Bein. Von da an lief es schwer. Nichts ging mehr so einfach wie vordem. Alles änderte sich. Aus einem Histörchen erwuchs eine Historie, das Mädchen reifte zur Frau, wurde Mutter. Die meinte, Wandel solle das Kind heißen, >da mir alles anders geworden ist mit ihm und durch ihn und weil es von meinem Bein ist!<, doch von wessen Fleisch und Blut es zudem sei, verriet sie nicht. Manch einer vermutete den Wind dahinter, andere einen Geist. Genauso gut hätt's der Storch sein können. Böse Zungen behaupteten, durch ihre Histörchen wüsst' Historie gar nicht, wer oder was den Wandel verursachte.

Lange galt Wandel als träge. Er bewegte sich gleich einem Berg, zeigte den Verstand einer Bananenschale und ein Herz aus Stein. Schlürfenden Schrittes durchmaß er die Welt, bis er nach tausend Jahren gegen die Wand lief. Da wählte der Wandel eine andere Richtung, bis er nach abermals tausend Jahren wieder auf eine Wand stieß. Die Stirn blutete ihm von diesen Begegnungen. So ging die Zeit hin und kam nicht mehr her. Historie weinte um das blöde Kind, dem die Fachwelt attestierte, in der Entwicklung gegenüber der Norm zurückgeblieben zu sein. Mancher sah Wandel als ballästig an. Mit ihm geriet jedes Fest zum Trauerspiel. Die Festung bedurfte seiner nicht. - Es war zum Heulen!

Eines Tages jedoch gab Wandel sich anders. Zunächst sah man nur, dass er ein helleres Gewand trug als zuvor. Dann fiel auf, dass er Herz und auch Verstand zeigte, auch schon mal lachte. Aber deutlicher als all dieses erkannte man, dass der Wandel nun jeder Schnecke davonlief.

Ob das überhaupt der Wandel sei, fragten sich die Leute.

Hinter jedem Wandel stecke ein Weib!, behauptet der Volksmund -
noch heute und zu Recht: Wandel hatte Wende getroffen.

Von Weitem rief er schon, dass auch der Letzte es wisse: hier kommt der Wandel! Aber trotz eines freundlichen und sanften >Dürft' ich mal bitte?!< und eines hernach heftig gebellten >Aus'm Weg!< rührte sich nichts, blieb alles beim Alten und Wandel stieß auf eine Wand, die immer noch stärker war als er je sein könnte.

Wandel schrie vor Schmerz auf: >Das tut weh!<
>Das tut mir leid<, meinte die Wand, >aber was weh tut, tut auch gut.<
>Das tut mir leid!<, krächzte der Wandel und lamentierte:
>Kannstu nicht ausweichen!?
Was stehstu so dumm rum?!
Stehst immer nur im Weg ...< Und ruhiger:
>Hastu mich nicht kommen sehen? Mein Rufen nicht gehört?<
>Aber sicher hab ich dich rufen hören und das Unglück kommen sehn. 's ist aber mein Job von alters her, genau hier zu stehn und das ist gut so -
das muss gut sein -
stünde ich sonst seit tausenden von Jahren hier?<, antwortete die Wand so ruhig, wie jemand, der seine Arbeit gut macht und darum weiß, dass maßgebliche Stellen es wissen. Aber die Wand hatte Mitleid mit dem großen und groben Klotz, dessen Stirn blutete wie Sau.
>Hab ich dich arg verletzt?
Bistu noch wo verletzt? -
Wie kann ich dir helfen?<
>Geh weg oder doch aus dem Weg<, was der Wandel ob der Hilfsbereitschaft verlegen stotterte. Die Zunge wog schwer. Das Herz wurd ihm warm. Die Knie wurden ihm weich, als sie sagte:
>Werd doch bitte nicht kindisch!
Gerade das kann ich nicht,
dürft' es auch gar nicht.<
Aber weil auch sie ihn mochte, verriet sie, dass in der Festungs Mauer Lücken seien, von denen noch Franz-Joseph K wusste und berichtete. Durch die Lücken hielten die Auserwählten Kontakt zur Außenwelt. >Da kannst auch du herausfinden, denn immer sich Beulen zu holen nützt niemand.<
Ob dieser K zu sprechen sei, fragte Wandel, aber die Wand lachte Tränen, war doch aller Welt bekannt, dass Joseph K grundlos vorm Gesetz abgeurteilt wurde und der Franz schuldlos verreckte.

Wandel lief heiß. Wie ein Blitz sauste er nun durch die Festung, dass die Leute sich verwundert die Augen rieben. Der Blitz schlug mit lautem Krachen ein. Wandel hatte sich verknallt! Zwar hatte er keinen Weg aus der Festung gefunden, doch erkannte Wandel sein Weib und wurde eins mit ihm.

Noch heute kann man den Fleck in der Wand sehen, wo der Blitz eingeschlagen hatte.

Wandel tät' not, ist aber tot.

Die Wand hat Bestand.

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo Friedel!
Schade, ich komme wieder nicht mit. Warum ist Wandel tot? Warum heiratet er Wende? Warum weiß Wandel nicht, daß jede Wand Lücken hat? Daß eine Wand nicht zu durchbrechen ist, sondern zu überwinden, wie eine Winde es kann, oder auch der Wind.
Also, ich denke, Wandel könnte Wand heiraten, das ist eine schöne Polarität, beide sind nötig und ergänzen einander, und wenn Wandel sich mit Wand verbindet, entsteht Wende, ihr Kind. Darauf könnt' man in der festen Festung feste Feste feiern!

Gruß Set

 

Hallo Friedrichard,

es tut mir Leid, aber ich schließe mich voll Setnimedes an.
Irgendwie komme ich mit dem Text nicht zurecht. Er sagt mir nicht das Geringste udn ich hoffe, du findest jemanden, der diesen Text wirklich bewerten kann.

Gruß
Kyrios

 
Zuletzt bearbeitet:

>Die Storcheneinlage hat mir besonders gut gefallen, endlich mal eine Erklärung dafür,
dass die Kinder vom Storch gebracht werden.< Sabine

Hallo Leute,

solch schnelle Reaktionen auf Texte von mir bin ich gar nicht gewohnt. Ich dank Euch dreien fürs Lesen und die ersten Beiträge.

Es tut mir natürlich leid, Kyrios und Set, mit den Verständnisproblemen. Aber die Fragen Sets will ich - ohne mich selbst interpretieren zu wollen - knapp beantworten:

>Warum ist Wandel tot?< Weil er voll gegen die Wand knallt und es jetzt nicht bei ein bisschen Blut an der Stirn bleibt, ist doch die Energie eines Blitzes eine andere als die einer Schnecke, selbst wenn sie ein Berg wäre.

>Warum heiratet er Wende?< Hm, warum heiratet man? Obwohl doch heute der Trend zum Single-Dasein geht (was Zwergenhaushalte erzeugt).

>Warum weiß Wandel nicht, daß jede Wand Lücken hat?< Weil er an das "made in Germany" oder andere Märchen glaubt!? >Daß eine Wand nicht zu durchbrechen ist, sondern zu überwinden, wie eine Winde es kann, oder auch der Wind>, was aber eine andere, mit Sicherheit genauso interessante Geschichte ergäbe: Hier: Wand - Wände -Wende - Wandel(n), dann Wind - Windel/(über)Winden etc.

Aber Deine Gedanken zum Schluss, lieber Set, sind doch ausgezeichnet! Wo ist das Problem? Und dass es sogar eine Lösung gibt, welche die kleine Geschichte unter die historische Rubrik (9. November & Folgen?) bringen könnte, zeigt Sabine. Hut ab - trüge ich denn einen, aber bei meinem Putz brauch ich selbst im tiefsten Winter keine Mütze.

Ich dank Euch & auch Euch noch einmal frohe Restostern

Friedel

 

Hi Friedrichard,

wäre Wandel nicht gestorben, hätte er sich Reform genannt und wäre ins Reformhaus gezogen, mit Möglichkeit vielleicht ein paar Reförmchen gezeugt und melancholisch vom Wandel geredet, der er einmal war, bis er an die Wand knallte.

Mir hat deine Wortspielgeschichte gefallen. Eine kleine Anmerkung habe ich aber doch:

die immer noch stärker was als er je sein könnte
stärker war


Lieben Gruß
sim

 

Das sind die Folgen, im Internetcafé am Bildschirm sitzen, in einen Grillabend einbezogen werden, Bierchen ... auch was mehrchen ... und dann nix mehr merken, da wird ein "war" schnell zum "was", anders kann ich mir das nicht erklären, dass die englische Grammatik mich auf einmal für drei Buchstaben beherrscht ...

Ich dank Dir,

sim,

auch für die sehr interessante Weiterführung der Geschichte.

Gruß & frohe Restostern

Friedel

 

Hallo Sim,

da trittst Du bei mir etwas los! Warum sprechen wir heute immer von Reform, wenn wir Wandel meinen? Reform ist - wo stammt das Wort bloß her - etwas zurückgerichtetes, sonst hieße es doch Proform! Und wenn wir Deutschen das Wort "Wandel" - danke Friedel, daß Du es wieder belebst - vergessen und stattdessen von "Reform" reden, was sagt das wohl über uns aus?
Das alles zeigt nur, welche Abgründe sich täglich in der Tagesschau auftäten, wenn wir nur hinhörten, und wie positv dagegen Friedels kleine Geschichte ist!

Gruß Set

 

Hallo Friedel,

und wieder behaupte ich: Weiser Mann. "Voll weise", wie mein Sohn sagen würde. :)

Wieder einmal schaffst du eine Parabel, dessen Metaebene schon eher ein Meta-Hochplateau ist.

Wir alle waren damals ein Volk, mittlerweile sind wir ja sogar Papbst. Und ja, der Wandel, der mit und nach der Wende kommen sollte, zerschellte an der Wand. Der steinernen ebenso wie der in den Köpfen.

Gerne habe ich deine Geschichte gelesen.

Und entweder, ich habe das Hochplateau erklommen, oder ich bin wieder auf halben wege stecken geblieben.

lieben Gruß
Dave.

P.S.:

dass in der Festungs Mauer Lücken seien
war auch hier der biergetrübte Blick der schuldige? :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Nein, war nicht durch Bier getrübt, der Blick,

lieber Dave,

aber Genitiv-Konstruktionen lassen es manchmal so erscheinen wie auch der Konjunktiv irrealis sonst nur noch.

Schön,
dass Deine Familie (wenn auch virtuell) eingespannt ist und an Wortspielen gefallen hat, vor allem aber für Deine Bilder.

Du bist oben angekommen.

Aber, das eigentliche Geschichtlein zur Wiedervereinigung ist die Selpherriade. Schade, dass die quasi in der Sturmflut untergegangen ist und keiner mehr Luther Deutsch (ich sprech ja gar nicht mehr thiudisc darinnen) so recht zu verstehen scheint...

Gruß und danke

Friedel

 

Salü Friedrichard,

Wandel tät' not, ist aber tot. Die Wand hat Bestand.

Lese ich da eine an-Barack-Obama-vorbei-Geschichte? Er hat doch ausdrücklich gesagt: „Don’t tell me change is not possible“ und „We are the change we have been waiting for.“

Aber ja, wahrscheinlich hast Du recht: Die, die den Wandel bringen wollten, liefen gegen die Wand, wurden gekreuzigt, gefoltert, verbrannt, verbannt, eingesperrt, erschossen …
Da glaube ich eher, die Lücken in K’s Wand sind Schiessscharten.

Und die, die hinter der Wand so lustig unsere Moneten verfesteten, tummeln sich da immer noch ganz fröhlich auf ihren ‚Friedhöfen’ (was für ein beschauliches Wörtchen in diesem Zusammenhang!) und verjuxen ihre/unsere Fallschirme …

Ganz schön verpackt Deine vielfältigen Gedankengänge … Ich vermute noch mehr, aber die, die ich entziffern konnte, reichen erstmal zur Wegzehrung.

Lieben Gruss,
Gisanne

 

>Lese ich da eine an-Barack-Obama-vorbei-Geschichte?<

Wie könnt' ich es wagen!,

liebe Gisanne,

wo ich doch - sicherlich mit Dir - meine, <Jazz we can!>

Danke fürs Lesen und vor allem Deine Interpretation(en) - die Lücken als >Schiessscharten< hatt' ich noch gar nicht in meinen Gedanken, wobei sich auch die Schweizer Sonderstellung in der Rechtschreibung (vier x s in einem Wort!) auszeichnet.

Halt die Ohren steif!

Friedel

 

Hallo Friedrichhard,

verwundert blickt man auf die verwundenen Gänge - deiner Gedanken.

Dann öffnet sich der Blick auf die festorientierte Festung, leider kein Grund zu feiern, so unverrückbar fest gemauert in der Erden, wie sie ist.


Doch hier kommt Freude auf:

>da mir alles anders geworden ist mit ihm und durch ihn und weil es von meinem Bein ist!<

Man weiß nicht, aus welchem Holz das Kind geschnitzt sein wird, vielleicht aus Bein, bei einer Mutter, elfengleich?


„Dann fiel auf, dass er Herz und auch Verstand zeigte, auch schon mal lachte. Aber deutlicher als all dieses erkannte man, dass der Wandel nun jeder Schnecke davonlief.“

Eine reife Leistung, diese Schneckenflucht, aber auch das Bild an sich.


„Der Blitz schlug mit lautem Krachen ein. Wandel hatte sich verknallt! Zwar hatte er keinen Weg aus der Festung gefunden, doch erkannte Wandel sein Weib und wurde eins mit ihr.“

Schön doppelbödig, deine Doppeldeutigkeit: Ich habe jene erkannt, diese aber nicht geschwängert, weil ich keine fehlgeleiteten Liebesexplosionen verspürt habe.


„Noch heute kann man den Fleck in der Wand sehen, wo der Blitz eingeschlagen hatte.“

Wahrscheinlich gleich neben dem Tintenfleck, passend zur Festung. Der teufel soll mich holen, falls er nochmal alles versaut ...

Ein Text mit ansprechenden Ideen, die Wende ist ein schönes Ergebnis. Wenn man eine Sache nicht dabei ver-windet.

L. G:,

Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

verwundert blickt man auf die verwundenen Gänge - deiner Gedanken,
was mich nun neugierig macht, was nun folgen mag.

Doch hier kommt Freude auf:

Man weiß nicht, aus welchem Holz das Kind geschnitzt sein wird, vielleicht aus Bein, bei einer Mutter, elfengleich?,
was kein Mensch wissen kann.

Ein Text mit ansprechenden Ideen, die Wende ist ein schönes Ergebnis. Wenn man eine Sache nicht dabei ver-windet-
ein schönes Schlusswort, dass mir warm ums Herz wird.

Danke fürs Lesen & Kommentieren incl. der feinen Interpretationen nebst Wartburg-Anspielung (für manchen könnt' das schon wieder zwodeutig sein)!

Gruß aus'm Eispott vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Friedrichard,

herrlich zu lesen war deine Kurzgeschichte. So ganz befreit von Konvention, das gefällt mir. Wand, Wandel, Wende - sind dass denn überhaupt Menschen, Lebende oder doch "nur" Phänomene, die in der Welt herumirren, leben, weil sie täglich durch die Mäuler fliegen. Die vielen biblischen Vergleiche lassen Wandel aber auch teilweise zu einer Art Jesus mutieren, ist er auch irgendwie eine Jungferngeburt, der Vater wohl nicht Gott, sondern die Beständigkeit, wenn da auch nicht so viel Unterschied sein mag. Wandel ist anders und tut seinem Namen irgendwie nicht gleich. Doch eines Tages wandelt sich Wandel und keiner weiß, warum. Aber liegt ja irgendwie in seiner Natur.

Ein paar Anmerkungen:

zwo Sündenfällen, die sanktioniert
Dich müsste man sanktionieren. Dafür, dass du zwei Wortschätze vermischst und die Piraten nicht mehr wissen, woher sie was haben. =) Nein, natürlich nur ein Scherz. Das gefällt mir.

Das lief von da an schwer.
Vorschlag, weil ich da gestolpert bin: Von da an lief das schwer.
Wäre ein Fuß weniger.

Histörchen
Gefällt!

und weil es von meinem Bein ist!
Dann hätte sie das Kind ja Krampfader nennen können. =)

Er bewegte sich gleich einem Berg, zeigte den Verstand einer Bananenschale und ein Herz aus Stein.
Weiß nicht, irgendwie mögen mir die Vergleiche nicht gefallen. Er bewegte sich gleich einem heruntergefallenen Apfel, zeigte vom Verstand nur den Stand und sein Herz schien nur zu schlagen, aber nicht zu fühlen. Sorry, aber das kannst du viel besser! Der Rest fetzt doch auch!

Da wählte der Wandel eine andere Richtung, bis er nach abermals tausend Jahren wieder auf eine Wand stieß. Die Stirn blutete ihm von den Begegnungen mit der Wand.
"mit der Wand" kann man doch hier kürzen. Warum wiederholen?

Historie weinte um das blöde Kind, dem die Fachwelt attestierte, in der Entwicklung gegenüber der Norm zurückgeblieben zu sein.
Herrlich!

Sehr gut hat mir auch gefallen, wie du die Festung zum Friedhof gemacht hast. Allein, weil man da so viel hineinlesen kann, finde ich deine Erzählung gelungen. Ich lese sie wie eine Parabel: Wandel ist tot. So schnell wird sich nichts mehr ändern. Irgendwie hatte ich auch ständig Bilder von der DDR vor Augen, aber das liegt wahrscheinlich an meiner Unwissenheit. Jedenfalls halte ich eine Auferstehung des Wandels nicht für ausgeschlossen. Wenn nur die Wand Bestand hätte, hätten wir ja gegen den Bestand nichts mehr in der Hand. Ist nicht das einzig Beständige der Wandel? Ganz ungläubig wird ja sein Tod zu Beginn deiner Geschichte angenommen. Und dann bringst du die Liebe ins Spiel. Nicht die Wende, sondern die Wand hat es ihm angetan. Und dass es nicht gut geht, wenn sich Feuer und Wasser paaren, wissen wir ja alle.

Ich hab's gern gelesen. Hast wieder viel geknotet in meinem Hirn, jetzt kann ich beruhigt in meine Klausur gehen. =)

Beste Grüße
markus.

 

Lieber Friedel

Die meinte, Wandel solle das Kind heißen,

Hinter jedem Wandel stecke ein Weib!, behauptet der Volksmund -
noch heute und zu Recht: Wandel hatte Wende getroffen.


Schön, dass es in deinen Geschichten auch immer was Neues zu begreifen gibt. Jetzt hat es sich sogar mir eröffnet, woher der Name Wendelin stammt. Ich hatte ihn irrtümlich immer Loriots Wortschöpfungen zugeschrieben und vermutet, dass er die Legende aus dem 6. Jahrhundert in der Neuzeit inszeniert habe, um seinem Wort mehr Gewicht zu verleihen.
Die Welt ist Wandel, klingt beinah philosophisch, es sei denn, sie sei durch eine Wand beschränkt.

Wäre da nicht Franz Joseph, hätte ich angenommen, Ladislao Vajda habe dich mit seinem Film „Ein Mann geht durch die Wand“, zu diesem humorvollem Text inspiriert.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

herrlich zu lesen war deine Kurzgeschichte,

was mich sehr freut,

lieber Markus,

doch hoff ich, dass sie's noch immer sei ...

sind dass denn überhaupt Menschen, Lebende oder doch "nur" Phänomene,
doch sind wir nicht alle nur Phänomene, Erscheinungen, die wie Sonne, Mond & Sterne aufleuchten und wieder erlöschen?

Art Jesus,
Du bist der Erste, der mir gegenüber den Gedankengang äußert, denn dann wäre Wand auch Horus, dessen Vater Osiris ja vor der Zeugung abhanden kam. Den Witz wollt ich jetzt gerade unterschlagen, kann ihn mir aber doch nicht verkneifen: Wand ist auch kein Bruder Art Garfunkels. Bissken Blödsinn darf hier in den tollen Tagen aufs Tollhaus übertragen werden.

Aber dennoch: Dein Gedankengang hat was!

Zitat:
Das lief von da an schwer.
Vorschlag, weil ich da gestolpert bin: Von da an lief das schwer.
Wäre ein Fuß weniger.
Da muss ich drüber nachdenken.

Zitat:
und weil es von meinem Bein ist!
Dann hätte sie das Kind ja Krampfader nennen können. =)
Wenn man Krampfadern an Knochen bekommen kann, ja, m. W. aber eher: jeht ja' nich'! Bein ist ein alter Ausdruch für Knochen (auch biblisch), was heut noch im Gebein zu erkennen sein sollte.

Zitat:
Er bewegte sich gleich einem Berg, zeigte den Verstand einer Bananenschale und ein Herz aus Stein.
Weiß nicht, irgendwie mögen mir die Vergleiche nicht gefallen. Er bewegte sich gleich einem heruntergefallenen Apfel, zeigte vom Verstand nur den Stand und sein Herz schien nur zu schlagen, aber nicht zu fühlen. Sorry, aber das kannst du viel besser!
Ich werd drüber nachdenken!

Zitat:
Da wählte der Wandel eine andere Richtung, bis er nach abermals tausend Jahren wieder auf eine Wand stieß. Die Stirn blutete ihm von den Begegnungen mit der Wand.
"mit der Wand" kann man doch hier kürzen. Warum wiederholen?
Stimmt in jedem Fall, etwa in der Form:
"Da wählte der Wandel eine andere Richtung, bis er nach abermals tausend Jahren wieder auf eine Wand stieß. Die Stirn blutete ihm von diesen Begegnungen.

Hm, die DDR war ein Modell, aber es geht um Beerde ..., lieber Markus.

Ja, auf solche Holzwege kann man bei mir schon mal verführt werden,

lieber Anakreon.

Vorbilder wüsst ich nun nicht hierbei gehabt zu haben ....


Dank Euch beiden & ein schönes Wochenende vom

Friedel

 

Hallo, Ihr drei,

hallo Woltochinon

grüß Dich Markus,

gruezi Anakreon,

im Abstand erscheinen mir selbst die letzten Antworten ein wenig schnoddrig, dass ich noch einmal auf Eure Stellungnahmen zurückkommen muss, ich hoffe, etwas disziplinierter (wenn man schon als Sozialanarchist auftritt, sollte man auch Bakunin, vor allem aber Kropotkin berücksichtigen und bedenken, dass Anarchie nur unter Selbstdisziplin obsiegen kann. Auf die Weise kann man auch Marx - den Propheten und Kleinbürger weglassend – voll integrieren; wir Rauschebärte müssen eben zusammenhalten), womit wir mitten im Thema sind:

Es ist die Situartion von 1989, als dem einen System die Konkurrenz abhanden kommt und es sich von da an als alleinseligmachend versteht, um es so knapp als möglich auszudrücken. Ohne Konkurrenz kann man getrost den Sozialstaat, der ja schon von Bismarck nicht aus Menschenfreundlichkeit eingerichtet wurde, sondern um die aufkommende Macht der Arbeiterbewegung zu schwächen, und wir werden wieder Zustände wie zu Charles Dickens’ und Gottfried Kellers Zeiten erleben. Führt der Wandel zunächst zum (Mancherster) Kapitalismus zurück, so vergessen die Eliten, dass jede Bewegung eine Gegenbewegung erzeugt, die – wie kann es am Anfang anders sein? – zunächst gegen die Wand läuft, bis sie sich organisiert hat und die unterschiedlichen Strömungen in eine Richtung lenken kann (zuletzt konnte man das an den Grünen studieren, die – wie andere Bewegungen auch – aus der vielbelächelten und –gescholtenen 1967-ern hervorgingen und heute eine Säule der Gesellschaft bildet).

So weit ist unser peronalisierter Wandel aber nicht in dieser mythischen Welt, die sich selbst einmauert mit de, Privileg der Eliten, Kontakte nach Außen pflegen zu können …

Die Etymologie lass ich in der Bewegung, also dem Wandern (das schon so kling[el]t, als ob …) über Holzwege beginnen:

Das Verb kommt aus dem althochdeuten (ahd.) wantœn, was nix anderes ist als unser wenden! Zudem ist es noch dem winden verwandt, das wiederum zunächst nix anderes als ein wiederholtes Wenden ist, was als Hin- und Hergehen angesehen werden darf. Ohne Ironie lässt sich aus dem zweiten Partizip (bewandert = viel gereist) die eigene „Erfahrung“ ableiten, wenn man halt etwas / jemand kennt und im volksmundigen wenn einer eine Reise tät, so könnt’ er was erzählen. Aber Wandel wird dumm gehalten – wie wahrscheinlich alle andern auch, die nicht der Elite zuzurechnen sind. Die müss(t)en sich selbst drum kümmern, sich klug zu machen - konkret zum Anfang: Die Bewegung beginnt mit der Arbeiterbildung, aus der später die Volksbildung wird.

Die Wand nun (ahd. want) bedeutet dann auch ursprünglich das Gewundene / Geflochtene, denn die Masse des Volkes kannte anno tobac keine festen Bauten – die ja schon mit den Römern an den Rhein gekommen waren. Sehr lange noch flocht das einfache Volk seine Wände aus entsprechenden natürlichen Materialien. Manche decken damit heute noch in romantischem Träumen das Dach.

Wenden ist mit dem Verb winden verwandt. Deutlich wird’s, wenn jemand sich windet, wie ich hier z. B. Im engl. leuchtet die Ableitung ahd. went noch im gehen durch, wenn es in der Vergangenheit liegt: went. Die Wende offenbart sich dann deutlich in ihren Zusammensetzungen: Wendekreis / -punkt und mit allen Vorsilben von ab- bis zuwenden. Mit der Rechtschreibreform gibgt es sogar Beispiele, die auf die Ursprungsform im wandern zurückfallen: aufwändig und inwändig z. B.

Müßig, zu erwähnen, dass selbst das Verb werden ursprünglich mit drehen, wenden, winden zusammenhängt, indem aus einem sich zu etwas wenden etwas werde: das ahd. werdan eben. Schon die Goten missbrauchen es als Hilfsverb wairÞan, [Þ gesprochen wie's engl. th-.

Bliebe ein mutmaßliche Vater des Kindes, der Wind, der schon optisch dem Verb gehört: winden = wehen. Es ist windig, also weht Wind. Bei ihm hat sich nix an der Schreibweise seit dem ahd. getan (sehn wir mal ab, dass damals die radikale Kleinschreibung vorherrschte: wind, im mhd. endete es auf dem harten t: wint, musste aber gelegentlich das weiche d akzeptieren, wenn ein Selbstlaut folgte: winde). Ironie des Schicksals: der windige gilt als nicht zuverlässig, der Windbeutel ist leichtfertig, was vielleicht dem Vater Wandels nachgesagt werden kann.

So viel oder wenig für heute vom

Friedel

 

Lieber Friedel

Hm, die beiden ersten Abschnitte deiner nachgereichten Selbstdeutung scheinen mir teilweise etwas zu sehr aufgesetzt, auch wenn ich dir natürlich nicht in deine Intention hineinreden kann. Ich denke aber, dies brauchte der Wandel gar nicht. Es ist eine Geschichte, die sich gleichnishaft auf vieles Vergangene aber auch Zukünftiges stülpen liesse, dargelegt in einer humorvollen Form, die sich nicht bindet.

Die erwähnten Rauschebärte mit und ohne blaublütigen Stamm lasse ich darum gleich mal links liegen. Die verk(n)appte Geschichtskitt(sch)ung scheint mir aber doch etwas zu arg überspitzt, es sei denn, du willst es als reine Satire verstanden wissen. Die 67er-Bewegung hatte nach meiner Einschätzung übrigens ganz andere Motive und Ideale, als die erst mehr als ein Jahrzehnt später gegründeten Grünen, sie steht m. E. also geschichtlich kaum in legitimer Nachfolge und muss auch nicht. Darüber täuscht auch der Umstand nicht hinweg, dass einzelne, wie etwa der ehemalige Studentenführer Cohn-Bendit sehr viel später und auf politischen Umwegen dann im grünen Lager Fuss fasste. [Ich hätte geschwiegen, wäre ich nicht seit jeher parteipolitisch völlig Abstinent. Doch als aussenstehender und lächelnder Beobachter dieser Szene, der Politik als ein durchaus notwendiges Übel für eine funktionierende Gesellschaft erachtet, scheint mir eine möglichst reale Geschichtsdarstellung nicht unwesentlich.]

Deine etymologischen Gedankengänge hingegen, die sich zwar auf gleichem Terrain bewegen, aber insofern flexibler wirken, fand ich hilfreich zum Verständnis deiner Geschichte und in der Form gewohnt amüsant.

Nix für ungut. Aber wie du selbst schriebst: Es ist windig, also weht der Wind. Ich tat es mit einem verschmitzten Lächeln, aber keineswegs einer Windfahne gleich.

Noch ein kleiner Hinweis für deinen sprachlichen Fundus. Ersetze doch das u in Gruezi mit einem ü, also Grüezi, dann sprichst du waschechtes Züritüütsch.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Selbstverstandlich hastu Recht,

lieber Anakreon,

und ich nicht unbedingt unrecht. Aber dass die Umlautung unvollstandig und damit nicht gelingt lasst mich nach Wanden Ausschau halten.

Danke fur die wie immer ausgereifte Stellungnahme sagt der blitzeisgefahrdete
Ruhrpottler

Friedel

 

Hallo Ihr Lieben,

da bin ich noch einmal zu diesem kleinen Text, der in den unendlichen Weiten des virtuellen Raumes verschollen schien, bis er dank Woltochinon wiederentdeckt und ausgegraben wurde.

Ich danke Dir,
lieber Woltochinon,

indirekt hastu i. V. m. markus mich gezwungen, den Text noch einmal durchzusehen, was zu einer fürchterlichen Erkenntnis führte, die eine feste Burg zum Einsturz bringen mag. Aber im Einzelnen:

Lieber Markus,

Du hast ein paar Vorschläge gemacht, von denen zwei in der Tat den Text verbessern können & werden:

Zitat:
Das lief von da an schwer.
Vorschlag, weil ich da gestolpert bin: Von da an lief das schwer.
Wäre ein Fuß weniger.
Die Sätze zuvor und hernach erlauben eine ähnliche Änderung, wie Du sie vorschlägst, lieber markus. Indem ich den Platzhalter „das“ ersetze, wird der Da(s)-da-ismus durchs ursprünglichere Pronomen aufgehoben und Dir ein eleganteres Stolpern ermöglichen. Der Satz hat ab heute die Form
Von da an lief es schwer.

Zitat:
Er bewegte sich gleich einem Berg, zeigte den Verstand einer Bananenschale und ein Herz aus Stein
.
Weiß nicht, irgendwie mögen mir die Vergleiche nicht gefallen. Er bewegte sich gleich einem heruntergefallenen Apfel, zeigte vom Verstand nur den Stand und sein Herz schien nur zu schlagen, aber nicht zu fühlen. Sorry, aber das kannst du viel besser! Der Rest fetzt doch auch!
Da tu ich mich schwer: denn was wäre unbeweglicher als ein Berg, der schon der Kontinentalverschiebung oder eines ordentlichen Erdbebens bedarf, um überhaupt eine Regung zu zeigen? Ein Apfel eher nicht.

Was wäre noch dümmer als eine Bananenschale, was gefühlloser als ein Stein (der ja selbst Hauffs kaltes Herz beherrscht)? Da ist der Apfel ja ein wahrhaft lebhafter, geradezu ausgelassener Geselle, wie auch der Verstand, verstanden als Fähigkeit, sinnliche + gedankliche Inhalte denkend aufzunehmen, zu entwickeln und / oder zu beurteilen, während der Stand (neben anderer verfassungsmäßiger Bedeutung) vor allem den Ort des Stehens bezeichnet, und da wäre der Berg wieder treffender, weil unbeweglicher als je ein Ort sein könnte, als der Verstand und / oder Apfel.
Das Bild des Herz aus Stein bildet die Innenseite des äußerlich wahrnehmbaren Berges. Der Satz, der Stillstand und somit (sozialen) Tod symbolisiert, muss auch keineswegs fetzig sein, drückt er doch auf seine Art eine Art von Trauer aus.

Zitat:
Da wählte der Wandel eine andere Richtung, bis er nach abermals tausend Jahren wieder auf eine Wand stieß. Die Stirn blutete ihm von den Begegnungen mit der Wand.
"mit der Wand" kann man doch hier kürzen. Warum wiederholen?
In der Tat, es ist ja ein und dieselbe Wand (was Wandel aber nicht weiß), die die Festung umschließt. Wenigstens einmal ist die Wand entbehrlich. Der Satz lautet nun:
Die Stirn blutete ihm von diesen Begegnungen.

Doch dann geschieht’s: Ich finde mich in der knietiefen Schlam[m]perei der Umgangssprache!
Asche auf mein Haupt!
Schimpfte ich nicht jüngst noch über den Missbrauch des grammatischen Geschlechtes beim Mädchen, die …, als sprächen wir dem Jüngchen das gleiche Recht zu: Das Jüngchen, der …
Wem wäre sonst noch der Schnitzer als Fehler aufgefallen, wenn nicht mir? Alles muss man selber machen!, da sprech ich dem Weib ein falsches grammatikalisches Geschlechtsleben zu:

Zwar hatte er keinen Weg aus der Festung gefunden, doch erkannte Wandel sein Weib und wurde eins mit ihr,
und so ist es denn ab sofort korrigiert ohne Füllmittel und Umschweife:
…, doch erkannte Wandel sein Weib und wurde eins mit ihm.

So, nun hab ich Euch genug gelangweilt.

Ich dank Euch und harre der Tage stiller Einkehr statt der Tollhäuser!

Friedel

 

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