Wandlung
Wandlung
„Guten Tag, ich möchte bitte einen Kaffee mit Milch und Zucker, wenn es geht?“
„Mach’ ich ihnen sofort“,
mit dieser Bestellung tat sich eine Szenerie im Leben von A. auf, die es zu beurteilen zu schwer ist, als dass es sehr viele könnten. Ohne sich auszuziehen setzte er sich auf den Stuhl an einem Tisch recht nahe am Fenster und lehnte sich ausruhend langsam zurück. Sein Mantel schmiegte sich in den Stuhl. Von hier aus kann er sein Aussehen von Zeit zu Zeit in der reflektierenden Glasscheibe prüfen.
Er genoss sichtlich diesen Augenblick und scheute sich kaum, dies allen zu zeigen; vielleicht, was sehr wahrscheinlich ist, war diese etwas angeberische Pose auch einfach nur bequem. Jedenfalls machte es A. Freude die ihn umgebenden Leute zu beobachten, so wie er es schon immer getan hatte.
Da gab es den Geschäftsmann im Anzug, der gezeichnet von andauernder schwerer Arbeit sich eine Zeitung nahm, faltete und ohne eine Miene zu verziehen darin las.
Die überarbeitete Kellnerin war innerlich sicher angewidert von der Routine, dachte A., doch zeigte sie es nicht…Ein sehr überzeugend glückliches Gesicht machte auch nicht der trunksüchtige Alte an der Theke, den er hier schon so oft hatte sehen müssen, dass sein Mitleid für ihn im Lauf der Zeit verebbte. Schließlich atmete er tief ein, langsamer wieder aus und dachte daran, von welch geplagten Seelen er hier umgeben sei, stets hoffend das ihr Dahinexistieren und damit die Quelle seiner freizeitlichen Arbeit des Urteilens nie versiegen würde.
Genau in diesem Moment der höchsten Konzentration stach ihm eine Person ins Auge, die er von früheren Tagen kannte; sie ließ ihn mit einiger Verkrampfung und Entsetzen hochschrecken, denn wie er rasch bemerkte, war es eine schlechte Erinnerung, die er mit ihr verband. Doch ein paar Sekunden später versank er wieder im Stuhl und umnachtet von eigenen Gedanken, die sich wohl am meisten mit eben dieser schlechten Erinnerung befassten, sah es so aus, als schliefe er jeden Moment ein. Er bemerkte dabei nicht, dass sie sich zu ihm auf den Weg machte. Sie drehte noch kurz ihren Kopf um ihrem Bekannten, den sie nun für kurze Zeit verließ, etwas zu rufen und schritt dann entschlossen auf ihn zu. Abermals schreckte er hoch als sie mit aufbrausender Stimme rief:
„Lange nicht gesehen“ woraufhin er zurückschrie: „ und doch wiedererkannt“.
Eine zu vermutende Ironie war in keinem Wort zu hören und so entwickelte sich das Gespräch
„wie geht es dir?“, „gut und dir?“ „gut…“
Der Zwang etwas aufheiterndes, lustiges oder gar intelligentes zu sagen lähmte sie und ihre Münder. Kurzerhand zeigte sie auf ihren Bekannten und lief davon.
Sekunden später, nachdem A. einen verlegenen Schluck aus der Tasse Kaffee, die die Kellnerin kommentarlos während der Schweigezeit zwischen ihm und seiner Bekannten auf den Tisch stellte, nahm, wurde ihm schlecht und der Brechreiz zwang ihn sich aufzurichten. Er fühlte die sein Gesicht überkommende Blässe und den kalten Schweiß auf seiner Stirn. Es war wie kleiner Nadeln, die von innen auf seine Haut stachen. Plötzlich sprang er auf, schmiss dabei seinen Stuhl nach hinten und rannte los.
Auf der Toilette der Kneipe übergab er sich und hustete dabei stark, niemand jedoch nahm Notiz, obwohl es zumindest als leises erschreckendes Geräusch zu hören war. Nachdem er sehr viel erbrochen hatte wusch er seine Hände und sein Gesicht.
Mit entschlossener Ruhe und Leichtigkeit richtete er seinen Mantel und dessen Kragen, während noch das kalte Wasser seine Wangen herunterfloss; als wäre ihm das egal.
Auch die Haare wurden mit Wasser nach hinten gelegt und die Augenbrauen glatt gestrichen. A. verließ den Raum nachdem er sich nochmals den Staub von den Schultern und den übrigen Sachen gerieben hatte und eilte auf die Kellnerin zu, die an der Theke stand und sich ausruhte. Er legte Geld hin, viel zu viel, und sprach:
„Ich wünsche mir, dass ihr Kaffee mir wohl bekommt und sich ihre innere Überdrüssigkeit gegenüber ihrer Arbeit endlich in Taten umwandelt!“ Er sagte dies durchaus mit Ruhe und überzeugender Intelligenz. Als er mit einigem Vergnügen die Reaktion der Kellnerin und die sich aufregend unterhaltenen Leute, die nunmehr für ihn nichts als Narren waren, beobachtete, drehte er seinen Kopf in beide Richtungen. Er wusste nun um die Nutzlosigkeit dieser Menschen und scherte sich nicht mehr um ihre Schicksale.
A. ging mit demselben Schritt, mit dem er auch aus der Toilette gekommen war, zur Türe hinaus während sie, die immer noch an der Theke stand und das Geld in ihre Brieftasche einsortierte, eine abwertende Geste mit den Händen hinterließ, die ihn wohl als Verrückten deklassieren sollte und doch nichts als Dummheit bei der Frau vermuten ließ.
Und er rief der Bekannten, die mit einem Mann an der Bushaltestelle stand, noch nach:
„Wir haben uns wirklich lange nicht gesehen, doch Sehnsucht lag mir ferner als die Hoffnung auf ein Wiedersehen.“
Sie hat dies wohl kaum verstanden. Lärm aber gab es nicht.
frank