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Warten auf Manfred
Von all den Orten, an denen Manfred in diesem Moment hätte sein können, musste er sich ausgerechnet einen anderen aussuchen.
Ich meine, wäre er dagewesen und hätte nach meinem enthusiastischen Klingeln die Tür geöffnet, würden wir jetzt sicher in seinem gemütlichen Wohnzimmer sitzen und leckere Haselnusskekse knabbern. Aber er ist nicht da und so warte ich.
Ein paar Minuten lang vertreibe ich mir die Zeit, indem ich energisch auf der Stelle trete und meine Hände zum Rhythmus eines alten Faith no More - Titels gegeneinander reibe. Vielleicht kann ich so der schleichenden Kälte ein Schnippchen schlagen. Erwähnte ich schon, dass es kalt ist? Nun, es ist kalt und daran ändert leider auch mein Rumgehampel wenig.
Ein weiterer, eher halbherziger Druck auf den Klingelknopf bestätigt meine anfängliche Vermutung, dass Manfred tatsächlich nicht zu Hause ist. Es hätte ja auch sein können, dass er mein Klingeln vorhin überhört oder auf dem Klo gesessen hat. Aber anscheinend war das nicht der Fall.
Ich lutsche nachdenklich an meinem Hustenbonbon und überlege, was ich nun tun soll. Ich könnte einfach wieder nach Hause gehen und so tun, als wäre nichts gewesen. Aber dann würde ich mich sicher den ganzen Abend mit Schuldgefühlen plagen, da es ja immerhin sein könnte, dass Manfred genau in dem Moment nach Hause kommt, in dem ich um die andere Ecke biege. Ich möchte nicht, dass unser Zusammentreffen meinetwegen ins Wasser fällt.
Ein Kaffee wäre nicht schlecht. Normalerweise trinke ich ja keinen Kaffee, weil mir diese Brühe zu bitter ist, aber jetzt hätte ich doch ganz gerne einen. Weniger wegen des Geschmacks als mehr wegen des beruhigenden Gefühls, etwas dampfend Heißes in der Hand zu halten. Vielleicht könnte ich mal nachsehen, ob die Bäckerei noch offen hat. Da gibt es laut Manfred immer guten Kaffee und für ein paar Cent mehr sogar ein leckeres Brötchen mit Ei dazu. Ein kurzer Vergleich des Begriffes ein paar Cent mit dem Inhalt meiner Brieftasche lässt mich diesen Gedanken allerdings verwerfen.
Mike Patton brüllt mir ins Ohr. Obwohl ich im Moment nicht in der Lage bin, das Dargebotene angemessen zu würdigen, stelle ich den Discman lauter und lenke mich ab, indem ich versuche, dem Text des Liedes zu folgen. Es geht anscheinend im weitesten Sinne darum, dass er morgens hässlich ist. Oder so. Ich klingele noch einmal an Manfreds Tür.
Die Hauswand, an der ich seit zehn Minuten lehne, ist verdammt kalt. Das Paradoxe an der Kälte ist, dass sie irgendwann den Körper teilweise lähmt und man nicht mehr merkt, wie kalt es eigentlich ist. Soweit ist es mit mir aber noch nicht und so merke ich, wie mir langsam aber sicher jedes noch so kleine Anzeichen von Temperatur hinterrücks aus dem Körper gesogen wird.
Ich sollte vielleicht irgendwas Produktives tun. Eine zeitlang male ich mir aus, was für tolle Sachen ich Manfred an den Kopf werfen kann, wenn er gleich kommt. Wenn er überhaupt kommt. Langsam beschleicht mich ein beunruhigendes Gefühl der Einsamkeit, so ganz allein auf der Straße. Die Menschen haben anscheinend alle Besseres zu tun, als sich der Kälte auszusetzen. Vielleicht liegt es daran, dass sie es nicht nötig haben zu warten, weil sie Manfred nicht kennen. Ich kenne Manfred und darum warte ich.
Irgendwann, ich habe nicht auf die Uhr gesehen, beschließe ich doch nach Hause zu gehen. Ich habe sowieso längst vergessen, warum ich Manfred heute überhaupt treffen wollte.