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Warten auf Manfred

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13.06.2002
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Warten auf Manfred

Von all den Orten, an denen Manfred in diesem Moment hätte sein können, musste er sich ausgerechnet einen anderen aussuchen.
Ich meine, wäre er dagewesen und hätte nach meinem enthusiastischen Klingeln die Tür geöffnet, würden wir jetzt sicher in seinem gemütlichen Wohnzimmer sitzen und leckere Haselnusskekse knabbern. Aber er ist nicht da und so warte ich.

Ein paar Minuten lang vertreibe ich mir die Zeit, indem ich energisch auf der Stelle trete und meine Hände zum Rhythmus eines alten Faith no More - Titels gegeneinander reibe. Vielleicht kann ich so der schleichenden Kälte ein Schnippchen schlagen. Erwähnte ich schon, dass es kalt ist? Nun, es ist kalt und daran ändert leider auch mein Rumgehampel wenig.
Ein weiterer, eher halbherziger Druck auf den Klingelknopf bestätigt meine anfängliche Vermutung, dass Manfred tatsächlich nicht zu Hause ist. Es hätte ja auch sein können, dass er mein Klingeln vorhin überhört oder auf dem Klo gesessen hat. Aber anscheinend war das nicht der Fall.
Ich lutsche nachdenklich an meinem Hustenbonbon und überlege, was ich nun tun soll. Ich könnte einfach wieder nach Hause gehen und so tun, als wäre nichts gewesen. Aber dann würde ich mich sicher den ganzen Abend mit Schuldgefühlen plagen, da es ja immerhin sein könnte, dass Manfred genau in dem Moment nach Hause kommt, in dem ich um die andere Ecke biege. Ich möchte nicht, dass unser Zusammentreffen meinetwegen ins Wasser fällt.

Ein Kaffee wäre nicht schlecht. Normalerweise trinke ich ja keinen Kaffee, weil mir diese Brühe zu bitter ist, aber jetzt hätte ich doch ganz gerne einen. Weniger wegen des Geschmacks als mehr wegen des beruhigenden Gefühls, etwas dampfend Heißes in der Hand zu halten. Vielleicht könnte ich mal nachsehen, ob die Bäckerei noch offen hat. Da gibt es laut Manfred immer guten Kaffee und für ein paar Cent mehr sogar ein leckeres Brötchen mit Ei dazu. Ein kurzer Vergleich des Begriffes ein paar Cent mit dem Inhalt meiner Brieftasche lässt mich diesen Gedanken allerdings verwerfen.

Mike Patton brüllt mir ins Ohr. Obwohl ich im Moment nicht in der Lage bin, das Dargebotene angemessen zu würdigen, stelle ich den Discman lauter und lenke mich ab, indem ich versuche, dem Text des Liedes zu folgen. Es geht anscheinend im weitesten Sinne darum, dass er morgens hässlich ist. Oder so. Ich klingele noch einmal an Manfreds Tür.
Die Hauswand, an der ich seit zehn Minuten lehne, ist verdammt kalt. Das Paradoxe an der Kälte ist, dass sie irgendwann den Körper teilweise lähmt und man nicht mehr merkt, wie kalt es eigentlich ist. Soweit ist es mit mir aber noch nicht und so merke ich, wie mir langsam aber sicher jedes noch so kleine Anzeichen von Temperatur hinterrücks aus dem Körper gesogen wird.

Ich sollte vielleicht irgendwas Produktives tun. Eine zeitlang male ich mir aus, was für tolle Sachen ich Manfred an den Kopf werfen kann, wenn er gleich kommt. Wenn er überhaupt kommt. Langsam beschleicht mich ein beunruhigendes Gefühl der Einsamkeit, so ganz allein auf der Straße. Die Menschen haben anscheinend alle Besseres zu tun, als sich der Kälte auszusetzen. Vielleicht liegt es daran, dass sie es nicht nötig haben zu warten, weil sie Manfred nicht kennen. Ich kenne Manfred und darum warte ich.

Irgendwann, ich habe nicht auf die Uhr gesehen, beschließe ich doch nach Hause zu gehen. Ich habe sowieso längst vergessen, warum ich Manfred heute überhaupt treffen wollte.

 

Ja, einer dieser Texte, die man nur aus dem Grund schreibt, weil sie einfach geschrieben werden müssen.

Das vorweg: Er hat keine tiefere Bedeutung - also braucht man als Leser gar nicht erst versuchen, da etwas hineinzuinterpretieren. Vielleicht ist das Lesen deshalb reine Zeitverschwendung, vielleicht war auch das Schreiben reine Zeitverschwendung - aber damit muß ich leben.

Kurze Erklärung noch: Mike Patton ist der Sänger von Faith no More und das genannte Lied trägt den inhaltsschweren Titel "Ugly in the Morning".

 

Gnoebel,

was den Inhalt der Geschichte anbelangt, hast du vielleicht Recht, dennoch glaube ich, lässt sich mit einigen sprachlichen Korrekturen trotzdem noch etwas daraus machen, weil die Idee nämlich nicht schlecht ist.

Von all den Orten, an denen Manfred in diesem Augenblick hätte sein können, mußte er sich ausgerechnet einen anderen aussuchen.
Zu umständlich. Vor allem das "mußte er sich ausgerechnet einen anderen aussuchen" würde ich überarbeiten. Kann man nicht einfach sagen, dass er nicht hier ist?
Aber er tat es nicht und so warte ich.
Erstens sollte der Satz nicht in der Vergangenheit stehen und zweitens wirkt er sehr umständlich. Besser wäre: "Aber er ist nicht da, also warte ich."
Ich kenne Manfred und darum warte ich.
Ein Satz, der mir besonders gefällt. Ebenso mag ich das Ende sehr. Ich komme zu dem Schluss, dass das Schreiben der Geschichte keine Zeitverschwendung war.

Gruß, Saffron.

 

Hi gnoebel!

etwas dampfend heißes in der Hand zu
Heißes (groß), denke ich zumindest

Ich rätlse gerade wegen der tieferen Bedeutung... hehe.

Nein, jetzt mal ehrlich: Der Text ist relativ simpel gestrickt und hat, wenn man es richtig bedenkt, nicht gerade viel Inhalt. Und besonders lang ist er auch nicht. Zum Glück übrigens, denn mit der Zeit wäre mir das blöde Warten schon etwas langweilig geworden. Du kriegst aber gerade noch die Kurve, indem du mit einer logischen (nicht überraschenden) Pointe abschließt.

Der Text hat aber trotzdem eine Wirkung. Ich hasse warten. Wer nicht? Aber ich hasse es besonders. Und indem du es in dieser Geschichte zu dem zentralen Thema machst, hat dieser kleine Text auch eine gehörige Wirkung auf mich. Er hat mir gefallen. Das sage ich jetzt nicht einfach nur so, nein, er hat tatsächlich eine Wirkung. Und bei diesen wenigen Zeilen schon fast ein Wunder.

In diesem Sinne
c

 

Moin,

Erstmal vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Freut mich, daß es euch gefallen hat.

@Saffron:

was den Inhalt der Geschichte anbelangt, hast du vielleicht Recht,
womit?
Kann man nicht einfach sagen, dass er nicht hier ist?
Kann man schon, aber um ehrlich zu sein, gefällt mir der Satz dazu zu sehr. ;)
Erstens sollte der Satz nicht in der Vergangenheit stehen und zweitens wirkt er sehr umständlich. Besser wäre: "Aber er ist nicht da, also warte ich."
Ja, über den denke ich mal nach.
ch komme zu dem Schluss, dass das Schreiben der Geschichte keine Zeitverschwendung war.
Danke

@solveig:

er ist halt irgendwo anders, wo weiß der Prot nicht. Wenn er es wüsste, stünde er ja nicht vor Manfreds Tür. Sehr logisch also.
Ja, genauso isses
Nur seine Gedankengänge beim Warten könnten noch ausführlicher nachgezeichnet werden.
Naja, die schnellen Gedankensprünge waren eigentlich Absicht. Wäre ich da mehr ins Detail gegangen, wäre der Text zu lang geworden. Mal schauen, ob da noch was geht...
PS: Und jetzt zu den Ninjas!
Ja doch... :p

@chazar:

Nein, jetzt mal ehrlich: Der Text ist relativ simpel gestrickt und hat, wenn man es richtig bedenkt, nicht gerade viel Inhalt.
Eigentlich sollte er gar keinen Inhalt haben :D
Das sage ich jetzt nicht einfach nur so, nein, er hat tatsächlich eine Wirkung. Und bei diesen wenigen Zeilen schon fast ein Wunder.
Das freut mich riesig.

 

Hallo gnoebel,

der Text ist inhaltlich sehr einfach, aber er steht zu seiner Einfachheit: Er zeigt einfach was ist und da man sich selbst mit der beschriebenen Situation identifizieren kann, wirkt alles vertraut. (Das ist wohl die Wirkung des Textes). Ich wünsche mir von einem Text mehr, an dieser Stelle gibt es auch eine Andeutung Deines wahren Könnens, dem irrwitzigen Witz:

„Vielleicht liegt es daran, daß sie es nicht nötig haben zu warten, weil sie Manfred nicht kennen. Ich kenne Manfred und darum warte ich.“


„Soweit ist es mit mir aber noch nicht und so merke ich, wie mir langsam aber sicher jedes noch so kleine Anzeichen von Temperatur hinterrücks aus dem Körper gesogen wird.“ - Also - ich weiß nicht, warum er sich beschwert: bis - 273 Grad Celsius ist doch noch eine Temperatur meßbar...


Tschüß... Woltochinon

 

tach gnöbel

also der text hat mich jetzt nicht umgehauen. aber er war schon an einigen stellen amüsant. aber woher weiß der prot, dass es beim bäcker guten kaffee gibt, wenn er eigentlich keinen trinkt? das ist ein wenig komisch.
übrigens gefällt mir der erste satz auch sehr. klar, ist er umständlich, aber das macht ihn auch gerade so wunderschön absurd. dafür hab ich nunmal ne schwäche.

ich finde aber auch, dass die gedanken des prot. noch ein wenig sprunghafter und abwegiger sein könnten, denn das ist ja gerade das, was die geschichte interessant macht.

und manfred als name finde ich schrecklich. das ist doch der inbegriff des spießertums. das quillt dem typen (wenn man denn vor ihm steht) so richtig aus den ohren. aber das ist nur ne nebensächlichkeit.

gruß
flip

 

Moin,

Danke für Les- und Kommentierung.

@Wolto:

Ich wünsche mir von einem Text mehr, an dieser Stelle gibt es auch eine Andeutung Deines wahren Könnens, dem irrwitzigen Witz:
Danke für die Blumen im zweiten Satzteil.
Dem ersten stimme ich zu, die Geschichte ist wirklich belanglos und einfach gehalten. Es gibt hier keine Tiefe und soll auch gar keine geben, denn es geht einfach um... ja, um nichts. :D

@Solveig:

Ein Gedanke fehlt mir beim zweiten Lesen sogar: Könnte Manfred bei dem Prot vor der Tür stehen und ebenfalls warten?
Schöne Idee, wirklich. Ein netter Randaspekt des Textes ist mMn aber der, daß der Leser nicht weiß, warum mein Prot an der Tür steht bzw ob Manfred überhaupt weiß, daß er da steht, also ob sie verabredet sind. Wenn ich sage, daß er evtl vor der Tür des Erzählers steht, nehme ich dem Text diese Komponente.

@flip:

tach gnöbel
*hüstel*
aber woher weiß der prot, dass es beim bäcker guten kaffee gibt, wenn er eigentlich keinen trinkt? das ist ein wenig komisch.
Ja, hast Recht. Wird geändert und glaubhafter gemacht.
ich finde aber auch, dass die gedanken des prot. noch ein wenig sprunghafter und abwegiger sein könnten, denn das ist ja gerade das, was die geschichte interessant macht.
Ich selbst bin eigentlich kein großer Freund von allzu fragmentarischen Texten. Mir ist das ganze in seiner jetzigen Form schon fast zu sprunghaft. und wenn ich die Gedanken abwegiger mache, werden sie irgendwann absurd oder noch schlimmer, sie werden lustig, wodurch dieser Text verlieren würde... Naja, ich denk drüber nach.

Der Name Manfred bleibt aber - gerade weil er so schön normal (spießig würde ich nicht sagen) klingt. Dafür habe ich einen absoluten Faible und darum benutze ich solche Namen fast ausschließlich in meinen Texten.

 

Goebel,

du hast angemerkt, der Text habe keine tiefere Bedeutung. Ich meinte, damit hast du vielleicht Recht. Trotzdem finde ich das Thema nach wie vor interessant.

...musste er sich ausgerechnet einen anderen aussuchen.
Der Satz gefällt mir immer noch nicht, aber das ist deine Entscheidung.
Danke für die Zeitkorrektur.

Gruß, Saffron.

 

Hattest du dich angekündigt?
Vielleicht mal angerufen?
Egal, es muß ein Sonnabend gewesen sein, denn sonst hätte der Bäcker nicht auf und / oder ich wäre bei der Arbeit.
Es gibt mehrere Möglichkeiten weshalb ich die Tür nicht öffne.
1. Ich höre Kinderstimmen. Kinder lasse ich nicht rein. Vanessa-Ute oder Kevin-Peter sollen Zuhause die Wände mit Rotzfinger beschmieren. Da hat Papa Grund sich über deren Kreativität zu freuen.
2. Extremgläubige. Hast du vielleicht zwischendurch ein lautes Gebet gesprochen? Wenn ich sowas höre bleibt die Tür zu.
3. Du bist Teetrinker. Hier gibt es Kaffee. Ok, du wolltest Kaffee, aber woher soll ich das wissen? Du bist aber wohl doch Teetrinker. Hagebuttentee, mit etwas Fenchel. Erst den Kandis rein und dann den Tee, bloß nicht umgekehrt. Nicht rühren, er löst sich von allein. Und normalen Zucker schon gar nicht. Hier gibt es Kaffee...fertig!
4. Kann aber sein, daß ich im Keller war. Ich erinnere mich schwach daran, daß es mal an der Tür geläutet hatte und ich rief, man solle doch zur Kellertür kommen.
.............
Mike Patton brüllt mir ins Ohr. Obwohl ich im Moment nicht in der Lage bin, das Dargebotene angemessen zu würdigen, stelle ich den Discman lauter und lenke mich ab indem ich versuche, dem Text des Liedes zu folgen. Es geht anscheinend im weitesten Sinne darum, daß er morgens häßlich ist. Oder so. Ich klingele noch einmal an Manfreds Tür.
............
Nimm die Dinger aus den Ohren und komm zur Kellertür... verdammt!

Geh doch nach Hause und koch´ dir einen Fenchel-Misteltee. Unbedingt mit Honig süßen! Leg dich in die Badewanne mit reichlich Birkenpollenknollenpuderextrakt und schmoll über das Wetter und die Welt!
Die Welt trinkt Kaffee und ich auch!

Gruß
Manfred

 

Hallo gnoebel,

Zitat:
"denn es geht einfach um... ja, um nichts."

Das Nichts wird definiert durch das Etwas. Meint Wolto.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

@Saffron:

du hast angemerkt, der Text habe keine tiefere Bedeutung. Ich meinte, damit hast du vielleicht Recht.
Ach so, alles klar. Besten Dank nochmal.
Was den ersten Satz angeht, da bleibe ich allerdings stur. :D

@Dreimeier:
:rotfl:

Die Tatsache, daß ich diesen Smilie sonst nie benutze, seine Existenz bislang sogar in manchen Kreisen verleugnet habe (ja, echt... immer, wenn ich mal danach gefragt werde, nuschele ich irgendwas von nie gesehen, das Teil und wende mich schnell ab), soll ziegen, daß ich deinen Kommentar sehr cool fand - sonst hättest du diese für meine Verhältnisse sehr besondere Antwort nicht bekommen.

@Wolto:
Richtig. Ohne das Etwas kann es kein Nichts geben, denn alleine durch seine Abwesenheit wird es bestimmt. In diesem Falle wäre das Etwas also Manfred.
(Philosophie für Anfänger)

 

Bei diesem Titel könnte man ja auch eine skurrile Geschichte erwarten, aber: Alltag, vollkommen rein und unverfälscht.

Unterhaltsam aber nichtssagend. Nüü-joh. Hier noch einige Details:

  • Weniger wegen des Geschmacks als mehr wegen des beruhigenden Gefühls - Würde ich umformulieren: "Weniger des Geschmacks als des beruhigenden Gefühls wegen"
  • etwas dampfend heißes - "Heißes", chazar hatte völlig recht
  • Da gibt es laut Manfred - Unschön. Wie wäre: "Schenkt man Manfreds... Glauben"?
  • lenke mich ab indem ich versuche - "ab, indem"

 

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