Warum es „studentische Selbst-VERWALTUNG“ heißt
Warum es „studentische Selbst-VERWALTUNG“[SUP]1[/SUP] heißt
Wir schreiben den 22. September 2009 und ich bin frisch gewählter Referent für Studium & Gremienarbeit. Ein neues Referat, in das viele Erwartungen gesetzt werden. Ich bin voller Tatendrang. Der Bestandsschutz für die auslaufenden Studiengänge läuft nicht, weil die Institute die sogenannten Bummelstudis nicht loswerden und man mit ihnen und den neuen Studiengängen doppelte Arbeit hat, die neuen Bachelor- und falls schon vorhandenen Masterstudiengänge laufen ebenfalls nicht, weil man die alten sogenannten Bummelstudis nicht loswird und somit doppelte Arbeit hat. Scheinbar kommt auch kein neuer Studiengang ohne Prüfungsvorleistungen, Zugangsvoraussetzungen für jedes einzelne Modul und nicht weniger als mindestens zwei Prüfungsleistungen pro Modul aus. Später werde ich lernen, dass gebildete Menschen wie Hochschullehrer*innen nicht a priori auch intelligent sind und dass auch gebildete Menschen am selbstgewählten Elend hängen wie ein Junkie an der Nadel. Captain James T. Kirk hat es in Star Trek: Treffen der Generationen am treffendsten ausgedrückt: „I take it, the odds are against us and the situation is grim.“ Captain Jean-Luc Picard antwortet: „You could say that“, worauf Kirk in aller gebührender Coolness nur noch schließt: „Sounds like fun!“ Mit diesem kirk'schen Kampfgeist stürme ich los und Stuko-Workshops[SUP]2[/SUP] sollen mir helfen, den Studis zu erklären was da draußen jeden Tag schief läuft und wie sie es selbst verändern können. In einem Jahr ist meine Arbeit hier getan, denke ich, aber meine Naivität wird schon bald von der Realität eingeholt. Die Räume für den ersten Workshop, der schon in zwei Wochen stattfinden soll, sind in der Raumverwaltung bei Frau Heilmann, die eigentlich Frau Pohl heißt wie sie mich sofort korrigiert, gebucht. Allerdings nicht, ohne mir eine Standpauke über den Soll-Zustand der Räume nach der Benutzung zu halten und mich darauf hinzuweisen, dass der Referatsstempel noch fehlt: „Ja, mein Referat ist noch neu und der Stempel bestellt“, rechtfertige ich mich und mache eine Notiz an mich selbst: „Frau Pohl und Herrn Heilmann aus der Raumverwaltung zu Weihnachten ein Päckchen Kaffee mit Schleifchen zukommen lassen.“ Ich werde lernen, dass sie keinen Kaffee trinken.
Nachdem auch das Stempelproblem mit einem Sprecher*innen-Stempel[SUP]3[/SUP] aus der Welt ge-stempelt ist, brauche ich nur noch die Honorarverträge für die beiden Teamer*innen des Workshops. „Nichts leichter als das“, sagt Marcel, der die Finanzerin Steffi vertritt. Es gebe eine Vorlage, behauptet er. Auf dem so genannten Doc-Server. Am Ende zweier Amtszeiten werde ich diesen ominösen Doc-Server nie finden oder gar nutzen, weil die Technik im Stura sowieso nie läuft und der letzte Admin … naja, sagen wir, seine Arbeit war so geheim, dass bis heute niemand weiß was er eigentlich gemacht hat. Viel, viel später werde ich lernen, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Das wird auch Marcel schnell klar und er fragt: „Hatte deine Vorgängerin[SUP]4[/SUP] nicht auch Honorarverträge abgeschlossen? Nimm doch einfach so einen als Vorlage.“ Gesagt, getan. Ich durchforste ihren Amts-Email-Account, werde tatsächlich fündig, ändere einfach die Vertragspersonen sowie das Datum, drucke alles dreimal aus und gehe zu Marcel in der Gewissheit mich nicht mehr weiter um diesen lästigen Papierkram kümmern zu müssen. Dreimal?, wirst du fragen. Ja, einen für die Honorarempfänger*innen, einen für das Finanzreferat und den dritten für mich. Aber was soll ich damit? „Aufheben für später“, antworten Finanzreferent*innen reflexhaft darauf. Für später? Ernsthaft? Später werde ich herausfinden, dass diese letzte, dritte Version nicht ich brauche oder gar irgendwann einmal eine Historikerin beim Durchwühlen der Stura-Aktenberge ihn wiederfindet und dann aus der historischen Perspektive sagt: „Guck an, der Knof. Der hat da mal was gemacht, das heißt Stuko-Workshop. Was ist denn ein Stuko? Ein Studierendenkostüm für den Medi-Fasching? Haben die mit studentischen Geldern geschneidert?“ Nein, irgendwann, wenn die Rechnung für das Honorar eintrifft, wird Heike aus der Buchhaltung mit der Rechnung zu mir kommen und fragen: „Hast du denn den Vertrag noch?“ Und jedes Mal wird es absolut sinnlos sein, sie an das Finanzreferat zu verweisen, das ja eine Version hat und sich direkt neben ihrem Büro befindet. Während aber in meinem Kopf das Institut für Geschichte, das heute noch Historisches Seminar heißt, obwohl es auch Vorlesungen anbietet, einen Forschungsbericht zum Stura im 20sten Jahr seines Bestehens veröffentlicht, adressiert mich Marcels Stimme:
„Ahh, halt! Du hast bei der Teamerin das falsche Geschlecht verwendet.“ Ich werde das Gendern und den Sinn dahinter noch verstehen und verinnerlichen. Okay, das sollte sich doch schnell ändern lassen. Ich reiße Marcel die drei Seiten aus der Hand, ändere das Dokument, drucke es dreimal aus und gehe zurück zu Marcel. „Hier fehlt noch das Stura-Logo“, sagt er gleich und erklärt mir wo ich es finde. Ich setze das Stura-Logo ein, drucke den Vertrag dreimal aus und gehe zu Marcel, schon wieder. „Ist das eigentlich die Stura-Schriftart?“, fragt er und liest in meinem Gesicht die Antwort. „Futura lt bt“[SUP]5[/SUP], sagt er und ich trete ab. Okay, denke ich, formatiere das Dokument neu, drucke es dreimal aus und gehe zu Marcel. Er sieht sich das Schreiben an und sagt: „Es tut mir leid, aber der Vertrag wird zwar mit dir als Referent, aber in Vertretung mit der Finanzreferentin geschlossen.“ Und warum schreibt diese Finanzreferentin oder ihre Vertretung dann diesen verdammten Vertrag nicht selbst? Marcel hat Mitleid mit mir und schreibt mit einem schwarzen Fineliner die richtigen Formulierungen an die entsprechenden Stellen, damit ich mit dem Zettel an meinen Rechner gehen und das Dokument dort leicht ändern kann. „Am besten ich lese gleich noch den Rest, damit du nicht noch mal kommen musst. Das hätte mir ja auch gleich einfallen können“, sagt er. Ich sehe Fortschritt im Projekt Honorarvereinbarung und mache mich ans Werk. Sicherheitshalber drucke ich dieses Mal den Vertrag nur einmal aus – man kann ja nie wissen – und gehe wieder zu Marcel. Marcel sieht sich den Vertrag genau an und sagt: „Alles okay, druck mir bitte noch zwei Exemplare aus.“
Kein Ding, denke ich, drucke die zwei Seiten aus, lasse sie gleich von Marcel unterschreiben und stempeln und mache einen großen Haken an den Opus Honorarvereinbarung. Die Unterschriften der beiden Teamer*innen sollten doch ein Klacks sein und so kann am 8. Oktober 2009 das erste inhaltliche Projekt meiner Sturalaufbahn starten, die Studis lernen wie sie sich über den Gremienweg selbst helfen können und die Welt ist ganz im kirk'schen Sinne wieder gerettet. Ich lehne mich in meinem Bürostuhl zurück und genieße diesen wundervollen Gedanken. Marcel kommt herein, stellt sich neben mich und sagt: „Es tut mir wirklich leid, Mirco, aber ich muss dir die Verträge wieder wegnehmen.“ Während in meinem Kopf Captain Kirk auf Veridian III den Heldentod stirbt und Riker der Idiot die Enterprice D im großen Stil schrottet, fügt Marcel an: „Du bist offiziell noch nicht im Amt. Erst nächste Woche am 1. Oktober. Deshalb darfst du noch keine Verträge abschließen“, sagt er mit Verweis auf das Vertragsdatum und zerreißt das Papier.
[SUP]1[/SUP] In Sachsen gibt es ein Rätesystem und deshalb Student*innenräte (Stura) und keine Asten wie in den meisten Bundesländern, außer Bayern. Da gibt es gar keine verfasste Studierendenschaft.
[SUP]2[/SUP] Stuko steht für Studienkommission und sie ist das einzige Hochschulgremium, das paritätisch mit Lehrenden und Studierenden besetzt ist. Mit dem 2009 begonnenen Demokratieabbau an den Hochschulen soll sie das wichtigste Gremium für Studierende sein, um ihnen die Möglichkeit der Gestaltung ihrer eigenen Studiengänge zu ermöglichen. Ich werde lernen, dass die Politik Gesetze macht und Jurist*innen und Nicht-Jurist*innen über die Bedeutung des Inhalts sehr lange streiten können.
[SUP]3[/SUP] Sprecher*innen waren 2009 Vollzeitstellen im Stura der Uni Leipzig, die Studierende in der Regel während zweier Urlaubssemester inne hatten. Sie hatten die administrative und politische Hauptverantwortung im Stura zu tragen.
[SUP]4[/SUP] Damit ist Henrike gemeint, die zuletzt das Referat für Studienreform bekleidete, das das Vorgängerreferat des Referats für Studium & Gremienarbeit war und wegen der Aufgabenverschiebung verändert wurde. Der Protagonist ist also wie eingangs gesagt, der erste Amtsträger dieses Referats.
[SUP]5[/SUP] Dieser Text ist in der Schriftart Tahoma erdacht, in Times New Roman begonnen, in Arial verfasst worden und wird in Futura lt bt vorgelesen.