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Was der Held zerstört

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29.09.2004
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Was der Held zerstört

Ich sage nicht die Wahrheit über Elras, den Befreier der Elfen.

Ich biete lediglich ein Fragment des Stoffes an, aus dem Erinnerungen gemacht sind. Die Vergangenheit ist ein zarter Zwirn, Emotionen verfälschen ihre Farbe, die Zeit lässt sie verblassen.

Es gibt so viele Wahrheiten, wie es Narren gibt und meine ist nur eine davon. Ich bewerte nicht. Ich verurteile nicht. Ich glorifiziere nicht. Ich gebe euch meine Geschichte, die Wahrheit über Elras, so wie er in meiner Erinnerung lebt.

Und es gibt viele Eindrücke von ihm, die für immer in mir leben werden.

Der folgende Ausschnitt aus dem Stoff der Wahrheit, den ich dir mit den begrenzten Möglichkeiten der Sprache skizzieren möchte, beginnt und endet mit einem Lächeln. Es ist das Lächeln meines Freundes Elras vor fast drei Jahrhunderten, das mich in seiner Größe und Verdorbenheit bis in meine Träume verfolgt und das Letzte sein wird, was ich sehen werde, sobald ich eines Tages meine Reise in das große Nichts antrete.

Doch bevor ich von diesem Lächeln berichte, bevor ich die Geister der Vergangenheit beschwöre, sollte ich dich warnen.

Die Wahrheit ist gefährlich.

Es besteht Gefahr. Worte können Illusionen auflösen und wer verliert schon gerne die warmen, weichen Illusionen, die Gedanken ersparen? Wenn du die Bequemlichkeit der Geschichtsbücher, die Idealisierung der Poesie oder die Vereinfachung der Mythen suchst, dann verbrenne diesen Text und nimm dir eines der ledergebundenen Bücher aus dem Regal, die dir mit klaren Daten und Fakten, mit Skizzen und Bildern verdeutlichen, wie der heldenmutige Elras die Elfenarmee des Lichts gegen die Dunkelheit geführt hat. Ein solches Buch ordnet die Realität für dich.

Lass mich dir zeigen, geneigter Leser, wie der Beginn der Episode, die ich dir berichten möchte, in dem Werk ?Die glorreiche Geschichte der Elfen" dargestellt ist:

Es gibt divergente theoretische Positionen über den genauen Auftrag, der Elras in seiner Jugend als Kundschafter alleine in die Orkstadt Sumpur führte, einen Ort des Verderbens, der Sünde und Perversion. Der Weg dorthin war beschwerlich, doch Elras, erfüllt von Patriotismus und Liebe zu der gerechten Sache, schritt furchtlos voran.

Lass mich dieses Gerüst aus Halbwahrheiten mit meiner Erinnerung ausfüllen.

Zunächst einmal sollte ich sagen, dass Elras bei dieser Mission keineswegs alleine war. Zwei Kundschafter wurden an jenem denkwürdigen Tag vor fast dreihundert Jahren geschickt. Der eine war groß, blond und stets zierte ein gewinnendes, etwas schiefes Lächeln seinen Mund, das ihn selten verließ, auch wenn es sich nur gelegentlich auf die Augen ausweitete. Dieser Kundschafter war Elras. Der andere aber war klein, dunkel für einen Elfen und blickte auf dem Weg nach Sumpur die Landschaft mit der Verunsicherung eines halben Kindes an, das der Krieg zum ersten Mal in seinem Leben aus dem Heimatdorf herausgeführt hat. Dieser zweite Elf war ich.

Ist dir, geneigter Leser, jemals aufgefallen, dass in historischen Schriften nie vom Wetter die Rede ist? Nie von der Nahrung? Solche Details mögen im Kontext der Jahrhunderte unbedeutend erscheinen. Wenn du aber bei jedem Schritt bis zu den Knöcheln in dem Schlamm versinkst, in den sich die Felder nach wochenlangem Regenfall verwandelt haben, wenn leichenweiße Maden dir aus deinem abendlichen Brot entgegen kriechen, dann haben solche Dinge Relevanz.

Natürlich denkst du jetzt, dass unsere Ideale oder die Liebe für unser elfisches Vaterland uns genährt und gewärmt haben. Das ist, wie jeder ehrliche Elf, der den Krieg miterlebt hat, eine Fehleinschätzung. Mehr als einmal hatten wir das Bedürfnis, den Pfad nach Sumpur zu verlassen, einfach umzudrehen und in unser altes Leben zurückzukehren. Es war nicht das Ehrgefühl, das uns letztendlich zurückhielt, es war dasjenige Gefühl, das wir Elfen so gerne verleugnen, das unser Leben aber genauso prägt wie jedes andere Wesen auf dieser Welt; das Gefühl der Angst.

Wir stellen uns heute gerne als zivilisiert dar, aber in Kriegszeiten wurden Deserteure mit einem langsamen Tod bestraft. Nur deswegen setzten wir weiter einen Schritt vor den anderen, obwohl unsere Gedanken nicht bei der Aufgabe waren, die wir zu erfüllen hatten, sondern vielmehr über die Felder unserer Jugend, zu den Gesichtern unserer Kindheit schweiften. Nenne mich einen Feigling, wenn es dir gefällt, in derartigen Kategorien zu denken, aber für uns beide waren Pflichtgefühl, Liebe, Patriotismus längst zu Worthülsen geworden, die ihre Bedeutung irgendwo auf unserem Weg hinter sich gelassen hatten. Alles, was den Krieg gegen die Orks mit dem gnädigen Mantel des Sinns hätte verhüllen können, war längst vom Regen weggespült worden.

Wir schwiegen meist, während wir unsere müden Beine dazu zwangen, uns weiter durch eine Landschaft der ausgebrannten Ruinen, der verlassenen Dörfer, der im Regen versunkenen Felder zu tragen. Es war ein Schweigen der Leere. Jahrelang hatte es für uns keine Ruhe gegeben, unser ganzes Leben war bis dahin geprägt von Stimmen, die unser Weltbild ordneten. Eltern, Lehrer, Ausbilder bei der Armee hatten uns gemäß uralter Ideale geformt. Wir sollten die neue Generation sein, die das Licht der Elfen in die Welt trägt.

Doch das Licht verlosch, je länger wir durch die zerstörte, geschändete Landschaft marschierten. Am Anfang sangen wir noch elfische Lieder, vor allem Elras ließ seine helle, klare Stimme ertönen. Doch die Lieder über den Ruhm der Elfen passten nicht in diese Umgebung und so schwiegen wir.

Unser Auftrag bestand darin, die Stadt Sumpur auszukundschaften und die Schwachstellen der Verteidigung ausfindig zu machen.

Wenn ich ?Sumpur? sage, dann stellst du dir einen finsteren Ort vor, erfüllt von den Schreien der unschuldigen Opfer der Orks, von dem Gestank der Verwesung, von Verderbnis. Aber wenn du diese Eindrücke überprüfst, geneigter Leser, dann stellst du fest, dass sie jeglicher Grundlage entbehren. Du hast niemals eine Stadt der Orks zu Gesicht bekommen, denn schon seit vielen Jahren sind einige überwucherte Trümmer alles, was Elfen von ihnen übrig gelassen haben. Was du für die Wahrheit hältst ist das Resultat von Texten, die du gelesen hast, die Folge von Eindrücken, die andere dir vermittelt haben.

In Düsternis und Fäulnis liegt
Sumpur, wo die Sünde siegt,
wo Pest und Tod und ew?ge Nacht
von Orks ward in die Welt gebracht.​

Mit diesen schlechten Reimen stellt der elfische Dichter Lebin die Stadt dar. Doch wieder muss ich dich enttäuschen, geneigter Leser. Lebin irrt und auch du, der du die Bilder übernommen hast und sie für Wissen hältst, bist im Irrtum.

Sumpur war eine wahrhaft goldene Stadt, glorreicher, als alles, was ich in meinem Leben gesehen hatte. Rings um den prunkvollen Ratsturm der Orks hatte sich eine Vielzahl von Völkern angesiedelt, die unter der schützenden Hand der Orks ihren Künsten und Traditionen nachgingen, ihre Tempel errichteten und ihren Handel betrieben. Ich sah einen Zwerg, der sein Haus von einer Baukolonne errichten ließ, die aus Orks und Menschen bestand, gemeinsam die harte Arbeit verrichtend. Ich sah Goblin-Taschendiebe, die mit ernster Mine von einem Wachmann der Orks ermahnt wurden. Ich sah Belruk, den großen Bildhauer der Orks, dessen Werke heute längst im Strudel der Jahrhunderte verloren gegangen sind; er schuf Statuen von solcher Kunstfertigkeit, dass mir jedes elfische Monument später nur noch als schwacher Abglanz erschien.

Es gibt viele Legenden darüber, wie Elras damals in die Stadt gelangt ist. Einige sagen, dass er die Mauer erklommen und die Wachen überwältigt habe. Andere sprechen davon, dass er sich als Ork verkleidet habe.

Die Wahrheit ist auch hier viel einfacher.

Wir sind durch das Tor gegangen. Niemand hielt uns auf, niemand schenkte uns Beachtung, die über neugierige Blicke hinausging.

In den Stadtmauern haben wir die Mission vergessen.

Wir kamen beide aus einfachen Verhältnissen und Sumpur war für uns ein Rausch der Farben und Eindrücke, alles in dieser Stadt war in Bewegung, ein ewiger Strom, der uns mitriss. Wir tanzten mit den Zentauren, wir feilschten mit den orkischen Händlern, wir betranken uns mit zwergischem Bier. Unsere Mission war vergessen, nur noch ein Relikt aus unserer Vergangenheit. Wir hörten sogar auf, darüber zu sprechen.

Vor allem, als wir Berla kennenlernten.

Berla war eine Ork und mir ist bewusst, dass schon diese Tatsache alleine reicht, um die alten Elfen ihr Gesicht verziehen und angewidert ausspucken zu lassen. In dem Kinderbuch ?der Elf und das Ungeheuer? werden Orks so beschrieben:

Ein Ork ist ein gar grässliches Geschöpf. Während wir sprechen, kann er nur brüllen, während wir Städte bauen und Bücher schreiben, kann er nur verbrennen und vernichten. Ein liebes Kind muss stets fleißig das Lautenspiel üben und Bogenschießen lernen, sonst kann es passieren, dass der Ork es im Schlafe zu sich in die Dunkelheit holt.

Oh, geneigter Leser, wie kann ich dir die Wahrheit darlegen, wie kann ich dir Berla beschreiben, wie kann ich den Eindruck, den sie auf uns machte, in Worte kleiden, die ihrer gerecht werden?

Wir Elfen haben ein Schönheitsideal, dass sich über die Jahrhunderte kaum verändert hat. Die Frauen in unserer Literatur werden als edel und rein dargestellt, als leuchtende Wesen, die wir so idealisieren, dass jedes körperliche Begehren einer Entweihung gleichkäme.

Berla die Orkfrau war das Gegenteil.

Sie hatte die sehnige, schlanke Gestalt der Orks des Südens, ihre Haut war so dunkel wie Asche. In ihrer Anwesenheit schien die Luft zu vibrieren, wenn sie lachte oder der Blick ihrer feuergelben Augen auf uns fiel, dann fühlten wir das Leben in uns. Ja, ?Leben? ist das Wort, dass sie am treffendsten charakterisiert. Sie war nicht fern und strahlend, sie war nah und stets in Bewegung, nie war ihre nächste Handlung vorhersagbar.

Wir haben sie beide geliebt.

Zwei Monate lebten wir unter ihrem Dach, lachten und stritten, tranken und diskutierten, ich hoffte, dass sie sich für mich entscheiden würde, Elras versuchte, sie mit seinem Lächeln zu gewinnen, doch keiner von uns beiden konnte sie lange halten, denn sie war in Bewegung, in ständiger Bewegung, das Leben mit ihr war ein Tanz, bei dem wir sie abwechselnd begleiteten, ohne die Richtung zu bestimmen, wir ließen uns mitreißen, verloren die Kontrolle und hatten nichts dagegen.

Ruhe kehrte in unserer Leben nur dann ein, wenn sie abends ihre Fiedel gegen die orkische Tumpula eintauschte, ein großes hölzernes Musikinstrument, dessen Töne die Traurigkeit der Welt in sich zu vereinen schien. Wenn sie ihre Finger über die Tasten wandern ließ und dann ihre klare Stimme erklang,war sie der Fokus unseres Universums und wir vergaßen die Welt bis der letzte Ton verklungen war.

Wir waren glücklich. Die Fesseln der elfischen Existenz waren von uns abgefallen, die Disziplin, die wir als Kinder, die Härte, die wir bei der Soldatenausbildung gelernt hatten ? all das fiel von uns ab wie eine weltenschwere Last.

Ich weiß nicht, wie lange wir uns in der Sumpur aufgehalten haben. Es mögen zwei Monate gewesen sein, vielleicht war es auch ein Jahr. Die Zeit hatte ihre Bedeutung verloren in diesem Zustand des Träumens, in dem Elras und ich uns befanden.

Doch wer träumt muss erwachen.

Der Tag unseres Erwachens kam, als die Stadt Sumpur angegriffen wurde.

Erlaube mir, ein letztes Mal eine Quelle der Elfen zu bemühen, um den Angriff so zu charakterisieren, wie du ihn vor deinem geistigen Auge hast. In der ?Chronik der Militärgeschichte? wird dieser denkwürdige Tag folgendermaßen dargestellt:

Die Elfen drangen furchtlos in das dunkle Reich der Orks vor. Nach tagelanger, verlustreicher Belagerung der Stadt des Bösen fiel Sumpur. Mit der Kraft der Rechtschaffenheit gingen die Elfen ihrem ehrenvollen Handwerk nach, geführt von Elras, der nach einer langen Zeit des Verharrens in der Stadt der Sünde unseren Truppen voranschritt und mit seinem Schwert eine blutige Ernte verrichtete.

Die Fehler in dieser Darstellung beginnen schon damit, den Angriff der Elfen als Belagerung zu bezeichnen. Eine Belagerung ist etwas Militärisches und setzt eine Vergleichbarkeit der kriegsführenden Parteien voraus.

Diese Vergleichbarkeit gab es nicht.

Sumpur war eine Stadt der Kultur, der Künste, ein brodelnder Schmelztiegel der Kulturen. Ein zentrales Militär hat es in Sumpur nie gegeben, wenn jemand in der Ratsversammlung auch nur einen solchen Vorschlag zu äußern wagte, stand verlässlich jedes Mal einer der orkischen Ratsherren auf und wies die versammelten Politiker darauf hin, dass ein Militär nicht nötig und nicht erwünscht sei, da es zu schnell eine Eigendynamik erhalte.

So war und blieb Sumpur eine Stadt ohne Heer.

Dies erklärt auch die Tatsache, warum die Elfen, die in der Nacht über die Stadtmauern kletterten, nicht auf organisierten Widerstand trafen. Die Elfen, die unter dem nächtlichen Schleier Blut vergossen, scherten sich aber nicht darum, ob ihr Schwert einen orkischen Kämpfer, eine zwergische Frau oder ein Halblingskind traf. Ihre Eltern und Vorgesetzten, ihre Bücher und Geschichten hatten ihnen Sumpur so lange als Inkarnation des Bösen vorgeführt, dass ihnen Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Tuns überhaupt nicht kamen.

Es war kein Kampf, es war Mord.

Ich habe oft darüber nachgedacht, wie planvoll Elras? Handeln in jener Nacht war. Als ich aufwachte stand er bereits mit Berla am Fenster, sie bohrten ihre Blicke in die Dunkelheit um die Quelle des Schreiens und des Feuerscheins auszumachen, die sie geweckt hatten. Wir beide wussten sofort, was passiert war. Elfen vermeiden Belagerungen, sie umgehen offene Schlachten. Sie schlagen heimlich und schnell zu, wenn man sie am wenigsten erwartet.

Die Elfen waren in der Stadt.

Ich stand auf und stellte mich neben die beiden Wesen, die mir in der Welt am wichtigsten waren.

Ein Halbling lief an unserem Fenster vorbei, den Mund zu einem stummen Schrei verzerrt. Ein alter Ork war aus seinem Haus getreten, eine rostige Axt in seinen sehnigen Händen, zu schwer, als dass er sie im Kampfe schwingen könnte. Diese Eindrücke wurden begleitet von dem Schreien, vielstimmige Hilferufe, die näher kamen. Manchmal verstummte eine der Stimmen, doch zwei oder drei Kehlen, die ihre Angst gleichgültigen Augen, kaltem Stahl entgegenschleuderten, ersetzten den Verstummten in der nächsten Sekunde.

Berla blickte zur Seite, schaute mich an. Ich werde den Ausdruck in ihren goldenen Augen nie vergessen, es lag Verzweiflung darin, Schmerz, aber auch etwas Diffuses, Flehendes.

Ich wandte mich Elras zu. ?Sie sind da.?

Elras zögerte, bevor er seine eisblauen Augen auf mich richtete. Dieses Zögern ist wichtig. Ich glaube, dass Elras in diesem Bruchteil einer Sekunde unentschlossen war. Er war hin- und hergerissen zwischen Sumpur, dem Leben, den Erfahrungen der letzten Monate einerseits und der simplen Emotion, über die ich bereits geschrieben habe, andererseits ? Angst. Die Angst, dem eigenen Volk entgegenzutreten und etwas zu verteidigen, dass wir beide liebten und doch hassen sollten. Als Elras mich ansah, hatte er, so glaube ich heute, seine Entscheidung getroffen.

Mit zwei langen Schritten war er bei der Tür und riss sie auf. Kühle Nachtluft zog herein und die Schreie klangen jetzt ungedämpft an unsere Ohren. Noch einmal drehte Elras sich um und blickte Berla an; für einen Moment schien die Traurigkeit des Universums in seinen Augen fokussiert. Dann verschwand er mit einer geschmeidigen Bewegung in der Dunkelheit. Als ich aus dem Fenster sah, konnte ich ihn mit langen Schritten auf den Fackelschein zulaufen sehen.

In diesem Moment wusste ich, dass Elras sich für die Elfen, für die Angst entschieden hatte.

Auch ich traf meine Entscheidung. Ich packte Berla am Ärmel ihres Gewandes und wollte sie zur Hintertür ziehen.

Verständnislos blickte sie mich an. ? Wohin willst du??

?Wir müssen fliehen Berla. Die Elfen??. Ich stockte und erwiderte ihren Blick. In diesem Moment verstand ich, dass Berla nicht gehen würde. Sie war ein Teil der Stadt, die Verkörperung von Sumpur in ihrer ganzen Lebenskraft. Außerhalb von Sumpur gab es keinen Ort für sie.

Ich stelle mir gerne vor, dass Berla Verständnis dafür hatte, dass ich nicht blieb. Ich hoffe, dass sie an mich dachte, kurz bevor die Elfen in ihr Haus stürmten. Ich bete, dass ihr letzter Gedanke nicht hasserfüllt war. Wenn ich die verführerische Illusion hinter mir lasse, bin ich mir aber bewusst, dass sie mich noch im letzten Atemzug gehasst hat, vielleicht noch mehr, als sie Elras hassen konnte. Elras hatte eine Entscheidung getroffen. Ich war vor der Entscheidung geflohen.

Als ich auf der Stadtmauer stand, blickte ich noch einmal auf Sumpur zurück. Die Schreie drangen als Fetzen zu mir hoch und die Flammen hatten einen großen Teil der Stadt bereits gierig verschlungen, überall liefen Elfen und gingen kalt dem Geschäft der Vernichtung nach.

Dann sah ich Elras. Sein blaues Wams war in Blut getränkt, während er mit großen Schritten die Straßen durchmaß und einem fliehenden Zentauren mit einer schnellen Bewegung den Kopf vom Rumpf trennte, in der einen Hand ein Schwert, in der anderen eine Fackel, wie ein uralter Gott der Zerstörung. Abrupt blieb er stehen und sah zu mir auf, als wüsste er instinktiv, wo ich mich befand.

Ich weiß bis heute nicht, ob er mich wirklich sah, als er lächelte.

Auf seinem ebenmäßigen Gesicht, von Feuerschein verzerrt und von Blut beschmiert, breitete es sich aus, das Lächeln eines Elfen, der alles, was ihm heilig und teuer war, in Blut und Feuer getaucht, es für immer entweiht hat. Es war ein Lächeln der Verzweiflung, der Verwirrung, der Wut auf sich selber.

Es war das Lächeln eines Gebrochenen.

Ich sprang von der Stadtmauer. Ich lief. Ich floh.

Vor einigen Tagen haben sie Elras begraben. Sie haben seinen Sarg durch die Straßen gefahren, begleitet von tausenden trauernden Elfen, überzeugt, dass hier jemand zu Grabe getragen wurde, der von Ehre erfüllt nicht vom Pfad des Lichts abgewichen war.

Ich bin Teldin, der letzte Zeuge des Elras. Ich habe hinter die Fassade des großen Elras gesehen und die Leere eines Elfen gesehen, der sich der Angst geopfert hat.

Ich bin der einzige, der die schlichte Inschrift, die Elras für sein Grab angeordnet hat, nicht auf die ruhmreiche Schlacht bezieht, die sich in Sumpur abgespielt hat, in einer kalten Nacht vor dreihundert Jahren.

Ich bin der einzige, der die schnörkellose, kleine Inschrift als letzte Nachricht eines bemitleidenswerten, gebrochenen, furchtbaren Elfen versteht, der schon lange innerlich tot war, bevor sein Herz aufhörte zu schlagen:

Hier ruht Elras,
der die Dunkelheit mit Feuer zerstörte.
In Sumpur war er wahrlich am Leben.

 

Hallo Spectator,
huh - die Geschichte ist echt fies. Ich finde sie wirklich gut erzählt, teilweise sind noch einige sprachliche Holperer drin, aber größtenteils ist sie toll. Ich mag auch den Stil, in dem dein Erzähler mit den Illusionen des Lesers aufräumt. Teilweise bist du mir ein bisschen zu sehr mit irgendwelchen Quellen dabei, außerdem, finde ich, erfährt man ein bisschen zu spät, wie die Elfen wirklich drauf sind, nämlich erst, als deine Orkin ins Spiel kommt. Das könntest du vorher einbauen, vielleicht, indem du deinen Erzähler die Reise der beiden beschreiben lässt. Ansonsten habe ich nichts zu meckern, dazu war es viel zu wortgewaltig.
Die Inschrift auf dem Grabstein ist dann sinnvoll, wenn man die Geschichtenversion deines Protagonisten kennt. Für die Elfen erscheint sie mir weniger sinnvoll. Warum sollten sie so einen Spruch wählen, und nicht etwas Glorifizierenderes? Daran müsstest du noch einmal arbeiten, denn nachdem die Geschichte mich so gefangen genommen hat, war ich vom Schlusssatz doch ziemlich enttäuscht.

gruß
vita
:bounce:

 

Hej Spectator

Die Wortgewalt deiner Kg hat mich vollkommen in seinen Bann gezogen. Die Einleitung klang schon vielversprechend - und du hast das Versprechen gehalten, Glückwunsch.
Hat mir große Freude bereitet die Wahre Geschichte über Orks und Elfen zu lesen. ;)
Wo der Text mMn etwas sschwächelt ist die Passage, wo sich Elras plötzlich abwendet... Du hast dir zwar schon Mühe gegeben dies glaubhaft rüber zu bringen, aber irgendwie passiert das trotzdem etwas... plötzlich.
Noch eine Anmerkung: vielleicht guckst du noch mal nach, ob du etwas anderes für Geneigter Leser findest. Das kam mir min. einmal zu häufig.
Ach ja: die Grabinschrift klingt wirklich etwas merkwürdig

Ansonsten top! :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Guten Tach ihr beiden...

zu vita:
Herzlichen Dank für die positive Kritik (ein Lob von einer omnipräsenten Vielschreibergoblinin ist ja schon ein kleiner virtueller Ritterschlag:)
Die Kritikpunkte kann ich gut nachvollziehen. An den sprachlichen Holperern muss ich noch dringend arbeiten - da stören noch ein paar Wortwiederholungen etc. den Lesefluss. Und die Grabinschrift ist bei nochmaligem Lesen in der Tat eine Katastrophe. So subtil wie ein Stachelschwein in der Luftballonfabrik. Arbeite ich aber dran. Ich denke auch, dass ich die REise etwas ausführen sollte, gerade um den Kontrast zu der Orkstadt noch deutlicher zu machen. Herzlichen Dank einstweilen...

zum weltenläufer:
Ich bin ja Pazifist, geneigter bzw. geehrter Leser, aber die WORTgewalt nehme ich mal als schönes Kompliment:)
Die Abwendung von Elras versuche ich noch deutlicher zu machen, indem ich seinen Charakter bei der Reise noch etwas hervortreten lasse - kommt vielleicht in der Tat noch ein wenig plötzlich... an den Wortwiederholungen (geneigter Leser...) arbeite ich.
Danke für deine jute Kritik!

Mit Grüßen der freundlichen Art,

Spectator

 

Hi Spectator!

Ich kann mich nur anschließen: Bin schwer beeindruckt.
Die Story hat mich gar nicht mehr losgelassen, und holprige Passagen sind mir eigentlich net aufgefallen, so im Lesefluss.
Aber Die Elfen hast du gelesen, oder? Oder Die Orks? Daran habe ich mich schon sehr stark erinnert gefühlt.
Nichts konstrukives heute, sorry, nur Lob. ;)
Liebe Grüße
Ardandwen

 

Hallo Spectator!

Dem Lob meiner Vorgänger kann ich mich leider nicht ganz anschliessen. Sprachlich gesehen muss ich aber auch sagen, dass die Geschichte top ist, ich mag es, wenn etwas wirklich toll episch geschrieben ist.

Was mich an der Geschichte ein bisschen gestört hat, ist, dass der Erzähler am Anfang ein bisschen schwafelt. Du brauchst ziemlich lange, bis du zur Sache kommst. Ich glaube, der Leser begreift auch schneller, auf was du hinaus willst.

Lass mich dir zeigen, geneigter Leser, wie der Beginn der Episode, die ich dir berichten möchte, in dem Werk „Die glorreiche Geschichte der Elfen – eine vollständige Chronik in 26 Bänden“ dargestellt ist:
An dieser Stelle dachte ich schon, dass du eine Persiflage schreibst (à la Pratchett), aber offenbar ist das Ernst gemeint. Sorry, wenn ich das jetzt so sage, aber dieser Abschnitt wirkt nur lächerlich. ;)

Der zweite Punkt, mit dem ich nicht ganz zufrieden bin, ist, dass der Erzähler Sumpur glorifiziert und gleichzeitig die Elfen kritisiert, wie sie aus Elras einen Helden machen. Klar, es handelt sich um seine Wahrheit, aber ein bisschen mehr Subtilität hätte ich mir schon gewünscht, vor allem weil du ja Halbwahrheiten und andere Ansichten zum Thema machst. Auf mich wirkt deshalb der Erzähler auch ein bisschen plump.

Aber ich kann dir versichern, dass ich die Geschichte gerne gelesen habe, denn wie gesagt, sie ist Sprachgewaltig geschrieben und auch von der Thematik her spannend. :)

Liebe Grüsse
sirwen

 

Gruß und so...

an ardandwen:

Freut mich, dass es dir gefällt... danke für die Blumen!

an sirwen:

Tja, das ist das Problem, wenn man sich an so einer Art von epischem Stilkrams versucht - wenn man danebenliegt wird es schnell unfreiwillig komisch... es ist eine Gratwanderung, die meines Erachtens nur ganz wenige Autoren drauf haben. Der Lächerlichkeitseffekt hat sich bei meiner Pratchett-artigen Chronik in 26 Bänden wohl wirklich eingeschlichen - das versuche ich heute abend ein wenig zu korrigieren. Die Anfangssequenz wir definitiv gekürzt - ich habe so den subtilen Verdacht, das einige nach den ersten Zelen aufhören zu lesen.
Was die Glorifizierung von Sumpur angeht muss ich nochmal nachdenken - vielleicht stelle ich sie noch ein wenig mehr als Stadt dar, in der das Leben in allen FAcetten (also auch negativen) pulsiert, andererseits könnte das den Rahmen der jetzt schon nicht mehr allzu kurzen kurzgeschichte endgültig sprengen.
In jedem Fall: danke für Lob, Anregung und Kritik. Hast geholfen.

Mit Grüßen,

Späcktäitoa

 

Was die Glorifizierung von Sumpur angeht muss ich nochmal nachdenken - vielleicht stelle ich sie noch ein wenig mehr als Stadt dar, in der das Leben in allen FAcetten (also auch negativen) pulsiert, andererseits könnte das den Rahmen der jetzt schon nicht mehr allzu kurzen kurzgeschichte endgültig sprengen.
Ich glaube nicht, dass dies den Rahmen sprengen würde, ich würde es auf alle Fälle interessant finden. (Und auf kg.de gibts noch viel längere Geschichten ...)

 

Hallo Spectator,

Sehr schöne Sprache, gekonnt erzählt, interessantes Sujet. Du beschreibst nicht nur von außen, du lässt alles sehr lebendig vor dem inneren Auge des Lesers vorbeiziehen, ich war ganz in den Bann der Geschichte gezogen. Ich finde, die Gratwanderung zwischen Pathos und Kitsch ist dir größtenteils gelungen - gut, dick aufgetragen wirkt das natürlich manchmal, aber ich finde es gut, dass sich einer mal traut. :)

Auch die Grabinschrift finde ich als Abschluss passend und einleuchtend. Die eingearbeiteten Quellenauszüge fand ich sogar sehr gut, du gehst erzählerisch nicht den einfachsten Pfad und das gefällt mir. Ist eben auch Geschmackssache.

Der Anfang kam mir allerdings auch etwas langgezogen vor, hier hat mir der Stil manchmal Probleme bereitet. Es ist kein einfacher Einstieg, man muss sich schon sehr konzentrieren.

Eine gute Idee, den Unterschied zwischen Geschichte und Geschichtsschreibung mal anhand eines Fantasykontexts zu veranschaulichen. Normalerweise mag ich ja Schlachtengeschichten nicht so, aber hier stand nicht das bloße Gemetzel im Vordergrund.

Außerdem hat es mir gefallen, wie du Dinge einfach andeutest oder als gegeben hinstellst, ohne jetzt jede einzelne Sache (z.B. was eine Tumpula ist) haarklein zu beschreiben.

Hast du die Geschichte überarbeitet, seit du sie eingestellt hast? Ich habe ein paar Holperer bemerkt, fehlende Verben u.ä. Wenn du möchtest, kann ich es dir raussuchen. Ich habe die Geschichte nämlich schon vor Wochen abgespeichert und jetzt erst gelesen.

Gruß,
Megries

 

Tag megries,

schön, dass dir die Geschichte gefallen hat.

Der Anfang ist in der Tat ein wenig langgestreckt und abstrakt, das erleichtert den Einstieg in meine Welt nicht gerade. Ich sollte ihn vermutlich kürzen und den Leser mit einem interessanten Einstieg ködern. Was die sprachlichen Macken angeht: die sind in der Tat noch vorhanden, da ich aber gerade zwei Zwischenprüfungen, fünf Klausuren und eine Hausarbeit innerhalb kürzester Zeit bewältigen muss, dauert es noch ein wenig, bis ich die korrigieren kann. Wird aber auf jeden Fall gemacht. Ist noch ein bisschen was zu tun, bevor ich diese Geschichte zu den Akten legen und mich endlich einer neuen kg widmen kann.

Danke für die Anmerkungen,

Spectator, Spectatoris, Spectatori

 

*offtopic-Riegel vorschieb* Ist gut jetzt :D
Spectator: In meiner hochoffiziellen Eigenschaft als Moderatorin und fremdernannte Fantasy-Expertin möchte ich dir eine Überarbeitung dieser Geschichte wärmstens ans Herz legen. Ich bin sicher, dass es sich lohnen würde. Wir warten dann so lange. Soll ich diesen Text hier ins Archiv tun, oder möchtest du weiteres Feedback? Wenn ich nichts von dir höre, bleibt er hier stehen, ok? :)

gruß
vita
:bounce:

 

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