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Was tut man nicht alles um zu vergessen

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09.02.2003
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Was tut man nicht alles um zu vergessen

„Meinst du wirklich?“ Die Affäre lehnt sich zur Bar hin und nimmt noch einen Schluck von ihrem Cosmopolitan. Sie beugt sich leicht nach vorne, damit der Pushup ihr Dekolleté im Blusenausschnitt besser zur Geltung bringt. „Aber ja, zum hunderttausendsten Mal“ Die Beziehung nippte an ihrem weissen Spritzer „Er wird seine Frau NIE verlassen“.
„Jetzt vor Weihnachten geht es ja wegen der Kinder nicht. Das verstehe ich schon ... Was macht ihr eigentlich zu den Feiertagen?“
„Ich hab mir freigenommen, wir sind doch noch mitten im Einrichten. Wird wohl eher so die IKEA-Fleischbällchen-Partie mit einem Abstecher zu den Schwiegereltern ins Waldviertel.“
„Ich beneide dich, du hast wenigstens ein Programm“ Ein herzhafter Zug, und der Cocktail ist leer. „Noch eine Runde, schöner Mann“ Der Barkeeper – die Affäre erinnerte sich dunkel, zu Urzeiten eine unbeeindruckende Nacht mit ihm verbracht zu haben – schenkte ihr ein Bratlächeln. Offenbar erinnerte er sich nicht. „Ich fahre für eine Woche in diesen neuen In-Spa zur Beautywoche ... der Weihnachtsspeck muss runter.“ „Wo hastn DU Speck bitte?“ fragt die Beziehung neidisch und zieht unter dem schwarzen Ripprolli den Bauch ein. „Du hast doch alle Zeit der Welt fürs Fitnesscenter ... ausserdem, wenn man sich so die Nächte um die Ohren schlägt wie du, KANN man doch gar nicht zunehmen. Apropos- was war denn da letztens noch mit dem Chiropraktiker ausm Titanic?“ „Ach Gott, du weißt doch, ER ruft mich immer um dreiviertel acht an, wenn er die Kinder im Schottengymnasium abgeliefert hat, und wenn ich da nicht daheim bin, hab ich Erklärungsnotstand. Ich kann jetzt eigentlich nurmehr jemanden zu mir mitnehmen und dann muss ich sicher sein, dass er im Hintergrund entsprechend ruhig ist ... auch blöd irgendwie.“ „Was glaubst du, warum ich mein Festnetz abgemeldet habe ...?“ grinst die Beziehung müde.

„Meine Damen ...“ der Kellner bringt die Getränke und streift beim Servieren wie zufällig die Affäre von links hinten. „Auf Euch!“ „Und auf das Flashdanceposter in deinem Badezimmer“ lächelt die Affäre süffisant, während der Kellner erblassend verschwindet.

„Und- liebst du ihn wirklich?“ fragt die Beziehung. „Ich glaube, ja ... wenn ich nur die Chance hätte, würde ich ihn lieben.“ Die Affäre zerdrückt die obligate Wenn-man-mich-nur-liesse-Träne, die ihr die Beziehung sofort patent mit einem Pampers-Baby-dry-Tuch aus ihrer Handtasche abtupft. „Mädel, lass dich nur nicht hängen, ich finde es super, wie du so als unabhängige Frau dein Leben checkst, dir einfach holst, was dir zusteht, ohne Verpflichtungen, ohne Bindungen, ohne Schuldgefühle ... Komm, eine Runde geht noch ...“ Der Kellner, zwar nicht blond, aber offensichtlich doch nicht ganz der hellste, serviert der Beziehung ihren Spritzer mit diesem gewissen Blick, quittiert von einem „Stimmt das wirklich, dass du Diddelmauskaffeetassen hast?“, was ihn dann doch zu einem raschen Abgang bewegt.

„Unabhängigkeit ist im Grunde Scheisse“ sagt die Affäre, „Alles, was ich in Wahrheit will, ist jemand, der mich fragt, ob mich auf der Firmenweihnachtsfeier eh niemand angebraten hat ... und zwar soll er mich das DANACH im weichen, warmen, gemeinsamen Bett fragen. Ist das echt zuviel verlangt?“ „Du weißt ja gar nicht, wie nervend so ein Kontrollwahn sein kann“, sagt die Beziehung und muss an die letzte Paartherapiestunde denken, als ihr offenbart wurde, dass der Kindsvater nur deshalb gerne zu den Elternabenden gehen würde, vorausgesetzt, seine knappe Zeit liesse es zu, um zu verhindern, dass die man mit den drei Singlevätern der Klasse in Kontakt kommt.

„Hallo Mädels“ unterbricht eine sonore Stimme die trübsinnigen Gedanken „ Ihr seht aus, als könntet ihr einen Drink gebrauchen“. Der knackige Mittdreissiger stellt sich einfach zu den beiden dazu.
„Ähm“ stottert die Beziehung „Dies kann so falsch nicht sein“. „Prost“, meint die Affäre nur.

„Warum eigentlich nicht?“ denkt die Beziehung, „Warum nicht wieder mal ...?“ denkt die Affäre, „Die waren absolut reif“, denkt der One-Night-Stand, als sie eine halbe Stunde und zwei Runden später zu dritt die Bar verlassen.

 

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