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Wechsel von Protagonisten - ein No-Go?

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15.09.2020
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Wechsel von Protagonisten - ein No-Go?

Hallo liebe alle,

im Moment schreibe ich an einer Trilogie und stehe noch recht am Anfang meines Romans. Konzeptionell hatte ich mich nun eigentlich dafür entschieden, dass es gleich mehrere Protagonisten geben soll. Ich hadere noch ein wenig mit dieser Entscheidung, habe sie aber andererseits eigentlich schon für mich gefällt. Es gibt zwar Beispiele (prominentestes, das mir ad hoc einfällt: "A Game of Thrones"), in denen mehrere Protagonisten gut in die epische Geschichte passen. Trotzdem möchte ich den Leser nicht verwirren und versuche, die Protagonisten in ihren Motivationen, Zielen und Handlungen am Ende gut darstellen zu können.

Nun ist es aber auch noch so, dass ich plane im zweiten und später dritten Teil meiner Trilogie, die Protagonisten (bis auf einen) zu wechseln. Diese verschwinden zwar nicht einfach und spielen weiterhin eine Rolle, jedoch plötzlich höchstens als Hauptcharaktere. Sie rücken somit in den Hintergrund. Andererseits gibt es wiederum einen Hauptcharakter aus dem ersten Teil, der in weiterer Folge zum Protagonisten wird.
Während mir das für den Handlungsstrang sehr praktisch und schlüssig erschien, habe ich nun doch die Sorge, dass der Leser vielleicht sogar enttäuscht sein könnte, wenn er sich bereits mit einem Protagonisten identifiziert und mit ihm mitgefühlt hat, der nicht länger im Fokus sein wird.

Hat schon jemand Erfahrungen mit einem Wechsel der Protagonisten gemacht? Wo bestehen eurer Meinung nach die Tücken hinter so einem Konzept? Oder mache ich mir zu viele Sorgen und das ist durchaus im Bereich des Machbaren?

Freue mich auf eure Ansichten zu diesem Thema!

Alealeith

 

Hallo @Alealeith,

und willkommen hier!

Stimme zunächst einmal @Sisorus zu: Ich kenne einige Leute, die schon Perspektivwechsel in einem Buch störend finden. Ich finde sie oft bereichernd.

Ein Beispiel für das, was Du beschreibst (die Prots im Laufe einer Buchreihe zu wechseln), bietet meiner Ansicht nach meine Lieblingsbuchreihe: "The Expanse." Sie wird von Leuten geschrieben, die lange für/mit George R. R. Martin gearbeitet haben, der Perspektivaufbau ist zunächst ziemlich identisch: Es wird immer ein Kapitel aus einer Perspektive geschrieben, und eine Reihe von etwa vier bis fünf Personen erzählt ein Buch aus ihrer jeweils wechselnden Perspektive.

Dabei gibt es eine Figur, deren Perspektive in jedem Buch der Reihe vorkommt (wobei, ich glaube, im achten Teil tatsächlich nicht, bin mir aber gerade nicht ganz sicher). Alle anderen Figuren wechseln für jeden Roman. Manche Figuren kenne ich als Leserin schon als Nebenfiguren vorheriger Teile, andere kommen sogar völlig neu dazu und treten in späteren Büchern teilweise nie wieder auf.

Was ich an diesem Konzept toll finde, ist, dass jedes Buch für sich einen ganz eigenen Fokus einnimmt. Ich habe den Eindruck, sie könnten, obwohl es sich um eine Reihe handelt, praktisch für sich allein stehen: Weil eben doch jeweils ein anderer Personenkreis die Handlung erlebt. Nach mehreren Teilen (wie gesagt, acht gibt es schon) freue ich als Leserin mich inzwischen auch immer auf den Showdown, in dem sich all die verschiedenen Hauptfiguren an einem zentralen Ereignis treffen. (Hierbei weiß ich allerdings nicht, ob es ausreicht, LeserInnen über nur drei Bücher auf eine solche Metaebene zu bringen, in der sie anhand der Struktur des Buches bereits Spannung an bestimmten Stellen erwarten.) Und manchmal habe ich am Beginn eines neuen Buchs vor Freude geschrien, die Geschichte nun endlich aus der Perspektive einer coolen Nebenfigur der vorherigen Bücher zu erleben.

Also: Es geht. Es kann toll sein. Make it work, würde ich sagen!

Grüße,
Teddy

 

Hejhej,
Grüße auch von mir. :)

Ich schließe mich da den vorherigen Kommentaren an, und hätte ein, zwei Dinge hinzuzufügen.

Protagonisten sind überbewertet. Als eindimensionale Gegenstände, die eine Geschichte vorantreiben, meine ich. Es geht bei gut geschriebenen Figuren nicht umbedingt nur um deren Charakterentwicklung, sondern vor allem um das Thema für das sie stehen. Ich kann das schlecht erklären, aber Song of Ice and Fire ist ein gutes Beispiel. Die Charaktäre sind nicht nur an und für sich interessant, sondern vor allem ihre Rolle in der Welt und die Interaktion mit ihrer Umgebung und der übergreifenden Handlung machen sie erst zu echten Personen.
Zudem hat man mit mehreren verschiedenen Charakteren eher die Chance, dass einer davon dem Leser zusagt. Wenn der einzige Protagonist in einem Roman einem nicht gefällt, dann wars das. Auf der anderen Seite, gefällt mir einer von vielen nicht, dann warte ich einfach auf den nächsten.
Dem "World building" ist es auch zuträglich, da man sonst die Welt immer nur aus derselben Sicht wahrnimmt. (Außer das ist so gewollt)
Persöhnlich liebe ich mehrere Sichtweisen, weil sich dadurch interessante Szenarios ergeben, wie z.b. dasselbe Ereignis aus mehereren Sichtweisen zu erzählen und dadurch die Charaktere und Geschichte weiter ausbauen (Als Bsp die Szene in Storm of Sword, in der Jon von den Wildlingen flüchtet).
Und letztendlich ist es am stärksten vom Erzählstil anhängig, was du als Künstler sagen möchtest, dem Material und den behandelten Themen.

Also wie immer gilt: Mach, watt de willst, hauptsache es wird gut! :D

Nur meine bescheidene Meinung...

LG Aleks

 

Han Solo ist kein Ersatz für Luke Skywalker. Ein Bilbo ergibt aber einen sehr guten Ersatz für einen Frodo Beutlin. Oder andersherum.

Will sagen: Mich würde eher ein all zu verschobener Fokus stören. Wenn die Geschichte weitererzählt wird, so, wie ich die Geschichte in vorangegangen Teilen lieben gelernt habe, dann ist für mich alles in Ordnung. Beispiel aus der klassischen Science-Fiction wäre die Foundation-Trilogie. Da gibt es alle paar Seiten einen neuen Protagonisten, weil der vor ein paar Seiten bereits seit Jahrzehnten tot ist, oder sonstwas. Klappt aber erstaunlich gut, wenn man sich auf diese Art Erzählung einlassen kann. Und die eigentliche Geschichte der Trilogie ist stringent durcherzählt.

Wichtig ist natürlich auch, dass die Protagonisten sich nicht zu sehr ähneln. Am besten gar nicht. Denn wenn das nur Schablonen sind, dann kannst du die Geschichte auch gleich mit nur einem Protagonisten erzählen.

Und ja, klar gibt es enttäuschte Leser, die eine bestimmte Figur vergöttern. Damit musst du, und müssen deine Leser leben. Hast doch selbst das Lied von Feuer und Eis angesprochen. Da gibt es auch enttäuschte Fans. Hat das den Erfolg der Reihe behindert? Eben.

Viel Erfolg.

 

Während mir das für den Handlungsstrang sehr praktisch und schlüssig erschien, habe ich nun doch die Sorge, dass der Leser vielleicht sogar enttäuscht sein könnte, wenn er sich bereits mit einem Protagonisten identifiziert und mit ihm mitgefühlt hat, der nicht länger im Fokus sein wird.

Das ist so ein wenig das Problem: Warum interessierst du dich für den Leser? Möchtest du etwas Originäres schreiben, oder einen Rip-Off, mit dem du eventuell viel Kohle verdienst? Solche Fragen, Fragen der Perspektive, der Stimme, des Sounds, sind abhängig, welche Geschichte du wie erzählen willst. Das kann man pauschal nicht beantworten. Ich würde mich jedenfalls nicht um einen etwaigen Leser kümmern.

 

Deine Fragestellung hängt mMn eng mit der Frage nach Perspektiven zusammen. Schilderst du die Handlung aus Sicht eines einzelnen Protagonisten, womöglich noch in Ich-Perspektive, kommt es darauf an, dass die Stimme, die Figur selbst mit den Vorstellungen und Vorlieben des Lesers matcht.
Bei einem längeren Text finde ich mehrere Perspektiven, die gegeneinander und miteinander laufen, je nachdem, wesentlich interessanter. Nicht so sehr, weil zusätzliche Anknüpfpunkte entstehen, sondern auch um eine komplexe Wirklichkeit auch komplex zu zeigen. Klar: du musst die Figuren kennen, evtl auch unterschiedliche Sprachmuster verwenden.
Wenn du jedoch über einen längeren Zeitpunkt in personaler oder Ich-Perspektive bei einem Charakter bleibst, wird der Wechsel vermutlich für den Leser schwierig.
Thomas Hettche aktueller Roman "Herzladen" (Shortlist für den Deutschen Buchpreis) lässt zwei Charaktere gegeneinander laufen: sogar mit Zeitabstand von 70 Jahren, interessante Konstruktion, Berührungspunkt dabei: die Augsburger Puppenkiste.

Viele Grüße und viel Kraft beim Schreiben!
Isegrims

 

Hi!

Vielen lieben Dank für die tollen, konstruktiven Anregungen. Das hilft mir umgemein weiter.

Und wenn es Schablonenprosa ist, die du schreiben willst, also "marktgerecht": dazu gibt es genug Ratgeber, Leitfäden und Vorlagen, die dir gerne feste Regeln vorgaukeln.

Öffnet mir ein wenig die Augen! Eigentlich ist es ja nicht mein Anspruch, mich nach Konformitäten zu richten, aber tatsächlich hat es mich stark verunsichert, genau so einen Ratgeber zu lesen - zumindest hatte ich damit begonnen, in der Hoffnung, ich würde ein wenig mehr Handwerkszeug daraus ziehen können.

Gruß
Alealeith

 

Hallo @Alealeith,

von mir noch ein weiterer Gedanke. Ich weiß nicht, wie viel Schreiberfahrung Du schon hast, aber es wirkt so, als ob das Dein erster Roman wird und dann gleich eine Trilogie?

Wenn dem so ist, rate ich mal, dass die Perspektiven womöglich das kleinere Problem sein werden, sondern eher das Durchhaltevermögen bzw. die Motivation, das Projekt auch bis zum Ende durchzuziehen, und das bringt mich dann zu Deiner Frage.

Es gibt verschiedene Motivationen, warum man schreibt: weil man als Autor etwas zu sagen hat, weil man etwas verarbeiten muss, weil es einem einfach nur Spaß macht, weil man für eine bestimmte Person oder Personengruppe schreibt, weil man hofft damit Geld zu verdienen, berühmt zu werden, weil man sich künstlerisch betätigen möchte, es als Ausgleich benutzt, etc.

Also warum möchtest Du diese Trilogie schreiben und warum spielen dann die Perspektiven überhaupt eine Rolle? Du siehst bei den Motivation, die ich beispielhaft genannt habe, ist es im Grunde egal, ob Du verschiedene Perspektiven verwendest und ob das geschickt ist oder nicht und ob das irgendeinen theoretischen Leser stören könnte (außer vielleicht bei der kommerziellen, zu der oben auch schon etwas gesagt wurde).

Ich würde mich also erst einmal darauf konzentrieren, das Projekt umzusetzen und wenn Dir das Einnehmen verschiedener Perspektiven dabei hilft, weil es Dir gefällt/Spaß macht, schlüssig vorkommt, Du so eher die Chance siehst, die Trilogie auch zu vollenden, etc., dann tue es.

Was hilft es Dir, Regeln oder Tipps zu folgen, wenn das Befolgen davon dazu führt, dass dann nach 100 Seiten die Luft raus bzw. die Motivation weg ist, weil Du z. B. lieber die Perspektive wechseln würdest, Dir das aber wegen irgendwelcher Schreibregeln verkneifst?

Gruß Geschichtenwerker

 

Hi @Geschichtenwerker,

da muss ich dir zustimmen - das ist eine Mammutaufgabe, die ich mir hier vorgenommen habe. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, nie die Motivation verloren zu haben. Das ist tatsächlich ein anderes, großes Thema. Am Ende des Tages komme ich aber immer wieder zu dieser einen Geschichte zurück, die ich erzählen möchte. Sie fesselt mich sozusagen selbst - und vielleicht ja auch andere.

Danke an dich und an alle anderen, die ihre Gedanken dazu mit mir geteilt haben. In jedem Fall motiviert es mich ungemein, zu lesen, dass ich da ruhig auch auf mein eigenes Bauchgefühl hören kann. Liegt vielleicht auch ein wenig an meinem Wesen, es möglich vielen recht machen zu wollen, aber das soll ja nicht der Sinn der Sache sein. ;)

Gruß
Alealeith

 

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