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Weekendfeeling
Das Telefon klingelte energisch. Ich stand noch vor der Haustür, bepackt mit dem Wochenendeinkauf, zwischen den Lippen zwei Briefe, die mir der Postbote netterweise nicht mehr in den Kasten stecken wollte, wenn ich schon da war. Das Schloss hakte, das Klingeln wurde schriller bis es endlich erstarb. Mein schlechtes Gewissen meldete sich, denn um diese Uhrzeit rief grundsätzlich seit Tagen nur eine Person an. Ich hatte den Anrufbeantworter absichtlich nicht eingeschaltet, weil es mir das Gefühl gab, mich behaupten zu können. Den Mantel kaum abgelegt, schrak ich zusammen, als das Telefon erneut aufheulte. Meine Hand zögerte, als ich den Hörer abnahm.
„Hier ist deine Schwiegermutter!“
Mir brach der Schweiß aus, mein Blick wanderte zu den noch nicht verstauten Vorräten. Die Tiefkühlpizza begann anzutauen. Aber egal, die Kinder sollten in der nächsten Stunde aus der Schule zurückgekehrt sein, sie würden zwar meckern, schon wieder, aber satt wurden sie trotzdem.
„Ich habe mich gefragt, wo du wohl bist“, näselte die Stimme und ich erlaubte mir tief Luft zu holen und zu entgegnen: „Einkaufen!“
Meine Schwiegermutter schnaufte ins Telefon.
„Es gab Rinderbraten im Angebot“, nuschelte ich.
„Wie bitte?“
„Dein Rezept ist göttlich und Richard liebt es, wenn ich das Fleisch danach zubereite.“
Schwiegermama seufzte theatralisch. Ich merkte, wie meine Hände feucht wurden, erinnerte mich, wie ich das erste Mal nach meiner Heirat, den Rinderbraten nach ihrem Rezept zubereitet hatte.
Sie hatte am Tisch gesessen, mit spitzen Fingern die Falten der Damastdecke geglättet. Anschließend hatte sie das Besteck mit der Serviette poliert, nicht ohne mich darauf hinzuweisen, dass ich Serviettenringe benötigte und dass man das Besteck entsprechend der Menufolge von außen nach innen legt. Kein Wort über das zarte Rosa des Fleisches, das auf der Zunge zergangen war wie schmelzende Butter.
„Ich hoffe, dir wurde kein altes Tier angedreht“, sagte sie endlich. „Ich habe gedacht, ich könnte schon morgen kommen, nicht erst am Sonntag. Ihr wisst doch, mir fehlt Paul sehr.“
Paul, mein Schwiegervater war ein imposanter Mann. Er lachte gern und viel, an seiner Seite war meine Schwiegermutter ein junges Mädchen, ihre Augen blitzten, der Haarknoten löste sich, statt ihrer sonstigen Strenge spürte man die tiefe Verbundenheit der beiden.
Ich seufzte innerlich. Schwiegermutters Halbmaststimmung griff nach mir, wie ein mächtiger Dornenbusch. Ich war hineingeraten, wie kam ich heraus? Sie hatte den Mann, den ich liebe, geboren. Sollte ich ihr sagen, dass ich keine Zeit für sie habe, weil mein Halbtagsjob und der Haushalt mich auffressen? Würde sie es verstehen, dass ich nicht die Kraft hatte, nur mit der Wimper zu zucken, wenn sie wie ein Feldwebel Kommandos erteilte? Sarah und Micha anwies, Ordnung in den Zimmern zu halten, das Waschbecken nach dem Zähneputzen mit klarem Wasser nachzuwischen, und selbstverständlich den Teller nach dem Essen in die Küche zu tragen?
„Sarah und Micha habe ich auch schon lange nicht mehr gesehen“, fuhr sie fort. Nur ein Stich. Aber der Stachel ritzte in meine Haut, dass es schmerzte.
Sollte ich ihr erklären, dass in der Pubertät Freunde wichtiger sind, als die Oma? Sie war doch selbst Mutter eines Sohnes, der ihr eine Reihe Mädchen ins Haus geschleppt hatte, ohne dass sie auch eines zu Gesicht bekommen hatte.
„Ich habe einen Pullover gestrickt, ganz modern“, hörte ich, als ich die Schnur des Telefons verknotete. Ihre Stimme entfernte sich, als ich an dem Kabel riss.
„Ich habe Sarah nach ihrer Lieblingsfarbe gefragt. Schwarz. Stell dir vor. Für ein junges Mädchen. Viel zu düster. Der Pulli ist in einem satten Gelb gehalten, in der Mitte mit einem grünen Zopf geflochten. Sie wird niedlich darin aussehen.“
Ich sah Schwiegermama vor mir. Die flinken Nadeln klapperten und es wuchs ein wolliges Ungetüm, dessen Arme bis an die Kniekehlen reichen würden.
„Das kann man krempeln, bis es sitzt“, pflegte sie zu sagen, als Sarah noch klein war und geduldig ausharrte, obwohl unter dem Halssausschnitt die Haut zu blühen begann. Sollte ich ihr sagen, alle jungen Mädchen tragen gerne Schwarz? Nicht nur in Zeiten der Trauer?
„Lilly bist du noch da?“ Ich gab mir einen Ruck. Meine Kinder liebten ihre Oma und das nicht nur wegen ihrer Angewohnheit, uns mit Spielzeug und Süßigkeiten bewaffnet, zu besuchen. Sie freuten sich und ich verstaute den dritten Hula-Hoop-Reifen auf dem Dachboden.
„Ihr könntet doch ausgehen! Ich hüte ein.“ Ich sah aus dem Fenster in den Garten. Die Rabatten leuchteten in allen Farben.
Ein im Winter unansehnliches altes Gestrüpp trug kostbare Rosen, so wie in jenem Sommer, als meine Schwiegermutter mir augenzwinkernd einen Schein für den Friseur in die Hand gedrückt hatte.
Der Abend mit Richard war himmlisch gewesen. Ohne ständigen Blick auf die Uhr, weil der Babysitter noch nach Hause musste, entführte mein Mann mich ins Hotel Bellevue. Als Micha neun Monate später geboren wurde, schenkte meine Schwiegermutter mir ein breites Lächeln und sagte: „Darin bist du wirklich gut.“
Es wehte ein leichter Wind, denn es sah aus, als nickten mir die Rosen zu.
„Reise doch schon am Samstag an. Wir freuen uns“, sagte ich. „Und wenn Richard am Sonntagabend Paul von seiner Angeltour abgeholt hat, bereite ich den Fisch zu. Ich habe ein tolles Rezept gefunden. Du wirst begeistert sein.“