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Weekendfeeling

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19.03.2003
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Weekendfeeling

Das Telefon klingelte energisch. Ich stand noch vor der Haustür, bepackt mit dem Wochenendeinkauf, zwischen den Lippen zwei Briefe, die mir der Postbote netterweise nicht mehr in den Kasten stecken wollte, wenn ich schon da war. Das Schloss hakte, das Klingeln wurde schriller bis es endlich erstarb. Mein schlechtes Gewissen meldete sich, denn um diese Uhrzeit rief grundsätzlich seit Tagen nur eine Person an. Ich hatte den Anrufbeantworter absichtlich nicht eingeschaltet, weil es mir das Gefühl gab, mich behaupten zu können. Den Mantel kaum abgelegt, schrak ich zusammen, als das Telefon erneut aufheulte. Meine Hand zögerte, als ich den Hörer abnahm.
„Hier ist deine Schwiegermutter!“
Mir brach der Schweiß aus, mein Blick wanderte zu den noch nicht verstauten Vorräten. Die Tiefkühlpizza begann anzutauen. Aber egal, die Kinder sollten in der nächsten Stunde aus der Schule zurückgekehrt sein, sie würden zwar meckern, schon wieder, aber satt wurden sie trotzdem.
„Ich habe mich gefragt, wo du wohl bist“, näselte die Stimme und ich erlaubte mir tief Luft zu holen und zu entgegnen: „Einkaufen!“
Meine Schwiegermutter schnaufte ins Telefon.
„Es gab Rinderbraten im Angebot“, nuschelte ich.
„Wie bitte?“
„Dein Rezept ist göttlich und Richard liebt es, wenn ich das Fleisch danach zubereite.“
Schwiegermama seufzte theatralisch. Ich merkte, wie meine Hände feucht wurden, erinnerte mich, wie ich das erste Mal nach meiner Heirat, den Rinderbraten nach ihrem Rezept zubereitet hatte.
Sie hatte am Tisch gesessen, mit spitzen Fingern die Falten der Damastdecke geglättet. Anschließend hatte sie das Besteck mit der Serviette poliert, nicht ohne mich darauf hinzuweisen, dass ich Serviettenringe benötigte und dass man das Besteck entsprechend der Menufolge von außen nach innen legt. Kein Wort über das zarte Rosa des Fleisches, das auf der Zunge zergangen war wie schmelzende Butter.
„Ich hoffe, dir wurde kein altes Tier angedreht“, sagte sie endlich. „Ich habe gedacht, ich könnte schon morgen kommen, nicht erst am Sonntag. Ihr wisst doch, mir fehlt Paul sehr.“
Paul, mein Schwiegervater war ein imposanter Mann. Er lachte gern und viel, an seiner Seite war meine Schwiegermutter ein junges Mädchen, ihre Augen blitzten, der Haarknoten löste sich, statt ihrer sonstigen Strenge spürte man die tiefe Verbundenheit der beiden.
Ich seufzte innerlich. Schwiegermutters Halbmaststimmung griff nach mir, wie ein mächtiger Dornenbusch. Ich war hineingeraten, wie kam ich heraus? Sie hatte den Mann, den ich liebe, geboren. Sollte ich ihr sagen, dass ich keine Zeit für sie habe, weil mein Halbtagsjob und der Haushalt mich auffressen? Würde sie es verstehen, dass ich nicht die Kraft hatte, nur mit der Wimper zu zucken, wenn sie wie ein Feldwebel Kommandos erteilte? Sarah und Micha anwies, Ordnung in den Zimmern zu halten, das Waschbecken nach dem Zähneputzen mit klarem Wasser nachzuwischen, und selbstverständlich den Teller nach dem Essen in die Küche zu tragen?
„Sarah und Micha habe ich auch schon lange nicht mehr gesehen“, fuhr sie fort. Nur ein Stich. Aber der Stachel ritzte in meine Haut, dass es schmerzte.
Sollte ich ihr erklären, dass in der Pubertät Freunde wichtiger sind, als die Oma? Sie war doch selbst Mutter eines Sohnes, der ihr eine Reihe Mädchen ins Haus geschleppt hatte, ohne dass sie auch eines zu Gesicht bekommen hatte.
„Ich habe einen Pullover gestrickt, ganz modern“, hörte ich, als ich die Schnur des Telefons verknotete. Ihre Stimme entfernte sich, als ich an dem Kabel riss.
„Ich habe Sarah nach ihrer Lieblingsfarbe gefragt. Schwarz. Stell dir vor. Für ein junges Mädchen. Viel zu düster. Der Pulli ist in einem satten Gelb gehalten, in der Mitte mit einem grünen Zopf geflochten. Sie wird niedlich darin aussehen.“
Ich sah Schwiegermama vor mir. Die flinken Nadeln klapperten und es wuchs ein wolliges Ungetüm, dessen Arme bis an die Kniekehlen reichen würden.
„Das kann man krempeln, bis es sitzt“, pflegte sie zu sagen, als Sarah noch klein war und geduldig ausharrte, obwohl unter dem Halssausschnitt die Haut zu blühen begann. Sollte ich ihr sagen, alle jungen Mädchen tragen gerne Schwarz? Nicht nur in Zeiten der Trauer?
„Lilly bist du noch da?“ Ich gab mir einen Ruck. Meine Kinder liebten ihre Oma und das nicht nur wegen ihrer Angewohnheit, uns mit Spielzeug und Süßigkeiten bewaffnet, zu besuchen. Sie freuten sich und ich verstaute den dritten Hula-Hoop-Reifen auf dem Dachboden.
„Ihr könntet doch ausgehen! Ich hüte ein.“ Ich sah aus dem Fenster in den Garten. Die Rabatten leuchteten in allen Farben.
Ein im Winter unansehnliches altes Gestrüpp trug kostbare Rosen, so wie in jenem Sommer, als meine Schwiegermutter mir augenzwinkernd einen Schein für den Friseur in die Hand gedrückt hatte.
Der Abend mit Richard war himmlisch gewesen. Ohne ständigen Blick auf die Uhr, weil der Babysitter noch nach Hause musste, entführte mein Mann mich ins Hotel Bellevue. Als Micha neun Monate später geboren wurde, schenkte meine Schwiegermutter mir ein breites Lächeln und sagte: „Darin bist du wirklich gut.“
Es wehte ein leichter Wind, denn es sah aus, als nickten mir die Rosen zu.
„Reise doch schon am Samstag an. Wir freuen uns“, sagte ich. „Und wenn Richard am Sonntagabend Paul von seiner Angeltour abgeholt hat, bereite ich den Fisch zu. Ich habe ein tolles Rezept gefunden. Du wirst begeistert sein.“

 

Hallo Woltochinon :)

Andererseits, ja andererseits –

Sieht man das Ganze als eine auf eine bestimmte Situation ausgerichtete Geschichte, dann ist es bemerkenswert, dass die Frau trotz der Eigenheiten ihrer Schwiegermutter, trotz der Doppeldeutigkeit der Aussage „„Darin bist du wirklich gut“ auch die guten Seiten der Verwandten in die Waagschale wirft. Dies ist eigentlich das Geheimnis eines friedlichen (oder wenigstens sich arrangierenden) Zusammenlebens, entgegen all unserer Schrullen und persönlicher Variabilität.


Schön das du dies so gesehen hast. Danke

Trotzdem - eine etwas stärkere Pointe (im Rahmen des Perspektivwechsels), vielleicht etwas anekdotenartiges würde das Lesevergnügen, das auch wegen des schönen Stils durchaus vorhanden ist, erhöhen.

Ich arbeite dran.

Hi Aris, du hier und nicht in Copywrite? :susp:

da kam ich aus dem Lesefluss, da mir die Verbindung heirat - hackbraten zu dicht ist. zumindest muss da noch ein ZWischenschritt wie "immer wenn"
Wenn du aus dem Rinderbraten einen Hackbraten gemacht hast, muss ja was dran sein :hmm: oder du hast zu unkonzentriert gelesen.;)

Zitat:
obwohl unter dem Halssausschnitt die Haut zu blühen begann.

ich könnt dir ja sagen, dass haut nicht blüt, sondern nur pflanzen und so, aber keine haut. aber ich mag ja sowas. oder meintest du glühen?


Du darfst es mögen, denn Haut blüht, wenn sie eine (entzündliche) Reaktion (Allergie) zeigt. Das nennt man wirklich so.:)


und selbstverständlich den Teller nach dem Essen in die Küche zu tragen.

bringen. tragen hört sich zu mühselig und lang an, für einen leichten Teller


Für Kinder ist es manchmal schwer den Teller in die Kücke zu bringen. Außerdem finde ich tragen bildhafter als bringen.
ne geschichte, wo sich mal eine auf ihre schwiegermutter freut. gibts auch nicht alle tage. eher humoristisch angesiedelte, diese KG.

Bist du dir da so sicher :shy:


Danke fürs Lesen und Eure Gedanken :)


Lieben Gruß, Goldene Dame

 

So ich denke die Überarbeitung hat der Geschichte gut getan.
Eure Meinungen??? *WINKE*

 

Hallo Goldene Dame,

ich möchte noch etwas anmerken, was bei meiner ersten Kritik zu kurz gekommen ist. Deine Geschichte besticht durch eine treffende Wortwahl, man merkt, hier wurde nichts dem Zufall überlassen. Ein Beispiel:

„Ich habe mich gefragt, wo du wohl bist“, näselte die Stimme und ich erlaubte mir tief Luft zu holen und zu entgegnen: „Einkaufen!“

- die näselnde Stimme erzeugt ein (Hör-)bild, aber „ich erlaubte mir“ spricht Bände über die Beziehung und die momentane Gefühlslage der Frau.

Auch psychologische Aspekte werden ganz schlicht (aber passend) dargestellt:

„Ich hatte den Anrufbeantworter absichtlich nicht eingeschaltet, weil es mir das Gefühl gab, mich behaupten zu können.“


- eine kleine Verhaltensweise, doch sie sagt sehr viel aus. Man muss also nicht immer auf die Gefühlspauke hauen, um ein situationsbezogenes Gefühl zu veranschaulichen.


„nicht ohne mich darauf hinzuweisen, dass ich Serviettenringe benötigte und dass man das Besteck entsprechend der Menufolge von außen nach innen legt. Kein Wort über das zarte Rosa des Fleisches, das auf der Zunge zergangen war wie schmelzende Butter“

- Eine sehr typische Beobachtung: Das Verfälschen der Wahrheit durch Auslassung …

„Ich seufzte innerlich. Schwiegermutters Halbmaststimmung griff nach mir, wie ein mächtiger Dornenbusch“

- Ein guter, anschaulicher Vergleich, ergänzt sich gut mit dem „Stachel“, der die „Haut“ „ritzt“.

L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo Goldene Dame!

Deine Geschichte gefällt mir, besonders das Bild des im Winter unansehnlichen alten Rosenstrauchs, der im Sommer wieder in Blüte steht. Es ist sicher kein Zufall, dass der Blick der Ich-Erzählerin beim Gespräch mit der Schwiegermutter auf ihn fällt, denn in ihrem Unterbewusstsein symbolisiert er für sie die alte Schwiegermutter, die gleichsam wieder aufblüht, sich verjüngt, wieder einen Lebensfrühling oder -sommer erlebt, wenn sie als Babysitter noch kleiner Kinder wieder eine Mutterrolle übernimmt.
In dieser Mutterrolle (und auch aus anderen Gründen) wird sie jedoch von deiner Prota, deren Eifersucht sie erregt, als Konkurrentin empfunden. Und diese Konkurrenz empfindet sie als übermächtig, sie hat einen schweren Stand.
Ihr Konkurrenzverhalten zeigt sich auch daran, dass sie ihrem Mann Rindfleisch nach einem Rezept der Schwiegermutter kocht, es so der Konkurrentin gleichtun will. Erst am Schluss der Erzählung zeichnet sich eine Entwicklung zu mehr Selbstständigkeit und Lösung von der Konkurrentenrolle ab, als sie nach einem Rezept, das nicht von der Schwiegermutter ist, sondern das sie selbst gefunden hat, einen Fisch zubreiten will. Dieser Fisch symbolisiert ihre Kinder, in deren Erziehung sich die Schwiegermutter ja auch einmischt. Der Fisch hat - wohl oder übel - als er geangelt wurde, das Licht der Welt erblickt, wie die Kinder, die sie geboren hat. Und der Fisch wird von ihrem Mann zu ihr ins Haus gebracht, ihm verdankt sich also die Existenz des Fisches, Paul ist gleichsam der Vater. Wie sie diesen Fisch nach ihrem Rezept, nicht nach dem von der Schwiegermutter zubereiten will, will sie auch ihre Kinder gleichsam selbst fürs Leben zubereiten, also erziehen.

Grüße gerthans

 

Hallo Woltochinon,
Danke dass du dir noch mal die Zeit genommen hast.:)

Deine Geschichte besticht durch eine treffende Wortwahl, man merkt, hier wurde nichts dem Zufall überlassen.
Ein großes Lob über dass ich mich sehr gefreut habe. Mir erschien die Geschichte eine wenig zu "kopflastig", weil ich sehr lange an den Formulierungen gefeilt hatte. Diese Geschichte ist übrigens meine erste in diesem Stil.

Hallo gerthans,
Ich habe mich sehr gefreut, dass du mal wieder eine von meinen Geschichten kommentierst. Das Bild vom alten Rosenstrauchist allerdings weniger aus psychologischen Gründen entstanden. Ich habe nur eine Methapher aufbauen wollen, die tatsächlich ein Symbol für die Beziehungen insbesondere die zur Schwiegermutter ist.
Eifersucht spielt bestimmt eine große Rolle im Zwist zwischen Schwieger-mutter und - tochter. Ich denke aber nicht, dass die Schwiegertochter aus Konnkurrenz den Rinderbraten kocht. Es sollte eher ein Zeichen der Wertschätzung der jüngeren Frau an die Ältere sein. Vielleicht hat die Schiegermutter es als Konkurrenz empfunden...;)

Danke für deine Überlegungen

Lieben Gruß, Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,
lieben Gruß an Deine Schwiegermutter, Du musst sie ja gern haben. Eine sehr positive Geschichte. Sie gefällt mir. Ich habe zwar erwartet, das die Schwiegertochter der Mutter ihres Mannes gehörig die Meinung sagt und das hätte mir gefallen, aber dieses Ende ist so schön,dass es ein bissel berührt.

Gruß JH.Rilke

 

Hallo JH Rilke :)

lieben Gruß an Deine Schwiegermutter, Du musst sie ja gern haben.
Wie kommst du auf einen autobiografischen Hintergrund :D

Ich habe zwar erwartet, das die Schwiegertochter der Mutter ihres Mannes gehörig die Meinung sagt und das hätte mir gefallen, aber dieses Ende ist so schön,dass es ein bissel berührt.

Freut mich, woanns gefoalln hat.:)

Danke für deine netten Worte.

Lieben Gruß, Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

Menschen sind nicht nur besitzergreifend, regulierend und schlecht. All den negativen Gedanken deiner Protagonistin stellt sie selbst zum Schluss auch die positiven Erfahrungen gegenüber.
Die Schwiegermutter selbst hat damit fast nichts zu tun, denn es scheint nur die eigene Überforderung zu sein, aus der die Wertungen resultieren.
Die Ansprüche, die sie selbst an sich stellt werden von der Umgebung reflektiert oder in sie projiziert. Natürlich sind sie auch vorhanden, aber es liegt ja auch immer an der eigenen (Tages)form, sich ihnen zu widersetzen.
So kann sich der Blick deiner Protagonistin während des Telefonats wandeln, vielleicht auch, weil sie während des Gesprächs zu Besinnung kommt, die Einkaufstaschen unwichtig werden und neben der Belastung auch Entspannung im Raum steht.
Die Veränderung findet in der Protagonistin statt, nicht in der Umwelt. :)

Schön eingefangen.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim

Menschen sind nicht nur besitzergreifend, regulierend und schlecht. All den negativen Gedanken deiner Protagonistin stellt sie selbst zum Schluss auch die positiven Erfahrungen gegenüber.
Die Veränderung findet in der Protagonistin statt, nicht in der Umwelt.

Schön, dass du es so gesehen hast. :)


Schön eingefangen
Danke :shy: fürs Lesen und deine Gedanken. Hab mich gefreut.

Lieben Gruß, Goldene Dame

 

Hallo G.D.,
nette, kurze Geschichte, die einmal mehr das Problem Tochter / Schwiegermutter thematisiert. Gut geschrieben; passend. Ich denke, dass sich zu dieser kg gar nicht viel mehr sagen lässt. Sie liest sich schön zwischendurch. Für mehr fehlt es leider an Details. So etwas wie Ereignisse, die die Mutter zu einem solchen Menschen gemacht haben etc. Aber das muss ja gar nicht sein.
Gern gelesen. Und ich hoffe mal, dass mein Alltag irgendwann nicht so aussehen wird ;) Ich will ne nette Schwiegermutter *g*

Einen lieben Gruß....
morti

 

Hallo morti,

Danke fürs Lesen dieser Geschichte :)

Und ich hoffe mal, dass mein Alltag irgendwann nicht so aussehen wird Ich will ne nette Schwiegermutter *g*

Schau dir die Schwiegermutter genau an ;) Vielleicht wird deine Frau im Alter genau diese Züge tragen) :D

Gut geschrieben; passend. Ich denke, dass sich zu dieser kg gar nicht viel mehr sagen lässt. Sie liest sich schön zwischendurch. Für mehr fehlt es leider an Details. So etwas wie Ereignisse, die die Mutter zu einem solchen Menschen gemacht haben etc.

Ja,könnte man, aber der Fokus ist ein anderer gewesen.

Lieben Gruß, Goldene Dame

 

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