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Weißwurst und Bier (Ext. Edition)
Hier sitzen wir also, bei Sauerkraut, Weißwurst und Weizen – wie im Fiebertraum eines Goebbels oder Himmlers, der ganzen Nazi-Bagage. Im Biergarten. Unser Territorium ist der Stammtisch! Hitler eine Mücke am Ohr, die traurige Worte sirrt: Die Joden!
Neben mir Hendrik, mein Nachbar von oben, wir beide (er: IT, ich: Consultant) können‘s uns leisten, im gentrifizierten Altbauviertel zu leben. Er hatte dieses Tribal-Tattoo aus den Neunzigern: der Rave-Man! – das haben sie ihm ausgebrannt, oder besser: abgeschleift wie ein Gang-Abzeichen, seinen Hals aufs Motorrad gelegt, dann Gas gegeben, bis die Haut qualmt. Wochenlang in Mull verpackt, jetzt lächelt er. Ein Prosit. Ein Prosit! Er schlürft sein Weißbier … Blickt aber nicht auf. Man sieht die Narbe.
Mein Magen grummelt.
Unter Platanen, im Schatten angenehm kühl. Links palavern Araber, ihre Stühle zu nah an unseren; sie fluchen über die Hitze, trinken Tee, der wie Urin leuchtet. Riecht auch so, Terroristen! Rechts hocken die Neger an ihrer Sitzbank, reden auf reinstem Hochdeutsch über das Wetter und die Wahlen; das dürfen sie, noch, aber es ärgert mich trotzdem. Der Gedanke an diesen Tag als Laura, meine Ex von Anno Dazumal, die ich noch liebe, zu mir herkam, blutend am Kopf, die Treppen hochgestolpert, von unten aus der Einkaufsmeile, die tagsüber zu laut und nachts zu grell ist, dass man die Vorhänge zuziehen muss, ein KIK, ein FOOTLOCKER, ein MCDONALDs, schreiende Leuchtbuchstaben – wo zwei oder drei Dunkelhäutige ihr die Dreadlocks ausgerupft haben wie Federn. Menschen von Farbe … Tja.
»Früher war’s irgendwie besser …«, meine ich.
»Doppelplusgut, was?« Hendrik zögert, ehe er das Glas hebt.
»Ha! Gesichtserker und Weltnetz.«
»Wusstest du, dass Historiker –«
Brausend senkt sich eine Polizeidrohne zu uns herab, meldet: »Laut Gesprächsprotokoll wurde ein verbotenes Wort benutzt, das im Paragraphen …«
Ich zücke mein Smartphone und zahle per QR-Code. »Hm?«, frage ich unbestimmt.
»Graubrot«, erklärt er, »das gab’s schon bei den Kelten.«
»Gottlob! Vom Sauerkraut kriege ich Durchfall, ständig.«
Wir stoßen an.
»Dafür werden jetzt Kartoffeln verboten … Tomaten auch. Ab nächster Woche nur noch Rüben für uns.« Er lacht heiser auf!
»Was?«, rufe ich. »Es gibt doch nichts Deutscheres als die.«
»Hat Kolumbus von den Indianern mitgebracht.«
Ich höre erneut die Drohne sirren. »Ach, verdammt.«
»Tja«, grient er mich an. »Wir leben in verrückten Zeiten.«
Sie bekommen eine Geldstrafe von einem Credit, wegen Verstoßes gegen das verbale Moralitätsstatut!
— Demolition Man, Film (1993)
Kulturelle Aneignung ist Grundlage jeder Zivilisation.
— Rüdiger Schaper