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Weißwurst und Bier (Ext. Edition)

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21.04.2004
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Weißwurst und Bier (Ext. Edition)

Hier sitzen wir also, bei Sauerkraut, Weißwurst und Weizen – wie im Fiebertraum eines Goebbels oder Himmlers, der ganzen Nazi-Bagage. Im Biergarten. Unser Territorium ist der Stammtisch! Hitler eine Mücke am Ohr, die traurige Worte sirrt: Die Joden!
Neben mir Hendrik, mein Nachbar von oben, wir beide (er: IT, ich: Consultant) können‘s uns leisten, im gentrifizierten Altbauviertel zu leben. Er hatte dieses Tribal-Tattoo aus den Neunzigern: der Rave-Man! – das haben sie ihm ausgebrannt, oder besser: abgeschleift wie ein Gang-Abzeichen, seinen Hals aufs Motorrad gelegt, dann Gas gegeben, bis die Haut qualmt. Wochenlang in Mull verpackt, jetzt lächelt er. Ein Prosit. Ein Prosit! Er schlürft sein Weißbier … Blickt aber nicht auf. Man sieht die Narbe.
Mein Magen grummelt.
Unter Platanen, im Schatten angenehm kühl. Links palavern Araber, ihre Stühle zu nah an unseren; sie fluchen über die Hitze, trinken Tee, der wie Urin leuchtet. Riecht auch so, Terroristen! Rechts hocken die Neger an ihrer Sitzbank, reden auf reinstem Hochdeutsch über das Wetter und die Wahlen; das dürfen sie, noch, aber es ärgert mich trotzdem. Der Gedanke an diesen Tag als Laura, meine Ex von Anno Dazumal, die ich noch liebe, zu mir herkam, blutend am Kopf, die Treppen hochgestolpert, von unten aus der Einkaufsmeile, die tagsüber zu laut und nachts zu grell ist, dass man die Vorhänge zuziehen muss, ein KIK, ein FOOTLOCKER, ein MCDONALDs, schreiende Leuchtbuchstaben – wo zwei oder drei Dunkelhäutige ihr die Dreadlocks ausgerupft haben wie Federn. Menschen von Farbe … Tja.
»Früher war’s irgendwie besser …«, meine ich.
»Doppelplusgut, was?« Hendrik zögert, ehe er das Glas hebt.
»Ha! Gesichtserker und Weltnetz.«
»Wusstest du, dass Historiker –«
Brausend senkt sich eine Polizeidrohne zu uns herab, meldet: »Laut Gesprächsprotokoll wurde ein verbotenes Wort benutzt, das im Paragraphen …«
Ich zücke mein Smartphone und zahle per QR-Code. »Hm?«, frage ich unbestimmt.
»Graubrot«, erklärt er, »das gab’s schon bei den Kelten.«
»Gottlob! Vom Sauerkraut kriege ich Durchfall, ständig.«
Wir stoßen an.
»Dafür werden jetzt Kartoffeln verboten … Tomaten auch. Ab nächster Woche nur noch Rüben für uns.« Er lacht heiser auf!
»Was?«, rufe ich. »Es gibt doch nichts Deutscheres als die.«
»Hat Kolumbus von den Indianern mitgebracht.«
Ich höre erneut die Drohne sirren. »Ach, verdammt.«
»Tja«, grient er mich an. »Wir leben in verrückten Zeiten.«


Sie bekommen eine Geldstrafe von einem Credit, wegen Verstoßes gegen das verbale Moralitätsstatut!
— Demolition Man, Film (1993)


Kulturelle Aneignung ist Grundlage jeder Zivilisation.
— Rüdiger Schaper

FIN​

 

Webby hatte mir - zu Recht - die erste Version wegen Kürze und Unausgewogenheit gekillt. Hier die neue Version.

 

@Dante

Vielleicht muss man sich solche mehr schlecht als recht gemachten Provokationen einfach von der Seele schreiben
Da stellt sich mir die Frage nach dem Motiv. Wer provoziert (dich?)? Was provoziert (dich?)? Warum ist es eine Provokation (offenbar fühlst du dich als Autor und/oder Mensch provoziert)? Wen willst du provozieren? Oder willst du motivlos provozieren?

Der Text ist kaum länger als der erste. Ich sehe nicht wirklich den Unterschied und kann ihn noch nicht mal als Provokation auffassen. Du würfelst Begriffe in den öffentlichen Leseraum, lässt die Würfel liegen und schaust mal zu, was passiert. Ist das Thema so unwichtig, dass ein paar Würfel genügen?

Will der Text auf ein von dir erkanntes Problem hinweisen? Wenn ja, wie? Ist ja kaum Kontext dabei. Welche Conclusio sollen sich Lesende zusammenklauben, wenn da kaum was steht? Aus dem Tag SF erraten, dass es am Tag x noch immer irgendwie ... ja, wie ist es denn? Sind ja nur zwei Hempel inmitten von Millionen.

Ganz ehrlich? Das wird ein Schuss ins Knie, in den Ofen. In der Tat könnte man mehr draus machen wie die Nuhrs und die anderen Totalverweigerer eines offenbar nachhaltigen Wechsels der Sprache. Beispielsweise, in dem du zeigst, wie schwer es fällt, seine Sprache zu ändern. Ob man reflektiert und sich selbst Gründe dafür erarbeitet - ohne auf die eine oder andere Seite der Medaille zu hören. Ob man überlegt, was man früher von Mami vorgelesen bekam, von Oma hörte, wen Opi verunglimpfte und ob man diese Klischees bei sich selbst den Wörtern zuordnet. Ob man die Urteile und Wertungen in sich entdeckt.

Das sind Konflikte bei nicht wenigen von uns und wäre eine Geschichte wert. Aber so dürftig wie oben, in dieser Form ... nee, sorry, damit kann ich nichts anfangen.

Grüße
Morphin

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin Morphin,

jau, auf den ersten Blick ist/wirkt der Text recht schlampig und "holzhammerisch"^^; das ist eben genau diese vordergründige Provokation, die ein solches Reizthema - hier: "Cultural appropriation" mit sich bringt. Als Autor weiß man schon vorher, dass man Prügel beziehen wird ... :D Deshalb will ich auch nicht mehr Zeit investieren, das Teil sauber ans Laufen zu kriegen - und weil ich nicht mehr Zeit investiere, ist der Text halt so schlampig gemacht. :D Da beißt sich die Schlange in den Schwanz^^. Aber auch, weil das Thema schon an anderer Stelle "totgekämpft" worden ist ...

ABER! Der Text enthält viele "Sprunganker" zu den Verwerfungen, die eine - meiner Meinung nach - völlig überzogen angewandte Kritisierung von Personen nach sich zieht, die Mode, Riten, Lebensweisen usw. anderer "Völker" übernommen haben - oft aus Bewunderung heraus; weil man es schön findet. Oder auch: "Ein Plagiat ist die höchste Form der Anerkennung." Die Übernahme von fremder Kultur in den eigenen Kulturkreis ist, meiner Meinung nach, etwas Gutes. Kultureller Austausch, wie im Zitat unten, bringt die Zivilisation voran, ermöglicht sie evtl. sogar erst.

Allein, dass man jetzt wieder mit dem Völkerbegriff arbeiten muss, zeigt eigentlich die reaktionäre Denkweise, die längst überwunden schien. Jetzt macht man sich wieder Gedanken, ob "Weiße" überhaupt "Dread Locks" tragen dürfen - oder Tribal-Tattoos.

Ich habe in meinem Schlaglicht einfach diese Zutaten genommen und in ein knappes Szenario gegossen. Die beiden Protagonisten müssen sich - so wie ich - tatsächlich wieder Gedanken übers "Deutschsein" machen, über die eigene "Kultur". So was im 21ten Jahrhundert.

Aktuell sind die Zeitungen voller Artikel, in denen z.B. Rednerinnen von Veranstaltungen ausgeschlossen werden, weil sie eben Dread Locks tragen. Von Leuten, die meinen, dass wir "ihre Tattoos" nicht verdient haben, wir alten Kolonialherrscher. Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus - und deshalb habe ich diesen Text, wohl mehr für mich als für euch, geschrieben.

Trotzdem halte ich ihn für lesenswert, sonst hätte ich ihn nicht erneut gepostet ... und ich finde ihn auch lustig; ich habe die letzten Tage immer wieder dran denken müssen und geschmunzelt, weil er so schön grotesk ist. Dort hocken jetzt wieder alle in ihrer eigenen Kulturblase und hassen sich gegenseitig. Super Zukunft! :D

Und nein, ich habe noch keine felsenfeste Meinung zu den aktuellen Debatten. Ich versuche, mir nur ein Bild zu machen, sehe aber auch eine ganze Reihe an Gefahren, die unreflektierter Aktionsmus mit sich bringt.

Nun ja.

 

Servus @Dante,

also ... was ich in 22 Jahren kurzgeschichten.de/wortkrieger.de unter anderem gelernt habe, ist, dass wenn ich meinen Text erklären muss, er noch nicht ganz sauber ausgearbeitet ist. Na gut, du schreibst ja selbst, dass er etwas unausgegoren rausgehauen ist. Kommen wir mal zu diesem Punkt:

Die beiden Protagonisten müssen sich - so wie ich - tatsächlich wieder Gedanken übers "Deutschsein" machen, über die eigene "Kultur".
Sie müssen sich - so wie sie in aller Kürze im Text gezeichnet werden - deshalb darüber Gedanken machen, weil ich sie nicht für die hellsten Kerzen auf der Torte halte. Was soll ich sagen? Wenn sich diese beiden - oder sie stellvertretend für dich - diesen 'Kampf' aufzwingen lassen, dann ist das halt so. Ich lasse ihn mir nicht aufzwingen. Dreadlocks auf irgendwelchen Veranstaltungen? Hatten wir schon vor vierzig Jahren. Seit ich Syrer, Ägypter, Eritreer und sonst was kenne und wöchentlich in meiner Küche habe, lerne ich deren Essen zu kochen, denn Essen bringt Menschen zusammen. Nicht mehr und nicht weniger.

Dein Text beinhaltet aber nicht nur die Erwähnung von 'kultureller Aneignung', er hat auch die momentane Evolution der Sprache im Gepäck. Warum die Kombination? Eine Geschichte über manch absurde Aufreger wie Dreadlocks oder ich darf kein thailändisches Essen mehr kochen, kann man schön in eine Satire packen. Oder auch in eine Alltagsgeschichte. Gerade aber weil du nicht SATIRE als Tag verwendest, musst du dich drauf verlassen, dass alle deinen Text SO verstehen, wie du ihn im Kommentar beschreibst. Ist das nicht der Fall, haben wir ein Mix aus Klischees, den Wörtern, die wir nicht mehr ohne Kontext/Kommentar oder literarischen Sinn verwenden wollen und einer sehr interpretierbaren Basis - je nach Weltanschauung.

Als Autor:in habe ich - meine Sichtweise - eine Verantwortung, denn Worte bleiben. Und sie können gut gemeint und falsch verstanden werden. Auch gewollt falsch verstanden und gewollt gut gemeint. WENN ich also die heißen Eisen ins Feuer werfe, darf ich es mir nicht zu leicht machen. Selbst eine Satire ist ein hochkomplexes und durchdachtes Unterfangen - was dein Text aber nicht ist.

Ich kann also dein Motiv (im Kommentar) nicht nachvollziehen.

Grüße
Morphin

 

Hey Morphin,

für mich sind diese "Sprach-Aufräumarbeiten" ein Teil der ganzen "Cancel Culture", unter die auch diese "Cultural appropriation"-Diskussion fällt. Das mag Auslegungssache sein ... Letztlich geht es ja darum, neue Denk-, Sprech- und Verhaltensweisen zu diktieren, um die Gesellschaft von ihren "Altlasten" zu befreien ... Weder "Neger" noch "Indianer" sind für mich beleidigende Schimpfworte, sondern Anachronismen. Und nur weil sich irgendwer irgendwo irgendwie möglichweise davon beleidigt fühlen könnte, wäre das für mich kein Grund, sie ganz aus der Sprache zu verbannen. (Wobei "Neger" nun wahrlich in die Mottenkiste gehört und dort auch liegenbleiben kann; aber ich würde nicht soweit gehen, in ein bestehendes Werk einzugreifen - da hat man auch ganz schnell "Moby Dick" verhunzt^^.) Aber gut. Alles persönliche Ansichten und schon zu weit von der eigentlichen "Story" entfernt.

In die Sprache aktiv einzugreifen, ist immer heikel. Ich habe das kurz angerissen mit dem "Doppelplusgut" und dem "Gesichtserker" und dem "Weltnetz", was dann wieder auf rechtsradikale Denke bzw. "Denkwelten" abzielt, aber auch ironisch durchbrochen sein kann - wie z.B. bei einer recht aktuellen Liste im "Der Postillon", der u.a. französische Worte wieder eindeutscht; was zum Schreien komisch ist ... ;)

also ... was ich in 22 Jahren kurzgeschichten.de/wortkrieger.de unter anderem gelernt habe, ist, dass wenn ich meinen Text erklären muss, er noch nicht ganz sauber ausgearbeitet ist.
Da ist wahrlich was dran.

Grüße!

 

Nabend @Dante,

puh, also da ist eine Menge drin im letzten Kommentar. Zunächst würde ich sagen, gehört das darüber reden zu deinem Text, denn er beinhaltet ja die 'sich verändernde Sprache' als Thema. Zum anderen sind wir ja ein Literaturforum; wer, wenn nicht wir, sollte anhand eines Textes, seiner Aussagen bzw. der Aussagen in den Kommentaren des Autors darüber diskutieren. Ja, natürlich noch viele andere. Ich kenne einen ehemaligen Mitarbeiter des Institutes der Deutschen Sprache ganz gut, stehe regelmäßig mit ihm in Kontakt. Auch dort wird sehr breit, lange und intensiv darüber diskutiert; wie fast überall.

Ich möchte erst mal berichten, was mir im Laufe meiner Lebenszeit begegnete. Noch sehr deutlich steht mir das Jahr 1977 in Erinnerung, in North-Carolina, der Kumpel meines Onkels. Mein Onkel stellte ihn als seinen 'Indianer-Freund' vor (sie waren zusammen in Vietnam). Aber er sagte am Barbeque-Abend, spät, als nur noch meine Cousine, er und seine Frau am Tisch saßen, er wäre ein Cherokee. Seine Vietnam-Kumpel dürften 'Indianer' sagen. Aber er sei nun mal nicht identisch mit den tausend anderen Stämmen, sondern ein Cherokee. Es war für ihn eine Frage des Stolzes und ich war vierzehn.

1991 war ich wieder dort drüben. Colorado, Wyoming, South-Dakota. Dort habe ich im Laufe der Wochen eine Menge Aluhüttendörfer in der Pampa gesehen, völlig vermüllt, mit betrunkenen und verwahrlosten Menschen. In Lander, WY, saß ich morgens nach dem Einkauf in einer Kneipe neben zwei Ureinwohnern, die völlig betrunken waren. Ein Gespräch war kaum möglich, aber sie sprachen mich an, weil sie hörten, dass ich nicht aus den USA komme. Es waren Sioux der Oglala-Stämme. Das war für sie wichtig. Trotz arbeitslos und warum auch immer keine Perspektive (ein Ranger erklärte mir später, sie säßen nur rum, tränken und täten nichts). Die Bezeichnung jedenfalls war ihnen wichtig.

In Denver traf ich eines Tages kurz vor Mitternacht ein, fand kein Hotel mehr und wollte schon draußen übernachten, als zwei schwarze Frauen mich in eine Kneipe voller Schwarzer mitnahmen. Als naives deutsches Weißbrot kam ich mir schon reichlich seltsam vor, aber reden half, mich denen um mich herum zu nähern - okay, und Alkohol. Bis ein Trupp Polizisten das Lokal mitten in der Nacht stürmte und ich in meinem Dunst dutzende Male verächtlich das Wort 'Nigger' hörte, ne Menge abgeführt wurden und man mich belächelte und auf die Straße setzte. Die beiden Frauen jedenfalls sagten deutlich: we are black people.

Ich erinnere mich an meine Großmutter, die Frau vom Nazi-Mann. Sie war bis zu ihrem Ende im Geiste beim BDM. Für sie waren schwarze Menschen Neger, die mit den langen Nasen Juden, die Zigeuner klauten alles, was nicht niet- und nagelfest war und da gab es noch etliche Worte für den nichtarischen Teil der Menschheit. Das war in den 60ern, 70ern, 80ern, dann starb sie. Ihre Worte haben sich bei ihren Kindern fortgepflanzt und auch die Bilder, die mit diesen Worten verknüpft waren.

Die Bilder, die von Worten transportiert werden und vielleicht nicht von @Dante so verstanden, aber von vielen anderen immer noch.

Als ich über meinen Nazi-Opa die ganzen Fakten ausgrub und eines Tages öffentlich präsentierte, bekam ich Zuspruch - und es hagelte Hass. Briefe, Postkarten, die Neger und Juden, die Zigeuner, leider nicht alle erwischt, der Untergang des Abendlandes, ich Verräter, Familienschande. Langsam wurde mir bewusst, dass, wenn ich diese Worte ebenfalls benutze, ich mich nicht vom Transport der darin versteckten Botschaften und Bilder trennen kann, sie also - trotz anderer Gesinnung - ebenfalls transportiere. Denn ich kann nicht sagen: Ich sage Neger, meine es aber anders ... das würde zu einer Relativierung führen und den Leuten, die es noch so meinen, eine Möglichkeit des Ausweges schaffen. Genau das finden wir heute ja sehr oft (Gauland > Boris Beckers Sohn oder der Fußballspieler); also das Wort sagen (damit wird es in Erinnerung gerufen, die Botschaft transportiert) und dann wird zurückgerudert und relativiert.

Als Landwirt habe ich im Winter oft Autos oder Anhänger aus Gräben gezogen, besonders auf dem Weg zum Sinti- und Roma-Parkplatz sind oft Wohnanhänger in den Graben gerutscht (Schnee, Glatteis), und sie baten mich, ihnen zu helfen. Dann gab es Tee, Kaffee, Kekse im Anhänger - und Musik. Sie sagten immer Sinti und Roma und deren Derivate. Ich dachte im Kopf immer das Wort Zigeuner, aber so nannten sie sich nicht. Kein einziges Mal. Es mag welche geben, die das tun, aber es ist nicht die Mehrheit. Es gibt auch den berühmten schwarzen Koch in Hamburg, dem es nix ausmacht, Neger genannt zu werden (und der natürlich von Poschards und BILD und dergleichen immer ausgegraben wird), aber es ist nicht die Mehrheit.

Im Übrigen hat man sich darauf geeinigt - und das wird auch so praktiziert - dass bspw. alte Filme aus den 60ern oder 70ern mit einem Vortext versehen werden, der in etwa so geht: In diesem Film werden Worte verwendet, die in ihrer Zeit Usus waren, aber dies und das Klischee enthalten, von den angesprochenen Menschen in der Mehrheit nicht akzeptiert werden usw. usf.

Das heißt, Film oder Buch werden durch einen solchen Hinweis in einen Kontext gestellt. Du liest das Buch, findest es gut (oder schlecht), und dir ist bewusst, dass es aus einer Zeit x ist und diese Worte dies und das bedeuten. Das nennt man einordnen. Den Menschen wird durch eine darauf bedachte Sprache die Möglichkeit gegeben, Begriffe einzuordnen IN ihre Zeit. Und das ist ein Teil von Bewusstmachung.

Und jetzt kommen wir zum Punkt: Menschen, die solche Worte benutzen, um auszugrenzen, herabzusetzen, zu entwürdigen, benutzen diese Worte BEWUSST. Und genau DESWEGEN nehmen die anderen Menschen, die das NICHT wollen, diese Worte a) bewusst heraus oder setzen sie BEWUSST in einen Kontext.

Ein anderer Punkt kommt noch erschwerend hinzu. Das Bewusstsein für Sprache, das Bewusstsein, WER zu sein in dieser Welt, wurde durch das Internet extrem befördert. Immer mehr Menschen spüren und erfahren, dass sie eine Familie sind, auf einer Welt, und dass Sprache eines der Mittel war, dies zu verhindern, zu trennen, genau durch solche Kategorisierung. Es ist nicht mehr nur den Sinti und Roma um die Ecke bewusst, sondern allen. Und allen Schwarzen. Und allen Ureinwohnern in Südamerika. Und genau deswegen beginnt Sprache sich zu verändern, um genau diese alten Kategorisierungen, Ausgrenzungsmethoden und -begrifflichkeiten zu beseitigen. Und genau DAS fürchten die Ewiggestrigen, die Besitzstandswahrer. Egal ob verkappte Ariernachfolger, Neoliberale, religiöse Fanatiker oder Faschisten aller Art. Sprache ist das Wahl der Mittel, um zu trennen, zu separieren.

Deswegen muss diese Sprache, müssen diese Worte erkannt und ertappt werden, um sie - wie ich es am besten finde - in einen Kontext zu stellen, WENN ich sie benutze. Und genau DAS ist meine Verantwortung als Autor oder Autorin. So wie du es argumentierst, schiebst du all die Entwicklungen einfach beiseite und sagst: Also ICH beleidige niemanden. Aber du bist eben nicht alleine auf diesem Planeten.

Grüße
Morphin

 

NAbend Morphin,

vielen Dank für deine Gedanken und Argumente. :) Ich kann sie natürlich nachvollziehen, ich sperre mich auch nicht gegen eine gewisse - nun - "Sensibilität" im Umgang mit Worten.

Aber - Sprunganker - hängt an allen Worten eben eine Kette aus tatsächlichen Ereignissen, die ich nur bedingt so akzeptiere. Beispielsweise die Rede von "Bettina Jarasch", die, Zitat, "auf dem Grünen-Parteitag von Landesparteichef Werner Graf gefragt [wurde], was sie als Kind gern geworden wäre. Jarasch antwortete demnach mit „Indianerhäuptling.“ (21.3.2021)

Das war also nicht abwertend, sondern wertschätzend gemeint. Trotzdem musste sie sich öffentlich entschuldigen ... als wäre "im Wort selbst" schon eine Diskriminerung inhärent. Und das finde ich gefährlich.

Zurück zu meiner Story, die unter diesen Gedanken wohl komplett zusammenbrechen würde^^: Hier werden die Begriffe aus Trotz verwendet. Ob das auch für den Autor gilt, sei der Interpretation überlassen ... ;)

 

Nabend @Dante,

ich kenne das Geschilderte nicht, auch nicht Bettina Jarasch, aber das ist natürlich auswechselbar, sowohl Personen als auch Orte und Sätze. Wenn du das von dir im Text Angesprochene mal vor dir auf den Boden legst, das ganze Thema und du nun auf eine Leiter kletterst, immer höher, dann weitet sich der Blick.

Stets begleiteten bei Änderungen in der Geschichte die Extreme beiderseits die Änderungen, vor allem zu Beginn der Veränderung. Von oben betrachtet, hat Frau Jarasch - vielleicht dankbar für diese Frage (nervös) - einer Gewohnheit, Routine folgend das gesagt, was sie durch ihre hindurch Kindheit gesagt hat. Ohne in DIESEM Moment das Bewusstsein dafür zu haben, auf was oder wen das Wort in einer Phase des Umbruchs trifft. Und dieser Graf oder wer auch immer, hat das - möglicherweise ausgenutzt - um sich zu profilieren oder hervorzuheben, wie sehr darauf geachtet wird.

Und nun kommen wir zu dir als Autor und deinem Text. Gerade in einer solchen Phase des Umbruchs, der Unsicherheiten, des Vorsichtigseins, ist es erforderlich, den Wechsel bewusst zu machen, in dem bspw. in Geschichten diese Konflikte benannt werden. Ältere Menschen, die damit nicht zurechtkommen, auf junge Menschen treffen, die sich kein Bild von der damaligen Erziehung machen und wie schwer man sich lösen kann ... damit macht man es Menschen wie Jarasch einfacher und anderen, wie Graf (wenn er es war) zeigt man, dass auch eine andere Reaktion möglich ist. Man kann als Autor mit dazu beitragen, den harten Wind aus den vielen Segeln zu nehmen, um erst mal zu sehen, woher kommt es, dass Menschen Begriffe wie 'Neger' oder 'Zigeunersauce' oder was weiß ich zu benutzen. Wenn du dich in deinem Text auskotzt, hat er nur eine Wirkung: bestätigt entweder die eine oder die andere Seite, klärt aber nichts.

Leider ist es halt so, dass die Poschards ganz genau auf solchen einen Augenblick warten, wo ein Einzelner oder ein paar wenige Fridays sagen, Dreadlocks = kulturelle Aneignung und eine Sängerin wird ausgeladen. Millionen andere Fridays-Mitglieder sagen sich: Hä? Was soll der Mist? Aber ab diesem Moment ist die ganze Bewegung zum Abschuss freigegeben, obwohl ihnen Dreadlocks oder nicht am Hintern vorbeigehen. Das heißt, überall stehen heiße Suppentöpfe, Tretminen, die jederzeit überkochen und hochgehen können, egal in welche Richtung, egal aus welcher Richtung. Da ist es immer klug, seinen Unmut ein wenig zu lenken. Und ebenso ist es mit den Unwörtern.

Grüße
Morphin

 
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Wenn du dich in deinem Text auskotzt, hat er nur eine Wirkung: bestätigt entweder die eine oder die andere Seite, klärt aber nichts.
Richtig. Was die Frage aufwirft, ob man zu diesem Thema einen Text schreiben kann, der beide "Fronten" versöhnt: Der sauber recherchiert und gut gemacht ist - und auch eine konstruktive Wirkung erzielt. Oder aber^^:
Das heißt, überall stehen heiße Suppentöpfe, Tretminen, die jederzeit überkochen und hochgehen können, egal in welche Richtung, egal aus welcher Richtung.
Man man vorne herein "auf verlorenem Posten kämpft". (Die martialische Wortwahl ist gewollt und soll einen satirischen Charakter haben.^^)

Der Dante.

 

Hallo Dante.
Ich bin einigermaßen verwirrt, da ich die Story nur mit Mühe unter dem Oberbegriff
Science Fiction einordnen kann. Eure Diskussion entzündet sich in großen Teilen an "political
corectness u.ä.

... Beispielsweise die Rede von "Bettina Jarasch", die, Zitat, "auf dem Grünen-Parteitag von Landesparteichef Werner Graf gefragt [wurde], was sie als Kind gern geworden wäre. Jarasch antwortete demnach mit „Indianerhäuptling.“ (21.3.2021)
Fand ich auch bescheuert.

Was man als SF Element ansehen könnte, sind natürlich die Drohnen, die sozusagen akustische Strafzettel verteilen. Gute Idee, wie ich finde. Allerdings haben sie in China vor einiger Zeit Verstöße gegen Lockdowns auf die Art bekämpft.

Ebenso gefällt mir der Humor, der hin und wieder aufblitzt. Schwarz, aber gut.

eine Mücke am Ohr, die traurige Worte sirrt: Die Joden!
Der Text lässt sich gut weglesen, ist aber wirklich zu kurz. Du schreibst, die erste Version sei
noch kürzer gewesen. 5 Sätze und Schluss?
Noch 'ne Kleinigkeit:
... man die Vorgänge zuziehen ...
Soll vermutlich Vorhänge heißen.
Schöne Grüße
Harry

 
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„Die Sprache ist die Mutter, nicht die Magd des Gedankens.“ Karl Kraus

Jetzt kommt auch noch’n „Karl Kraus-Verehrer“ , aber Ordnung muss sein und damit zunächst mal nur für zwo Hinweise,

lieber Dante,

wie hier

Hier sitzen wir also, bei Sauerkraut, Weißwurst und Weizen – wie im Fiebertraum eines Goebbels oder Himmler, der ganzen Nazi-Bagage.
Komma weg ( „… also bei …“) und wie der Goebbels (aber auch nur scheinbar) gebührt dem Himmler ein Genitiv -s („eines … Himmlers“).

Zitierung erklärt sich wahrscheinlich schon beim Draufschauen

»Wusstest du, dass Historiker–«

Um auch mal zwo, drei Worte zum Sprachgebrauch und -wandel zu sagen, „gerechte“ Sprache wüsst ich gar nicht, was das sein soll, erweitert zum „kindgerecht“ wäre da zB präziser (etwa Bibelstellen kindergartengerecht aufzuarbeiten, dass die lieben Kleinen auch verstehen, was da passiert, wenn etwa ein Sohn von Papa Noah verflucht wird, weil er den entblößten, schlafenden Vater gesehen hat – was dann gleich noch ein bisschen historischen Hintergrund liefert). Zur Kenntnis nehmen muss man aber auch, dass etwa der Simplizissismus (Grimmelshausen, Mitte 17. Jh.) von den wenigsten noch im Original gelesen werden wann - von Walter oder Wolfram schon gar nicht zu reden ...

Dabei fällt mir Wilfried ein aus Ostafrika, der 2014/5 mit der großen Welle in unsere schöne Republik kam und vor dem Schild „Gehweg“ verunsichert stand ... und fast wieder gegangen wäre ...

Friedel

Nachtrag: Gerade ist mir Kabale und Liebe eingefallen. Vielleicht fragt man sich da unwillkürlich: Na und? Da hat Schiller - m. W. als erster - sowas wie gegendert: Frau Luise Miller wird dort zur "Millerin".

 

Ja, okay! [hier einen weiteren Kommentar hinterlassen, der mich in der Hölle schmoren lässt^^] Danke für eure Rückmeldungen. <3

Dante

 

Hej @Dante

Hätte ein gute Text werden können, wirklich! Weil das Thema einiges hergibt.

Das Skizzenhafte, die fehlende Fallhöhe, die angedeuteten Charaktere, auch die fehlende Interaktion zwischen den beiden Hauptfiguren und ihrer Umgebung, sorgen letztlich dafür, dass der Text kaum mehr leistet, als ein Sammelsurium von Aussagen, die dem Framing des in der Öffentlichkeit Sagbaren eigene Frames entgegensetzen, die


Hier sitzen wir also, bei Sauerkraut, Weißwurst und Weizen – wie im Fiebertraum eines Goebbels oder Himmlers, der ganzen Nazi-Bagage. Im Biergarten. Unser Territorium ist der Stammtisch! Hitler eine Mücke am Ohr, die traurige Worte sirrt: Die Joden!
wie in diesem Fall völlig aus der Luft gegriffen und wenig griffig, nicht einmal luschdig sind.
He: wie kommen die auf die Nazis? Wenn die Jodeln würden und daraus ein Wortspiel entstünde wär's auch nicht besser, aber wenigstens skurril.
Links palavern Araber, ihre Stühle zu nah an unseren; sie fluchen über die Hitze, trinken Tee, der wie Urin leuchtet. Riecht auch so, Terroristen! Rechts hocken die Neger an ihrer Sitzbank, reden auf reinstem Hochdeutsch über das Wetter und die Wahlen; das dürfen sie, noch, aber es ärgert mich trotzdem.
na ja, normalerweise sind die Gentrifizierten ziemlich mulitikulti gesinnt.
Brausend senkt sich eine Polizeidrohne zu uns herab, meldet: »Laut Gesprächsprotokoll wurde ein verbotenes Wort benutzt, das im Paragraphen …«
Das ist bei weitem der feinste Twist, aber da machst du nichts draus.
für mich sind diese "Sprach-Aufräumarbeiten" ein Teil der ganzen "Cancel Culture", unter die auch diese "Cultural appropriation"-Diskussion fällt. Das mag Auslegungssache sein ... Letztlich geht es ja darum, neue Denk-, Sprech- und Verhaltensweisen zu diktieren, um die Gesellschaft von ihren "Altlasten" zu befreien ...
siehe oben, um zu illustrieren, was du ausdrücken möchtest, braucht es mehr, da reicht nicht die Andeutung einer Kurzgeschichte.

Viele Grüße aus dem gänzlich gentrifizierten Speckgürtel der Bembel- und SGE-Stadt sendet
Isegrims

 

Hey @Isegrims,

jau, ich gelobe Besserung. Allerdings nicht mit diesem Thema, sondern ich kehre grade zu meinen Wurzeln zurück und schreibe klassischen Cyberpunk. Bleib bei deinen Leisten! :D
Danke für's Lesen und Kommentieren. :)

Der Dante

 

Hallo @alli.
Habe deinen Kommentar mit Genuss gelesen ... Vielen Dank dafür.

Es gibt einen aktuellen - sehr ausgewogenen - Artikel in der republik.ch, den ich hiermit empfehlen möchte:
"Was Sie wissen sollten, bevor Sie sich über kulturelle Aneignung aufregen". Gönnt euch.

Reingehauen.

Dante

 

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