Weihnachtspapiertiger
Jetzt schreibt er mir also auch noch wilde Phantasien, behauptet gar, sie mit mir ausleben zu wollen. Dieser junge Kerl. Komisch, bei jedem anderen hätte mich allein die mehrfache Verwendung der Worte „Fotze“, „ficken“ und „Arsch“ gestört. Hier lese ich es einfach so weg, als ob da ganz etwas anderes stünde.
Es muß wohl daran liegen, daß ich mir bei ihm beim besten Willen nicht vorstellen kann, daß er meine sogenannte Fotze einfach nur fickt. Vielleicht, weil ich ihn immer noch spüre, an mir, auf mir, in mir - und überhaupt? War er doch seit langem mal wieder einer von der seltenen Sorte Mann, die auch die kleinen Zärtlichkeiten „am Rande“ nicht links liegen lassen. Wenn ich nur daran denke, wie seine Hände mit meinen Fingern spielten, erregt mich das. Ganz zu schweigen davon, wozu er sie noch benutzte.
Und dabei hatte ich an dem Abend die unerotischste Kleidung an, die man sich überhaupt denken könnte: eine schlumpige, helle Jeans und einen dicken, gestrickten Rollkragenpullover. Schließlich war ich ein bißchen angeschlagen, weshalb ich sogar noch ein Unterhemd trug – und auch noch eines von der Sorte, die an sich jeden Liebhaber vertreiben müßte. Von BH und Slip reden wir ja gar nicht erst. Ich an seiner Stelle hätte spätestens beim Anblick des Darunter die Flucht ergriffen. Dieser Jungspund aber besaß sogar noch die Dreistigkeit, mir beim Ablegen zuzuschaun – was mir zusätzlich peinlich war. Hätte ich gewußt, was passieren würde, hätte ich auf die dämliche Erkältung gepfiffen und damit auf das Unterhemd, meine weiblichen Reize in einen schwarzen BH und passenden Slip gepackt und das Ganze noch irgendwie nett verhüllt, so daß ich das Ausziehn für ihn hätte zelebrieren können. Oder er Hand anlegen.
Wer konnte aber auch ahnen, daß unsere Worte sich so verdammt verstricken, unsere Blicke sich so dermaßen verbeißen, unsere Körper so laut aufbegehren und wir uns schließlich wie Teenies, die im Ferienlager ihre erste Verliebtheit auskosten wollten, heimlich aus der Runde schleichen würden, um uns in einem der ödesten Zimmer, die man sich vorstellen kann, aufeinander einzulassen: unter der Dusche, im Bett – und überhaupt. ‚Was will dieser Mensch, Mitte zwanzig, mit einer zehn Jahre älteren Frau?’, fragte ich mich bereits in jener Nacht, aber suchte an sich gar keine Antwort. Denn ich wollte ja auch. - Ihn! - So nah wie möglich, und überhaupt.
Und nun? – Will ich ihn erst recht! Noch viel mehr als zuvor. Angeblich begehrt er auch mich, wenn er schreibt, er sei so unheimlich geil auf mich. Doch warum sollte ich ihm das abnehmen? Ich, ein altes Mädel, das weder lange, gefärbte Haare, noch lackierte Ritsch-Ratsch-Fingernägel vorweisen kann. – Na und? – Dafür ist aber auch alles an mir echt, ungespielt und ich. Keine Maske, keine Schminke (ja gut, manchmal vielleicht so ein bißchen, aber nur ein ganz klein wenig).
Warum kann ich ihn eigentlich nicht ganz einfach zu Weihnachten bestellen? So mit Ankreuzen, wie ich mir bei diesem schwulen Fotografen das Abbild eines knutschenden Männerpärchens ordern konnte. Das wäre doch klasse! Ich glaube, ich müßte mich beherrschen, um nicht mit dem Stift ganz woanders herumzupinseln … in der Bildmitte herumzufummeln, denn, hey, ich würde ihn natürlich mit geladener Waffe bevorzugen, nicht einfach bloß nackt. Und weich und warm und in genau denselben schwarzen Boxershorts, die er sich diesmal von mir abstreifen lassen müßte, nachdem ich ihn von allen Seiten abgetastet und begutachtet habe. Und gefühlsecht logischerweise, nicht einfach nur, daß er bloß kommt. Und wenn er kommt, dann will ich ihn hören … und sehen … und riechen … und schmecken … und fühlen. Und zwar schön echt und echt schön. So schön, daß er auf der Stelle tot umfallen möchte, wenn er nicht sowieso schon schweben würde. Doch so … will er sich vermutlich nicht ausliefern. Oder doch? Oh, mir würde so manches einfallen. Für ihn, mit ihm – und überhaupt.
Zum Beispiel fände endlich mal das ganze Zeugs von den bunten Tellern eine gescheite Verwendung und dabei würden sogar noch jede Menge Kalorien verbrannt. Auf dem Tisch würde ich den ganzen Krempel ausbreiten und mich mitten hinein legen. Und dann dürfte er naschen, mein Weihnachtsmann. Ob er das, was er vorfindet, nun „Fotze“ und „Arsch“ nennt, und was er sonst beim „Ficken“ alles noch in den Mund nimmt, wäre mir auf einmal so was von scheißegal. Denn berührt hat er mich ohnehin längst. Endlich könnte er seinem alternden Christkind die Flügel ordentlich stutzen, die Lamettafäden aus den Haaren reißen und mit seinem Augenlicht Feuer machen, auf der Haut, unterm Hintern, im Brustgewölbe – und überhaupt. Aller Ungläubigkeit zum Trotze würde ich höchstselbst so lange Glocken läuten, bis Englein singen. Ich weiß, er würde gern kommen. Ja, ich denke, ich lasse ihn kommen. Wüßte ich doch unterm Schein der Hallelujahstaude so manches anzufangen. Mit ihm, mit mir, mit uns, mit Lust – und überhaupt! Doch, er würde kommen …
Was? – Ich müßte die dem Weihnachtsmann einzuprogrammierenden Dienstleistungen genauer präzisieren? – Gut: ich will ihn ohne festgelegtes Programm und er soll weder Leistung bringen, noch Dienst tun. Stattdessen lieber Grenzen selbst ertasten – und mich … begreifen. Und all seine albernen Masken will ich nicht dabei haben, ich will ihn ohne jegliche Verkleidung. Was nützt mir ein Sack mit aufgesetztem Gesicht?! Die Zähne braucht er mir meinetwegen nicht zu zeigen – aber Gesicht, Gesicht will ich schon sehen! – Ihn!
… und Manieren würde ich ihm schon noch irgendwie beibringen. Wenn er mich einfach mal machen ließe.
Nur daß ich nicht falsch verstanden werde: abgesehen davon, was die Wirtschaft daraus macht, liebe ich Weihnachten. Mit ihm jedoch … würde ich es mir herzlich gerne schenken!
Und würden wir beide Weihnachten lieben, bräuchte er sich nicht heimlich aufs Bett stehlen, dies hier lesen und sich selbst dabei berühren. Wir könnten uns ganz einfach nehmen, wie wir sind und Gott uns erschaffen hat. Er würde mich bestimmt gut „ficken“ und ich ihn vielleicht ordentlich „durchorgeln“. Wie auch immer es jeder von uns nennen mag, wichtig ist doch, wir würden … beide dasselbe darunter verstehen.
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