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Weiser Gondoliere

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29.06.2007
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Weiser Gondoliere

Weiser Gondoliere

Mit dem heutigen Tag ist es genau 8 Jahre her, dass ich hierher gezogen bin,
in dieses wunderbare, kleine verträumte Städtchen im Nordwesten Englands: Keswick.
Es liegt inmitten des Lake District, unmittelbar nördlich des Derwent Water, des viertgrößten, aber wohl friedlichsten Sees ganz Englands.
Blicke ich nun aus einem der winzigen, jedoch reich verzierten Fenster meines 84 qm Cottage, so finde ich mich umgeben, ja umrahmt von Hügeln, hier auch liebevoll „fells“ genannt, wieder. Dazu müsste wohl noch erwähnt werden, dass „Heaven Ball“, so der Name meines Anwesens, direkt am Nordende des Sees liegt. Schaue ich durch die Fenster der Südseite meines Cottage, fasziniert mich der Derwent Water, umringt von den Abhängen des Borrowdale, und werfe ich einen Blick aus den Fenstern der anderen Seiten, so kann man wohl kaum seine Augen nur flüchtig über die reich begrünten Flächen der umliegenden Berghänge schweifen lassen.

„Heaven Ball“, dieser Name stammt von den Erbauern meines Cottage: Will und Amy Van Covery, die bereits vor 186 Jahren hier lebten und dieses Fleckchen Erde für etwas ganz Besonderes und Einmaliges hielten. Sie waren die Urgroßeltern meiner Vermieter, die jedoch eher von dem Duft der Großstadt angelockt wurden. Da deren Eltern vor ungefähr 12 Jahren bei einem Unfall in den Bergen ums Leben kamen, stand das Haus viele Jahre leer und nur ab und zu schauten die besten Freunde der Familie, welche heute noch meine Nachbarn sind, vorbei und erledigten kleine Arbeiten am und im Haus. Sie waren auch die ersten, die ich traf, als ich hierher zog. Sie heißen Jake und Eylis Tillith und sind jetzt 85 Jahre alt.
Aber wie kamen Mr. und Mrs. Van Covery bloß auf diesen Namen?
Will und Amy waren auf Wanderschaft, als sie von einem starken Schneesturm überrascht wurden. Als der Schnee jedoch immer dichter und die Hänge immer steiler und glatter wurden, waren sie gezwungen anzuhalten und den Sturm abzuwarten. Am nächsten Morgen, als sie weitergehen wollten, waren sie so von dem Glitzern der dicken Schneedecke auf den Abhängen fasziniert, dass sie beschlossen hierher zu ziehen. Derzeit wussten sie allerdings noch nicht, dass ihr zukünftiges Grundstück direkt am Derwent Water liegt.
Erst als der Schnee langsam begann sich in Tau zu verwandeln und so die mittlerweile in Schollen zerteilte Eisdecke des Derwent Water sichtbar wurde, erkannten Amy und Will die bei weitem faszinierende eigentliche Schönheit ihres Grundstücks.
Nur durch den Schneesturm sind sie also damals auf die Idee gekommen, hier wohnen zu wollen. Für sie war es somit klar, dass es vom Himmel bestimmt worden war, dass sie durch diese dicken Flocken nicht weitergehen und sich hier ansiedeln sollten. Als das Haus dann im Frühling fertig erbaut war, gaben sie ihm den Namen „Heaven Balls“.
Auch als ich das erste Mal nach Nordengland in den Lake District fuhr, war ich sofort von dem Anblick fasziniert. Damals war ich auf Recherchereise für meine Kolumne, die einmal wöchentlich in dem „Journal of Manchester“ erschien. Doch die Reise hier hoch in den Norden machte mir erstmal bewusst, wie stressig und nervenaufreibend mein Leben eigentlich war. Schon nach 5 Tagen am Derwent Water entschied ich mich hierher zu ziehen und sozusagen noch einmal von vorne anzufangen. Ich fuhr also nach Manchester zurück, gab die letzte Ausgabe meiner Kolumne ab, kündigte Job und Wohnung, packte meine Sachen und machte mich wieder auf den Weg nach Norden. Was so einfach schien, war jedoch weitaus schwieriger als erwartet:
Ich hatte natürlich mal wieder nicht zu Ende gedacht. Ohne jegliche Aussichten auf ein Haus, geschweige denn eine Wohnung, war ich in mein neues Leben gestartet. Ich kannte niemanden und wie dass so häufig in Kleinstädten ist, wollte mich auch keiner kennen lernen, aber jeder am liebsten sofort alles über mich wissen. Ich war also auf mich allein gestellt.
Doch das Schicksal sollte mir schon bald unter die Arme greifen.
Bei einem meiner nun neuerdings sehr häufigen Spaziergänge auf Suche für Inspirationen für mein erstes Buch, kam ich an einem wunderschönen, idyllischen Plätzchen mit dem Namen „Heaven Balls“ vorbei. Ich saß wohl schon eine ganze Weile auf dem Steg, als ein älterer Herr in einem kleinen Boot auf dem Derwent Water an mit vorbei fuhr. Es war Herbst und die letzten Blüten der Seerosen blühten in ihrer vollen Kraft. Ich war total in Gedanken versunken und bemerkte ihn erst, als die Bootspitze an den Steg stieß.
Ich kann mich noch genau erinnern: Das erste, was er zu mir sagte, war: „Also ich habe noch keinen gesehen, der von diesem Fleckchen Erde nicht sofort angetan war- aber sie, sie werden wohl länger bleiben!“ Ja, dieser Mann hat in meinem Leben zu einer entscheidenden Wendung beigetragen. Denn auch er war es, der mich mit den Eigentümern dieses Gründstücks bekannt machte. Er und seine Frau halfen mir beim Renovieren und beim Umzug vom Hotel in das Cottage und auch er brachte mir die Vergangenheit meiner neuen Heimat ein Stückchen näher.

Ich sollte ihn noch oft am Steg und auch an lauen Abenden auf dem Wasser treffen. Und jedes Mal öffnete er mir meine Augen ein bisschen mehr für diesen wundervollen Ort. Doch was mir sofort an ihm auffiel, war sein außergewöhnlicher Akzent: Er hatte so etwas Südliches, etwas Interessantes, etwas Italienisches, wie ich später erfahren sollte.
Vor ungefähr 57 Jahren lernten sich seine Frau und er in Venedig kennen. Sie war Kunsthistorikerin und auf Entdeckungstour durch Venedig, als sie ihn, einen jungen Gondoliere, in einem Cafe traf. Ein Jahr später waren sie verheiratet und entschieden sich nach England, in ihre Heimatstadt Keswick zu ziehen. Sie kauften das Grundstück neben an, wo sie noch heute leben, haben 2 Kinder und nun auch schon 3 Enkelkinder.
Doch seine Vergangenheit als Gondoliere hat ihn wohl nie so wirklich losgelassen. Jeden Abend fährt er mit seinem kleinen Boot zum Angeln. Er trägt auch immer dasselbe: Einen wohl schon sehr alten Mantel, eine schon leicht in Mitleidenschaft gezogene Fischerhose, alte Gummistiefel und einen Hut aus Filz- alles in Braun. (Er ist nämlich der festen Überzeugung, dass grelle Farbtöne die Fische verschrecken würden.) Fährt er dann aus der kleinen Bucht, vorbei an Laubbäumen, weiten Schilfflächen und durch zahlreiche Seerosen, so verschwindet er schon bald im Abendnebel, wie auch die „fells“ und Berge des Lake District. Und auch jeden Abend wartet seine Frau darauf, dass er mit dem Abendbrot, oder wenigstens einem Teil davon, zurückkommt.
Vor kurzem hat er nun auch mir das richtige Bootfahren beigebracht.
Ja, ich bin mir sicher, dass er auch heute wieder einen faszinierenden neuen Blickwinkel für mich parat haben wird.
Es ist jetzt 7.30 Uhr abends. Das bedeutet, dass er gleich in seinem kleinen Boot um die Ecke geschippert kommen wird und mich, wie immer ganz in braun gekleidet, auf seine charmant venezianische Art mit einem freundlichen „Ciao!“ begrüßen wird. Er wird mich dann nach meinem Befinden fragen, mir eine weitere Geschichte über den Derwent erzählen, mein neues Buch beurteilen (hoffentlich gut) und mich zum wöchentlichen Abendessen bei ihm und seiner Frau einladen. Dann wird er auf alte Gondolierenart auf den See hinausfahren und im Abendnebel langsam verschwinden.

 

Oh Gott, wieviele Geschichten in einer Geschichte, die keine Geschichte ist!
Ist das ein Brief, ein Tagebucheintrag, ein Reiseführerkapitel, eine romantische Geschichte oder auch alles zusammen?

Schön erzählt, doch auch nicht so schön, um mich vom Fragenstellen abzulenken. Z.B.:
Warum ist der Gondoliere weise?
Fischt er Abendbrot?
Was will die Ich-Erzählerin eigentlich erzählen?
Was hat sie für eine Beziehung zum alten (?) Gondoliere?
Will sie was von ihm?

Und keine Frage, der Himmel hat Mr. und Mrs. Van Covery davor bewahrt, ihr Haus auf dem in Winter nicht zu erkennenden See zu bauen - sie wären ja im Frühling ertrunken.

Nichts für ungut!
Gruss
K.

PS: Die Idee mit dem Gondoliere, der eine neue Heimat im Norden findet, ist gut. Dazu fehlt noch eine wirklich gute Geschichte.

 

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