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Weisse Wände
Dieses Weiss, dieses unsägliche Weiss. Ein perfektes, strenges Weiss, ohne jegliche Spur eines Grautons. Überall ist es, an den Wänden, auf dem Boden, in den Gesichtern der Leute. Es scheint mich anzugrinsen, als wolle es mir beibringen, wie rein und sauber es hier zugeht. Reine Luft, reine Gänge, reine Körper. Ich verziehe leicht das Gesicht ob dieser Provokation, doch insgeheim gebe ich mir Mühe, mich der Umgebung anzupassen. Muss ja sein. Ein Kribbeln macht sich in mir breit, doch ich bleibe still sitzen. Nicht bewegen, ruhig sein, normal sein. Das packst du schon, jetzt mach mal halblang.
Doch es nutzt alles nichts. Ich kann nicht aufhören, mich selber zu plagen. Wie rein ist es wohl in mir? Gibt’s da noch genügend reine Stellen? Neulich, da hat es doch schon wieder überall gezerrt und gestochen, links und rechts von der Brust. Da ist doch was, tief drinnen. Es versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Ich zucke, möchte mir selber eine runterhauen bei diesem dummen Gedanken, lasse es aber sein. Bist ja nicht alleine hier im Raum. Ich gebe einen leichten Seufzer von mir, falte die Hände im Gesicht, die Ellenbogen bohren sich in die Oberschenkel. Es kratzt überall, die weissen Wände kichern. Ich sitze in der Falle.
Eine Standarduntersuchung. Blutwerte. Keine Angst Herr Lambert, die Kosten deckt die Firma. Müssen wir so machen. Ja, da müssen alle durch. Tja, so ist das nun mal. Wie gesagt, da brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Genau. Danke gleichfalls. Wiederhören, Herr Lambert.
Die Hände fahren übers Gesicht, durch die Haare, landen im Nacken. Das kleine, dicke Kind hebt den Blick vom Spielzeugauto, starrt mich verdutzt an und entlockt mir ein gequältes Lächeln. Die dicken Pausebacken wenden sich wieder ab. Nebenan die Mutter, mit einem Auge in der Zeitung vertieft, mit dem anderen beim Kind. Zwei Stühle weiter links eine junge Frau, in einer Schwangerschaftsbroschüre schmökernd. Dann noch ein alter Mann, in den Anblick seines Gehstocks vertieft. Es herrscht furchtbare Harmonie.
Ich will gerade auf die Uhr schauen, da öffnet sich die Tür mit einem leisen Quietschen. Mein Herz bleibt für einen Moment stehen, gibt dann aber gleich doppelt Gas. „Frau Brahms bitte?“. Die junge Frau erhebt sich und begrüsst freundlich die Assistentin, als erkenne sie den Teufel im weissen Engelsgewand nicht. Die Tür fällt im Zeitlupentempo wieder zu, wobei das Quietschen wie auf einem Plattenspieler rückwärts abgespielt wird. Der wird das Lachen schon noch vergehen, denke ich bewusst griesgrämig. Der Henker wartet bestimmt schon in seinem hellen, weissen Zimmer, mit feinglasiger Brille und freundlichem Lächeln, die Katastrophe vertuschend. Die Diagnose ist längst gemacht. Brustkrebs oder so. Auf jeden Fall was Schlimmes, doch, das wird’s schon sein. Man lebt ja nicht mehr gesund heute.
Aber warte mal, mein Lieber, warte mal. Eine tiefe, drohende Stimme widerspricht mir. Du bist hier der schweratmende, müde Fleischsack, nicht die Anderen. Lass uns mal nix kaschieren hier. Da war halt schon das eine oder andere Bier nach der Arbeit. Gelegentlich mal ne Zigarette, da war man auch nicht abgeneigt. Aber am schlimmsten wiegt wohl das Essen, da war man schon immer mit viel Enthusiasmus dabei. Bist halt ein Geniesser.
Ein Blitz durchfährt mich. Schluss damit!
Nervös knabbere ich an meinen Fingernägeln, während das Kind mit seinen Glubschaugen wieder in meine Richtung schaut. Ich möchte fliehen. Es wäre so einfach, die Tür so nah, draussen die Sonne, drinnen das Schicksal. Nein! Wieder möchte ich mir eine runterhauen, bohre mir stattdessen die dreckigen Fingernägel in die rissige Handoberfläche. Ein Waschlappen bin ich, ja, du bist gemeint, sitzt hier im Wartezimmer herum und führst dich auf wie ein Baby. Ich atme einmal tief durch und starre nach vorn. Das Weiss der Wände durchbohrt mich. Ich versuche mich abzulenken. Die Frau gegenüber ist ganz hübsch, doch, da würd ich auch nicht nein sagen. Und wie sie immer zum Kind schaut. Bestimmt eine gute Mutter. Hoffen wir mal, es ist nichts Schlimmes bei ihr. Aber eben, heutzutage...
Da geht die Tür auf. Wieder rast mein Herz, ich halte die Luft an. „Herr Lambert bitte?“. Irgendwas in mir zwingt mir ein Lächeln auf, der Kopf dreht sich zur Tür. „Ah, ja das wäre dann wohl meine Wenigkeit.“
Während ich mich über meine eigenen Worte ärgere, stehe ich hastig auf, lächle den anderen Wartenden zu, mache die zwei Schritte im Eiltempo und gebe ungeschickt, aber freundlich, die Hand. Die hübsche Assistentin hält mir die Tür auf, ich bedanke mich. Innerlich wie ein Bogen angespannt, versuche ich gelassen zu wirken. Bauch einziehen, Rücken durchstrecken. Ruhig bleiben, normal bleiben.
Die Frau führt mich um die Ecke, ich laufe hinterher. Alles verläuft im Eiltempo. Wir gehen einen langen, weissen Gang entlang, wobei sich meine schlaffen Beine unangenehm über den Energieaufwand beklagen. Irgendwann dreht sich die Assistentin plötzlich um und ich habe Mühe, zu bremsen. „So, hier rein bitte Herr Lambert“ Ich bedanke mich erneut und sie geht entschlossenen Schrittes wieder zurück. Mein ängstliches Gesicht hat mich bestimmt verraten. Schnell und ungeschickt fahre ich mir durch die Haare, was meine Kopfhaut schmerzhaft zurückmeldet. Ich schaue um mich. Überall Weiss. Ich, der Fremdkörper. Panik. Wegrennen. Letzte Chance.
Da meldet sich auch schon eine Stimme von rechts.
„Guten Tag, sie müssen Herr Lambert sein!“ „Ja, der bin ich wohl. Guten Tag!“ Ich wirke in krampfhafter Weise angenehm, lebendig und vital. Als der Arzt sich umdreht, zögere ich einen letzten Moment und gehe dann hinterher.
Der Raum wirkt sehr gross und hell, zwei Fenster stehen halboffen neben schönen Landschaftsbildern. Der Arzt – ein Mittdreissiger mit Halbglatze und freundlichem, leicht müdem Blick - bedeutet mir, mich auf einen runden Stuhl zu setzen. Daneben steht ein gräulicher Apparat. Ich stocke. Das Blutanalysegerät. Es sticht heraus neben er schneeweissen Wand. Ich fürchte mich vor seiner vernichtenden Weisheit, verfluche seinen Erfinder. „So Herr Lambert, dann bringen wir das schnell hinter uns. Kann ich mal einen Finger haben?“ Ich strecke meine Hand übertrieben weit hin und versuche nicht zu zittern. „Jetzt machts gleich Pieks!“
Der Bogen in mir ist bis zum Zerreissen angespannt. Gegen das Delirium kämpfend, spüre ich den betäubenden Geruch des Raumes - geprägt von Spritzen, Medikamenten und Krankheiten - in meine Nase steigen. Ein endloser Moment. Alles ist verschwommen, nur die weissen Wände bleiben rein und klar. Ich beobachte den Arzt, wie er ein Gerät von Stiftgrösse hervor nimmt und es mit der Spitze an meinen linken Ringfinger hält. Seine Augen zeigen eine Mischung aus Konzentration und Beiläufigkeit.
Eins, zwei, klick!
„Geht’s, Herr Lambert?“. Ich antworte nicht, lächle nur. Der Finger blutet wie gewünscht, so dass der Arzt mit einem Röhrchen etwas von dem roten Saft abnehmen kann. „Warten Sie, ich gebe ihnen ein Pflaster.“ Behutsam bindet der nette Herr die sandkorngrosse Wunde zu und füllt sogleich die Blutprobe in den hässlichen, grauen Apparat. „Das dauert jetzt ein, zwei Minuten.“ Während er zu seinem Bürotisch geht, um sich dem Schreibkram zu widmen, kämpfe ich mit der Digitalanzeige des Apparats. Ich bin geliefert. Wie ein Richtersurteil wird sie hier erscheinen, die verhängnisvolle Zahl, ein unwiderlegbares Beweisstück. Da kann ich, der Angeklagte, gleich einpacken. „Puh, das ist aber nicht so gut“, wird er sagen. Irgendwas wird da schon zu entdecken sein. Cholesterin zu hoch. Das Gerät arbeitet leise. Lipidgehalt weit über Norm. Ernste Sache. Ich falte die Hände zusammen, fahre mit der Zunge über meine trockenen Lippen, tippe nervös mit dem Fuss.
Dann piepst das Gerät. Der nette Mittdreissiger blickt von seinen Unterlagen auf und kommt zu mir herüber. Er schaut auf die Zahl, geht zum Schreibtisch, notiert. Ich senke den Blick, sitze ruhig da und fühle mich schmutzig. Jeden Moment wird es kommen, das Urteil. Der Boden ist weiss. „So, Herr Lambert. Dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Tag.“. Ich hebe den Blick, der Arzt steht mit Blick zum Fenster, immer noch am schreiben. „Und die Probe?“ „Ach so, die ist in Ordnung. Alles im normalen Bereich.“ Ich bin im ersten Moment verdutzt und bleibe starr sitzen. „Möchten sie jetzt noch einen Lolli?“, scherzt der Arzt. Ich blicke auf, der Mittdreissiger grinst in meine Richtung. Wir lachen herzhaft.