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11.12.2007
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Er betrachtet sich im Spiegel. Das helle Licht ist ganz nützlich, um sich zu rasieren. Will man sich dagegen in aller Ruhe anschauen ohne den Blick ständig zwischen Spiegel und Waschbecken hin und her gehen zu lassen, dann ist es eigentlich fast zu hellen. Er gibt sich Mühe, seine Augen nicht zu sehr zusammen zu kneifen. Er beginnt beim Haaransatz. Vielleicht ein bisschen mehr nach hinten gewandert, aber kaum schneller als in den letzten paar Jahren. Die Haarfarbe noch immer dunkelblond. Die helle Haut ist straff und feinporig. Da und dort vielleicht eine kleine Narbe und um die Auge ein paar kleine Falten, aber die hat er schon seit längerem. Sein Blick verliert sich. Der Gedanke kam plötzlich. Wann wird man es mir ansehen? Wann wird sich diese Geschichte in mein Gesicht brennen? Hat sie es etwa schon getan? Er blickt wieder in den Spiegel. Seine grün-braunen Augen sind unergründlich wie eh und je. Sie funktionieren. Sie können glänzen, weinen, lachen. Vorausgesetzt er will, dass sie das tun. Aber nur ganz selten blicken sie etwas wirklich an. Meist schweifen sie rastlos umher. Fixieren etwas in der Ferne. Blicken ins Leere. Er betrachtet die Welt nie wirklich mit seinen Augen. Er hört. Er riecht. Er spürt. Er fühlt. Er nimmt die Menschen um sich herum wahr, ohne ihnen dazu ins Gesicht sehen zu müssen. Er spürt sie. So funktioniert er. Immer schon und auch jetzt. Der Spiegel liefert ihm keine Antwort also wendet er sich ab. Er löscht das Licht und verlässt das Bad. In der grossen Wohnung ist es dunkel. Seine nackten Füsse spüren die kalte Luft, welche durch das geöffnete Fenster in der Küche in die warme Wohnung strömt. Einen Moment lauscht er in die Dunkelheit. Die Stille dieses Hauses fasziniert in jedes Mal aufs Neue. Es ist so ganz anderes als in der Wohnung zuvor. Sie ist bereits im Schlafzimmer. Wahrscheinlich schon eingeschlafen. Wie lange wird er sich noch zu ihr hinlegen müssen. Wie lange die Wärme ihres Körpers spüren. Ihren leisen Atem hören. Den frischen Duft ihrer Haare riechen. Ihre weiche Haut spüren. Einige Nächte? Einige Wochen? Monate? Jahre? Sie hat ihn schon vor langer Zeit alleine zurück gelassen. Aber noch ist sie nicht gegangen. Noch ist sie hier.

Es war ein Schock und es hat ihn umgehauen. Im Nachhinein etwas anderes zu behaupten wäre schlicht und einfach gelogen. Natürlich hat er gewusst, dass etwas nicht stimmt und trotzdem traf ihn die Erkenntnis mit aller Wucht. Sie hat ihn belogen und betrogen. Unfähig zu denken vor Enttäuschung, Schmerz und Wut hat er seine Sachen gepackt und ist gegangen. Am selben Tag. „Du hast mich erdrückt. Ich musste mich befreien.“ Keine Entschuldigung. Nur diese beiden Sätze. Er ging und blieb trotzdem bei ihr. Versuchte, den Griff zu verstärken. Er weinte, bettelte, flehte sie an. Sie schickte ihn nicht weg und nahm ihn trotzdem nicht zurück. Sie betrog ihn weiter. Sie log ihn weiter an. Und er war unfähig, zu sehen.

Die neue Wohnung. Ein neuer Anfang. Für ihn. Für sie nicht. Sie ist da und trotzdem nicht bei ihm. Noch immer sieht er es nicht. Sie lügt nicht. Sie gibt ihm einfach keine Antwort und manchmal stellt er auch keine Fragen. Er vertraut auf die Zeit. Sie ebenfalls.

Sie weint. Er blickt sie an. Ruhig und gefasst. Endlich sieht er es. Sieht, dass sie eine Anderen liebt. Er verzeiht. Sie ist noch immer seine Kleine. Er tröstet sie. Nimmt sie in den Arm. Streichelt ihr über den Kopf. Die Tränen vermögen seinen Blick nicht zu verschleiern. Endlich schaut er hin. Sieht ihre Liebe und ihren Schmerz. Er hasst sie nicht. Wie sollte er sie dafür hassen, dass sie liebt? Sie schläft in seinen Armen ein. Ihre Tränen trocknen auf seiner Haut und seine auf dem Kissen. Sie ist bei ihm und gleichwohl nicht da.

Ist das schon wieder vier Wochen her? Er erinnert sich nicht daran. Was geschieht hat keine Bedeutung mehr. Jeder Tag beginnt und endet. Sobald er vorbei ist, ist er ausgelöscht. Seine nackten Füsse sind kalt. Er geht in die Küche und schliesst das Fenster. Das Wasser aus der Flasche ist kalt und er trinkt in kleinen Schlücken. Vier Wochen. Unvorstellbar. Sie ging nicht. Sie blieb. Irgendwann hat er ihre Anwesenheit nicht mehr ertragen und sie samt ihren Sachen aus der Wohnung geworfen. Zwei Tage später mitten in der Nacht kam sie zurück. Ohne Erklärung. Er lässt es zu. Sie ist seine Kleine. Er versucht die Hoffnung zu zerschlagen, doch er spürt wie sie jeden Tag wieder zunimmt. Sein Blick, der endlich klar zu sein schien, beginnt sich wieder zu trüben. Er sieht es nicht mehr. Sie bleibt. Man trifft eine Abmachung. Ein fairer Deal. Doch als die Bedingung eintritt, hält sie sich nicht daran. Aber nun weiss er. Er muss es nicht mehr sehen.

Sie liegt bäuchlings quer auf dem Bett. Die Beine angewinkelt. Die Ellenbogen aufgestützt und zwischen den Händen eine Tasse Tee. Earl Grey. Der Duft steigt ihm noch vor ihrem dezenten Parfüm in die Nase. Der schwarze Pullover ist hoch gerutscht und man sieht ihre helle Haut. Das lange blonde Haar fällt ihr über die Schultern bis in die Mitte ihres Rücken. Im Fernseher unterhält sich ein Mann mit einem Kind. „Hi Schatz! Wie war's?“ „Nass. Aber nach 12 Stunden im Büro brauche ich einfach frische Luft.“ Er geht in die Ankleide. Die Spots und der helle Teppich machen den gefangenen Raum hell trotz dem dunklen Holz der Schränke und Kommoden. Er schlüpft aus seinen nassen Sachen. Er zieht trockene blaue Boxershorts und ein weisses T-Shirt an. Er setzt sich auf das weisse Sofa und trinkt einen grosszügigen Schluck Wasser. Im grossen Spiegel sieht er seine dünnen und muskulösen Beine. Im Büro nebenan summt ihr Mobile. Daran hat er sich nie gewöhnt. Er lässt sich zurück ins Kissen fallen. Das Licht der hellen Spots blendet ihn und er schliesst für einen kurzen Moment die Augen. Langsam steht er auf und trinkt noch einen Schluck. Die Wasserflasche in der Hand betritt er den Flur. Da steht sie. Die blauen Augen weit aufgerissen starrt sie auf ihr Mobile. „Dieser Dreckskerl! - Ich muss mal telefonieren.“ Ein paar Schritte und sie ist im Gästezimmer. Die Türe zieht sie hinter sich zu. Ein kurzer Augenblick dann hört er ihre gedämpfte Stimme. Er will schon unter die Dusche, doch dann bleibt er stehen. Dreht sich wieder um und tritt vor die Tür zum Gästezimmer. Er lauscht. Es ist als wäre er taub, doch langsam kann er die Worte hören. „Was soll das heissen, du musst zuerst ein paar Dinge erledigen? - Und das soll ich dir glauben?“ Die Antwort nimmt einige Zeit in Anspruch. Dann wieder ihre Stimme. „Zuerst sagst du, dass du dir nichts mehr wünschst als mit mir zusammen zu leben und jetzt brauchst du plötzlich noch drei Jahre Zeit, um geschäftliche Dinge zu klären?“ Eine kurze Pause. “Ist Dir dein Geschäft also wichtiger als ich?“ Ein paar Sekunden vergehen. „Was bist du bloss für ein Mensch? Ich liebe dich und du liebst mich und was bitte soll das jetzt?“ Sein Herz hämmert. Er hört nicht mehr wirklich hin. Sie schimpft, macht Vorwürfe, lacht höhnisch, redet plötzlich ruhig und eindringlich, dann wieder fast kreischend und immer wieder flehend. Irgendwann reisst er die Tür auf. Sie dreht sich zu ihm um. Ein fragender Blick. „Hau ab! Sofort! Mach das Du aus meiner Wohnung kommst! Ich will Dich nie wieder sehen!“ Er steht da. In blauen Boxershorts und einem weissen T-Shirt. Sie hält das Mobile in der Hand, aber weit weg vom Körper. „Bitte - ich bin am Telefon.“ „Hau ab.“ Der Tonfall ist ruhiger. Die Worte trotzdem bestimmter. Sie blickt auf ihr Mobile und klappt es zu. Er blickt ihr in die Augen. „Geh jetzt einfach.“ Er dreht sich um, geht durchs Zimmer in den Flur und von da durch die Ankleide ins Bad. Unter dem Strahl der Dusche versinkt die Welt in Stille.

Seine Haut ist rot. Er dreht das Wasser ab und tritt aus der gläsernen Dusche auf den dunklen Steinboden. Seine Füsse hinterlassen schwarze Abdrücke. Er wickelt sich in das grosse, frisch gewaschene Badetuch mit dunkelblau aufgestickten Initialen. Er löscht das Licht beim Spiegel und dimmt die Spots. Er lässt sich viel Zeit. Zähne putzen. Rasieren. Haare trocknen. Er wirft das Badetuch in den Wäschekorb. Da hört er die Tür. Ihre Schritte. In der Wohnung. Noch immer nicht. Er atmet aus, tritt aus dem Bad durch die Ankleide ins Schlafzimmer. Sie steht vor der dunklen Fensterfront und schaut hinaus. Er fasst ihr an die Schulter. Sie dreht sich zögerlich zu ihm um und beginnt dann leise zu weinen. „Wieso behandelt er mich so?“ Er umarmt sie. „Und wie oft habe ich Dir diese Frage gestellt?“ Aber er spricht den Satz nicht aus. Im Hintergrund fasst ein Reporter den Tag am US Aktienmarkt zusammen.

 

Hmm...

seine nackten Füsse sind kalt. Er geht in die Küche und schliesst das Fenster. Das Wasser aus der Flasche ist kalt und er trinkt in kleinen Schlücken.
Entweder nach dem zweiten Kalt ein Punkt und das "und" weg (hat aber eine ziemlich starke Wirkung, die nicht unbedingt passt) oder eben anderes Wort.

Aber nach 12 Stunden im Büro
und jetzt brauchst du plötzlich noch drei Jahre Zeit

Ich persönlich finde, dass man hier die genauen Zeitangaben durch z.B.

"nach einem endlosen Tag..."
"jetzt brauchst du plötzlich erst noch Zeit..."

ersetzen sollte. Solch genaue Zeitangaben wirken nämlich ziemlich fad.

Im Hintergrund fasst ein Reporter den Tag am US Aktienmarkt zusammen.

Sehr gut, aber nicht perfekt, weil 1. : Reporter und US Aktienmarkt sind einfach keine schönen Worte. Und in den Schluss gehören aber immer solche. Schließlich entlässt er uns wieder aus der Realität der Geschichte in die eigene. Das ist die erste Anmerkung.
Zweitens passt der Aktienmarkt sehr gut zu der luxuriös beschriebenen Einrichtung, und was du da im Schluss machst ist ja, nach dem beschriebenen "Gefühlsausbruch", einen Kontrast zu schaffen, da der Satz ja völlig Gefühllos ist. Und man sollte da eben noch weiter gehen, und nicht nur einen Kontrast zu dem vorrangegangenen Zeilen schaffen, sondern einen Kontrast zur gesamten Geschichte. Da könntest du dir noch was einfallen lassen.

Ansonsten gefällt mir deine Geschichte wirklich gut, vor allem der erste Absatz, schöne Sprache!

 

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