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Wenn die Teufel tanzen

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18.03.2005
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Wenn die Teufel tanzen

Sie halten mich für einen Trinker? Für einen Wahnsinnigen? Einen, der keine Kontrolle mehr über sich und sein Tun zu leisten vermag? Ha, weit gefehlt! Niemand weiß besser, was er tut und zu tun hat, als ich. Sicher, manchmal trinke ich etwas, aber ich weiß immer genau wie viel und warum, denn ich habe mich unter Kontrolle. Manchmal, da trinke ich einen Schluck, Whiskey, und wenn die Flasche leer ist, tut es auch eine zweite. Ich mache das ganz bewusst, denn dann kommt die interessante Gesellschaft. Wisst ihr denn, die ihr von alledem keine Ahnung habt, wie das ist? Wenn die zweite Welt, die neben der unseren existiert, erwacht? Wenn fremde, bisher ungedachte Gedanken durch meinen Kopf ziehen, dann sehe ich die Teufel tanzen, im lustigen Kreis bewegen sie sich vor meinen Augen hin und her, und manchmal bin ich mitten unter ihnen. Ich nehme Teil an ihrem sonderbaren Reigen, und ich fühle Dinge, die noch keines normalen Menschen Seele je gefühlt hat. Deshalb nehme ich hin und wieder einen ordentlichen Schluck. Sie sind meine Freunde, und nicht nur sie, auch die anderen kommen, jene, die ihr vor Jahren gekannt habt und von denen ihr heute in eurer unglaublichen Beschränktheit glaubt, sie wären von uns gegangen. Aber so ist das nicht, es geht immer weiter, ein Ende gibt es nicht. Ich weiß das, denn sie kommen zu mir und erzählen es mir; ich weiß Bescheid.
Natürlich habe ich manchmal auch meinen Ärger mit ihnen. Sie sind manchmal mehr als frech, und wenn sie mich nicht wie ihresgleichen behandeln, sondern mich mit bösen Dingen quälen - oh ja, die Macht dazu haben sie, das ist gewiss - dann muss ich mich wehren. Selbstverständlich bleibe ich letztendlich immer Herr über jene unguten Geister, denn ich kenne die Mittel, die anzuwenden sind. Ich habe kleine weiße Pillen, vor denen sie zurückweichen - fast immer. Manchmal aber auch nicht. In diesen seltenen Fällen - und nur dann! - greife ich zu einer todsicheren Waffe, einer chromblitzenden, immer sorgfältig gereinigten Spritze, vor der sie sich unglaublich fürchten. Sie wirkt immer, hundertprozentig. Und wenn sie einmal zu versagen droht, so nehme ich sie noch einmal heraus, und dann ist alles klar, denn gegen mich und meine Spritze kommen sie nicht an. Ich erhitze etwas Pulver, bis es flüssig wird, und dann jage ich mir das ganze Zeug mit der Spritze in den Arm, und dann sind die kleinen, widerwärtigen Kerle besiegt, haben keine Chance mehr. Ich muss nur etwas sparsam damit umgehen, denn das Zeug kostet Unmengen Geld, und die zähen Kerle werden immer widerstandsfähiger, je öfter ich ihnen mit der Spritze drohe. Nun, bis jetzt konnte ich sie immer in Zaum halten, bis auf ein- oder zweimal.

Kürzlich erst, ich weiß nicht mehr genau, wann es war, vielleicht ist es ein paar Stunden her, vielleicht auch zwei Wochen, das ist unwichtig. Zeit hat in diesen Kreisen sowieso keinerlei Bedeutung. Es war dunkel, und ich wollte einschlafen, und irgendwann, ich weiß nicht, ob ich schlief oder nicht, ist ja auch egal, begannen die Teufel vor mir im Raum zu tanzen. Eine Weile sah ich träge zu, aber die bunten Gestalten munterten mich auf, mitzumachen, und bald war ich mitten unter ihnen. Aber ich musste irgendetwas falsch gemacht haben, vielleicht hatte der Whiskey nicht gereicht, plötzlich war ich allein, ich saß in dämmriger Finsternis, und Furcht und Schrecken plagten mich. Es war kalt, so kalt, dass ich meinen dampfenden Atem wie eine Wolke im Raume stehen sah, und die lustige Feier hatte sich in Nichts aufgelöst. Etwas beunruhigte mich, ich fühlte es mehr als ich es hörte, ein schweres Atmen, das mir sagte, dass ich nicht allein war. Und da, rechts, in der Ecke neben dem Fenster, durch das der schwache Schimmer der Straßenlaterne drang, saß etwas Dunkles, Fremdes, etwas, das mir kalte Schauer über den Rücken rinnen ließ. Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen, die vom Gefunkel der lustigen Feier noch geblendet waren, an die Dämmerung gewohnt hatten. Aber dann erkannte ich es, ganz deutlich: Meine Kumpane hatten mich betrogen, mir Illusionen vorgegaukelt, denn ich saß hier und war ganz allein, und in der Ecke saß der Teufel und lachte mir zu. Ich schrie, und ich fürchtete mich, und meine Mutter kam herein und machte Licht, aber in dem Licht sah ich ihn dann noch deutlicher. Er war das hässlichste und abstoßendste Ding, das ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte, kein Horrorfilmregisseur war je in der Lage gewesen, ein derart schreckliches Wesen zu erfinden. Schluchzend und am ganzen Körper zitternd flehte ich ihn an, nicht näher zu kommen, und ich warnte meine Mutter vor ihm, denn sie lief auf mich zu, ganz knapp an ihm vorbei.
„Mutter!“ schrie ich, „pass auf Mutter, da sitzt er doch!“
Aber sie sah ihn nicht, ihr Menschen seid eben alle so dumm und eng im Hirn, ihr seht nur eure eigene Realität, wie ihr sie haben wollt. Meine Mutter kam auf mich zu und nahm mich in den Arm, und plötzlich war es nicht meine Mutter, sondern eine weißgekleidete Gestalt, ein Mann mit grauem Haar und vielen Falten, so wie man sie oft in Krankenhäusern sieht. Er sah freundlich aus, und ich wollte auch ihn vor dem grässlichen Satan in der Ecke warnen, aber er ignorierte es. Einen Moment war ich beruhigt, denn ich konnte Satan nicht mehr sehen, aber dann kam mir in den Sinn, dass der Mann sicher nicht so ruhig gewesen wäre, wenn er nicht Bescheid gewusst hätte. Er war ein Diener Satans, eine Ausgeburt der Hölle, die sich jetzt über mich beugte! Er wusste nicht, dass ich mich wehren konnte, aber ich besaß ein Messer. Es war zwar stumpf, aber ich zog es unter meiner Matratze hervor und stach auf ihn ein, ich ließ nicht locker, und ich sah, wie ich Macht über Satan errang! Er brach zusammen, und ich stieß wieder und wieder zu, und mit Genugtuung sah ich Satan blutüberströmt zu Boden sinken. Einen Moment lang lehnte ich mich zurück, aber plötzlich waren da noch mehr Weißgekleidete, und über ihnen, an der Decke sah ich plötzlich Satans lachendes, sein wahres Gesicht - er war stärker als ich! Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz im linken Arm, und ich bemerkte, dass ein Weißgekleideter meine Spritze in der Hand hielt und mir damit in die Vene stach. Warum? War er doch kein Gehilfe Satans? Er half mir, er war weißgekleidet, es musste doch ein Engel sein, der mich zu retten versuchte!
Satan verschwand, wohlige Wärme umfing mich, und ich sah wieder den lustigen Reigen der tanzenden Teufel, in weiter Ferne jedoch, und dann kam mir zu Bewusstsein, dass ich einen Engel getötet hatte. Das war furchtbar, und es war nur Satans Schuld. Verzweifelt schluchzte ich auf, mit tränenüberströmtem Gesicht bat ich die Engel neben mir um Verzeihung, flehte sie an, mir zu vergeben und weiterhin beizustehen, und dann verschwand alles unter rosigen Schleiern, und irgendwann kam ich wieder zu mir. Ich erwachte, voller Kraft und Energie, und ich wusste, dass mir niemand etwas anhaben konnte, schon gar nicht diese lächerliche Teufelsbrut. Ich konnte mit ihnen leben, denn ich hatte sie ja unter Kontrolle. Es war keine Frage, dass jemand mit derart starkem Geist wie ich diese Ausgeburten der Phantasie besiegen konnte, denn schließlich waren es ja nur schlimme Träume, wie ich sie als Kind oft gehabt hatte. Ich erhob mich von meinem zerwühlten Bett, und ein leichter Schwindel packte mich. Ich sah mich um, und sah ganz tief unten, wo meine Füße waren - ja, ich war ein echter Riese, unendlich lang, und ich wuchs noch immer, derzeit war ich mindestens drei Meter groß - einen kleinen braunen Fleck am Boden, den die Engel noch nicht weggezaubert hatten. Engelsblut! Ich kniete hin und meine Zunge leckte es auf, denn es würde mich stärken in meinem Kampf gegen das Böse, den ich so alleine auszufechten hatte, weil alle Menschen um mich zu dumm waren, um die Gefahr zu erkennen, in der sie schwebten. Die Sonne stand hoch am Himmel und lachte zum Fenster, das mit hübschen weißen Gitterstäben verziert war, herein, als ob es auf dieser Welt nichts Böses gäbe. Das war vor zwei Wochen, oder eigentlich, glaube ich, ist es gerade geschehen. Vielleicht, ist ja auch nicht wirklich wichtig.

Das Engelsblut hat mich gestärkt, so dass ich mich auf den Weg zum Fenster mache, weil draußen so schönes Wetter ist. Nach außerordentlich kurzer Zeit bin ich heute schon dort, die gewaltige Anstrengung macht mir nichts aus, und sehe den Vollmond am nachtdunklen Himmel aufgehen, und wieder überfällt mich die Angst, wie ich sie schon immer vor der Dunkelheit hatte. Doch heute hilft mir mein Großvater, der plötzlich hinter mir steht und beruhigend die Hand auf meine Schulter legt. Ich muss lachen, denn die blöden Leute glauben, er sei schon seit langem tot, aber das muss eine Verschwörung gegen mich sein, immer wollen mir irgendwelche Leute etwas erzählen, was absolut nicht der Wahrheit entspricht.
Mein Gesicht friert ein, bei der Wut, die mich überkommt, wenn ich daran denke. Der letzte, der mich dauernd angelogen hatte, war mein Vater gewesen. Aber er hat sich zum Guten gewandelt, seit unserem Streit, bei dem es mir offenbar gelungen ist, ihn für immer zu bekehren. Er besucht mich jetzt fast jede Nacht, manchmal tanzt er sogar mit den Teufeln mit und lacht mir zu, so wie er es getan hatte, als ich noch ein kleines Kind gewesen war. Einmal kam er sogar gemeinsam mit Großvater zu mir, und gemeinsam wehrten wir die dunklen Schatten ab, die sich gegen mein Fenster warfen, dass es nur so krachte. Ich kann mich auf beide verlassen, sind prima Kerle jetzt. Auch Mutter geht’s besser, seit Vater sie nicht mehr schlägt. Ich habe lang darunter gelitten, vielleicht mehr als meine Mutter. Oft sehe ich in meinen Träumen ihr verweintes Gesicht, voll blauer Flecken. Schade nur, dass sie nicht verstand, als ich ihr zu meinem achtzehnten Geburtstag erklärte, wie meine Waffe gegen die bösen Geister funktioniert. Sie hatte wohl nicht geahnt, dass ich mich so weit entwickelt hatte. Vermutlich war es ihr als Frevel erschienen, dass man die bösen Geister beherrschte, und ich konnte kein Verständnis dafür aufbringen, dass sie mir meine mühsam und teuer erworbenen Wunderwaffen wegnehmen wollte. Da musste ich das erste- und einzige Mal richtig streng mit ihr werden. Vielleicht hatte sie Angst vor der Spritze, denn sie wehrte sich, als ich ihr zeigen wollte, wie man alles unter Kontrolle bekommt. Aber ich war stärker, und dann akzeptierte sie es, sie lag da mit lächelnd verklärtem Gesicht, so entrückt, dass sie viele Stunden lang nicht einmal mehr mit den Augen zwinkerte, ein Kunststück, das ich noch nie fertig gebracht habe. Ich lag einfach neben ihr, und es dauerte so lange bei ihr, dass ich mir in der Zwischenzeit zwei Spritzen setzte, einfach aus Solidarität ihr gegenüber. Irgendwas hatte ich aber wohl nicht vertragen, denn ich erwachte im Krankenhaus. Und wenige Tage danach hatte ich diesen Streit mit meinem Vater. Er kam mich besuchen und wollte mir weismachen, Mutter wohne jetzt irgendwo in der Nähe der Kirche und käme nie mehr wieder, aber sie kommt mich doch so oft besuchen! Da musste ich ihm wirklich mal ernsthaft ins Gewissen reden um ihn für immer zu ändern. Aber jetzt ist alles in Ordnung, mein Vater kommt mich sogar öfter besuchen, als meine Mutter, und er ist jetzt sehr viel einsichtiger und freundlicher als früher. Habe ich das vorhin nicht schon erwähnt?
Ich drehe mich nach meinem Großvater um, aber das Zimmer ist leer, er ist wohl schon gegangen, und plötzlich steigt die Erinnerung an den Teufel in mir hoch, und ich muss kotzen. Das Fensterbrett, der Heizkörper, alles wird voll, und vor Schwäche lege ich mich auf den Boden, in der Hoffnung, dass mich die Engel finden werden und zurück in den Himmel tragen.......

 

Moin Wiesi.

Also, ich kann meinem Vorredner nicht zustimmen. Mir hats prima gefallen, selbst die vielen Neben- und Nebensätze passten zum verwirrten Weltbild deines Prots.

Im Prinzip kein neuer Plot, trotzdem interessant dargestellt. Das langsame Abrutschen in seine "Scheinwelt" hast du sehr gut rübergebracht. Besonders gut hat mir die Szene mit der Mutter gefallen.

Bisschen nörgeln kann ich aber auch: die ersten zwei Drittel gefielen mir ein wenig besser, da du hier das Surreale mehr hervorgehoben hast (die tanzenden Teufel, der Satan in der Ecke ...). Das hättest du weiter führen sollen; das letzte Drittel war zwar auch gut geschrieben, doch für meinen Geschmack waren seine Gedanken zu real. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er in dem Krankenhaus nicht mehr soo viele Drogen bekam :D

Fazit: Eine wirklich nette Darstellung einer drogenbehafteten Sicht- und Handlungsweise.

Gruß! Salem

 

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