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Serie Wenn ihr das hier lest, ist es zu spät

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21.03.2021
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Wenn ihr das hier lest, ist es zu spät

Seit seiner Ankunft im Baumarkt schmachtete es Rainer Zufall nach einer Zigarette. Seine Hand fuhr unter den Trenchcoat. Eine zerknautschte Packung Roth-Händle kam zum Vorschein, Rainer klopfte eine Filterlose heraus und steckte sie an.
Er inhalierte. Wunderbar, die Erste am Morgen.
Rauchend in Gedanken versunken, streifte sein Blick über den Tatort. Was zur Hölle?
Das Opfer lag auf dem Rücken. Ein Mann um die Dreißig, in seiner Brust steckte eine Gardena-Gartenharke. Ringsherum an den Regalen klebte Löschmittelschaum, auch die schlichte Leinenkleidung des Toten wurde davon bedeckt. Den dazugehörigen Feuerlöscher sah Rainer wenige Meter entfernt im Gang, eine rosa Spur aus Blut und Schaum zog sich vom eingeschlagenen Schädel zu dem handlichen Metallzylinder.
Als wäre dies noch nicht genug, lagen überall auf dem Boden Türklinken unterschiedlichster Couleur verstreut, er zählte über ein Dutzend.
Grotesk, dachte Rainer. Beinahe schon Kunst.
Das Gesicht des Toten, oder besser - was davon übrig war – wirkte vertraut.
Er kannte den Kerl.
»Ich kenne den Kerl«, sagte er und nahm einen Zug von der Filterlosen.
»Ach was?«, antwortete Graf Photo und schritt weiter im Kreis um die Leiche herum, während er auf sie herabsah und dabei unentwegt blinzelte. Sein blütenweißes Heldenkostüm blendete Rainer, der Kommissar kniff die Augen zusammen.
»Es liegt mir auf der Zunge«, murmelte Rainer. Irgendwas mit Kiffen, dachte er.
»Spucken Sie´s aus«, sagte der Graf ohne aufzusehen, vertieft in seine Arbeit.
Ein Räuspern in Rainers Rücken. Schulterblick. Dort stand ein Fremder. Klein. Schmächtig.
Sein Kostüm sah lächerlich aus.
Schwarz-weiss gestreifter Paillettenanzug, Klaviaturkrawatte, 70er Jahre Glitzer-Sonnenbrille.
Rainer klemmte sich die Kippe in den Mundwinkel und drehte sich zu dem Mann um. »Ja?«
»Hallo, äh...«, der Dünne sprach mit unangenehmer Fistelstimme. »Ich hab mich gefragt ob Sie … Hilfe benötigen?«
Ein tiefer Zug Nikotin. Asche, die zu Boden fiel. »Wer sind Sie noch gleich?«
Das Männchen drückte den schmalen Rücken durch. Brust raus, Bauch rein. Lächerlich.
»Piano-Man
Piano-Man. Natürlich. Wer sonst. Rainer zeufzte. »Was ist Ihre Kraft?«, leierte er die nächste Frage lustlos herunter. Wie oft noch? Oh, wie sehr er diese Frage hasste.
Piano-Mans Antwort kam zögerlich. »Ich...äh...spiele virtuos Klavier.«
Rainers Lippen kräuselten sich. »Wow. Piano-Man, das ist...wirklich beeindruckend.« Er nahm einen weiteren Zug, dabei zeigte er mit dem Daumen auf den Toten hinter sich. Löschschaum, Harke in der Brust, zertrümmerter Schädel.
»Im Moment komme ich klar, aber bitte gehen Sie nicht weg, falls ich zur Lösung des Falls eine Sonate in D-Moll benötige.«
Sarkasmus schien nicht zu Piano-Mans Verwundbarkeiten zu gehören, der Hänfling brach nicht vor Schmerzen zusammen, oder zerschmolz vor Rainers Augen zu einer monochrom glitzernden Pfütze.
Alles schon erlebt.
Er starrte dem Kommissar bloß noch für einen merkwürdig langen Moment in die Augen, leckte sich die Lippen und ging dann einfach weg.
Rainer atmete tief durch und wandte sich wieder Graf Photo und dem Opfer am Boden zu. Er kannte den Mann. Woher?
Ein lautes Knistern über ihren Köpfen, gefolgt von einer schrebbelnden Lautsprecherdurchsage.
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Rainers Konzentration schmolz dahin, wie Schokolade in der Sonne.
Verdammt! Fast hätte er es gehabt.
Ein lauter Knall, als sich Captain Obvious® aus dem Nichts direkt neben ihn teleportierte.
Rainer zuckte zusammen, vor Schreck fiel ihm beinahe die Fluppe aus dem Mundwinkel.
»Herrgottnochmal!«, entfuhr es ihm.
Für einen Moment verharrte der Captain.
Stabiler Stand, Arme in die Hüften gestemmt, Kinn gehoben, heroischer Blick. Sein gelbes Cape wehte im Luftzug, da eine Kundin in Gang Drei einen leistungsstarken Standventilator ausprobieren musste.
Rainer seufzte erneut. Montagmorgen. Es war so klar.
Captain Obvious® ließ seine Pose fallen und lächelte.
Strahlend weisse Zähne, absolut ebenmäßig. Jede Zahnarztgattin wäre vor Neid erblasst.
»Kommissar Zufall«, grüßte er Rainer, »Hochgeboren«, in Richtung des Grafen.
»Captain«, antwortete Rainer nickend. Bloß nicht mehr Konversation machen als nötig.
»Obvious«, erwiderte der Adelige, hob den Blick und blinzelte.
»Bitte eure Grafschaft, keine Fotos von mir«, rief der Captain, die Hände abwehrend mit den Handflächen nach außen. »Löscht es sofort aus eurem Gedächtnis, oder meine Anwälte werden euch zeigen, was eine Harke ist.« Mit ausgestrecktem Finger zeigte er auf das Gartengerät, welches in der Brust des Toten steckte.
»Halten Sie mich für unterbelichtet!?« empörte sich der Graf im weissen Neoprenanzug.
Rainer wusste, dass Graf Photo mittels Kraft seines photografischen Gedächtnis´ keine Kopien für sich behalten würde. Photo besaß keine Lizenzvereinbarung mit Heldentaten Inc., bei denen Captain Obvious® – wie so viele andere neben ihm– unter Vertrag stand.
»Jetzt seien Sie nicht so verblendet«, versuchte der Captain ihn lächelnd zu beschwichtigen. »Das war bloß eine kleine Stichelei, unter Kollegen. Objektiv betrachtet eine Fokussierung auf meine Motive, wenn Sie so wollen.«
Sein Lächeln war mittlerweile zu einem Grinsen angewachsen.
Lass´es gut sein Photo, dachte Rainer. Gegen den Captain kannst du nur verlieren.
»Sie wissen, dass ich meine Kraft nur bedingt kontrollieren kann, Obvious?« Graf Photo hielt sich jetzt den Zeigefinger dicht ans rechte Auge. »Das ist ein natürlicher Reflex. Glauben Sie, es macht mir Spaß, jeden Abend Zehntausend ungewollte Schnappschüsse aus meinem Geist löschen zu müssen?« Er schickte noch einen mürrischen Blick in Captain Obvious®´ Richtung. Dann schloss er kurz die Augen, seine Lider flatterten für eine Sekunde, wie im Tiefschlaf.
»Ist gelöscht«, blaffte er und fügte an Rainer gewandt hinzu »Kommissar, ich bin hier fertig, Sie finden dann die mentalen Kopien wie immer in ihrem System auf dem Revier.«
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und ging den Gang hinunter, in Richtung der Kassen.
»Augezeichnet«, sagte Captain Obvious®. »Ich bin sehr erfreut über die Entwicklung unserer Beziehung!«, rief er dem Superhelden hinterher und streckte seinen Daumen in die Höhe.
Grinsend wandte er sich an Rainer.
»Kommissar?«
»Captain.«
»Was haben wir?«
»Nun, das Opfer ...«
»Jackpot.«
»Was?«
»Das ist … das war Jack Pott«, korrigierte der Captain und zeigte auf die Leiche.
»Kam mir gleich so bekannt vor«, sagte Rainer. Er sog an seiner Zigarette und trat näher an den Toten heran, darauf bedacht, nicht auf eine der umliegenden Türklinken zu treten.
Blaugrauer Rauch entwich seinen Nasenlöchern. »Sind Sie sicher?«
»Offensichtlich«, antwortete Captain Obvious®. »Ich erkenne einen ehemaligen Grasdealer, wenn ich ihn rieche. «
»Ehemalig?«
»Jack Pott wurde vor einem Jahr aus der Super-JVA Brackwede entlassen. Ist anständig geworden, hat eine Ausgabestelle für medizinisches Marihuana eröffnet. Ganz legal.«
»Führte er das Geschäft alleine?«
»Nein, er hat einen Geschäftspartner, einen gewissen Rastaman
Rainer lupfte bei dem Namen eine Augenbraue, nahm einen weiteren Zug von der Filterlosen. Ein Nicken in Richtung der Leiche. »Könnte der etwas damit zu tun haben?«
»Schwer zu sagen. Doch Sie sollten auf Nummer Sicher gehen und umgehend eine Rastafahndung einleiten.« Da war es wieder, das breite Grinsen.
Rainer ignorierte den schlechten Wortwitz, ließ die Kippe zu Boden fallen und zertrat den Stummel mit der Spitze seines Lackschuhs. »Ich kümmere mich drum.«
»Kommissar Zufall, dürfte ich Sie mal etwas persönliches fragen?«
Erst jetzt bekam Rainer mit, dass Captain Obvious® ihn unverhohlen von Kopf bis Fuß musterte.
Rainer stöhnte auf. »Ich hab ihnen schon mal gesagt, dass ich kein Wunschkind war. Meine Eltern sind grausam, was soll ich sagen?«
»Um ihren Namen geht es nicht.« Captain Obvious® baute sich vor ihm auf, drückte den Rücken durch. Er war einen ganzen Kopf größer und sah auf Rainer herab.
Dieser ahnte, was jetzt kam. Es war immer dasselbe.
»Wie fühlt man sich so, als einer der wenigen Kraftlosen, in unserer neuen Stadt?«
Innerlich wallte bei dieser Frage Hitze in Rainer auf, auch wenn er sie mittlerweile gewohnt war.
Er kämpfte das miese Gefühl rasch nieder. Äußerlich blieb er cool.
Selbstgefälliger Mistkerl, dachte er dennoch.
»Wie sollte ich mich denn ihrer Meinung nach fühlen, Captain?« Rainer verschränkte die Arme vor der Brust. »Seit mehr als sieben Jahren sind quasi alle Menschen um mich herum mutiert. Große Kräfte, kleine Kräfte, Superhelden, Superschurken. Oder einfach nur eine minimale Erleichterung des Alltags, weil man sich plötzlich mit einem Fingerschnippen dass Essen von gestern aufwärmen kann ...«
»Ich kenne Die menschliche Mikrowelle!«, gab der Captain an, »wir sind gut befreundet...«
»..der Punkt ist«, unterbrach Rainer ihn, »Ich bin immer noch ich. Mit meinen eigenen Stärken, meinen eigenen Schwächen. Und wenn kein weiterer, kosmische Strahlung freisetzender Komet über unserer Stadt verglüht, werde ich es vermutlich auch bleiben. Damit muss ich leben. Jeden Tag.«
Captain Obvious® sagte nichts, lächelte sein Zahnpastalächeln und ließ die perfekten Bauchmuskeln unter dem Spandexkostüm spielen.
Rainer machte einen Schritt auf den breitschultrigen Helden zu, die Körper der beiden Männer waren jetzt bloß noch eine Handbreit voneinander entfernt.
»Und wissen Sie was …?«, sagte er mit Unheil in der Stimme und schaute dem Captain dabei tief in die Augen. Er hatte es so satt.
»Ja«, sagte dieser, grinsend.
Ein Duell des Starrens. Vier Augen, keine Bewegung. Dann besann sich Rainer eines Besseren und biss sich auf die Zunge.
»Vergessen Sie´s«, sagte er und drehte sich weg. Warum einem Super-Idioten wie Obvious ans Bein pinkeln? Es würde ja doch nichts bringen, außer Ärger.
»Ookaaay«, rief der Captain gut gelaunt, »Ich denke, wir sind hier fertig.« Er wedelte mit seinem Handschuh in Richtung der Leiche. »Ich informiere Sauberman®, dass er hier sauber machen kann.«
Rainer bekam Kopfschmerzen. Er kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel, schloss die Augen.
»Machen Sie das, Cap...« Ein lauter Knall, als der Superheld teleportierte.
»Verfluchte Montage«, murmelte Rainer.

II​

Auf seiner Fahrt vom Baumarkt zum Polizeirevier versuchte Rainer, den Beginn des Tages zu vergessen. Er konzentrierte sich aufs fahren, denn die Ampeln spielten mal wieder verrückt und sein klappriger Kombi besaß keinen TÜV mehr.
Auf den Straßen herrschte auch heute wenig Verkehr. Seitdem viele Leute schweben, fliegen oder sich teleportieren konnten, kam man zügiger von A nach B. Seltsamerweise hatte dies keinerlei Auswirkungen auf die Benzinpreise.
Als er in den Kreisverkehr am Platz der Helden, dem Hauptverkehrsknotenpunkt der Stadt einbog, war dort einiges los. Eine größere Menschenmenge hatte sich versammelt, Hände zeigten in die Luft, Jubelschreie, Applaus. Rainer fuhr langsamer und drehte den Kopf, so dass er durch die Windschutzscheibe steil nach oben schauen konnte.
Zwei fliegende Gestalten lieferten sich über der Innenstadt Neu-Bielefelds einen Luftkampf in den Wolken. Zu hoch, Rainer konnte nicht erkennen, um wen es sich dabei handelte. Sie rasten am Firmament entlang, der Verfolger feuerte gerade einen Doppelstrahl neonroter Laser ab, doch der Gejagte wich mit einer Fassrolle erfolgreich aus und floh gen Boden.
Die Menge auf dem Platz jubelte.
Vielleicht Der rote Baron, dachte sich Rainer, korrigierte diesen Gedanken aber umgehend. Der Rote Baron war schließlich letzten Monat von Mistress Menopause gekillt worden. Rainer hatte damals den Polizeibericht gelesen, ihre Hitzewallungen machten die Superschurkin angeblich unberechenbar.
Erneut schoss der Verfolger, wieder wich der Gejagte aus. Diesmal war es haarscharf. Laserstrahlen brannten Furchen in die Fußgängerzone und zerschnitten Karstadt in zwei Hälften. Das Gebäude stürzte ein, glühende Trümmer regneten herab und begruben Einkaufsbummler in einer gigantischen Staubwolke.
Die Menge auf dem Platz kreischte und floh. Schaulustige Vollidioten.
Penetrantes Hupen hinter ihm. Ein Blick in den Rückspiegel. Schwarzer Sportwagen, Flammenlackierung. Übertriebener Heckspoiler. Der rasende Rächer. Augenscheinlich angepisst, weil er wegen Rainer nicht rasen konnte, dröhnte die Hupe jetzt dauerhaft.
Rainer lenkte seinen Blick wieder auf die Straße und beschleunigte. Der Rächer machte seinem Namen alle Ehre und schoss links am Kombi vorbei. Rainer schaltete das Radio ein.
Welle 98,3; Radio Neu-Bielefeld. Lokalnachrichten.
»...haben wir gerade erfahren, dass es sich bei den zwei Kontrahenten über der Innenstadt um niemand anderen als die Erzfeinde Fräulein Wunder und Mister Macho handelt! Wie ihr bestimmt wisst, hat Macho sich kürzlich erneut den Zorn der beliebten Heldin zugezogen als er sie ...«
Rainer drehte das Radio leiser.
Erzfeinde. Heldenbündnisse. Superschurkische Weltvernichtungspläne. Das alles war gleichgültig. Ähnliches passierte seit fast sieben Jahren in seiner von der Regierung abgeriegelten Stadt, quasi jeden Tag, wenn auch stets in anderer Variation. Er wäre längst weggezogen, hätte man es ihm erlaubt. War er im Laufe der Zeit abgestumpft? Wahrscheinlich. Hatte er die Macht es zu ändern? Nein.
Er fuhr weiter, leise dudelte der Radioton in den Fond des Wagens.
»Die Supercharts der Woche werden präsentiert vom Autohaus Steinkötter und Dr. Drehmoment®.
Auf Platz Eins der beliebtesten Neu-Bielefelder Superhelden, mit 212.865 positiven Klicks: Posterboy!®. Dicht gefolgt von Lady Like® auf der Zwei mit 210.723 Klicks und - etwas abgeschlagen – Richter Gnadenlos auf der Drei mit...«
Rainer schaltete das Radio aus.
Seine Kiefermuskeln spannten sich an, unbewusst mahlte er mit den Zähnen.
Lady Like.
Rainer kannte sie schon, als sie noch Monika hieß. Sein Blick wanderte zu der verblassten Stelle am Ringfinger. Monika Zufall, geborene Brindöpke.
Er dachte an frühere Zeiten. Daran, dass er mal ihr Superheld war. Doch kaum konnte sie fliegen, das Auto mit einer Hand hochheben und unter Wasser atmen, hieß es:
»Schatz, irgendwie bist du ein ... Langweiler geworden.«
Er gab nicht Ihr die Schuld. Dieser verdammte Komet...
Nein! Rainer schüttelte den Kopf. Das hatte er hinter sich. Es brachte nichts, sich über die Vergangenheit aufzuregen. Was geschehen war, war geschehen.
Er versuchte, die trübe Stimmung hinter sich zu lassen und parkte schließlich den Wagen vor dem Polizeirevier.

Mit großen Schritten nahm Rainer jeweils zwei Stufen der Treppe, hinauf zum Eingang des Gebäudes. Halben Weges begegnete er Robin Good®. Grüne Strumpfhose, braunes Wams, Pfeil und Bogen. Der Held führte gerade einen schmerbäuchigen Mann in Handschellen vor sich her.
»Morgen Robin«, grüßte Rainer. »Wen haben Sie da?«
»Kommissar Zufall! Ich grüße Sie. Der hier? Das ist Baron Chaos
»Baron von Chaos!« polterte der Gefangene über seine Schulter hinweg. »So viel Zeit muss sein!«
Das Gesicht des Barons steckte unter einer schwarz-roten Sturmhaube, sein Kostüm sah selbstgebastelt aus.
»Was hat er angestellt?«, fragte Rainer, während sie weitere Stufen erklommen. Robin grinste.
»Ein echter Schwachkopf. Hat tatsächlich versucht, Jesus 2.0® zu töten.«
»Was heißt hier versucht?!«, schrie von Chaos. »Ich habe ihn getötet!«
Robin verpasste dem Baron einen Klaps auf den Hinterkopf. »Und wie erfolgreich war das, hm? Und jetzt vorwärts, ich will kein Wort mehr hören. Schönen Tag noch, Kommissar«, nickte Robin ihm zu, schubste den Baron durch die Eingangstüren und weg waren die beiden.
Rainer schüttelte den Kopf. Klassischer Anfängerfehler, das mit Jesus 2.0®. Jeder Schurke der länger im Neu-Bielefelder Business war, wusste, es brachte nichts den Bärtigen Klugscheißer zu töten. Schließlich stand er nach drei Tagen doch immer wieder auf der Matte.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich. In seiner Abteilung herrschte der ganz normale Wahnsinn:
Lord Lässig lümmelte am Empfangstresen herum und schäkerte mit der Außergewöhnlichen Assistentin, aus den Arrestzellen ertönte Geschrei, da Professor Proletariat mal wieder lauthals – doch eloquent - seine Diktatur ausrief. Auf dem Weg zum Schreibtisch versuchte Das menschliche Gummiband Rainer zu gemeinsamen Dehnübungen überreden, doch er winkte ab. Er war müde.
»Gerne auch später, ich bin da flexibel«, rief ihm die Superheldin noch hinterher.
Nahe des Wasserspenders wurde Dr. Ecksack soeben von einem Beamten in Richtung der Verhörzimmer abgeführt, da traten Sergeant Super und Captain Cool in Rainers Blickfeld.
»Stillgestanden!«, riefen sie und salutierten.
Rainer seufzte. »Jawoll, die Herren«, sagte er, blieb jedoch nicht still stehen, sondern ging weiter. Die beiden Helden flankierten ihn, ihre Paradeuniformen waren auf Hochglanz poliert.
»Haben Sie es schon gehört?«, fragte Sergeant Super.
»Was?«
»Der Hausmeister wurde verhaftet.«
Rainer runzelte im Laufen die Stirn. »Nie von dem gehört. Ist der neu? Welche Kraft?«
»Nicht doch Kommissar, der Hausmeister dieses Gebäudes, unseres Reviers.«
Ich werde wahnsinnig, dachte Rainer. Er atmete tief durch. »Ach so. Weshalb?«
»Der Strolch hat aus Industriereiniger und Elektronikschrott eine Bombe gebaut. Wollte wohl auf die dunkle Seite wechseln und sich einen Namen machen, indem er das Revier in die Luft jagt«, sagte Captain Cool.
»Krass«, murmelte Rainer. »Wer hat ihn erwischt?«
»Die Reinigungskraft
»Die kenne ich. Nette Frau.«
»Ja, die ist super. Heftige Kräfte. Hat sich angeblich mit Sauberman® verbündet.«
Rainer wurde an das Treffen mit Captain Obious® erinnert, seine Laune verschlechterte sich.
»War´s das dann? Wegtreten«, knurrte er in Richtung der beiden Uniformierten, als das Trio seinen Schreibtisch erreichte. Neben dem Monitor stapelten sich haufenweise Dienstakten, die Tischplatte war übersät mit Krimskram. Auf der Fensterbank vertrocknete ein halbes Sandwich. Rainer Zufall hatte seinen Ordnungssinn vor etwa sechseinhalb Jahren verloren; und bislang mangelte es ihm an Motivation, ihn wiederzufinden.
Er ließ sich in seinen Drehstuhl fallen … und sprang vor Schreck mit einem Aufschrei wieder hoch!
»Herrgottnochmal! Uwe!«, brüllte er und wirbelte herum. Verdammter Penner, das war das letzte Mal.
Wie durch Zauberhand drehte sich der Stuhl in Rainers Richtung. Ein schallendes Lachen. Herzhaft, aus tiefster Kehle. Der Typ lachte ihn aus, war das zu fassen?
»Das war´s Uwe. Ich hab dir gesagt, was passiert, wenn du die Nummer nochmal mit mir durchziehst!« Rainer wies mit dem Zeigefinger auf den sichtbar leeren Stuhl. Ein leichtes Wackeln der Rückenlehne, die Plastikfüße quietschten leise.
»Das ist nicht mehr mein Name, Rainer«, ertönte es jetzt im Bariton vor ihm, allerdings auf Augenhöhe. »Du weißt wie ich heiße. Und überhaupt, sei mal nicht so spießig. Wie lange kennen wir uns jetzt? Ihr Kraftlosen seid...«
»Du bist Uwe Grabowski!« redete Rainer sich in Rage. »Wir kennen uns seit über zwölf Jahren und waren mal Freunde!«
»Wir sind doch noch Freunde...«
»Ich habe keinen Freund namens Kommissar Unsichtbar!« Rainer brüllte jetzt. »Früher warst du mal ein großartiger Polizist, aber seit dieser beschissene Komet über uns gekommen ist, bist du nicht wiederzuerkennen!«
Keine Antwort. Vor ihm der leere Stuhl. Diverse Helden hatten ihre Tätigkeit für den Moment eingestellt und sahen zu Rainer herüber. Er streckte die Hand aus und tastete vor sich in die Luft, wo er seinen Kollegen vermutete. Nichts. Bloß Luft.
»Ja toll Uwe, sehr erwachsen!«, rief er und sah sich um, doch niemand antwortete.
»Zeigen Sie´s ihm, Kommissar«, rief Dr. Ecksack vom Ende des Büros herüber.
»Schnauze, Ecksack!«, pampte Rainer zurück.
Kurze Stille.
Das Revier fuhr den Betrieb wieder hoch.
Rainer zog sich den Stuhl heran, setzte sich. Diesmal kein nackter Männerkörper unter ihm. Kommissar Unsichtbar. Was ist bloß wirklich aus dir geworden, Uwe?
In den nächsten Stunden wurde er in Ruhe gelassen, niemand sprach ihn an.


III​

Als er aus der Mittagspause zu seinem Schreibtisch zurück kehrte, wartete dort Big Brother.
Rainer erkannte ihn bereits vom Fahrstuhl aus, der muskulöse Superheld maß über zwei Meter und war nur schwer zu übersehen. Rainer hob einen Zeigefinger, signalisierte ihm, dass er gleich da sei. Er machte einen Schlenker zur Kaffeemaschine, ließ sich von Melitta-Man® zwei große Becher füllen – schwarz und stark – und trug sie zu seinem Arbeitsplatz.
»Mahlzeit, Rainer«, begrüßte der Hüne ihn mit Reibeisenstimme. Unter seinem Arm klemmte eine Aktenmappe.
»Mahlzeit. Kaffee?« Rainer hielt ihm einen Becher hin. Der Große nahm ihn dankend entgegen, für einen Moment sagte niemand etwas. Genußvolles Schlürfen.
»Ahhh. Was kann ich für dich tun?«, fragte Rainer.
»Du ermittelst doch in dem Fall des Toten aus dem Baumarkt?«
»Hab eben erst angefangen. Komische Sache, wenn du mich fragst.«
Big Brother trank einen Schluck, dann reichte er Rainer die Aktenmappe. »Graf Photos bearbeitete Aufnahmen des Tatorts. Außerdem der Autopsiebericht. Miss Mikro hat sich wirklich beeilt, ich glaube, sie mag dich.«
»Nun, ich mag sie auch.« Das stimmte, Rainer konnte die Chefin der Gerichtsmedizin gut leiden. Mittels ihrer Kraft auf bis zu Teilchengröße geschrumpft, flitzte sie durch die Arterien und Venen der aufgebahrten Leichen und half so, sehr effizient die Todesursachen zu ermitteln.
Rainer nahm die Aktenmappe entgegen. »Du hast dir ohne meine Erlaubnis bereits alles davon angesehen?«
»Du kennst mich«, sagte Big Brother.
»Klär mich auf«, forderte Rainer, trank einen Schluck Kaffee und warf die Aktenmappe auf den Stapel zu den anderen, ohne einen Blick hinein zu werfen.
»Das Ganze ist ein wenig seltsam« begann Big Brother. »Als erstes: Graf Photos Fotos können wir vergessen. Künstlerisch wie immer wertvoll, doch für unsere Ermittlungen nicht zu gebrauchen.«
»Verstehe.« Rainer nahm einen weiteren Schluck. Alles wie immer. Der Kaffee half.
»Miss Mikros Untersuchen bringen tatsächlich ein wenig Licht ins Dunkel. Ihrem Bericht nach, wurde Jack Pott aus dem Hinterhalt angegriffen. Zuerst wurde er mit den Türklinken beworfen. Dann bekam er die Harke in die Brust, doch dies brachte ihn nicht um.«
Rainer nickte. Über die Kaffeetasse hinweg starrte er ins Leere, dachte nach.
»Schließlich wurde er mit dem Schaum eingesprüht, Miss Mikro geht davon aus, dass dies ein Abwehrmanöver des Schurken war. Der Feuerlöscher auf dem Kopf bedeutete schließlich das Ende. Die abschließende Todesursache lautet Schädelbasisbruch«, schloss Big Brother.
»Was ist mit der Überwachungskamera im Baumarkt?«
»Hab ich mir als erstes angesehen. Jemand hat die Aufnahme gelöscht.«
Rainers Augenbraue hob sich. »Wie das denn? Hat Die künstliche Intelligenz gepennt?«
Neu-Bielefelds digitale Superheldin steuerte zusammen mit ein paar anderen sämtliche Computersysteme der Stadt, ein Fehler im Code wäre eine große Sache.
»...Die künstliche Intelligenz ist tot.«
Prrrft. Rainer versprühte prustend Kaffee. »Was? Wie?«, krächzte er.
»Selbstmord. Hat sich aufgehängt.«
Rainer wischte sich Kaffee vom Mantel. Das erklärte das Ampelchaos heute Morgen. Reduzierte Überwachung, fehlerhafte Verkehrsleitung. Überstunden waren garantiert.
»Wir haben also nichts«, fasste er Big Brothers Bericht zusammen.
»Sieht ganz danach aus.«
Für einen Moment herrschte Schweigen. Rainer dachte nach.
»Irgendwie improvisiert, oder?«, fragte er.
»Hm?«
»Der Mord. Sieht doch irgendwie improvisiert aus. Ich meine, wo ist da die Superschurkische Kraft? Auf mich wirkt das so, als ob jemand als Mordwaffe genommen hat, was gerade da war.«
Big Brother zuckte bloß die Achseln.
Rainers Telefon klingelte. Der Superheld erhob sich von der Tischkante. »Ich laß dich mal weiterarbeiten. Wir finden schon noch was.«
»Halt die Augen offen«, bat Rainer ihn und holte das klingelnde Handy aus der Manteltasche.
»Wir sehen uns«, sagte Big Brother und ging weg.
Rainer schaute auf das Display des Handys. Der unbekannte Anrufer rief an.
»Zufall«, nahm Rainer das Gespräch entgegen.
»Ich habe einen Tipp für Sie, im Fall des toten Jack Pott«, kratzte es elektronisch verzerrt aus dem Lautsprecher. »Gehen Sie zur Arndtstraße 12, klingeln Sie bei Humpert. Dort finden sie Jacks Mörder.« Es klickte. Aufgelegt.
Rainer steckte das Telefon weg. Anonymer Tipp. Der Klassiker. Meinetwegen.
Er trank den letzten Schluck Kaffee und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen.


IV​

Auf dem Parkplatz prügelte sich Der Antifaschist mit dem Rechten Ritter. Die beiden Erzfeinde gerieten immer wieder aneinander. Hätte man Rainer gefragt, lag die Schuld eindeutig beim Ritter und seinem heiligen Hakenkreuzzug.
Aber ihn fragte ja keiner.
Diverse Autos waren im Laufe des Kampfs bereits demoliert worden, Rainers Kombi gehörte zum Glück nicht dazu. Er umlief die Schlägerei und schloss die Fahrertür auf. Im Seitenspiegel versuchte Der Streitschlichter, Kraft seiner Empathie und Klientenorientierten Gesprächsführung, den Streit zu schlichten. Er wurde von einem Kinnhaken des rechten Ritters ausgeknockt und Die Politesse schritt ein.
Rainer zündete sich eine Roth-Händle an, kurbelte das Seitenfenster runter und drehte den Zündschlüssel. Zeit hier wegzukommen, ehe noch etwas explodierte. War die Zeitspanne nur lang genug, explodierte immer etwas.

Arndstraße 12. Ein Hochhaus in der Innenstadt. Über zwei Dutzend Klingelschilder, Rainer brauchte einen Augenblick, bis er den passenden Namen gefunden hatte. H. Humpert. Fünfter Stock.
Rainer klingelte. Keine Reaktion.
Ein Zweiter Versuch, diesmal länger. Wieder nichts.
Die Haustür öffnete sich, eine alte Dame trippelte heraus. Rainer schob seinen Fuß in die Tür, die Rentnerin nickte ihm zu, fasste ihre Handtasche fester … und schoss gen Himmel. Rainer sah ihr auf dem Weg nach oben nach, sie flog einen Bogen und verschwand hinter den Häusern.
Einen Block weiter explodierte etwas, Alarmanlagen zahlreicher Autos schlugen an. Rainer beeilte sich, ins Haus zu kommen.

Natürlich war der Fahrstuhl defekt. Schwer schnaufend erreichte Rainer den fünften Stock. Er hielt sich am Geländer fest, sein Herz pochte heftig. Irgendwann würde er mit dem Rauchen aufzuhören müssen. Nicht heute. Rauchen half.
Da war sein Ziel, Appartement 5H. Rainer näherte sich der Tür. Gerade wollte er klopfen, doch seine Faust verharrte in der Luft. Angelehnt. Zersplittertes Holz. Aufgebrochen.
Fast schon automatisch zog er die Dienstpistole. Sachte schob er die Tür mit der Linken auf, ein kleiner Flur, dahinter ein Zimmer, vollkommen verwüstet. Auf dem Boden im Raum lag jemand, begraben unter einem Bücherregal. Bewegungslos.
Rainer sicherte den Flur, die Waffe in seinen ausgestreckten Arme suchte rasch nach Gegnern. Kein Ziel. Er rückte weiter in den Raum vor.
»Polizei! Kommen Sie raus!«
Nichts. Er war allein. Allein mit dem Opfer. Rainer steckte die Waffe weg und sah sich um. Chaos, wohin er auch blickte. Zertrümmerte Einrichtung, Alltagsgegenstände kreuz und quer. Zwei Beine unter einem Bücherregal. Blut.
Der Mann lag offensichtlich auf dem Bauch. Muskulöse Waden. Babyblaues Spandex. Der untere Rand eines gelbes Capes. Moment mal.
Rainer kniete sich hin und wuchtete das Bücherregal vom Rücken des Mannes.
Captain Obvious®.
Offensichtlich tot.
Im Rücken des Captain steckten drei Steakmesser, seitlich im Hals ragte ein Korkenzieher, daher das viele Blut. Rainer drehte ihn um. Das Gesicht war grün und blau geschlagen, die Augenpartie mit einer weißen Masse verschmiert. Rainer beugte sich tiefer über den Toten, schnupperte. Maracujajoghurt. Aus dem Augenwinkel sah er das zerbrochene Glas auf dem Teppich.
Rainer stand auf. Erneut sah er sich in dem verwüsteten Appartement um. Was zur Hölle?
Auf einem Tisch entdeckte er schließlich unter den Scherben zerschlagener Teller ein Blatt Papier. Jemand hatte angefangen, handschriftlich einen Brief zu verfassen. Rainer zog das Schriftstück hervor, Porzellanreste fielen klirrend zu Boden. Rainer las.

Wenn ihr das hier lest, ist es zu spät.

Jahrelang habe ich versucht, einer von euch zu sein. Stark zu sein. Heldentaten zu vollbringen. Ihr, die nach dem Kometen verändert wurdet, wisst nicht, mit euren Geschenken umzugehen. Aus großer Kraft folgt große Verantwortung. Ich habe versucht, diese zu übernehmen, und das, obwohl ich nicht verändert wurde. Doch ihr habt mich nicht gelassen, ihr habt mich bloß ausgelacht, mich gedemütigt. Ich war keiner von euch veränderten Helden. Werde niemals einer sein. Was bleibt mir also anderes übrig, als die Seite zu wechseln und eure Ignoranz fortan zu bekämpfen. Ihr hattet eure Chance. Das Böse wird siegen, da das Gute zu blöde ist. Ich …

Hier endete der Text.
Rainer stutzte. Was ging hier vor sich, wer war dieser Humpert?
Ein schabendes Geräusch, als die Wohnungstür aufgeschoben wurde. Im Rahmen stand ein Mann um die Vierzig. Cordhose und Pulli. Klein. Schmächtig. In der Hand eine Brötchentüte vom Bäcker.
»Zufall?«, entfuhr es ihm mit unangenehmer Fistelstimme.
Rainer erkannte ihn. Der Mann aus dem Baumarkt. Ohne Kostüm.
»Piano-Man
»Der war ich mal«, antwortete der Mann und ging leicht in die Knie.
»Was zum Teufel haben Sie getan?«, fragte Rainer. Seine Hand bewegte sich sachte zum Holster an seinem Gürtel.
»Das müssten Sie doch am besten wissen. Wir beide, wir sind uns sehr ähnlich, wissen Sie?« Der Mann nahm eine Lauerstellung ein, sein Blick fixierte Rainers Dienstwaffe.
»Warum?«, fragte Rainer. »Weil wir beide keine Kräfte besitzen?« Langsam. Vorsichtig.
»Oh, ich habe schon immer eine heldenhafte Kraft besessen. Ich bin ein Virtuose am Klavier. Vor dem Kometen konnte ich mir die Angebote aussuchen. Danach war ich ein Niemand. Leider wollte meine Kraft kein anderer erkennen. Jetzt zahlen sie die Rechnung.«
»Sie sind ein feiger Mörder.«
»Ich bin viel mehr als das. Ein kluger Kopf hat einmal gesagt Entweder man stirbt als Held, oder man lebt so lange, bis man selbst zum Schurken wird. Als Held wollte man mich nicht, und sterben ist keine Option, daher bekommt diese Stadt jetzt den Bösewicht, den sie verdient.«
»Wer sind Sie?«, fragte Rainer, die Hand jetzt direkt über dem Griff.
»Ich bin ... Der Improvisateur!«, kreischte Humpert und schleuderte Rainer blitzschnell die Brötchentüte entgegen.
Rainer zog die Waffe, doch der Wurf war gut platziert. Er schoss, daneben. Die Kugel schlug in den Türrahmen ein. Der Improvisateur rannte lachend davon. Rainer hinterher.
Das Treppenhaus runter. In etwa gleich schnell. Rainer hörte die Haustür schlagen, Sekunden später rammte er sie selbst mit der Schulter auf, er kam außer Atem.
Der Improvisateur überquerte rennend vor ihm über die Straße.
»Sie kriegen mich niemals!«, keischte er über seine Schulter hinweg.
Ein Auto von links. Viel zu schnell. Dumpfes Krachen. Hoher Schrei.
Der Sportwagen des rasenden Rächers fuhr einfach weiter, hupte noch kurz und war schon wieder weg. Mit unnatürlich verdrehten Gliedmaßen lag der Schurke auf dem Asphalt.
Rainer ging zu ihm, zog seine Handschellen aus der Tasche am Rücken.
Ritsch. Ratsch.
»Mein Name ist Kommissar Zufall und sie sind verhaftet.«
Für den Bruchteil eines Moments überlegte Rainer, sich ein Cape zuzulegen.

Ende?

 

Hallo @Seth Gecko ,
Wow! Geile Geschichte. Und so viel Witz drin. Die ganzen Namen und einzelnen Wortspiele damit sind echt gut gelungen. Normalerweise kann ich mit Superhelden nicht so viel anfangen, aber das war erfrischend. Fast wäre es zuviel des Guten geworden und in der Mitte hatte ich einen kleinen Hänger, aber sonst echt klasse.

 

Hallo @Pepe86,

dein Kommentar hat mir ein breites Grinsen ins Gesicht gezaubert.

Ich war mir beim schreiben dieser Geschichte in vielen Momenten nicht sicher ... ist das witzig?

Wow! Geile Geschichte. Und so viel Witz drin.
Dein Lob bedeutet mir daher viel.
in der Mitte hatte ich einen kleinen Hänger
Kannst Du mir sagen, an welcher Stelle genau? Sollten das weitere Wortkrieger ähnlich kritisieren, würde ich da gerne noch mal nachbessern.

Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit und beste Grüße,
Seth

 

Servus @Seth Gecko,

ich dachte, schauste mal kurz rein, obwohl Fantasy habe ich zuletzt in der Jugend gelesen (Herr der Ringe). Aber ich entdeckte "Rainer Zufall". Damals bei der Post gab es einen Kollegen, Rainer, der niemals pünktlich war, zu unterschiedlichsten Zeiten auftauchte. Den nannten wir auch "Rainer Zufall". Deswegen würde die Geschichte bestimmt gut, dachte ich.

Und sie ist gut. Ich habe gelacht. Schon bei der Gardena-Gartenharke, denn die habe ich in meiner Eisenwarenhandlung-Ära auch schon verkauft und war ab und an - je nach Kunde - kurz davor, sie diesem in die Brust zu rammen.

Und Neu-Bielefeld, das wohl auf den niemals vorhanden gewesenen Trümmern von Alt-Bielefeld erbaut wurde. Hab alles ausgedruckt und zwei Kaffee während des Lesens geschlürft. Super. Und weil ich in einem Rutsch durchkam, sah ich zwar manch Fehler, war aber dann schon weiter und MUSSTE lesen.

Deswegen hier ein paar Beispiele, die ich noch rausgesucht habe:

Zwei fliegende Gestalten lieferten sich über der Innenstadt Neu-Bielefelds einen Luftkampf in den Wolken. Zu hoch, Rainer konnte nicht erkennen, um wen es sich dabei handelte. Sie rasten am Firmament entlang, der Verfolger feuerte gerade einen Doppelstrahl neonroter Laser ab, doch die Gejagte wich mit einer Fassrolle erfolgreich aus und floh gen Boden.
Also hat er sie erkannt? Oder nicht?
und bislang mangelte es ihm an Motivation, ihn wieder zu finden.
wiederzufinden
Das Revier fuhr seinen Betrieb wieder hoch.
den Betrieb, weil keine Person
Rainers Augenbraue hob sich. »Wie dass denn?
das
Fast schon automatisch zog er seine Dienstpistole
Und der hier, so ein Kardinalfehler, auch in meinen Texten immer wieder, weil es - zumindest hier im Süddeutschen - wie betoniert in der Umgangssprache ist: seine Dienstpistole ... er ist der einzige Polizist, kann also nur seine nehmen, deswegen: die Dienstpistole. Da gibt es einige dieser Formulierungen. Ist so ähnlich wie das "dann nehme ich mir", was doppelt gemoppelt ist.

Und was ich auf jeden Fall ändern würde, weil man stolpert, sind die Titel der Helden, also mitten im Satz Der rollende Roland oder so ... sind ja nicht auf den ersten Blick erkennbare Bezeichnungen. Würde ich einfach kursiv setzen, dann liest man locker ohne über en Großbuchstaben zu stolpern, wo eigentlich keiner sein dürfte. Verbessert den Lesefluss.

So, das waren meine Gedanken dazu. Es hat mich sehr gut unterhalten und ich hoffe 'Ende?' bedeutet, es kommt noch mehr.

Griasle
Morphin

 

Hallo @Seth Gecko, gern geschehen. Das Lob haste dir verdient, auch wenn es nur von mir kommt:).
Also den kleinen Hänger hatte ich, als Rainer in sein Büro kommt. Auch da sind wieder witzige Stellen, aber nehmen sie ein bisschen das Tempo raus, finde ich. Das mit Uwe, als er sich auf ihn setzt.
Und allgemein ist das zweite Kapitel etwas zu lang geraten und etwas überhäuft mit Figuren und Einzelheiten, finde ich.
Und witzig? Ja klar, allemal. Diese irrwitzigen Namen – und was ich besonders klug finde – die Verzahnung zwischen ihren Namen mit den bestimmten Tätigkeiten.


Die Reinigungskraft.«
»Die kenne ich. Nette Frau.«
»Ja, die ist super. Heftige Kräfte. Hat sich angeblich mit Sauberman® verbündet.«
Und das zb. Hilft auf jeden Fall, die Figuren besser zuordnen zu können, um nur ein Beispiel zu nennen.
Auf dem Weg zum Schreibtisch versuchte Das menschliche Gummiband Rainer zu gemeinsamen Dehnübungen überreden, doch er winkte ab. Er war müde.
»Gerne auch später, ich bin da flexibel«,
Das ist saugut?

 

Hallo @Morphin,

vielen Dank für deine Zeit, meinen Text zu lesen, kommentieren und zu kritisieren.
Das er dir gefallen hat freut mich sehr.

Deine Korrekturen sind sehr hilfreich, ich werde mich bis zum Ende des WE nochmal an den Text setzen.

Also hat er sie erkannt? Oder nicht?
Punkt für dich. Schon beim schreiben tat ich mich mit dieser Stelle schwer. Rainer kann vom Auto aus eigentlich bloß zwei Gestalten erkennen. Mehr nicht. Das Radio liefert ihm dann kurz darauf Aufklärung. Das werde ich auf jeden Fall noch umformulieren.
Und was ich auf jeden Fall ändern würde, weil man stolpert, sind die Titel der Helden, also mitten im Satz Der rollende Roland oder so ... sind ja nicht auf den ersten Blick erkennbare Bezeichnungen. Würde ich einfach kursiv setzen, dann liest man locker ohne über en Großbuchstaben zu stolpern, wo eigentlich keiner sein dürfte. Verbessert den Lesefluss.
Tatsächlich hatte ich erst überlegt, dies generell zu tun. Ich werde mal eine Fassung mit kursiven Heldenidentitäten erstellen und schauen, was mir besser gefällt.
Es hat mich sehr gut unterhalten und ich hoffe 'Ende?' bedeutet, es kommt noch mehr.
Vielen Dank, es freut mich, wenn du eine gute Zeit mit dem Text hattest. Genau, das Fragezeichen stand am Ende mehr in meinem Kopf, weil ich noch weitere Ideen für durchgeknallte Geschichten aus Neu-Bielefeld hatte / habe.

Beste Grüße,
Seth

Hello again @Pepe86,

Danke für deine Antwort.

Also den kleinen Hänger hatte ich, als Rainer in sein Büro kommt. Auch da sind wieder witzige Stellen, aber nehmen sie ein bisschen das Tempo raus, finde ich. Das mit Uwe, als er sich auf ihn setzt.
Und allgemein ist das zweite Kapitel etwas zu lang geraten und etwas überhäuft mit Figuren und Einzelheiten, finde ich.
Im Büro herrscht ja Rainers ganz normales Alltagschaos. Das Tempo wurde bewusst ein wenig gedrosselt (nichts explodiert, niemand kämpft), dafür wird man mit Namen von Helden- und Schurken nahezu überhäuft. Das ist Absicht. Rainer ist einer von ganz wenigen unveränderten, er muss sich damit rumschlagen/abfinden, dass jeder um ihn herum etwas Besonderes kann oder sich dadurch als jemand Besonderes fühlt. Solange die Leser deswegen nicht aussteigen lasse ich es erstmal so, warte aber dies bzgl. auch noch weitere Stimmen ab.

Ich danke dir für deinen kritischen Blick, sowie für die Aufmerksamkeit.
Beste Grüße,
Seth

 

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