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Wer sich umdreht

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15.03.2021
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Wer sich umdreht

Gregor
Lisa stand vor ihm am offenen Fenster. Aus dem Garten trug der Wind das liebliche Aroma der Orangenblüten herauf, doch Lisas Duft in seinen Armen genoß Gregor mindestens ebenso sehr.
"Ich könnte jedes Jahr hierherfahren!", seufzte er. "Manchmal würde ich am liebsten nach Südfrankreich auswandern!"
Da waren verwilderte Kräuter im Garten, etwas Gemüse, Oleanderbüsche, Bouganville an der Hauswand und ein großer Orangenbaum, durch dessen Zweige das Meer schimmerte. Unter dem Baum standen ein Holztisch und drei Stühle in hellem blau. Weiter hinten, neben einem kleinen Hühnerstall, trug ein zweiter Baum kleinere Früchte. Die alte Frau aus dem Erdgeschoß rief den Hund, streichelte ihm die Ohren und füllte seine Futterschüssel. Ihr Mann erntete Tomaten. Auf der holprigen kleinen Straße neben dem Grundstück fuhr ein Mädchen auf ihrem Fahrrad vorbei. Hinter ihr schimmerten silbrige Olivenbäume. Lisa lächelte, und wieder dachte Gregor, dass er sie endlich gefunden hatte, die Frau, nach der er sich immer gesehnt hatte.
"Ja, es ist traumhaft schön hier", stimmte sie ihm zu. Gregor atmete tief ein.
"Dieses Licht, der Duft, die Ruhe..." Unten knatterte zwei Mopeds vorbei. Sie sahen sich an und lachten.
"Nirgends duftet es so herrlich nach Benzin!", schwärmte Lisa, machte sich los und drehte sich.
"Du verstehst mich immer so gut.“ Gregor grinste und zog sie wieder an sich. Lisa lachte. Sein Handy vibrierte auf dem Tisch.
"Mal abschalten vom Internet und dem ganzen Immer-verfügbar-sein-müssen..." Sein verklärter Blick wanderte von Lisa zum Handy. Sie lachte noch mehr.
"Es wird dein Sohn sein." Sie wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. "Hoffentlich sind sie auch gut angekommen. Grüß ihn von mir!" Keno war vierzehn und nun zum ersten Mal mit seinem Freund und einer Jugendgruppe im Urlaub. Er nahm die Trennung seiner Eltern relativ gelassen, wie es Gregor schien. Vielleicht hatten er und Katja ja einiges richtig gemacht. Sie hassten einander nicht.

Lisa hatte während des Telefonats ein paar Dinge ausgepackt, auf dem Sideboard ausgebreitet und war dabei, sie in die Küchenschränke zu räumen: Kaffee, Müsli, ein scharfes Küchenmesser, Knoblauch, ein kleines Fläschchen Balsamicoessig und eins mit Olivenöl...
"Das hast Du alles mitgenommen?"
"Ja, es ist lästig, alles kaufen zu müssen, was man mal für eine Malzeit hier braucht. Meine Erfahrung!" Sie lächelte und sah sehr jung aus in diesem Moment. Manchmal konnte er sein Glück kaum fassen. Es gab Leute, die rechneten ja gar nicht mehr mit solchen Lebensgeschenken, wenn sie nicht mehr jung waren. Sein Freund David war das beste Beispiel.
"Was, 39 Jahre, schön, witzig, klug und noch nie eine lange Beziehung gehabt?" Er hatte sein Gesicht in besorgte Falten gelegt. Pff. David war seit drei Jahren Single und frustriert.
"Oh, schau mal, was im Kühlschrank steht!" Lisa hielt ein kleines Fläschchen Sekt in die Höhe.
"Na, das passt doch, ein Willkommenstrunk." Gregor suchte zwei Gläser und goss ein. Mit den Sektgläsern in der Hand traten sie wieder vor ihr Gartenfenster.
"Schade, der Orangenbaum verhindert unseren Meerblick fast ganz." Lisa antwortete nicht. Er strich ihr das braune Haar aus dem Gesicht und sah, dass sie traurig war. Oder hatte sie Angst?
"Na, so schlimm finde ich das nun auch wieder nicht!" Gregor hob die Augenbrauen und sah sie an. Wo war der Schalk in ihren Augen? Er suchte ihn, doch da war nur Dunkelheit. Was war los?
Es war nicht das erste Mal, dass sie melancholisch wurde, wenn alles besonders schön war. Er hatte schon öfter darüber gegrübelt. Es war das einzig Merkwürdige an ihr. Schweigend standen sie nebeneinander. Langsam färbte der Abend den Himmel rosa und gelb.
„Das Haus, es erinnert mich an ein anderes Ferienhaus, in dem ich mit meinen Eltern war. In Griechenland. Ich war sieben.“ Lächelnd sah sie ihn an, doch ihre Stirn bildete in der Mitte eine zarte, senkrechte Falte.
„War es ein schöner Urlaub?“, fragte Georg und versuchte ihren Blick zu enträtseln. Abrupt drehte sie sich um.
„Ich mache mich nur schnell frisch, dann können wir ein Restaurant zum Abendessen suchen.“ Sie verschwand im Bad. Die Gardine wehte direkt vor ihm ins Zimmer. Er zog sie zur Seite und blickte zum Himmel. Sollte es heute noch ein Gewitter geben?
Sie fanden ein kleines familiengeführtes Restaurant mit nur drei Außentischen auf einem kleinen Platz, der von einer blühenden Seidenakazie überdacht wurde. Lisa erzählte von ihrer Arbeit und den Kollegen. Sie lachten den ganzen Abend viel und tranken noch mehr Rotwein. Lisa war so überzeugend aufgedreht wie sie kurz vor dem Ausgehen traurig gewesen war. Gregor genoss den Abend und wunderte sich doch.

Lisa
Sie hatte ihn schon gesehen, als sie mit den Koffern ins Wohnzimmer hereingetreten waren. Ganz hinten, hinter der Tür zum Schlafzimmer hatte er gestanden und neugierig hervorgeguckt. Schon als sie auf das Haus zugelaufen waren, war ihr wieder alles so vertraut vorgekommen. Sie kannte das Hühnergegacker, die Orangenbäume, den bellende Hund, die Katze, die auf der Stufe zum Eingang lag.
Das war nicht das erste Mal, einige Male und auch im letzten Urlaub war es schon so ähnlich gewesen, mit ihrer Freundin Greta auf Sizilien. Sie hatten den Urlaub vorzeitig abgebrochen, weil es ihr immer schlechter gegangen war. Aber obwohl Greta ihre Freundin war, hatte Lisa nicht mit ihr darüber reden können. Greta war nicht die Richtige dafür, fand sie. Seit diesem Urlaub hatten sie nicht mehr oft telefoniert.
Zuhause hatte sie eigentlich zu einem Arzt gehen wollen, doch dort war alles wieder normal gewesen und sie hatte sich erholt. Ihr immenses Arbeitspensum war schon immer ihre beste Therapie. Sie schaute nicht gern zurück und deshalb redete sie auch mit keiner anderen Freundin über ihre Erlebnisse. Trotzdem hatte sie deshalb dieses Jahr eigentlich in die Berge oder nach London fahren wollen, nur zur Vorsicht. Doch dann hatte sie Gregor kennen gelernt und er hatte sie überredet. Sie erinnerte sich noch an jedes Wort. Es war beim Frühstück in ihrer Küche gewesen:

„London kann man doch mal ein verlängertes Wochenende machen."
"Ich denke, man kann auch ein, zwei Wochen gut in London und Umgebung verbringen, ich hatte es mir halt schon länger vorgenommen. Es ist eine tolle Stadt, es gibt wunderbare Museen..."
"Na klar, das ist so, ich weiß. Aber es ist eine Großstadt. Und wo leben wir hier? In einer Großstadt. Und in England regnet es ständig. Wenn ich mir vorstelle, meinen Sommerurlaub im Regen inmitten von herumhetzenden Menschenmassen zu verbringen..." Er zog ein säuerliches Gesicht. Dann setzte er sich plötzlich auf und seine Augen funkelten. "Wäre es nicht viel schöner, in der Abendsonne am Strand spazieren zu gehen? Morgens steigen wir auf irgend einen schönen kleinen Berg mit toller Aussicht, sammeln dabei wilden Thymian, kaufen auf dem Rückweg ein paar süße Tomaten auf dem Markt und kochen uns dann ein kleines Mittagessen damit. Dann gehen wir ein bisschen an den Strand oder bummeln durch eine hübsche Altstadt. Und auch an der Côte d’Azur gibt es tolle Museen..."
"Ja, sicher, ich weiß... Die Côte d`Azur ist sehr schön..." Gregor nahm ihre Hand und küsste sie.
"Ich verspreche Dir, dafür fahre ich mit Dir auch für mindestens eine Woche nach London, noch dieses Jahr. Wir nehmen uns dann einfach nochmal Urlaub, wenn Du nicht bis zum Herbst warten willst, dann eben noch Ende des Sommers."
"Im Herbst regnet es mir zu viel in London."
"Oh ja, dann also noch im August." Sie hatte gelächelt. Was hätte sie ihm auch sagen sollen, wie sollte man so etwas erklären? Gregor tat ihr gut, er war feinfühlig und warmherzig. Und eigentlich liebte auch sie die südliche Sonne. Sie wollte es mit ihm noch einmal versuchen. Sie hatte genug von Halbherzigkeit und Flucht. Vielleicht hatte sich in ihr ja auch durch diese Beziehung inzwischen alles verändert, vielleicht würden diese Dinge nicht wieder passieren. Sie wollte, dass es so war.

Heute Abend im Restaurant, nachdem sie schon eines Besseren belehrt worden war, hatte sie mehr Rotwein getrunken als sie sollte und wider ihrer Befürchtung hoffte sie nun, einfach schnell einschlafen zu können. Erschöpft fiel sie ins Bett. Ihr Kopf war schwer und das war gut so. Sie rollte sich zusammen und regte sich nicht mehr, auch nicht als Gregor sie sanft auf die Schläfe küsste. Sie versuchte, an nichts zu denken außer an eine weiße Wand. Manchmal gelang es ihr so, schnell einzuschlafen. Ihr Liebster seufzte ein paar Mal enttäuscht und auch vorwurfsvoll, doch dann war er eingeschlafen, schneller als sie.
Fast unmittelbar im nächsten Augenblick stand das Kind an ihrem Bett, ein fünfjähriger Junge, blond, leicht gebräunt und mit Sommersprossen. Er trug eine blaue Badehose und ein weißes T-shirt mit einem grinsenden Bären darauf.
„Was willst du?“, flüsterte sie. Doch das Kind schwieg. Immer schwieg es. Sie griff nach ihm, doch es wich zurück.
„Wenn du nicht redest, lass mich in Ruhe!“, verlangte sie und schloss die Augen, doch sie spürte, dass er sich nun über sie beugte. Entsetzt riss sie die Augen auf und blickte direkt in sein liebes Gesicht. Sie schrie auf und setzte sich.
Gregor knipste das Licht an.

Gregor
„Hey Lisa, was ist denn los?“ Lisa starrte zur Wand, als stünde dort ein Geist.
„Siehst du ihn nicht?“, fragte sie mit Augen voller Tränen.
„Wen soll ich sehen?“
„Den Jungen dort.“ Sie zeigte auf die Fensterfront, als würde dort jemand laufen. Doch Gregor sah nur, wie die Gardine sich ein wenig bewegte. Es war noch immer windig draußen.
„Lisa, was ist los? Da ist niemand.“ Gregor setzte sich ebenfalls auf und fasste Lisa am Arm.
„Dieses Haus ist ein Geisterhaus, ich hatte es mir gleich gedacht!“, stieß sie hervor und blickte ihn trotzig an.
„Du glaubst doch so etwas nicht, oder? Hör mal, du hast schlecht geträumt!“ Gregor versuchte zu lächeln und stricht ihr eine Strähne aus dem Gesicht.
„Du glaubst so etwas nicht, natürlich nicht!“, rief Lisa und die Tränen liefen ihr über die Wangen. Gregor schüttelte ganz leicht den Kopf und es war ihm, als sähe er Lisa ganz neu. Eine andere Lisa, traurig und voller Angst.
„Bist du krank…, Lisa?“, fragte er sehr leise. Sie antwortete nicht, sah sich im Zimmer um, als hätte sie es gerade erst betreten, blickte ihm in die Augen und legte ihren Kopf dann auf ihre angezogenen Knie.
„Ich glaube nicht.“ Wieder schwieg sie. „Zumindest normalerweise nicht. Letztes Jahr im Urlaub mit meiner Freundin habe ich ihn zum letzen Mal gesehen.“
„Wen?“
„Den Geist.“
„Den Jungen?“
„Ja.“

Lisa
Gregors Blick tauchte ganz unerträglich direkt in ihre Seele. Wie konnte sie ihn loswerden? Er war zu dicht, er sah zu viel! Lisa hielt die Hände vor ihre Augen, doch Gregor schwieg. Als sie vorsichtig durch ihre Finger schaute, wanderte Gregors Blick plötzlich durch sie hindurch. Irgendwo stieß er auf etwas. Dann wanderte dieser Blick wieder zurück zu ihr.
„Kennst du diesen Jungen?“ Er nahm jetzt eine ihrer Hände und legte sie in seine. Seine Stimme klang sanft, so sanft, dass sie sich gestreichelt fühlte.
„Ja“, antwortete sie und folgte den verschlungenen Linien des Musters auf der Bettdecke. „Ich kenne ihn.“ Gregor war da. Er hörte ihr zu. Er hielt ihre Hand. Von draußen drang das Zirpen der Zikaden herein, von fern grollte Donner.
„Er ist mein Bruder.“
„Was war damals in diesem Urlaub in Griechenland mit deiner Familie, als du sieben warst?“ Wieder war Gregors Stimme sehr leise. Sie wünschte, er wäre lauter gewesen, erschrockener, desinteressierter, hilfloser, abweisender. All dies hätte ihr ermöglicht zu fliehen. Sie war auf der Flucht seit ihrem 7. Lebensjahr. Die Freundinnen, die Therapeutin, niemand hatte sie einholen können. Vielleicht hätten es ihre Eltern gekonnt, doch die waren selbst auf der Flucht seitdem, auf ihre Weise. Doch diese Stimme und diese warmen Augen ließen sie nicht fliehen. Erschöpft sank sie auf ihr Kopfkissen zurück.
„Er ist ertrunken in diesem Urlaub, im Meer beim Spielen, direkt hinter mir. Er war fünf. Ich habe es beim Spielen nicht gemerkt, mich nicht umgedreht. Ich habe ihm nicht geholfen.“
Gregor sah ihr in die Augen. Dann zog er sie in seine Arme und streichelte sie. Hier wollte sie bleiben. Wann hatte je ein Mann so gut gerochen wie er.
„Aber jetzt hast du dich umgedreht ... und ihn gesehen“, flüsterte er. „Vielleicht wollte er nicht vergessen werden?“ Lisa weinte.
„Hat er dir Vorwürfe gemacht, wenn er als Geist zu dir kam?“
„Nein. Wir hatten damals einen schönen Nachmittag zusammen gehabt, bevor es passierte. Wir hatten im Ferienhaus mit der Katze gespielt und dann am Strand, unsere Sandburg mit Muscheln und schönen Steinen geschmückt. Er trug diese blaue Badehose und das weiße Shirt. Ich habe ihn so lieb gehabt!“ Heftig schluchzte sie nun. „Genauso kam er immer zu mir, letzten Sommer und heute wieder, so wie wir damals waren, als würde er mit mir weiterspielen wollen.“ Gregor ließ sie weinen. Als sie sich etwas beruhigt hatte, lauschten sie der Stille, die Lisas vorherige Worte einwickelte wie in schönes Geschenkpapier.
„Er muss dir schrecklich gefehlt haben damals.“ Lisas Tränen liefen jetzt lautlos. Irgendwann sprach sie weiter.
„Ich konnte nicht an diesen Urlaub zurückdenken. Ich habe es nicht getan. Ich wäre verrückt geworden.“
Draußen regnete es jetzt sehr heftig und der Donner war näher gekommen. Der frische Duft von nasser Erde erfüllte den Raum.
"Es war als könnte ich nicht zurückblicken, genauso wie ich mich damals nicht nach ihm umgedreht hatte", flüsterte sie. "Aber jetzt, jetzt sehe ich wieder alles." Ganz klar und deutlich lag der ganze schöne Urlaub in Griechenland vor ihr, schön, bis zu diesem Tag des Grauens. Morgens waren sie johlend in den Betten herumgesprungen. Zum Hochzeitstag ihrer Eltern hatten sie von ihrem Taschengeld eine kleine Melone gekauft, ihr Inneres ausgehöhlt und gegessen. Anschließend hatten sie ein paar Blumen von einer Rabatte geklaut und dieses blühende Arrangement den Eltern morgens auf den Frühstückstisch gestellt. Sie sah sich mit ihm zusammen am Strand herumtollen. Von ganz tief innen drängten Gefühle aus ihr heraus, viele, große Gefühle. Der Regen prasselte und wusch den Staub von allem weg.
„Er fehlt mir immer noch so sehr!“

 

doch Lisas Duft in seinen Armen genoß Gregor mindestens ebenso sehr.
so sanft, dass sie sich gestreichelt fühlte.

Hi @Palawan

This is too much! Diese Sätze würde ich streichen. Hallo Palawan, da bin ich wieder. Auch deine andere Geschichte habe ich gelesen und werde mir noch Gedanken machen.

Lisa lächelte, und wieder dachte Gregor, dass er sie endlich gefunden hatte, die Frau, nach der er sich immer gesehnt hatte.
dies reicht vollkommen... der Satz "doch Lisas Duft in seinen Armen..." wird mit ihm unnötig und rückwirkend noch einmal zu viel.

Gregor war da. Er hörte ihr zu. Er hielt ihre Hand.
Das ist an dieser Stelle eine Wiederholung (so empfinde ich das zumindest) also fände ich es auch gut wenn Du es streichst. So kann sich jeder die Beiden so vorstellen wie er will.
Wann hatte je ein Mann so gut gerochen wie er.
Persönlich will ich auch diese Information nicht. Mit solchen Aussagen bedienst du Klischees. Muss nicht unbedingt sein, oder?

Ich hoffe Dir hilft der kleine Kommentar...

Sonst finde ich dass Du das Tempo, die Länge und auch die Geschichte in eine gute FOrm gebracht hast.

Mit vielen lieben Grüßen aus meiner Wahlheimat B. in B.

G.

 

Hallo @Palawan,

Ich habe lange eine Möglichkeit gesucht, meine Schreiberei weiterentwickeln zu können statt nur immer im eigenen Saft zu schmoren und bin echt dankbar für dieses Forum... Vor allem ist es so klasse, sowohl durch die Texte anderer als auch durch die Rückmeldungen anderer zu den eigenen Geschichten lernen zu können...
Dann will ich mal meinen Senf dazugeben, erstmal Textkram:

Unter dem Baum standen ein Holztisch und drei Stühle in hellem blau.
Blau groß.
streichelte ihm die Ohren und füllte seine Futterschüssel
Futterschale? Schüssel ist für mich was Großes, z.B. Waschschüssel.
Auf der holprigen kleinen Straße neben dem Grundstück fuhr ein Mädchen auf ihrem Fahrrad vorbei.
Woher weiß der Erzähler, dass es ihr Fahrrad ist? Oft tut das unbestimmte ein den besseren Job.
"Dieses Licht, der Duft, die Ruhe()..."
Wenn du ein Wort abbrichst, werden die drei Punkte ohne Leerzeichen angefügt. Wenn du einen Satz abbrichst, steht immer ein Leerzeichen davor. Du verwendest die drei Punkte häufig da, wo sie nicht hingehören, weil ein einfacher Punkt ausreichen würde, weil der Satz streng genommen nicht abgebrochen wird.
"Mal abschalten vom Internet und dem ganzen Immer-verfügbar-sein-müssen..."
Hier.
Kaffee, Müsli, ein scharfes Küchenmesser, Knoblauch, ein kleines Fläschchen Balsamicoessig und eins mit Olivenöl...
Auch hier.
Und auch an der Côte d’Azur gibt es tolle Museen...
Und hier.
Ja, sicher, ich weiß... Die Côte d`Azur ist sehr schön...
Und hier. "Ja, sicher, ich weiß, die Côte d`Azur ist sehr schön."
Bist du krank…, Lisa?
Und hier.

Ja, es ist lästig, alles kaufen zu müssen, was man mal für eine Malzeit hier braucht. Meine Erfahrung!
Mahlzeit. Die Frage bei Dialogen ist immer: reden so echte Menschen? Würdest du das so sagen? Da hilft laut lesen und es fällt einem auf. Hier würde mir zum Beispiel Folgendes reichen:
"Ja, ist doch lästig, alles kaufen zu müssen." Der Rest versteht sich von selbst. Mich als Leser nervt das, wenn ich alles vorgekaut bekomme.

Sie fanden ein kleines familiengeführtes Restaurant mit nur drei Außentischen auf einem kleinen Platz, der von einer blühenden Seidenakazie überdacht wurde.
Mir zu überladen, würde familiengeführt und das doppelte kleinen streichen.

Es gab Leute, die rechneten ja gar nicht mehr mit solchen Lebensgeschenken.
streichen.

Mit den Sektgläsern in der Hand traten sie wieder vor ihr Gartenfenster.
Auch hier, da es ihnen nicht gehört, ist es nicht ihr Fenster, sondern das Fenster.

Schade, der Orangenbaum verhindert unseren Meerblick fast ganz.
Nochmal ein typisches Beispiel für unnatürlichen Dialog. Ich würde es weniger gewählt sagen:
"Schade, wegen dem Orangenbaum sieht man kaum was vom Meer."

Er strich ihr das braune Haar aus dem Gesicht und sah, dass sie traurig war. Oder hatte sie Angst?
Warum den Blick interpretieren? Lass den Leser selbst die Schlüsse ziehen. Nach dem Satz machst du es viel besser mit der senkrechten Stirnfalte und der Dunkelheit im Blick, die du beschreibst.

Es war das einzig Merkwürdige an ihr.
Wie kann er das wissen am Anfang vom ersten gemeinsamen Urlaub? Streichkandidat.

Lisa war so überzeugend aufgedreht wie sie kurz vor dem Ausgehen traurig gewesen war
wasn dasn? Überzeugend würde heißen, sie versucht den Prota von der Echtheit des Dargebotenen zu überzeugen, dabei ist alles nur gespielt, sie zieht also für den Prota eine Show ab? Schauspielert also das Aufgedrehtsein ebenso überzeugend, wie sie zuvor die Melancholie gespielt hat? Hm, ich finde manchmal ist es besser, neutraler zu formulieren, um solchen Fallstricken auszuweichen und nicht etwas zu transportieren, das man gar nicht sagen will.

Morgens steigen wir auf irgend einen schönen kleinen Berg mit toller Aussicht
Was bitte ist ein schöner kleiner Berg mit toller Aussicht? Ein Hügel? "Kleiner Berg" ist ein Widerspruch in sich.

Sie war auf der Flucht seit ihrem 7. Lebensjahr.
In literarischen Texten Zahlen möglichst ausschreiben.
"Sie war auf der Flucht seit ihrem siebten Lebensjahr."

Liebe/-r Palawan, die gewählte Problematik finde ich gut, das trägt durch den Text. Vergrabene Schuldgefühle und Geister, die man nicht los wird, die Lisa ungefragt heimsuchen. Eingebettet in die angenehme Kulisse eines sommerlichen Südfrankreichs.
Da steckt was drin, doch leider finde ich, wird deine Aufarbeitung der Problematik nicht gerecht. Warum? Die Auflösung ist mir zu sweet. Das Trauma hat keinen Platz, es geht nur darum, es aus der Welt zu schaffen.
Der Super-Gregor ist mit seinen sanften Rehaugen so unglaublich verständnisvoll, dass sie gar nicht anders kann, als sich ihm anzuvertrauen und das Problem sofort auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Was nebenbei die Therapeutin nicht geschafft hat. Mal überspitzt gesagt.

"Es war als könnte ich nicht zurückblicken, genauso wie ich mich damals nicht nach ihm umgedreht hatte", flüsterte sie. "Aber jetzt, jetzt sehe ich wieder alles."
Das ist mir zu unwahrscheinlich, zu sehr an der Oberfläche und zu seicht, um mich wirklich zu bewegen. Noch was: Den Seltsam-Tag über dem Text würde ich rausnehmen, der steht für was anderes, etwas Unerklärliches, ev, Übersinnliches z.B..

Nimm, was du brauchst. Peace, l2f

 

Hallo @G. Husch,
danke, dass Du Dir die Geschichte nochmal durchgelesen hast. Hm, ja, jetzt wo Du es benannt hast - vielleicht manchmal doch ein bisschen zu dick romantisch. Habe es ein bisschen gekürzt an den zwei ersten, von Dir benannten Stellen. Die mit seinem Geruch habe ich allerdings gelassen, denn so etwas spielt ja eine große Rolle, wenn man sich zu jemandem hingezogen fühlt. Ich persönlich habe das manchmal sehr bewußt erlebt und gedacht: Wann hat ein Mann jemals so gut gerochen? Das war megamäßige Anziehungskraft, Begehren, Hafen, Geborgenheit, usw. (In einer Langzeitehe ändert sich das zwar ein bisschen ?, aber ich kann mich noch gut erinnern!) Auch die Stelle mit der Wiederholung habe ich so gelassen. Es ist alles wichtig für sie. Diese maximale Zuwendung ermöglicht ihr, den Rückblick zu wagen, vor dem sie immer so große Angst hatte.
Es freut mich aber sehr, dass Du den Text jetzt auch als flüssiger erlebst.
Liebe Grüße,
Palawan

 

Hallo @linktofink,

herzlichen Dank auch Dir für Dein aufmerksames Lesen und Deine Ideen! Habe einiges davon umgesetzt: Blau, einem Fahrrad, den Satz mit der Malzeit gekürzt, den Satz mit dem Restaurant unter der Seidenakazie gekürzt, das "ja" raus aus dem Satz "Es gab Leute, die rechneten gar nicht mehr mit solchen Lebensgeschenken ..." Das "gar" habe ich aber noch behalten. Den kleinen Berg habe ich auch etwas verändert. ? Ja, da hatte ich eben diese kleinen Berge in Erinnerung, die im Süden irgendwie oft in so hübschen Orten vorhanden sind, als Burgberg oder Ausflugsziel für eine schöne Aussicht. Da läuft man dann im Urlaub auch immer irgendwann hoch, bereut aber bitter, wenn man dies nicht am frühen Morgen oder Abend tut, weil der Hügel dann doch eher zum Matterhorn wird. Dann "das siebte Lebensjahr" habe ich geändert und die Leerzeichen vor meinen drei Punkten ... eingefügt. Danke, diese Regel kannte ich irgendwie nicht.

Ja, an meinen drei Punkten hänge ich allerdings. Sie stehen für nicht ausgesprochene Gedanken an dieser Stelle, für Sprechpausen und auch für usw.
Das Gartenfenster gehört ihnen doch für die Dauer ihres Urlaubes. Ich selbst rede im Urlaub auch immer von Zuhause, wenn ich unsere Ferienwohnung meine, weil die in dieser Zeit eben das Zuhause ist. (Und ich packe auch alles in die Schränke und räume auf, will keine Koffer sehen, sondern mich so wohl fühlen wie zu Hause. Das ist dann ein bisschen so, als würde man wirklich dort leben und nicht nur im Urlaub sein. Ein tolles Gefühl!)
"Schade, der Orangenbaum verhindert unseren Meerblick fast ganz!" lasse ich auch so, weil ich doch so reden würde. Das "Haus mit Meerblick" wird ja auch direkt so beworben, dass man es in seinen Sprachschatz deshalb auch so aufnehmen kann. Und "Wegen dem Orangenbaum sieht man kaum was vom Meer.", würde ich nicht sagen, nein ?, vielleicht mein Mann eher ...
Dass Georg Lisas Blick interpretiert, ist schon okay hier. Ich habe den Leser ja auch interpretieren lassen, aber ich habe mich ja für eine Geschichte aus zwei Blickwinkeln entschieden, weil ich wollte, dass man das Geschehen einmal durch seine und dann auch wieder durch ihre Person erlebt. Also kann man ab und zu durchaus auch mal an ihren Interpretationen teilhaben - wenn man es nicht übertreibt.
Er findet ihre Ernsthaftigkeit in manch schönen Momenten "das einzig Merkwürdige an ihr", passt für mich auch, weil er ja nicht erst direkt vor dem Urlaub mit ihr zusammengekommen ist. Er kennt sie schon ein paar Wochen oder Monate lang vorher und findet alles toll an ihr. Dies ist ihm allerdings schon mehrmals aufgefallen und er findet es merkwürdig.
"Lisa war so überzeugend aufgedreht, wie sie vorher traurig war." Ja, Du hast recht, sie will ihn nicht in die Karten gucken lassen, macht ihm etwas vor. Sie tut dies auch sehr routiniert, hat das sehr gut drauf, und er ist verwirrt, denn ihre Traurigkeit vorher kam ihm ebenso echt vor, und er merkt, dass Beides nicht zusammenpasst.
Nun schreibst Du, dass Du ihr Trauma nicht ausreichend dargestellt findest und es Dich nicht überzeugt, dass es ihr in diesem Urlaub mit diesem Mann gelingt, sich ihm zu stellen. Nun gut, daran kann ich vermutlich nichts ändern. Ich finde das Trauma für eine Kurzgeschichte ausreichend angedeutet und mir ging es eben um diesen Moment im Leben eines Menschen, der ein Trauma erlebt hat, an dem es ihm gelingt, nicht mehr davor wegzulaufen und die Umstände, die ihm dies ermöglichen. Es ist durchaus nicht unrealistisch, dass dies einem ganz normalen zugewandten Menschen ohne professionelle Ausbildung gelingen kann, während es einer Therapeutin zu einer anderen Zeit vorher nicht gelungen ist. Es geht bei solchen Dingen oft auch um den richtigen Zeitpunkt. Da muss manchmal mehreres zusammenkommen, damit es gelingt.
Falls diese Aussage für Dich glaubwürdiger wird, wenn ich erwähne, dass ich Familientherapeutin bin und in einer Jugend- und Elternberatungsstelle arbeite, will ich es mal erwähnen.

Mit dem Seltsam-Tagg hast Du recht, das nehme ich raus. Ich hatte es wegen des Geistes verwendet, aber, es ist ja nun doch alles recht erklärlich.

Also nochmals vielen Dank! Durch jeden Kommentar wird man wunderbar angeregt, nochmal über alles nachzudenken und verbessert den Text so immer weiter. Super!
Gruß, Palawan

 
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Die mit seinem Geruch habe ich allerdings gelassen, denn so etwas spielt ja eine große Rolle, wenn man sich zu jemandem hingezogen fühlt. Ich persönlich habe das manchmal sehr bewußt erlebt und gedacht: Wann hat ein Mann jemals so gut gerochen? Das war megamäßige Anziehungskraft, Begehren, Hafen, Geborgenheit, usw. (In einer Langzeitehe ändert sich das zwar ein bisschen ?, aber ich kann mich noch gut erinnern!)
Hi @Palawan

ich schließe mich Dir völlig an, doch in deiner Geschichte passt es auf jeden Fall für mich nicht an dieser Stelle wo Du es erwähnst. Wenn Du es unbedingt anbringen willst würde ich einen anderen Platz suchen oder eine andere Geschichte. Und es gibt schon das "Parfum" von Süskind. ich verstehe ja, dass Du an deinen Sätzen hängst und ich will Dich auch gar nicht unbedingt überzeugen. Ich hätte es eben nur besser ohne dem Geruch des Mannes gefunden.

Viele Liebe Montagsgrüße

G.

 

Hi @G. Husch,
?naja, vielleicht führe ich mir den Absatz mit der Stelle nochmal in zwei, drei Tagen zu Gemüte. Mal sehen, wie er sich dann anhört.
Danke, dass Du immer alles von mir liest! Finde ich sehr schön.
Palawan

 

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