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Wie Asche
»Heyho! Wer ist das denn?«
Clarissa fährt so heftig herum, dass ihre braunen Locken fliegen. Ich weiß, dass sie das mit Absicht macht. Sie weiß, wie hinreißend sie aussieht. Ich habe mich auf ihrem Schreibtisch abgestützt und grinse breit: Von ihrem Computerbildschirm lächelt ein schwarzer Lockenkopf mit goldbrauner Haut und großen dunklen Augen.
»Malte! Hör auf damit!«
»Ich hab doch nur gefragt. Zeit für ne Kippe?«
Clarissa blickt sich um. In der anderen Ecke des Büros brüten Nastassja und Simon über der vertrackten Bibliographie; für eine Zigarettenpause ist es eigentlich viel zu früh, aber ich bin neugierig, und ich habe Clarissa gern für mich allein.
Sie nickt knapp, nimmt ihren Mantel vom Haken und folgt mir nach draußen. Frische Frühlingsluft schlägt uns entgegen; ich fröstle, aber nur ganz leicht, sonst gibt es wieder einen zynischen Kommentar von Clarissa.
»Jetzt sag mir schon, wer der süße Matz auf dem Bildschirm war.«
»Ach, der.« Clarissa wird rot, während sie nach ihrem Tabak kramt. Sie dreht gerne selbst. Ich bin da pragmatischer, die fertige Zigarette aus der Schachtel tut es auch und geht schneller.
»Ein neuer Verehrer?«
»Ach, Malte.« Sie bleibt stehen und schaut mich mit ihren großen runden Augen an. Dieser Blick sagt: Ich bin ein kleines Mädchen, beschütz mich und nimm mich in den Arm. Ich halte ihm stand und zünde meine Zigarette an. Sie muss nicht wissen, dass dieser Blick bei mir zieht wie bei allen Männern am Institut.
»Er heißt Ramiro«, sagt Clarissa leise und schiebt den Tabak wieder in ihre Manteltasche. Für einige Sekunden senkt sie den Blick, konzentriert sich nur auf das Blättchen zwischen ihren Fingerspitzen. Ich warte, bis sie soweit ist, dann gebe ich ihr Feuer und nicke leicht, damit sie weiter erzählt.
»Ich hab ihn drüben kennengelernt.«
»In Mexiko.«
Das ist ein überflüssiger Kommentar, ich weiß es selbst. Im Institut nennen wir Clarissa die Mexikanerin. Manchmal kommt sie mit ihrem tiefroten Poncho. Sie mag Tequila lieber als Bier, auf ihrem MP3-Player läuft Mariachi-Musik, und wenn sie kocht, gibt es Enchiladas und Bohnenpüree. Erst jetzt war sie wieder »drüben«, die gesamten Semesterferien hat sie geopfert, manchmal geschrieben, was sie so treibt. Eine neue Mail von ihr war ein Farbtupfer für meinen Tag. Aber das werde ich ihr bestimmt nicht sagen, nicht so bald.
Clarissa erzählt weiter. Von Ramiro. Er ist süß, das habe ich selber gesehen, und offenbar verrückt nach ihr, auch das ist nichts Neues, Clarissa hat auf allen Seiten des Ozeans gute Karten. Eine Nacht lang haben sie mit einer Kiste Bier, einem Lagerfeuer und einer Gitarre über Octavio Paz und Juan Rulfo geredet – Namen, die ich nachher noch googeln werde, darum präge ich sie mir ein -, er hat ihr Blumen gekauft, ihr unendlich viele SMS geschrieben, sie zum Arzt begleitet, als sie Durchfall hatte. Ein Gentleman der alten Schule. Ein wahrer Schatz.
»Und mich hat das genervt«, sagt Clarissa mit blitzenden Augen und nimmt einen tiefen Zug. »Ich mag keine Stiefellecker.«
Ich blase eine Rauchwolke vor mir her, gerade übe ich Kringel.
»Und was ist dann passiert?«
Sie zuckt mit den Achseln und erzählt von Jaime. Den kennt sie seit Jahren. Auch ein Mexikaner. Ein Kumpel. Ein Freund. Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert, man kennt es. Bis zur vorletzten Nacht, beim Abschiedstequila.
»Und als ich dann neben Jaime lag, ist mir klar geworden, dass ich doch Ramiro will«, schließt sie. Ihre Stimme zittert. Telenovelareif. Sie lässt ihre Kippe auf den Boden fallen und tritt sie mit dem Fuß aus. Ich mag es nicht, wenn sie das tut. Der nächste Mülleimer ist nicht weit weg. Sie sieht mir in die Augen.
»Dass du ihn willst«, wiederhole ich herausfordernd. Clarissa wird rot.
»Malte, ich hab mich so was von verliebt, das glaubst du nicht!«
Ich versetze ihr einen spöttischen Stoß. »Du und verliebt, das ist in der Tat schwer zu glauben!«
Clarissa lächelt müde, aber ihre Augen bleiben traurig. Mein Grinsen ist genauso künstlich. Die Zigarette schmeckt nicht mehr. Ramiro. Wer auch immer er ist: Ich möchte ihm meine Faust in die süße Visage rammen.
»Und was tust du jetzt?«, frage ich und deute mit dem Kopf auf den nächsten Mülleimer; ich will die Kippe loswerden. Clarissa tut so, als ob sie meine Geste nicht sieht.
»Ich weiß es nicht.«
Ihre Augen glänzen. Ich starre sie an.
»Wie jetzt? Du verliebt, er verliebt, wo ist das Problem?«
»Das Problem?« Clarissa lacht kurz und spöttisch auf, ich drehe mich weg und gehe allein zum Mülleimer, werfe die Zigarette weg, möchte am liebsten mich selbst mit wegwerfen. Natürlich weiß ich, was das Problem ist. Gefühlte zwanzigtausend Kilometer zwischen ihm und ihr. Ein jämmerlich dünn bestücktes Konto. Und ein jämmerlicher Rest von verbliebenen Urlaubstagen. Es sieht böse aus für Fernbeziehungen. Das gibt mir Hoffnung, und ich fühle mich schlecht.
»Ich kann es ihm nicht sagen«, sagt sie leise. »Es wäre nicht fair. Es würde ihm mies gehen.«
»Wenn er weiß, dass du ihn liebst?«
»Wenn er weiß, dass ich ihn liebe und nicht kommen kann.«
»Geht es ihm jetzt nicht mies?«
»Nicht so.« Sie schaut mich wieder an mit diesem waidwunden Rehblick, gegen den ich mich immun gebe. »Ich fühle mich verantwortlich …«
»Ach.«
Clarissa holt Luft.
»Und ich hab Angst, weißt du. Vielleicht hab ich alle Zeichen falsch gedeutet, immerhin hat er sich nie offen erklärt, vielleicht ist es bei ihm längst vorbei, vielleicht …«
»Vielleicht lernst du auch jemand anderen kennen. Hier.«
Ihr Blick wird hart.
»Das ist Unsinn, Malte.«
»Was ist denn hier Unsinn? Du verbaust dir die Chance auf eine Beziehung, nur weil du Schiss hast?«
Sie starrt auf ihre Schuhspitzen. Ja, diese Angst muss ihr neu sein. Ihr, der sie alle aus der Hand fressen. Selbst der Professor, wortkarg und menschenfeindlich, blüht in Clarissas Nähe auf. Sie hat dieses Lächeln, diesen Blick, diese fliegenden Locken, dieses perlende Lachen. Nur den Mut zur Hingabe, den hat sie nicht. Clarissa verliebt. Ich habe es für undenkbar gehalten.
Und: Clarissa verliebt in einen von denen. In einen, der sie anhimmelt wie alle. Auch das ist unmöglich, habe ich gedacht, habe ich jeden Abend gedacht, wenn ich an sie denke, alleine, hart.
»Was soll ich denn sonst machen?«, fragt sie. »Er könnte ja auch mal was sagen.«
Ich schaue ihr in die Augen. In Hollywood wäre es Zeit für ein großes Geständnis. Mit Geigen und Kniefall.
Ich hasse Hollywood.
»Schreib ihm, ruf ihn an, mach was«, sage ich. »Schreib ein Gedicht, sag ihm die Wahrheit, sing ihm ein Lied. Dir fällt schon was ein.«
Clarissa schüttelt traurig den Kopf.
»Ausgeschlossen. Lass uns wieder reingehen.«
Ich gehe zwei Schritte hinter ihr, sehe, wie sie sich beim Gehen in den Hüften wiegt. Na toll, denke ich. Zwanzigtausend Kilometer von hier leidet ein gewisser Ramiro vor sich hin. Clarissa wird ihm nichts sagen, sie ist stur, sie wartet auf seinen ersten Schritt.
»Ich fühle mich verantwortlich«, wiederholt sie, als sie mir die Tür aufhält und mir noch einmal in die Augen sieht.
Verantwortlich.
Wie albern.
»Ich dachte immer, du willst keinen Gentleman. Sondern jemanden, der dir Contra gibt.«
Sie lächelt kurz. »So wie du?«, fragt sie spöttisch, ich versuche zu grinsen, nein, sag nichts, der Zug ist abgefahren. Aber Clarissa ist schon wieder woanders mit ihren Gedanken, sie spricht von seinen Augen, er ist süß, danke, das weiß ich mittlerweile, bis oben im Büro spricht sie von nichts anderem.
Während sie ihren Mantel ablegt, strahlt sie mich an.
»Danke, Malte. Es tut so gut, darüber zu sprechen. Du bist halt ein echter Freund.«
Ramiro grinst mich von ihrem Bildschirm aus an. Ich grinse zurück.
Heute geh ich keine mehr rauchen. Auf meiner Zunge spüre ich fahlen Aschengeschmack.