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Wie ein Cäsar?
Daumen hoch, heißt Leben! Daumen runter, heißt Tod!
So einfach! So schwer!
Kein Mensch sollte über Leben und Tod entscheiden dürfen. Das ist Gottes Recht.
Und wenn doch? Wenn man entscheiden muss? Und das nicht über das Leben und Sterben eines Wildfremden, sondern über die eigene Großmutter?
Ist es ihr Wunsch zu sterben, wenn sie kaum noch isst und trinkt? Darf man da nicht intervenieren um ihr Leben zu retten, indem man eine Magensonde legen lässt?
Demenz, die Diagnose, einhergehend mit Psychosen, wie zum Beispiel Verfolgungswahn.
Psychopharmaka waren lange eine Alternative.
Ein Leben zu Hause, das was die Psychiater ihr versprochen hatten. Natürlich mit der Hilfe eines ambulanten Dienstes der dafür sorgte das sie regelmäßig ihre Tabletten nimmt.
Tabletten hat sie geschluckt. Aber dem PFLEGEdienst der sie dreimal am Tag sah, entging es auf seltsame Art und Weise, das sie dehydrierte. Wir hatten nicht die Zeit dazu um nachzuschauen ob das Wasser, die Apfelschorle, die wir anschleppten, auch wirklich getrunken wurden. Wenn wir kamen um einzukaufen, waren die Flaschen leer. Sie hatte nicht getrunken, sondern die Flaschen im Ausguss geleert.
Warum?
Sie merkte das ihr Körper nicht mehr wollte. Sie merkte, dass wenn sie trank, sie es nicht bei sich behalten konnte. Sie war inkontinent.
Und um nicht pinkeln zu müssen, trank man halt nichts. Die logische Konsequenz, für jemanden in ihrem zustand.
Das ist jetzt fast zwei Jahre her.
Sie hat ihr neues Zuhause gefunden. In einem Altenheim. Seitdem ist viel passiert.
Sie versuchte zu gehen, stürzte, versuchte sich abzufangen, und krachte in einen Tisch.
Der Tisch Schrott, meine Oma okay!
Aber es lief.
Das Altenheim bot einen Kurs an, welcher einen sacht darauf vorbereitete das´sie einen irgendwann nicht mehr erkennen wird. Ich fing an mich damit abzufinden. Ja ich wusste auch genau das irgendwann die Frage nach lebensverlängernden Maßnahmen aufkommen würde! Ja irgendwann!
Sie sieht mich an! Und sie erkennt! Schaut immer wieder nach links an die Wand, wo ein Bild von mir hängt, auf dem ich als kleiner Junge zu sehen bin, mit einem Ball in der Hand. Ich glaube sie erkennt mich doch irgendwie. Auch wenn ich kaum in der Lage bin ihre Worte zu verstehen.
Noch vor wenigen Wochen konnte man sie zum Trinken animieren. Jetzt wird sie böse, wenn man es versucht.
Daumen hoch, oder runter?
Meine Großmutter hatte ihre Wohnung gegenüber meiner alten Schule! Wenn ich Freistunden hatte, bin ich immer zu ihr, hab mir ein Käffchen getrunken, und mich an meine Hausaufgaben gesetzt die ich für die Stunden nach den Freistunden auf hatte. Oma hat es nicht verstanden, denn Hausaufgaben mussten erledigt werden, wenn man sie aufbekam! Nicht wahr? Das war ihre Erziehung.
Ja ich hätte mich in den Oberstufenraum setzen können in meinen Freistunden, und dann meine Hausaufgaben machen.
Aber Omi hatte frischen Kaffee.
Sie verstand sovieles nicht, aber sie musste bei allem mitreden. Selbst bei Dingen von denen sie keine Ahnung hatte.
Sie hat zum Beispiel meine Englisch-Vokabeln abgefragt, und da sie kaum ein Wort Englisch konnte, war natürlich alles was ich sagte falsch. Sie las es so wie es da stand, und nicht wie man es eigendlich ausspricht.
Ich war sehr viel bei meiner Oma, meine Mutter musste arbeiten, also bin ich nach der Schule immer zu ihr, also meiner Oma. Oma wusste immer alles besser! Es muss wohl die dritte oder vierte Klasse der Grundschuhle gewesen sein, als man mir beibrachte, dass ein mal Null gleich Null ist.
So schrieb ich es auch fein säuberlich in mein Matheheft.
Oma wollte es mir nicht glauben. Eins sollte ihrer Meinung nach das richtige Ergebnis sein.
Erst als meine Mutter mich am frühen Abend abholte, und meiner Großmutter dann zu erklären versuchte, dass wenn man ein mal Nichts nimmt, es immer noch Nichts bleibt, sah sie es ein.
Ich war nur ein Kind, warum sollte man mir denn auch glauben?
Sorry, ich wollte hier grade nicht rummüllen, aber das kam mir so in den Kopf, wie soviele andere negativ Beispiele die ich mit meiner Oma erlebt habe.
Inzwischen bin ich älter, weiß mehr über ihren Hintergrund. Kann viel verstehen und verzeihen. Und egal was sie mir manchmal angetan hat, wohl weil sie nicht anders konnte, oder es nicht besser wusste, ich habe sie lieb!
Daumen hoch oder Daumen runter?
Ich habe mich für den Daumen nach unten entschieden.
Bin ich Cäsar? Jener der über das Leben der Gladiatoren entscheidet?
Bin ich Christ? Der sagt dass nur Gott alleine darüber zu entscheiden hat welcher Mensch lebt oder stirbt?
Bin ich Mensch? Der sagt, ich würde sowas für mich selber nicht wollen, wie kann ich es denn einem anderen zumuten?
Bin ich Enkel? Der nicht will das seine Großmutter stirbt?
Das dumme ist, dass ich alles gleichzeitig bin
Und grade das lässt mich durch die Hölle gehen!
Der Großteil von mir möchte das sie einschläft. Aber ein Teil von mir rebelliert, vergiftet meine Entschlossenheit mit Schuldgefühlen.
Unterschreibe ich grade nicht, wohlwissentlich, ihr Todesurteil?
Sein oder nicht Sein, sprach einst Shakespeares Hamlet. Ist es ein Sein, wenn ihr Körper am Leben gehalten wird, während der Geist schon längst wo anders ist?
Fragt man einen Menschen, danach was uns vom Tier unterscheidet, so wird man über kurz oder lang, die Antwort erhalten, dass es unser Geist, unser Bewusstsein ist. Die Fähigkeit Recht von Unrecht zu unterscheiden. Oppunierbare Daumen?
Nun das haben die Affen auch, und die haben sogar ein Paar mehr davon. Unser Geist, der Verstand ist es der den Menschen zu etwas besonderem macht.
Gefühle: Hoffnung, Mitleid, Liebe!
Ein lahmes Pferd erschießt man!
Das macht man mit einem Menschen nicht, denn selbst für abgerissene Gliedmaßen gibt es Prothesen.
Und was ist mit einem Körper?
Einen Körper den man am Leben hält, während der Geist nicht mehr da ist?
Nein ich bilde mir nicht ein zu wissen, ob sie glücklich währe, wenn der Körper da liegen würde, während sie nicht mehr zu Bewusstsein kommt. Ich weiß nicht was in ihr passieren würde.
Und da meine Entscheidung als Christ: Bei Gott ist es besser! Dort trifft sie meinen Großvater wieder. Von dort oben kann sie sehen was ich hier auf Erden so treibe, und ich werde sie widersehen, wenn es bei mir, in hoffentlich vielen Jahren, soweit ist.
Und meine Entscheidung als Mensch der versucht sie in die Lage zu versetzen: Ja die moderne Medizin vermag viele Wunder zu vollbringen, lasst diese Wunder jenen die nicht müde sind. Und verschwendet sie nicht daran, einen Körper hier zu behalten dessen Zeit abgelaufen ist.
Und mein Gefühl als Enkel: Bitte Omi stirb nicht!
Aber ich sitze hier als Cäsar! Und wie der Herrscher des römischen Imperiums über Wohl und Wehe der Gladiatoren zu entscheiden hatte, wobei er die Kampfleistungen eines jeden Streiters bedachte, tue ich es ihm nun gleich, und schaue auf das Leben meiner Großmutter.
Flüchtlingskind. Von den Russen vertrieben, aus dem Land was einst Heimat war. Ein neues Leben begonnen mit einem Alkoholiker der trocken wurde, und schlussendlich an der parkinsonschen Krankheit siechte. Sie die immer wieder hatte kämpfen müssen, für alles Mögliche.
Hat sie nicht irgendwann auch den Frieden verdient?
Schuldgefühl zerfrisst mich innerlich, wenn ich mir wirklich wünsche, dass sie einschläft, dass sie endlich in Frieden sterben kann!
Und wenn ich ein Cäsar währe, und mein Daumenzeig Gesetz währe, würde ich den Daumen nach unten richten.
Denn jeder hat irgendwann Friede verdient!