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wie ein Neonazi kein Jude mehr sein wollte
Es gibt ja Leute, die man getrost Assis nennen kann, jedenfalls in Dorfbrandenburg. Anderswo mag man andere Wörter dafür. Der Miele aber war ein Assi, sogar von Geburt an, bis er irgendwann mit 14 Neonazi wurde. Zur Feier dieses Ereignisses hängte er sich eine SS-Uniform an die vermuchte Kinderzimmerwand, dazu ein Hitler-Bildchen und natürlich eine große Hakenkreuzfahne, die er einem Rentner aus dem Nachbardorf abgeschwatzt hatte. Ja, wenn er schon nichts konnte und ein Assi war, aber wildfremden Leuten Sachen ab- oder aufschwatzen konnte er wie kein zweiter.
Mir hat er einmal die Eiserne-Kreuz-Verleihungs-Urkunde meines Großvaters abgeschwatzt und das im Tausch für ein halb kaputtes Spielzeugauto. Später wollte er meinem Vater seine teure Briefmarkensammlung abschwatzen, wahrscheinlich wegen der lustigen Hitler-Briefmarken in derselben, von denen ich ihm erzählt hatte, nur ohne zu erwähnen, dass die allesamt schon gestempelt waren und ich glaube nicht, dass sich der Miele Hitler-Briefmarken an die Wand geklebt hätte, auf denen dem Adolf ein herzliches „Volksverräter“ auf der Stirn prangt.
Das darf man jetzt aber, weiß Gott, nicht als Allegorie oder andere Tiefsinnigkeit missverstehen. Mein Vater besaß die Briefmarken tatsächlich, die waren tatsächlich gestempelt und der Miele wollte sie meinem Vater tatsächlich abschwatzen, nur hielt dieser, auch wenn er kein Nazi war und nur korrekt gestempelte Hitler-Briefmarken besaß, nichts von Assis und schon gar nicht vom Miele und hat ihm gleich wieder die Tür vor der asozialen Nase zugeschlagen.
Sein Handelseifer brachte den Miele aber auch in Konflikt zu seiner neonationalsozialistischen Gesinnung und besonders seinem ebenso eifrig gesinnten Freundeskreis, denn in dem hatte er schnell den Spitznamen „der Jude“ weg. Manchmal, wenn es gar feuchtfröhlich zuging, und mehr als Saufen können Dorfnazis scheinbar wirklich nicht, dann hieß er auch mal „der dreckige Jude“ und fing sich eine. Merke: Asoziale Dorfnazis haben komische Freunde.
Anstatt sich nun aber andere Freunde zu suchen, mit denen er auch mal über seine Beziehungsprobleme hätte reden oder so, versuchte er, allen zu beweisen, dass er kein Jude war. Ein Ariernachweis war in seiner Familienhistorie nicht aufzufinden. Übrigens hatte ich noch einen von meiner Großmutter, den mir der Miele doch glatt abschwatzen wollte, aber da habe ich einfach mal “Nö!“ gesagt und bin weggerannt, sonst wäre die Geschichte anders gelaufen und er hätte da wahrscheinlich mit Tippex drin rumgepfuscht und seinen Namen reingeschrieben, während ich noch ein halb kaputtes Spielzeugauto meiner Sammlung hätte hinzufügen müssen.
Aber wie es schon sinngemäß nur thematisch ein wenig anders gelagert auf einem Topflappen meiner Frau gestickt steht: „Liebe kann man nicht beschreiben, man muss sie praktisch treiben“, hat sich der Miele wohl gedacht: „Pipapo, Ariernachweise sind Schnee von gestern. Ariertum kann man nicht beschreiben, sondern das muss man auch mal praktisch treiben“, auch wenn das Versmaß hinkte, aber in Deutsch war er wie in allen anderen Fächern nie besonders hell gewesen, und weil er halt nicht besonders hell war, schnappte er sich nach Beendigung seiner Dichterkarriere die SS-Uniform, die bis dahin an der Kinderzimmerwand gehangen hatte, zog sie sich über und paradierte so kostümiert zum nächstbesten Besäufnis seines Gesinnungsfreundeskreises.
„Heissa“, wird er sich wohl gedacht haben, „da werden meine Gesinnungsfreunde aber schauen und mich endlich nicht mehr Jude nennen, sondern Adolf oder so, weil das wär mal ein schöner Spitzname, zur Not auch Joseph oder Rudolph“, als er die Lokalität betrat, doch anstatt Jubel und Applaus wurde er mit einem wüterichenden Dialog empfangen, der ungefähr so lautete:
„Kiekt euch den mal an!“
„Ey der Jude...“
„Was? Hicks“
„Na kiek doch mal!“
„Will der uns verarschen?“
„SAG MAL DU DRECKIGE JUDENSAU, HALLO? ABER SONST GEHT’S NOCH?“
„Ick glob, der will ein paar uffs Maul.“
„Jawoll! Hicks... Maul hauen... Isch hau jez dem aufs Maul.“
„Ick och.“
„Brüder, Volksgenossen, Kameraden, aufgestanden in Reih und Glied und mit festem Tritt dem Juden dort die Fresse poliert!“
Zugegeben, so werden die Herren Neonationalsozialistenen kaum gesprochen haben, der Effekt blieb jedoch der gleiche: Sein Freundeskreis nahm Miele seine Uniform reichlich übel und walkte ihn recht ordentlich durch, mehr als sonst, und seitdem hat er auch nie wieder eine Uniform angezogen. Selbst den Wehrdienst hat er verweigert und lieber in einem Altersheim geschuftet, obwohl es da weniger Zeug aus der guten alten Adolf-Zeit abzustauben gab als bei der Bundeswehr.
Später ist er Koch geworden, was ein ziemlich unrühmliches Ende für so einen Charakter darstellt. Viel besser hätte er irgendwas bei der DVU werden sollen oder noch besser bei der PDS und zusammen mit Sarah Wagenknecht den Leuten hirnlose Meinungen über die Notwendigkeit kommunistisch-sozialistischer Freakdiktaturen aufschwatzen. Und wenn er bei der PDS auch noch Erfolg hätte, dann könnte ich die Juden-Geschichte wieder ausgraben und die Hitler-Briefmarken und überhaupt alles, was die PDS nicht mag, und würde ihn damit erpressen können. Heutzutage muss ja jeder sehen, wo er bleibt.