Wie gewonnen, ...
Eigentlich habe ich schon eher vorgehabt, das faule Herumlungern auf der Couch gegen einen Spaziergang an der frischen Luft einzutauschen. Schließlich wird das Abendprogramm eigentlich nur aus Aufenthalten in geschlossenen Räumen bestehen. Abendessen und Kino mit Bernd, dessen Einladung mich ein wenig überrascht hat. Gut, er ist schon einer meiner Lieblingskollegen, immer hilfsbereit und ein gern gesehener Begleiter für die Kantine. Außerdem versteht er es hervorragend die Arbeitsatmosphäre im Büro durch seine kleinen Scherze aufzulockern. Aber dass er noch weiteres Interesse an mir haben könnte, ist mir nie in den Sinn gekommen.
Tja, so kann man sich täuschen. Jedenfalls habe ich, wenn der Abend gut läuft, nicht vor, einfach nach dem Kino brav ins Bett zu gehen.
Nein, Bernd ist dann reif für heftiges Abtanzen im Square Room, meiner Lieblingsdisco. Da kann ich ihn dann auch gleich mal unterschwellig von Linda und Natalie abchecken lassen. Die beiden sind jeden Samstag im Square Room und ich vertraue ihrem unvoreingenommenem Urteilsvermögen. Armer Bernd; ich bin schon irgendwie gemein.
19:48 Uhr. Zu spät, um noch eine Runde zu drehen. Um 20:30 Uhr will Bernd mich abholen. Muss mich nur noch in ein paar Ausgehklamotten schmeißen und eine Handvoll Make-Up auflegen. Linda braucht für diese Prozedur immer eine gute Stunde. Für mich reichen 20 Minuten. Und keiner meiner Exfreunde hat jemals verlauten lassen, dass an meiner Gesamterscheinung etwas fehlt oder hätte besser sein können. Und selbst wenn ich heute was länger benötigen werde, kein Problem. Schließlich ist es mein erstes Date mit Bernd. Muss ihn ja nicht gleich von Anfang verwöhnen. Und wenn’s ein Schuss in den Ofen wird, brauche ich mich nicht großartig über den Aufwand ärgern, den ich dafür betrieben habe. Auf interessante Leute lohnt es sich zu warten. Ha, bin ich eingebildet.
Schnell schnappe ich mir die Fernbedienung und schalte noch mal die Glotze an. Zeit für die Ziehung der Lottozahlen. Ein Laster, dass ich von meinem Vater geerbt habe. Er spielt schon so lange ich denken kann. Und sein größter Gewinn? Knappe 400 DM, die er mir dann damals auf mein Sparbuch eingezahlt hat.
Ich versuche seit knapp 3 Jahren mein Glück und bin mit meinen Gewinnen kaum über ein paar Euros hinaus gekommen.
Aber irgendwann gelingt mir der große Wurf. Darauf vertraue ich fest und diesmal sind auch als besonderer Anreiz gute 12 Millionen im Pott.
Meine Zahlen kenne ich auswendig. Ich greife nach der Fernsehzeitschrift, um wie immer auf den unteren Rand die gezogenen Zahlen zu kritzeln.
Die erste: 12. Guter Anfang. 23. Treffer. 8. Langsam werde ich nervös. Schon 3 Richtige. Wenn ich Glück habe, kann ich damit einen neuen Schein finanzieren. 30. Ich merke, wie mir langsam die Röte ins Gesicht steigt. So was passiert mir immer, wenn ich mich aufrege. 9. Ein Kloß beginnt sich in meinem Hals zu manifestieren. 17. Setzt mein Herzschlag jetzt wirklich aus oder bilde ich mir das nur ein? Und dann die Zusatzzahl:2.
Ich sitze da, starre auf den Fernsehschirm und bekomme kaum mit, wie die Lottofee die Zahlen un sortierter Reihenfolge wiederholt.
8,9,12,17,23,30, Zusatzzahl 2. Meine 3 Ex-Freunde haben am 30.8., 23.9. und 17.12. Geburtstag und die 2 steht für die 2. Auswahl an Zahlen, die ich beim Lottospielen benutze. Ich habe 2 Scheine mit 2 verschiedenen Zahlenreihen, die ich immer abwechselnd abgebe. Und Nummer 2 war diesmal an der Reihe.
Ich habe gewonnen. 6 Richtige mit Zusatzzahl. Ich habe gewonnen.
Die Anspannung entlädt sich in einem laut gebrüllten JA! und einem kurzen, von wildem Armrudern begleiteten, Dauerlauf durch mein Apartment.
Das Herz schlägt mir bis zum Hals und meine Augen füllen sich mit Freudentränen.
Ich lasse mich noch mal auf die Couch nieder und zappe mit der Fernbedienung zum Videotext. Dort rufe ich die Seite mit den Lottozahlen auf.
Es ist wahr. Auch da werden mir dieselben 7 magischen Zahlen angezeigt.
Was mach‘ ich denn jetzt? Bernd kommt in einer knappen halben Stunde und ich peile momentan irgendwie gar nichts mehr.
Muss mich noch umziehen, raus aus den Leggins und dem Schlabber-T-Shirt und rein in die Jeans und das Top, welche ich mir eben schon zurecht gelegt habe.
Aber irgendwie geht das nicht. Ich habe einen absolut heißen Kopf, aber gleichzeitig überall Gänsehaut und meine Hände zittern.
Und dieses Glücksgefühl ist nicht zu bändigen. Ruhige Sachen wie ein Restaurantbesuch oder Kino passen jetzt überhaupt nicht.
Ich muss es jemanden sagen, sonst platz‘ ich.
Ich greife nach dem Telefon und wähle die Nummer meiner Eltern. Nach dem 5. Klingeln fällt mir ein, dass sie ja seit 2 Tagen mit dem Wohnmobil in Frankreich unterwegs sind und mein Vater sein Handy, wenn überhaupt, nur für den Notfall einschaltet.
Linda und Natalie. Ich wähle ihre Handynummern.
Bei Linda meldet sich die Mobilbox, auf die ich es nur fertig bringe ein schwammiges "Ruf mich sofort an. Ich habe gewonnen.", zu nuscheln.
Bei Natalie höre ich nur die Ansage: "Der gewünschte Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar."
Ist das zu glauben?
Ich versuche es auch noch in der Studenten-WG meines Bruders Kai. "Der is‘ nich‘ da.", informiert mich einer seiner Mitbewohner, der sich am Telefon immer so anhört, als sei er high. Klasse. Und das bei einem Bruder, der sehr wahrscheinlich als einziger 20jähriger in ganz Deutschland kein Handy besitzt.
- Geht schon ok-, beruhige ich mich. Bald kommt ja Bernd. Dann wird er halt als erster mit dieser Neuigkeit zwangsbeglückt.
Ich stürze ins Schlafzimmer, ziehe mich um und versuche mit immer noch zittriger Hand etwas Make-up aufzulegen. Alles kein Problem, bis auf die Anwendung des Kajal-Stifts. Beim Ziehen des Lidstrichs komme ich haarscharf am Augenausstechen vorbei. Ich schaffe es dann schließlich doch ohne Folgeschäden.
Sekt. Ich brauche etwas zum Anstoßen, wenn Bernd eingetrudelt ist.
Gott sei Dank habe ich eine Flasche im Kühlschrank. Ist bei meiner Geburtstagsparty vor 2 Wochen nicht mehr getrunken worden. Was für ein verspätetes Geburtstagsgeschenk. Wahnsinn.
Ich schaffe es gerade noch die Sektflasche zu entkorken und sie mit 2 Gläsern auf den Wohnzimmertisch zu stellen, als es auch schon an der Tür klingelt.
Bernd begrüßt mich mit einem "Hallo Schönheit", überreicht mir eine einzelne Rose und drückt mir einen leichten Kuss auf die Wange.
Aufgeregt ziehe ich in mit mir ins Wohnzimmer. "Komm rein, komm rein. Ich muss Dir was zeigen." Ich lasse ihn im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen und wühle aus der Schublade unter dem Fernseher die Bestätigung des abgegebenen Lottoscheins hervor.
"Wenn ich gewusst hätte, dass Dich unser erstes Date so aufputscht, wäre ich die Sache langsamer angegangen." bemerkt Bernd im Scherz.
"Wenn Du wüsstest..." entgegne ich ihm, werfe einen Blick auf die Lottobestätigung... und erstarre.
4,6,10,11,25,29 Zusatzzahl 1.
29.4., der Geburtstag meiner Mutter, 25.06., der Geburtstag meines Vaters, 11.10., der Geburtstag von Kai und die 1 für die 1. Zahlenauswahl.
Bernd deutet auf den Sekt und die Gläser.
"Gibt es was zu feiern?"