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- 13.04.2003
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Wie glitzernde Sterne am helllichten Tag
Dort, wo die Sonne hinter den Bergen versinkt, lebt Paolin. Und mit dem Herz seiner Jugend taucht er ein in das Leben, welches ihm die Elemente geschenkt haben. Er wurde geformt aus der Erde zu seinen Füßen, geschliffen mit dem Wasser des kristallklaren Sees, an dem die Behausung seiner Eltern steht, und gebrannt mit Feuer, das ihn stärkt und ihm Halt gibt.
Jeden Abend, wenn die Sonne untergeht, betrachten seine Eltern ihren Spross voll ehrfürchtigem Stolz. Gott hatte ihnen einen kräftigen Sohn geschenkt.
Die Blätterdecke, die sich über seinen Körper streckt und das Wurzelkissen, das seinen schweren Kopf stützt, behüten seinen Schlaf. Gleichmäßig geht sein Atem, leicht hebt und senkt sich die Brust, deren goldener Pelz von edler Herkunft zeugt.
Moonys sind nicht groß, aber messen doch einen Meter. Da ist es schon ein Wunder, dass die Menschen sie in ihrer Pracht nicht sehen können. Sie gehen aufrecht und wie bei manchem dieser Rasse, tragen auch die Moonys Haare auf der Brust, an Armen und Beinen, an Händen und Füßen und auf dem Kopf. Und je goldener die Haare auf der braunen Haut glänzen, umso prachtvoller sieht der Moony aus.
Wenn Paolin mit den anderen rauft, mit ihnen balgt und tobt, freuen sie sich, selbst wenn sie immer unterliegen, denn voller Hochachtung und voller Liebe begegnet er ihnen, reicht ihnen die Hand, um ihnen wieder auf die Beine zu helfen. Paolin lächelt, als hätte er es erfunden, als sei er der Ursprung allen Lächelns und niemand, der ihm begegnet, fühlt sich durch ihn gedemütigt.
Geht er mit seinem Vater zur Jagd, Kaninchen erlegen, die seine Mutter später über dem Feuer goldrot röstet und mit einer Sauce aus Wacholderbeeren und Schlehen serviert, die unter den Moonys ihresgleichen sucht, dann wird Paolin warm und er blickt gen Himmel, zeichnet mit der Hand ein Dreieck von seinem Kopf zu seinem Herzen und zu seinen Lenden vor lauter Dankbarkeit. So ist es in seinem Volk Sitte. So haben seine Eltern es ihn gelehrt und seine Großeltern seinen Eltern.
Ein Moony weiß um seine Gaben, weiß, dass seine Kraft in diesem Dreieck steckt, Kopf, Herz und Lenden. Wenn sie miteinander im Einklang sind, dann ist ihr Träger von Gott gesegnet.
Noch weiß Paolin nur um seine Lenden, hat ihre Stärke nicht getestet, aber in der kommenden Nacht wird er sie erfahren, denn zu einem Glücksmoony, wie er es ist, gehört, dass er heute mit dem schönsten Weibchen vermählt wird, das es in dieser Gegend, nein in diesem Land, auf dieser Erde, auf allen Planeten gibt.
Als er Shireba das erste Mal sah, lag sie auf dem Felsen vor der Höhle ihrer Eltern und trocknete ihr Haar in der Sonne. Die Haare von Shireba schimmerten so unwiderstehlich, dass Paolin gar nicht anders konnte, als sich hinter den Latschenkiefern versteckt an sie heranzupirschen und sie zu betrachten. Es war, als glänzte ein Regenbogen in ihnen, das Gold glitzerte in allen Farben und je nachdem, von welcher Seite aus Paolin schaute, wechselten sie von mattem zarten Blau zu seidigem Grün, von samtenem Violett zu kupfernem Rot.
Ihr Unterkiefer nahm einen geschwungenen Bogen nach vorne, ihre Nase war eben, nur leicht mit Haaren überzogen. Die Stirn hatte, wie es sich für ein so schönes Moonyweibchen gehört, drei tiefe Rillen, die senkrecht genau auf Augen und Nase zuliefen. Keine Kurve war in diesen Rillen auszumachen. Und diese Augen. Selbst am helllichten Tag strahlten sie wie Sterne, so klar, dass die Pupillen nicht wie eine Sonnenfinsternis einen düsteren Schatten warfen, sondern den Betrachter nur davor schützten, nicht vor lauter Blendung das eigene Augenlicht zu verlieren. Paolin verliebte sich. Und betrunken vor lauter Ehrfurcht bei ihrem Anblick trat er unvorsichtig auf einen knorrigen Ast der Latschenkiefer, verscheuchte versehentlich einen laut fluchenden Wolpertinger. Shireba erschrak, zuckte kurz zusammen, legte die Hand wie einen Schirm über die Augen und sah sich um.
Paolin schlug schnell das Dreieck, Kopf, Herz und Lenden, sah zum Himmel und bedankte sich für sein Geschick. Er wusste, er war Gottes Gnade sicher. Die Holde würde ihm nicht zürnen, wenn er jetzt hervorträte, sondern ihn erhören. So wagte er beherzt einen Schritt, lächelte Shireba an, faltete seine Hände wie zum Gebet und stellte sich vor: »Ich bin Paolin. Verzeih, wenn ich dir hier aus dem Verborgenen zu nah getreten bin. Aber der Reiz deiner Schönheit möge meine Unhöflichkeit erklären.«
Shireba lachte freundlich, erhob sich, drehte sich einmal um die eigene Achse, sodass die Farben des Regenbogens in ihren Haaren zu tanzen begannen. Dann ging sie auf Paolin zu, küsste ihm nach guter Sitte auf die Nasenfurche seiner prachtvoll hohen Stirn und antwortete: »Wenn die geheimen Wünsche sich aus der Verborgenheit stehlen, wie soll ich da böse sein?«
Den ganzen Tag muss Paolin heute auf seine Shireba verzichten. Kein Blick auf das Fichtenkleid, das, ihr zu Ehren gewoben, sie heute kleiden wird, ist ihm gestattet. Während die Weibchen sich in der Höhle der Braut versammeln, sie mit gepresstem Latschenkiefersaft salben, die Haare mit Edelweiß und blauem Enzian schmücken und ihr einen Schleier aus Silberdisteln anlegen, schmücken die Männchen in der neuen Höhle des glücklichen Paars den Bräutigam. Ein Schurz aus Murmeltierfellen bedeckt seine Lenden, eine Kette aus Birkenrinde wird ihm um den Hals gehängt und aus Heidelbeeren und getrockneten Hagebutten wird eine Paste bereitet, mit der sein Gesicht für das Fest violett geschminkt wird.
Erst am Abend, wenn die Menschen auf den Bergen bemerken, dass eine Kuh fehlt, die schon den ganzen Tag, auf einen Eichenstamm gespießt, über dem Feuer gedreht wird, wenn der Schlehenwein zum Jubel des Tages aus kunstvollen Bechern aus Kiefernzapfen getrunken wird und die Moonys feiern und tanzen, werden Shireba und Paolin einander zugeführt. Dann klatscht die Menge beim Kuss und wartet darauf, dass sich der Murmeltierschurz erhebt und von der entdeckten Kraft der Lenden kündigt.
Trunken vom Wein, feuern die Moonys ihr Paar an, das kunstvoll gewebte Nadelkleid zerfällt, der Schurz wird Paolin von den Burschen abgerissen, Shireba wirft in einem hohen Bogen den Schleier nach hinten und die unvermählten Weibchen versuchen, ihn zu fangen.
Die Lippen Shirebas färben sich violett von den Küssen, mit denen sie Paolins geschminktes Gesicht vor allen bedeckt und erst, wenn sie den Geschmack der Heidelbeeren und Hagebutten verspürt, dann darf sie sich vor den Augen aller den kraftvollen Lenden ihres Gatten hingeben. Sie sind vermählt durch die Stöße, die sie miteinander verbinden.
Der Vater des Bräutigams schneidet ein erstes Stück aus der Hüfte der Kuh, reicht es seinem Sohn zur Stärkung nach vollbrachter Verbindung und eröffnet das Mahl.
Paolin nimmt, wie es Brauch ist, das Fleisch, tippt es sich an die Stirn, an das Herz und an die Lenden, blickt in den Himmel und bedankt sich, bevor er es auseinander reißt und zur Bekräftigung des Bundes mit Shireba teilt.
Die Moonys tanzen noch oben auf dem Berg, die Nacht hat ihren Zenit längst überschritten und fast lichtet sich der Morgen schon in blassrosa Streifen hinter den Gipfeln, aber Paolin und Shireba sind erschöpft vor Glück. Paolin hält seiner Angetrauten die Hand vor die Augen und bereitet ihr die letzte Überraschung des Tages. Zum ersten Mal darf sie die Höhle betreten, die von den männlichen Moonys die Sonnenstunden über ausgestattet wurde.
Aus massivem Eichenstamm haben sie einen Tisch in die Höhle gestellt, dessen Jahresringe die Lebensdauer des Brautpaars bestimmen sollen. Geflochtene Fichtenzweige hängen als Regale an den Wänden und aus Moos wurde ein weiches Nachtlager bereitet. Die Weibchen hatten aus Gras und Hanf Decken und Kissen gestrickt und sie mit jungen Zapfen von Kiefern und Lärchen gefüllt.
Die Wände sind mit Bildern aus Brennnesselsaft und Löwenzahnblüten verziert.
Voller Stolz zeigt Paolin seiner Shireba die neue Behausung und voller Begeisterung geht Shireba in der Höhle herum, streift mit den Händen über die Schätze an Möbeln und schenkt ihrem Gatten ein Lächeln so strahlend, dass selbst seines, das doch als Ursprung allen Lächelns gilt, dagegen verblasst.
Sie nehmen sich in die Arme, streicheln sich die Haare, streicheln sich die Haut und legen sich müde und erschöpft auf das Nachtlager. Sogar in der Dunkelheit der Höhle, in der Nacht leuchten die Augen von Shireba und betören Paolin. Und so, wie sein Herz beim Anblick ihrer Augen springt, so wie seine Lenden schon fast wieder beben und sein Kopf schwirrt vor lauter Liebe, so weiß er, was fehlt in der Höhle.
»Ich werde dir die schönsten Sterne holen« verspricht er Shireba, »sie an die Felsen hängen, damit sie mit deinen Augen um die Wette strahlen können. Und ich weiß, deine Augen werden siegen.«
Am nächsten Morgen erhebt er sich leise von seinem Lager. Shireba schläft noch friedlich und es wäre für ihn eine Schande, die Heiligkeit ihres Schlafes zu stören. Er kocht sich über dem noch glimmendem Feuer einen starken Kaffee aus getrockneten und gerösteten Schlehen, dann macht er sich auf den Weg durch den Wald. Äste und Zweige braucht er, egal von welchen Bäumen, nur stabil müssen sie sein und ihn tragen können. Er sammelt, was er finden kann, und immer, wenn so viel zusammen ist, dass seine Schultern es gerade noch tragen, schleppt er es auf den Gipfel des Berges. Einundzwanzig Mal führt ihn sein Weg hinauf und wieder herunter, bis er genug Material hat. Er knotet mit dünnen Zweigen die stabileren zwischen die Äste, schafft so Stufe um Stufe und als es Mittag ist, hat er schon die halbe Leiter gebaut.
Er steigt wieder hinab, fängt, von Gottes Segen immer noch begünstigt, unterwegs einen Gamsbock, den er an seinen Hörnern bis zur Höhle zerrt.
Shireba ist wach, empfängt ihn mit Küssen, aber Paolin hat keine Zeit für seine Lenden. Er nimmt seine Frau in den Arm, streichelt ihr über den Kopf und flüstert ihr ins Ohr, dass er sich auf den Gamsbraten am Abend freue. Jetzt aber habe er zu tun.
»Trink wenigstens einen Schluck Milch«, fordert Shireba ihn auf. Paolin gehorcht seiner Frau. Sie weiß, was gut für ihn ist, also legt er sich unter eine der Kühe auf der Weide, streckt seine Arme nach oben, hält eine der Zitzen in Richtung seines Mundes und melkt sich ein paar köstliche Tropfen.
Dann steigt er wieder auf den Gipfel, baut seine Leiter, zurrt und zerrt an den Riemen, lehnt sie schon einmal an den Himmel und erklimmt ein paar der Sprossen um ihre Stabilität zu überprüfen, bevor er zufrieden zurück zu Shireba kehrt.
Der Gamsbock riecht köstlich nach einer Beize aus wilder Kamille und Butterblumen. Schon in der Ferne lässt der Duft Paolin das Wasser in im Mund zusammenlaufen. Der junge Moony sieht seine Mutter und seinen Vater vor der Höhle, sieht Shireba in ihrer vollendeten Schönheit und weiß, dass er sein Tagwerk richtig vollbracht hat.
Die Mutter hilft seiner Frau, stampft ein Mus aus Äpfeln, während Shireba in einem Topf eine Sauce aus Spitzwegerich bereitet. Es ist keine Arbeit für Männer, aber Paolin ist sich nicht zu stolz, schon einmal den großen runden Eichentisch mit Schalen aus ausgehöhlten Birkenstämmen zu decken. Je zeitiger sie essen, umso schneller kann er wieder auf den Gipfel und sein Versprechen einlösen.
So, wie er duftet, so schmeckt der Braten auch, das Apfelmus ist mit Kleeblättern zart verfeinert, die Sauce kitzelt mit einer kleinen Prise geriebener Latschenkiefer den Gaumen und das Fleisch ist so zart, dass man es kaum kauen muss.
Aber Paolin isst nicht viel. Er muss an den Aufstieg denken, möchte nicht riskieren, sich unnötig zu beschweren, denn er hat am Abend noch einen weiten Weg vor sich.
Höflich verabschiedet er sich von seinen Eltern, gibt Shireba einen Kuss und verspricht ihr im Morgengrauen wieder da zu sein und seine eheliche Pflicht zur Erhaltung des Einklangs in seinem Dreieck zu erfüllen.
Mit dem ersten Sternenstrahl macht er sich auf den Weg, steigt auf den Berg, streichelt noch einmal die Pfosten seiner Leiter und dann erklimmt er Sprosse um Sprosse.
Immer höher kommt er hinauf, spürt eine zugige Kälte und als er an der obersten Stufe angekommen ist, lächelt er. Der Himmel hat ihm Wolken geschenkt, die er fangen und zu Stricken zusammenbinden kann. Eine Wolke nach der anderen bindet er ein, knotet sie zu einem seidigen Tuch und hangelt sich daran empor.
Endlich erreicht er den Vater aller Moonys. Das gelbe runde Gesicht Gottes lächelt, als es sein Schäfchen vor sich gewahrt. Und er drückt ein Auge zu, als Paolin sich an seinem Wolkenstrang streckt, hoch hinaus greift und sich den leuchtendsten Stern pflückt, den er finden kann.
Paolin klemmt sich den Stern unter den Arm, so kann er ihn am besten halten, wenn er wieder hinabsteigt, Gottes Lächeln erwidert und den Wolken nach vollbrachtem Dienst wieder ihre Freiheit lässt. Er steigt hinab auf seinen Sprossen, findet wieder festen Boden unter seinen Füßen, jedenfalls so fest, wie die Erde einem Liebestaumelnden erscheint, und als er den Berg betritt, hört er die ersten Vögel singen und die Sonne sendet ihre ersten zaghaften Strahlen über den Gipfel.
In der Höhle angekommen, findet er Shireba schlafend. Er haucht auf den Stern, putzt ihn mit seinem Arm blank, sieht ihn an und dann in die geschlossenen Augen seiner Frau. Doch selbst durch den Schleier der Wimpern leuchten die so hell, dass der Stern keine Chance hat. Sorgfältig stellt er ihn auf das Kieferregal, lehnt ihn dabei an die Wand, und legt sich zu seiner Frau.
Shireba erwacht, gibt Paolin einen Kuss und schmiegt sich willig in seine Arme.
Tagsüber ist das Leben der Moonys beschaulich. Von dem, was sie jagen, können sie sich tagelang ernähren und aus dem, was sie sammeln, bauen sie in trauter Runde gemeinsam, was sie zum Leben brauchen.
So können Paolin und Shireba morgens lange schlafen, sich aneinander kuscheln und ihre Dreiecke im Einklang halten. Und immer, wenn sie sich lieben, wenn sie die Lenden ineinander reiben, staunt Paolin über das Wunder, das ihm mit Shireba widerfahren ist.
Um so größer ist sein Glück, als er seinen und Shirebas Eltern verkünden kann, dass der Mond ihnen ein neues Kind geschenkt hat, das in Shireba wächst und gedeiht.
Sie bringt ein Mädchen zur Welt, so hold, wie sie selbst, so strahlend, wie man es sich aus dieser Beziehung nur vorstellen kann, und das Haar leuchtet so golden, als wollte es mit seinem Licht die Sonne beschämen. Deswegen taufen sie ihre Tochter bei Vollmond auf den Namen Sola.
Jeden Abend steigt Paolin hinauf zu den Sternen, dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr. Er umfasst den Raureif an den Sprossen im Herbst und knüpft aus sturmgrauen Wolken ein schwankendes Band. Er rutscht auf schneebedeckten Stufen im Winter die Leiter wieder herab und hat Mühe den Stern nicht zu Boden in die unendliche Tiefe fallen zu lassen. Er findet Halt an den frischen Trieben, die im Frühling aus den Zweigen brechen und im Sommer an den kräftigen Blättern, die seine Leiter weiter in den Himmel ranken lassen, als er keine Wolken mehr hat.
Der Mond lächelt, immer wenn Paolin an ihm vorbeiklettert. Nur einmal vergisst er, ein Auge zuzudrücken, als sein Kind, Stolz seines Stammes, einen weiteren Stern pflückt. An diesem Tag spricht er ihn an: »Du bist sehr verliebt, nicht wahr?«
Paolin erschrickt nur kurz, angesichts der unerwarteten Stimme voll sanfter Heiserkeit, die klingt, wie die eines alten Menschen, gütig und weise. Dann strahlt er, wie sein Gott selbst; es ist, als leuchteten zwei Scheiben am Himmel.
»Ja, das bin ich, Herr. Verliebt und dankbar, dass du mir so viel Gnade und Glück gewährst.«
Der Mond schweigt wieder, schüttelt wissend den Kopf, als wollte er noch etwas sagen, aber er schweigt.
Paolin leuchtet auf dem Weg nach unten, jubelt voller Überschwang. Wer hat schon jemals mit Gott von Angesicht zu Angesicht gesprochen?
Fast fliegt Paolin vom Berg. Er kann es gar nicht abwarten, seiner Shireba von dem Gespräch mit dem Mond zu erzählen, von der Gunst, die ihm erwiesen wurde und von dem tiefen Glück, das diese ihm bedeutet.
Er stürmt in die Höhle, vergisst, den Stern blank zu polieren, bevor er ihn auf das Regal stellt, wie er es immer tut, sondern legt ihn nur auf dem großen Eichentisch ab, schließt seine Frau in die Arme und jubelt, ohne an sein Töchterchen zu denken: »Gott hat sich mir offenbart. Er hat mit mir gesprochen.«
Es ist das erste Mal, dass Shireba sich aus seinen Armen windet, ihn scheinbar spöttisch anschaut und ihn fragt: »Und was hat er zu dir gesagt?«
Doch das bemerkt Paolin in seinem Überschwang gar nicht. Haargenau und viel zu laut für den Schlaf seiner Tochter berichtet er über den kurzen Dialog, über die Güte der Stimme, ihren Wohlklang, über das leichte Kopfschütteln und das milde Lächeln dabei.
Shireba nimmt ihren Paolin an die Hand, lächelt so gütig wie Gott und schüttelt genau so bedacht ihren Kopf.
»Was ist vor lauter Glück im Einklang deines Dreiecks durcheinander geraten?«, fragt sie und führt ihn aus der Höhle. Paolin versteht sie nicht. Sein Lächeln bekommt eine neue Farbe, nicht golden, als ob es Schöpfer allen Lächelns sei, sondern leicht rötlich irritiert und grünlich unsicher, sodass ein dümmlich braunes Lächeln daraus wird.
»Fällt dir etwas auf, wenn du in den Himmel schaust?«, fragt Shireba. Doch Paolin schüttelt den Kopf.
»Du musst wirklich eine große Gunst bei unserem Mond besitzen, dass er dich nicht schon längst von deiner Himmelsleiter gestoßen hat«, erklärt sie ihm und nimmt ihn dabei in den Arm. »Du musst wirklich Gottes große Gnade besitzen, dass er dir deine Torheit des Glücks so milde durchgehen lässt und dich nur kopfschüttelnd ermahnt, ohne dich zu verbannen.« Shireba nimmt Paolins Kopf in beide Hände und legt ihn in den Nacken. »Siehst du, wie der Himmel seinen Glanz verloren hat, die Äste der Bäume traurig nach unten hängen und sich die Blüten der Pflanzen in den Boden verziehen?«
Keinen Ton gibt Paolin von sich, keinen Muskel regt er, während seine Frau ihm mit sanftem Tadel ihre Fragen stellt. Er weiß nicht, was er antworten soll.
»Reicht dir denn der Glanz unseres Glückes nicht? Musst du mir täglich neuen Glanz vom Himmel holen und ihn in unserer Höhle einsperren, wie die Menschen ihre Vögel in Käfigen?«
Und als würde durch die Hände Shirebas wieder Blut in seinen Schädel fließen, als schaufelten ihm ihre Worte die Verbindung zu seinem Kopf frei, dem dritten Element der Einheit, beginnt sich etwas in Paolin zu regen. Er nimmt ihre Hände, hat genug von dem dunklen Himmel gesehen, senkt den Kopf, schaut seiner Liebe in die Augen und sieht das Leuchten, das jeden Stern überstrahlt, den er in seiner Höhle hält.
»Ob sie nach oben fliegen, wenn ich sie freigebe? Ob sie wieder an ihren Platz zurückkehren? Ich habe mir nicht gemerkt, wo ich sie gepflückt habe.« Dann neigt der den Blick schuldbewusst zu Boden.
In der Höhle beginnt Sola, zu weinen.
»Probiere es aus«, rät Shireba ihrem Gatten, löst sich von ihm und verschwindet zu ihrer Tochter.
Paolin folgt ihr, tritt in die Höhle und gibt Sola einen Kuss, bevor er die Sterne aus den Kieferregalen holt. Fein säuberlich legt er sie nebeneinander auf den Waldboden.
»Ich gebe euch frei«, sagt er, doch die Sterne bleiben glitzernd auf dem mit Nadeln gespicktem Moos liegen.
Drinnen gibt Shireba Sola die Brust, versucht sie zu nähren, doch das kleine Moonymädchen unternimmt keinen Versuch, an ihr zu saugen. Es weint immer lauter, so zärtlich Shireba es auch mit ihrer Stimme zu beruhigen versucht.
Draußen Paolin, das erste Mal in seinem Leben verzweifelt, über seine Dummheit und über die Dummheit der Sterne, die nicht zurückfliegen wollen in die Freiheit, drinnen Shireba, ebenfalls verzweifelt, denn nie hatte sie bis zu diesem Tag Probleme, ihr Kind zu stillen.
Ist es ein Fingerzeig Gottes, dass die kleine Sola nach draußen zeigt, dass ihr Blick den Sternen folgt, die der Vater fortgetragen hat? Und ist es der Verstand des Mondes, der Shireba diesem Wink folgen lässt?
Sie tritt wieder vor die Höhle. Paolin kniet am Boden, redet mit den Sternen, entschuldigt sich bei ihnen flehentlich für seinen Fehler, den sie ihm doch bitte verzeihen mögen.
Und Sola weint, bis Shireba sie zu ihrem Vater gibt. In dessen starken Armen, trainiert in vielen Nächten, als sie ihn in den Himmel tragen mussten, kommt das kleine Moonykind zur Ruhe. Sie tippt ihm mit ihren kleinen Fingern auf die Schulter. Und wieder lässt sich fragen, ob es ein Fingerzeig des Mondes ist, den sie auf die Sterne am Boden richtet? Ist der Einklang in Paolin wieder hergestellt, dass er begreift, seiner Tochter einen der Sterne in die Hand zu geben? Sie ist noch so klein, dass ihre Arme den Stern kaum halten können, so zart, dass sie kaum zu einer Bewegung ausholen kann, die man Werfen nennen könnte. Aber mit einem kurzen Ruck gleitet der Stern aus ihren Fingern wie ein Diskus, blinkt noch einmal auf und tritt seinen Weg zum Himmel an.
Einen Stern nach dem anderen reicht Paolin Sola. Und auch Shireba und er lassen die Sterne mit Schwung in den Himmel schweben. Es ist ein Spiel voller Lachen, unklar, wer dabei fröhlicher ist, die Sterne oder die drei Moonys. Es erschallt das Lachen zwischen den Vogelstimmen des erwachenden Morgens und es sieht aus, als verglühten die Sterne auf dem Weg in den Himmel unter den Strahlen der aufgehenden Sonne.
Als der Ball schon fast in voller Rundung über den Gipfeln zu sehen ist, tritt der letzte Stern seinen Weg in den Himmel an. Und er nimmt Sola mit. Paolin und Shireba versuchen, sie zu halten, zerren an ihr, doch sie schreit so zerreißend in den Himmel, dass sie die Tochter schweren Herzens loslassen. Im Aufstieg in den Himmel findet sie ihr Lachen wieder, bevor sie verstummt. Es ist, als hätte sie die Sterne nur auf ihren Weg in die Freiheit gebracht, um mit ihnen zu fliegen. Sie breitet ihre kleinen Arme und Beine aus, glitzert im Licht des Mondes und wird selbst zum Stern. Sola dreht sich im Kreis. Das ist ihr Winken zum Abschied.
Paolin und Shireba lernen das Weinen kennen, das beschwerte Herz, das in Tränen überfließt. Und in dieser düsteren Stimmung, in dieser nie erlebten Traurigkeit gehen sie in die Höhle zurück, als die anderen Moonys ihr Nachtlager bereits verlassen.
Wo die Liebe war, sind jetzt Vorwürfe und nachdem Paolins Kopf wieder zu seinem Beitrag im Dreieck gefunden hatte, sind bei Shireba und ihm Herz und Lenden aus dem Takt geraten. Der goldene Schimmer der Haare ist matt geworden, der Glanz in den Augen fehlt und nicht einmal mit den Sternen der Nacht kann Shireba es noch aufnehmen.
Tagsüber, wenn Paolin nicht bei der Jagd ist, sitzen sie nebeneinander, weben an einer neuen Blätterdecke. Oder sie gehen in den Wald, sammeln Flechten aus Moos und richten Shireba ein eigenes Lager in der Höhle daraus.
»Was ist mit euch los?«, fragt Paolins Vater, als er auf dem Weg zur Jagd an der Höhle vorbeikommt. »Ich sehe Trübsal in euren Augen und euer Haar verrät mir, dass es keine Liebe mehr zwischen euch gibt.«
Paolin schweigt schuldbewusst. Aber Shireba fällt dem alten Moony um den Hals und weint bitterlich. »Ich weiß doch, er hat es nur gut gemeint. Zur glücklichsten Moonyfrau unter den Sternen wollte er mich machen. Und dann hat mir seine Liebe das Wichtigste genommen, das wir hatten. Es waren keine Sterne mehr am Himmel, die mein Glück preisen konnten. Es ist keine Frucht mehr da, die von unserem Segen zeugt. Wie kann etwas gut sein, das so sehr schmerzt?«
Der alte Moony streichelt seiner Schwiegertochter durch das verblasste Haar, setzt sie vorsichtig auf einen Baumstamm und sammelt einen Zweig auf, der am Boden liegt. Er nagt ihn mit seinen Zähnen ab, damit die Spitze scharf wird, dann nimmt er seinen Sohn an die rechte, Shireba an die linke Hand und geht mit ihnen in die Höhle.
»Das Wichtigste hast du nicht verloren«, sagt er, während er das frisch errichtete Nachtlager aus Moos mit dem angespitzten Zweig zerteilt. »Eure Liebe ist das Wichtigste. Sola ist dort oben bei den Sternen und leuchtet jede Nacht für euch. Im Schutz des Mondes sieht sie euch zu und wünscht sich, dass ihr so glücklich seid, wie sie es dort oben ist.«
Paolin steht noch immer stumm, betrachtet seinen Vater beim Teilen des frischen Lagers und sieht zu seiner Frau. Sie ist noch immer schön, auch wenn ihr der Glanz fehlt, wenn sie die Höhle nicht erstrahlt, aber eine kleine Flamme von ihr leuchtet in sein Herz. Er hat seine Liebe zu ihr nicht verloren. Sie war es, die sich abgewendet hat.
Shireba steht auf der anderen Seite des Nachtlagers, wagt es zaghaft, ihren Paolin anzuschauen, betrachtet seine Brust und fragt sich, ob es nur ihre Haare sind, die unter den aufgetauchten Sternen verblassten?
»Die Teile«, erklärt der Vater, »stehen für jeden kleinen Moony, der euch noch geschenkt werden wird. Bewahrt die Moosmatten gut auf, damit sie schön trocken sind, wenn ihr sie braucht.« Dann nimmt er wieder die Hände seiner Kinder, stellt Shireba und Paolin gegenüber und führt deren Arme an das Herz des anderen. »Im Namen des Mondes«, murmelt er, bevor er die Hände an die Köpfe weiterleitet. »Im Namen der Erde und des Wassers«, fährt er fort und vollendet das Dreieck. »Stellt das Gleichgewicht wieder her.«
Einmal noch nutzt Paolin die Leiter, steigt an ihr empor bis zum Mond, blickt seinem Schöpfer ins Gesicht, Tränen in den Augen, Tränen voller Scham, aber auch voller Verzweiflung.
Schimpfen wollte er über den hohen Preis, mit dem er seine Dummheit bezahlt hat, aber als er ihm gegenübersteht, als er das gütige Lächeln des Mondes erblickt, da versagt ihm die Stimme.
Auch der Mond schweigt.
Verzagt klettert Paolin wieder herab, baut die Leiter auseinander, damit niemand sich mehr mit ihrer Hilfe an den Himmel lehnen kann.
Zurück in der Höhle, sich zu Shireba ins Nachtlager begebend, sieht er zum ersten Mal wieder das Glitzern in ihren Augen, als strahlte ein Stern selbst am helllichten Tag. Und es scheint ihm, ihr Haar glänzt wieder goldener. Doch die Freude erfasst sein Herz erst wieder, als er seine Arme um sie schlingt. Da hat er Gewissheit, er hat die Gunst Gottes zurückerlangt. Denn unter ihrer Brust spürt er ein Wesen, klein und zart.