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Wie ich dem Teufel in den Arsch trat
Ich habe einem Dämon ins Gesicht gelacht. Genauer gesagt habe ich dem Teufel in den Arsch getreten. Und soll ich Ihnen was sagen: Es hat sich gut angefühlt. Höllisch gut, möchte ich sagen, falls Wortspiele in meiner Lage noch angebracht sind.
Wie es dazu kam? Das ist schnell erzählt, wenn ich den Schnickschnack weglasse. Ich traf meinen Mann, er wurde mein Mann, wir zogen in eine Vierzimmerwohnung am Stadtrand und schafften uns einen Teenager an. Also nicht alles so Hals über Kopf, aber im Wesentlichen ist das die Quintessenz. Jedenfalls ist Melissa, besagter Teenager, jetzt süße Vierzehn und hält nichts mehr vom Süß-Sein. Seit sechs Wochen trägt sie zerfetzte schwarze Klamotten mit Sicherheitsnadeln an sehr unpassenden Stellen. Aber ich bin tolerant und versuche mir einzureden, dass es nur eine Phase ist und sie immerhin keinen Schaden anrichtet.
Es ist Donnerstag Nachmittag in den Osterferien und ich backe Käsekuchen. Aus dem Zimmer meiner Tochter quietscht und kichert das zweiköpfige Teenmonster wie jedes Mal, wenn Nadine zu Besuch ist, also eigentlich täglich. Ich ignoriere es und werde erst misstrauisch, als die Stille mich aus meinem Back-Euphorium reißt. Teenager, die keinen Laut von sich geben, sind per se verdächtig. Die Sache mit dem heimlichen Schminken haben wir schon ein Jahr hinter uns, also kann dieses Schweigen nur den Beginn des nächsten Unabhängigkeitskrieges bedeuten. Für echte Drogen ist es hoffentlich zu früh, also spekuliere ich auf Tabak oder Alkohol.
Face it, Mum, die Spirale dreht sich unablässig weiter. Käsekuchen hält sie auch nicht auf. Aber einen Versuch ist es allemal wert. Einen Moment lang bin ich in Versuchung mit Muskete und in Uniform die Festung zu stürmen, aber dann denke ich an all die Male, an denen meine Mutter mit Schürze und Kochlöffel in der Tür gestanden hat, und verwerfe die Idee. Ich werde ihnen noch fünf Minuten geben. Dann sehe ich aber nach, aller heiligen Schwüre zum Trotz.
Zehn Minuten später und mit dem Kuchen in der Röhre, atme ich tief ein und realisiere, dass sie einen Schritt zu weit gegangen sind. Jetzt ist es genug! Der Geruch aus dem verstummten Zimmer ist verräterisch und wenn ich genau hinsehe, kann ich sogar schon einen dünnen Rauchfaden unter der Tür erkennen. Das gibt den Ausschlag. Vieles kann ich durchgehen lassen, aber bei Lungenkrebs hört der Spaß auf. Ach, erwähnte ich es noch nicht? Melodramatik ist mein zweiter Vorname.
Ich wollte nie wie meine Mutter sein und als ich jetzt die Hand auf die Klinke lege, brennen sich die Schuldgefühle in mein Fleisch, als wäre es reale Hitze. Die Schuldgefühle gehen aber buchstäblich in Rauch auf, als ich die Tür aufschwinge und mir der Qualm schon in Schwaden entgegenschlägt. Im Zimmer ist es dämmrig, die Vorhänge zugezogen, kein Licht. Der Geruch hat sich erheblich verstärkt und nimmt mir fast den Atem. Die Mädchen kann ich nur mit Mühe erkennen und sie nehmen mich nicht einmal wahr. Stattdessen starren sie an mir vorbei, während sie gegen die Wand gepresst auf dem Bett hocken.
Erst jetzt bemerke ich eine weitere Person im Zimmer. Da steht ein lockiger Blondschopf in hautengen Jeans und lechzt offenbar in Richtung der Mädchen. Aber wie er hereingekommen ist, kann ich mir nicht erklären. Geklingelt hat es jedenfalls nicht. Der Kerl beugt sich zu den Mädchen herüber, die Hände verkrampft ausgestreckt, sein Kopf ist vorgereckt. Irgendwie macht er mir mehr Angst, als er sollte.
„Hey“, wie soll ich ihn auch sonst ansprechen? Auch er beachtet mich nicht und macht stattdessen einen Schritt auf meine Kleine zu. Bei allen Lastern dieser Welt! Bevor ich zulasse, dass so ein Typ meine Tochter begrapscht, friert die Hölle zu. Ob ich das laut gesagt habe, weiß ich nicht. „Feierabend, Zapfenstreich, Adieu!“ Nicht gerade subtil, aber definitiv ein Rausschmiss. Jetzt endlich dreht er mir den Kopf zu und die Mädchen quieken leise. Mit gefriert beinahe das Blut in den Adern. Obwohl das Gesicht zur Kategorie Zu-Gut-Um-Wahr-Zu-Sein gehört, verzerrt er es zu einem geradezu diabolischen Grinsen, während er mich mustert.
Ich richte mich zur vollen Größe auf, was bedauerlicherweise nicht viel hermacht, und gehe zwei Schritte auf ihn zu. Noch ein weiterer Schritt und ich stehe zwischen ihm und den Mädels. Er lässt mich nicht aus den Augen und stößt ein Zischen hervor. Dann macht er einen Schritt auf uns zu und ich weiche zurück, bis ich neben die Mädchen auf das Bett purzele. Ich lande auf einer Art Holzbrett, das unter mir einmal leise knackt, als es zerbricht.
Mit einem abscheulichen Fauchen wirbelt er herum, beinahe klingt es, als habe er Schmerzen. Einen Moment lang steht er reglos im Zimmer. Ich nutze den Moment, ziele und treffe. Den Fußabdruck kann ich auf dem Hinterteil seiner Jeans deutlich erkennen. Das setzt ihn in Bewegung.
Im Flur wendet er sich nach einem suchenden Kopfschütteln in Richtung Küche statt zum Hausflur. Ich rappele mich auf, noch ganz in meinem Löwenmutter-Element, und folge ihm. Genauer gesagt erreiche ich die Küche gerade noch rechtzeitig, um die Beine und Füße des unheimlichen Sunnyboys in meinem Backofen verschwinden zu sehen, als robbe er kopfüber in einen Tunnel. Automatisch werfe ich hinter ihm die Ofentür zu. Käsekuchen ist empfindlich.
Erst als mir wieder der rauchige Geruch in die Nase steigt, realisiere ich, dass nichts, aber auch gar nichts, mehr an den harmlosen Ferientag erinnert, der heute morgen begann. Trotzdem brennt die Glühbirne im Ofen und der Käsekuchen wirft Blasen, als sei nichts geschehen. Ruckartig reiße ich mich vom Backofen los und stürme zurück in das Zimmer meiner Tochter. Ich komme gerade rechtzeitig um das zerbrochene Stück Holz unter dem Bett verschwinden zu sehen. Im Kreis verteilt sind Buchstaben und Zahlen darauf. Woher sie ein Hexenbrett hat, will ich gar nicht wissen. Ein Buch mit Pentagramm hält Nadine hinter ihren Rücken.
Einen Moment lang stehe ich kurz vor der Explosion. Aber dann sehe ich die beiden tränennassen Gesichter und das verschmierte Makeup und beschließe, andere Sorgen zu haben. „Wo ist er hin?“ Teenager sorgen sich um die seltsamsten Sachen. „Weg“, murmele ich in der Hoffnung, dass es wirklich so ist. Was ich gesehen habe, kann ich ja selbst nicht glauben, meiner Tochter erzähle ich es bestimmt nicht. ‚Wer ist er?’, ‚Wie kommt er hier her?’ und erst recht ‚Was habt ihr euch dabei gedacht?’, brauche ich wohl gar nicht erst zu fragen.
Ich reiße erst einmal das Fenster auf und scheuche die Mädchen aus dem Zimmer und in die Küche. So sehr ich mich auch sträube, sie dorthin zu bringen, ich muss diesen Ofen im Auge behalten. Als ich den schließlich den Kuchen herausziehe, beäuge ich ihn misstrauisch. Die Oberfläche ist leicht gebräunt mit großen Blasen, genau wie er sein soll. Sicherheitshalber werfe ich noch einen Blick in den Ofen hinein. Ich wüsste nicht, wohin er gegangen sein sollte, das ist schließlich eine Einbauküche, aber man sollte immer auf Nummer Sicher gehen. Gerade als ich aufatmen will, sehe ich den Fußabdruck an der Unterseite des Backblechs. In genau diesem Moment wird mir schlecht.
Ich bin melodramatisch, nicht abergläubisch. Aber es kann um alles in der Welt kein Glück bringen, den Teufel in den Arsch zu treten. Vielleicht auch nur einen seiner Lakaien, aber was macht das für einen Unterschied? Irgendetwas wird mich holen oder heimsuchen. Und ich kann nichts tun, als hier am Küchentisch zu sitzen und zu warten. Wie geht man damit um, wenn der eigene Backofen ein Tor zur Hölle geworden ist? Ich habe im Internet recherchiert. Da wird zwar viel Blödsinn über den Teufel geschrieben, aber niemand schreibt etwas über Backöfen als Hintertüren. Ich hatte gedacht, einen Teenager großzuziehen wäre das Schlimmste, was mir noch bevorsteht.
Ich grübele darüber jetzt schon seit Tagen nach und habe alle Fragen meiner Familie ignoriert, die sich auf das Vorhängeschloss beziehen, das ich am Ofengriff angebracht habe. Nachdem sie es schon nicht verstehen, dass ich plötzlich den leeren Backofen nicht aus den Augen lasse und auf dem Küchenstuhl schlafe, ist das wohl der Sargnagel meiner geistigen Gesundheit. Aber ich muss sicherstellen, dass er nicht wiederkommt. Jedenfalls den einen Weg habe ich unter Kontrolle.
Wenn ich so weiter mache, wird meine Familie mich früher oder später einweisen lassen, aber ich habe keine Wahl. Wenn ich die Wahrheit sage, wird es sicherlich früher als später sein. Nur wenn die Hölle mich vorher kriegt, entgehe ich der Anstalt. Meine einzige Genugtuung bleibt, dass ich ihn schon einmal in die Flucht getrieben habe, als ich das Hexenbrett zerbrochen habe. Vielleicht hat er ja Angst vor mir und bleibt wo der Pfeffer wächst. Ich erwähnte es wohl noch nicht: Ich klammere mich an jeden Strohhalm.