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Wie lange kann ein Mann "Hossa" singen
Wie lange kann ein Mann „Hossa“ singen?
In hauseigener Uniform stand Karl-Heinz Stülpnagel Wache vor dem Haupteingang des Klinikums. Seine Funktion war nicht, das Personal vor renitenten Patienten, Besuchern oder gar Mördern von außerhalb zu schützen – nein, er hatte den lieben langen Tag Rauchern den Weg zu weisen. Fünfundzwanzig Schritte entfernt, waren auf der gegenüberliegenden Straßenseite sogenannte Raucherpilze aufgestellt worden. Selbstverständlich musste sich auch Stülpnagel unter einen Raucherpilz stellen, um kurz eine durchzuziehen. Ihm schien, als versammelten sich die Leute ausgerechnet in solchen Momenten grüppchenweise zum Rauchen vor dem Haupteingang, sodass er seine Kippe kaum angeraucht in den Edelstahl-Aschenbecher stoßen und zurücklaufen musste, während sein Vorgesetzter aus der Haupthalle heraus strenge Blicke auf ihn warf.
Gerade spazierte eine grau-weiß getigerte Katze längs und sah ihn hochmütig an. „Ksch, ksch“, machte Karl-Heinz Stülpnagel und scheuchte das Tier mit wedelnden Bewegungen. „Katzen haben auf dem Krankenhausgelände nichts zu suchen!“ Dann seufzte er tief und setzte sich in Bewegung, um einer in der verbotenen Zone rauchenden Frau den rechten Weg zu weisen. Freundlich, wie es seine Art während des Dienstes zu sein hatte, brachte er den stereotypen Satz an: „Rauchen bitte auf der anderen Straßenseite, da stehen extra die Raucherpilze!“
Die Frau bedachte ihn schweigend mit einem Blick so voller Verachtung, dass sein Herz heftig zu schlagen begann und seine Halsschlagader pulsierte. Erst beim Fortgehen zischte sie hämisch: „Haben Sie nichts Besseres zu tun?“
Stülpnagel wollte ihr hinterher schreien, etwas wie „blöde Ziege“ oder „dumme Kuh“, aber das war natürlich nicht möglich in seiner exponierten Position. Er schluckte den Kloß im Hals und schritt erregt vor dem Haupteingang auf und ab. Noch am Feierabend, als er mit seinem Auto heim nach Lütjenwested fuhr, knurrte er vor sich hin und schlug mit der Faust auf das Lenkrad.
In Lütjenwested sollte an diesem Freitagnachmittag ein Dorffest gefeiert werden. Seit Tagen bereitete seine Frau Kuchen und Torten für die Tombola vor, und als er das Haus betrat, duftete es nach diversem Gebackenem. Stülpnagel hatte keine Lust auf das Dorffest und wollte sich lieber mit einem Bier vor den Fernseher hocken, aber dass dies unmöglich war, machte ihm seine Ehefrau schnell klar.
Hildegard Stülpnagel stand in der Küche. Sie legte letzte Hand an eine Tortenverzierung und war sorgfältig darauf bedacht, dass keine Sahnespritzer auf die Ärmel ihrer blütenweißen Bluse gelangten. „Die hat sich wieder Ewigkeiten mit dieser komplizierten Flechtfrisur aufgebrezelt“, dachte Karl-Heinz und langte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. „Hast du nichts Besseres zu tun“, fauchte Hildegard, „nimm wenigstens ein Glas! Der Vater kommt gleich und holt uns ab“. Karl-Heinz nahm genüßlich einen tiefen Zug aus der Flasche. „Der ganze Zirkus kann mir gestohlen bleiben“, brummte er. Hildegard kniff die Lippen zusammen, während sie ihr Gebäck in große Körbe packte. Die graue Katze der Ehefrau strich mit hochgestelltem Schwanz um Stülpnagels Beine. Als Hildegard nicht hinsah, versetzte Karl-Heinz Gwendoline einen heftigen Tritt, sodass diese fauchend unter den Tisch floh. Dann stellte er die Bierflasche mit einem Knall auf die Spüle und verzog sich ins Bad. Hildegard kroch hinter der Katze her unter den Tisch und lockte sie mit Koselauten.
Nicht lange dauerte es, und der Wagen von Schlachtermeister Jens Christiansen fuhr vor. Karl-Heinz öffnete ihm frisch rasiert die Haustür. Sein Schwiegervater drängte zum Aufbruch und trug höchstpersönlich einen der Kuchenkörbe ins Auto, indes Stülpnagel sich mit dem Rest der Körbe mühte. Hildegard trat mit Gwendoline auf dem Arm hinzu. „Willst du die Katze mitnehmen?“ fragte Karl-Heinz, während er sich auf den Vordersitz zwängte. Hildegard sah ihn kampfeslustig an. „Gwendoline ist verschreckt und braucht mich jetzt“, rief sie schrill, „es ist besser, wenn du dich nach hinten setzt, damit du uns nicht störst!“. Karl-Heinz schnaubte verächtlich. „Jetzt mach schon!“, befahl sein Schwiegervater, „wir müssen los“. Stülpnagel kletterte in den Fond. Er hatte dringendes Verlangen nach Bier.
Auf der Gemeindewiese unter schattigen Bäumen war groß aufgetischt. Kaum ausgestiegen, hatte der Schlachtermeister für Tochter und Schwiegersohn keine Zeit mehr und schüttelte den Honoratioren des Ortes die Hände. Stülpnagel belud sich mit Körben und trottete neben seiner Ehefrau her, die leise mit ihrer Katze schwatzte. Sobald er sich im Festzelt der störenden Last entledigt hatte, eilte er zum Grill. Er war vom Schwiegervater eingeteilt worden, Würste durchzubraten.
Leider weigerte sich der Grill, richtig zu ziehen, so stocherte Stülpnagel wild mit einer großen Zange in der Glut herum. Sein Gesicht lief langsam rotblau an und er war nahe daran, dem Grill einen heftigen Tritt zu versetzen. „Hoffentlich glotzt der Alte jetzt nicht her und kriegt mit, dass ich noch keine Würste brate“, dachte er und sah sich argwöhnisch um. Der Schlachtermeister war in ein Gespräch mit dem Zahnarzt des Ortes vertieft. Stülpnagel versuchte weiter, die Glut zu schüren. Immer öfter zapfte er sich Bier aus einem Fass, das ein paar Schritte neben dem Grill aufgebockt war und trank in großen Schlucken. Als alles Stochern nichts nutzte, ließ er sich schwerfällig auf ein Knie nieder und pustete mit aufgeblähten Backen, auch dies blieb erfolglos.
Karl-Heinz stand wieder auf. Mit seinem leeren Glas schwankte er zum Bierfass. Als er beim Zapfen zurückschaute, glaubte er nicht, was er sah: Ein sonnengebräunter junger Mann hatte seine Stelle am Grill eingenommen und diesen augenblicklich zum korrekten Glühen gebracht. Schon legte sich Bratenduft über die Festwiese. Der junge Mann wendete die Würste mit leichter Hand, während er sich mit zwei anderen jungen Männern unterhielt. Karl-Heinz fühlte seinen Mund trocken werden. Schon wieder saß ihm dieser Kloß im Hals, vergeblich versuchte er zu schlucken. Er wankte mit Schlagseite auf die Dreiergruppe zu.
„Das ist mein Platz!“, krächzte er.
„Hast du den gepachtet?“, gab der Jüngling frech zurück.
Nach mehreren Schluckversuchen rutschte der Kloß endlich. „Das sind meine Würste!“ schrie Stülpnagel. Sein Herzschlag pochte ihm dröhnend im Hals. Das Trio flüsterte miteinander. Dann hörte Karl-Heinz hämisches Gelächter aus dessen Mitte.
Einer der jungen Männer starrte ihn herausfordernd an. „Hast Du nichts Besseres zu tun, als uns hier anzumeckern?“
„Weg da!“, brüllte Stülpnagel. Er riss den Sonnengebräunten am Arm fort vom Grill und stieß ihn zu Boden.
Hildegard Stülpnagel fütterte ihre Katze mit einem Sahnetupfer, als sie ihren Mann brüllen hörte. Sie hastete mit Gwendoline auf dem Arm zum Grill. Jens Christiansen war durch den lautstarken Streit ebenfalls aufmerksam geworden und näherte sich mit anderen Festplatzbesuchern den Streitenden. „Was macht der Trottel jetzt schon wieder?“ rief er seiner Tochter zu. Sie sahen, dass Karl-Heinz gegen einen am Boden liegenden Mann zu einem wuchtigen Tritt ausholte. Sofort warf sich Jens Christiansen in den Kampf und drängte unter Einsatz seiner ganzen durch das Schlachten trainierten Körperkraft seinen Schwiegersohn zurück.
„Hätte ich dich bloß damals nicht ins Haus gelassen“, schnaufte der Schwiegervater „du taugst zu nichts und hast nie was getaugt“.
Karl-Heinz machte eine entschuldigende Geste und dachte dabei wie es wäre, den Alten statt der Würste zu braten. Der Schlachtermeister wies nachdrücklich auf das Bratgut und sagte streng: „Du gehst auf der Stelle zurück zum Grill und erledigst dort deine Aufgabe, sonst passiert hier was.“ Langsam zerstreute sich die Zuschauermenge. Karl-Heinz kehrte zum Grill zurück. Dort wartete Hildegard.
Sie presste die maunzende Gwendoline an sich und rieb ihr Gesicht an dem weichen Fell. Ihren Ehemann aber bedachte sie schweigend mit einem Blick so voller Verachtung, dass sein Herz heftig zu schlagen begann und seine Halsschlagader pulsierte.
Mit plötzlichem Griff fasste Karl-Heinz die Katze am Nackenfell und riss sie Hildegard aus den Armen. Mit der Grillzange drückte er den kleinen Körper auf die heiße Glut – dabei sah er seiner Frau in die Augen und auf seinem Gesicht breitete ein böses Lächeln aus.