Mitglied
- Beitritt
- 02.02.2003
- Beiträge
- 133
Wie man durch die Auszeit kommt
Befindet man sich mitten in einer Auszeit, verläuft das Leben sonderbar. Noch sonderbarer wird es, ist man der passive Teil dieser Vereinbarung, also derjenige, dem erklärt werden muss, wie dringend man eine Auszeit voneinander benötigt. Ist man gar der Meinung, dass man eine solche Maßnahme für sich selbst nie erwogen hätte, erreicht das Sonderbare seinen Höhepunkt.
Stundenlange Spaziergänge durch die Stadt sind etwas, das man seit zwanzig Jahren nicht mehr gemacht hat, aber plötzlich findet man die Zeit dafür gerade richtig. Und deshalb prozessiert man von Beziehungsgedenkstätte zu Beziehungsgedenkstätte, den Blick immer fest am Boden, und man hofft dabei inständig, nicht so dämlich zu wirken, wie Hugh Grant in Notting Hill. Man durchstreift den Burggarten (erster großer Streit), wendet sich dann Richtung Stadtpark (auch ein großer Streit, allerdings inklusive anschließendem Versöhnungssex), um irgendwann - vorbei am Hilton – beim Rochusmarkt anzukommen (hier wurde man einmal aus dem Auto geworfen). Man krönt diese Pilgerreise mit einem Gewaltmarsch, der einen bis zu den Gasometern bringt (hier warf man sie einmal aus dem Auto). Kurzum: man erinnert sich, wie schön es immer war.
Als passiver Auszeitteilnehmer neigt man dazu, das weibliche Geschlecht für unzurechnungsfähig zu halten und wendet sich verstärkt Männern zu, die man dann um Rat bittet. Der beste Freund erweist sich als wenig hilfreich. Nimm dir inzwischen eine andere, meint er. Man murmelt etwas von Liebe und davon, dass man ja auch nicht mehr der Jüngste ist. Haha, macht er und bestellt noch zwei Bier. Was er mit Haha meint, erfährt man nie.
So desillusioniert begibt man sich auf die Suche nach einer anderen Bezugsperson. Man geht zum Frisör. Nach den ersten Schnitten erkundigt sich der Meister, ob mit Frau und Kindern alles zum besten steht. Unangenehm wird man so daran erinnert, verabsäumt zu haben, ihn darüber zu informieren, dass man seit vier Jahren geschieden ist. Man nimmt sich das für die allernächste Gelegenheit vor.
Besser, als sich nun an den eigenen Vater zu wenden ist es, ein Telefonat mit der aktiven Auszeitteilnehmerin zu erzwingen. Beschwingt durch einen Liter blauen Portugieser eröffnet man ihr
a) wie sinnlos das Leben ohne sie wäre
b) wie sehr man sie für all das hasst, und
c) dass man den Kerl, mit dem sie gerade vögelt, bei nächster Gelegenheit einer Testikelamputation unterziehen wird.
Sobald man sicher ist, ausreichend irreparablen Schaden angerichtet zu haben, legt man auf und geht, da man blauen Portugieser nicht besonders gut verträgt, kotzen. Die danach im Fünfminutentakt eingehenden Anrufe ignoriert man.
Da man als passiver Auszeitteilnehmer das Wort „einsam“ auf die Stirn tätowiert hat, wird man nach vierstündigem Saufgelage im Espresso des Vertrauens vom neuen besten Freund zur Grillparty in dessen Sommerhaus an die Alte Donau eingeladen. Am Samstag, du kommst. Was einem als gesellschaftliches Event des Jahres verkauft wurde, entpuppt sich bei Ankunft als Jahresversammlung des hiesigen FKK-Vereins. Leider ist man zu diesem Zeitpunkt einerseits zu höflich, um laut schreiend davon zu rennen, andererseits aber zu nüchtern, um besonders locker jahrzehntelang aufgebaute Schambarrieren zu überwinden. Also bietet man eilig seine Dienste am Holzkohlengrill an, um ohne Gesichtsverlust wenigstens in den Besitz der einzigen Grillschürze zu kommen. Drei Stunden, zweihundert Grillwürstchen und eine Kiste Bier später findet man sich – tränenüberströmt – von splitternackten Frauen umgeben, von denen keine wesentlich jünger als die eigene Mutter ist, deren Verständnis für die eigene missliche Situation aber mehr wärmt, als die Grillschürze auf der man mittlerweile sitzt, um sich keinen Schiefer einzuziehen.
Wacht man, mittlerweile zum passiven Auszeitveteranen gewachsen, eines Morgens auf und findet eine E-Mail vor, die besagt, dass es ‚höchste Zeit zum Reden wäre’, ist man beunruhigt. Voller Scham erinnert man sich jetzt an das letzte Gespräch und beschließt, nüchtern zu bleiben. Zumindest fast. Nach dem dritten kleinen Grappa fühlt man sich endlich beruhigt genug, um anzurufen. Insgeheim rechnet man damit, die Gegenspielerin beim Liebesspiel mit einem zehn Jahre jüngeren Latinobengel zu stören.
Erfährt man nach dreimonatiger Auszeit, dass man sich in der Vergangenheit immer wieder wie ein Arschloch aufgeführt hat, das aber nichts daran ändert, dass man nun mal die große Liebe sei, und ein weiteres Leben getrennt von einander ohnedies keinen Sinn macht, fühlt man sich fantastisch. Und schüttet den restlichen Grappa weg.