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Wie Tradition und Sitte zum Fluch der Menschheit wurde...
Wie Tradition und Sitte zum Fluch der Menschheit wurden, auch wenn es nur ein Einzelfall war
Auf dem Nachhauseweg sah ich Dennis von seinen Verwandten umringt auf der Terrasse stehen. Sie gratulierten ihm alle herzlich. Zu herzlich. Wie ich Geburtstage verabscheute. Natürlich nicht meinen, aber es ging jetzt nur um das Prinzip. Selbstverständlich würde es heute Abend eine Party geben mit Cola, Chips und dem ganzen anderen Zeug. Nur schade, dass er mich nicht eingeladen hatte. Ich warf ihm einen bösen Blick zu, doch gerade war seine Mutter dabei ihn zu drücken und ihm zu seiner neuen Konsole zu gratulieren. So was Ödes. Eine Konsole. Wenn ich nicht selber eine hätte, würde ich noch viel mehr Schlechtes darüber sagen. Dennis war zwar nie mein Freund gewesen, doch er hatte jeden aus der Klasse eingeladen. Jeden. Wenn ich in seiner Klasse gewesen wäre, wär ich bestimmt auch eingeladen worden.
Zwei Straßen weiter betrat ich den Garten. Es war ein ziemlich schlecht gepflegter Garten. Ich grinste bei dem Gedanken, dass jemand sich dieser Aufgabe widmen musste. "Schatz, kannst du heute den Rasen mähen?", rief meine Mutter aus der Küche zu mir nach draußen. Verdammt. Egal. Ich wägte meinen heutigen Nachmittag mit dem von Dennis ab und musste mit Bedauern feststellen, dass ich eindeutig den Kürzeren zog.
Während des Rasenmähens machte ich eine kleine Pause, um mit dem Hund Gassi zu gehen. Nagut, eigentlich wollte ich nur schauen, wie es um Dennis stand. Er wurde weiterhin mit freudigen Gesichtern angestrahlt und das Geschenkelaufband lief konstant weiter. "Aber Onkel Simon! Das wär doch nicht nötig gewesen! Ein supertoller Motorradhelm", jauchzte er gerade vor Glück. So ein Depp, dachte ich mir und blickte den Hund hämisch an. Was soll der denn mit einem Motorradhelm anfangen? Es sei denn, man hatte ihm dafür auch noch "...Ein Motorrad gekauft? Onkel Simon, du bist der Größte!" Meine Miene erstarrte und nun war es der Hund, der mich hämisch anblickte. Als er mich auch noch teuflisch anbellte, zerrte ich ihn genervt zurück nach Hause. Wie ungerecht. An MEINEM Geburtstag habe ich einen Wurm bekommen. Der wurde dann von einer Forelle gegessen; die Forelle wurde von einer Katze gegessen; und nach einem widerlichem Vorfall, den ich nicht weiter erläutern möchte, wurde die Katze von einem Hund verspeist. Der besagte Hund bemalte meine Schuhe gerade mit seinem eigens kreierten Wasserfarben und machte aus den Socken, die ich darunter trug, ein Water-Boarding-Testgelände für meine Zehen. Natürlich war ich ziemlich angepisst und ließ den Hund wieder in den Garten.
Es war inzwischen Abend geworden und ich hörte weiterhin Gelächter von einer gewissen Party. Die Gäste waren auch schon eingetroffen und jeder hatte ihm ein kleines Paket überreicht, was er überschwänglich entgegennahm. Nicht, dass ich ihm hinterherspionieren würde, aber kann ich denn was dafür, wenn mein Teleskop genau auf Dennis' Terrasse gerichtet war? Also ich denke, der Fall ist klar. Wie auch immer: Es war kurz vor Mitternacht und das Fest neigte sich dem Ende zu. Seine Verwandten versammelten sich wieder um Dennis herum und blickten ihn angespannt an. Es war nicht nur Fröhlichkeit in ihren Augen. Da war noch etwas anderes. Ich zoomte näher heran und sah es. Aus dem Winkel, aus dem ich die Gesichter anvisierte, sahen die Leute aus wie leblose Zombies. Aber ich ahnte etwas Schlimmeres. Sie gingen auf Dennis zu, der immer noch freudig in alle Richtungen lachte und sich bei seinen Freunden für ihr Kommen bedankte.
Nun erhob der Vater, dessen Augen in verschiedene Richtungen guckten und dabei anfingen gelb zu leuchten, die Stimme und rief: "Los, Leute! Hoch soll er leben!" Ich befürchtete etwas Schreckliches, doch war ich mir noch nicht sicher. Onkel Simon, dessen großporige Haut nun einen grünlichen Film über sein Gesicht laufen ließ, packte Dennis am Arm. Die Tante am anderen Arm. Seine Eltern, sofern man diese abartigen Ungeheuer noch Eltern nennen konnte, übernahmen die Beine. Ich atmete lautlos ein, denn ich war mir nun zu 80% sicher. "Hoch soll er leben, hoch soll er leben, hoch soll er leben: DREIMAL HOCH! HOOCH! HOOOOCH! HOOOOOOOCH", kreischten die Geschöpfe nun und warfen bei jedem "Hoch" den immer noch überglücklichen Dennis in die Luft. Beim ersten Wurf, waren es nur anderthalb Meter. Beim Zweiten würde mir schon übel werden. Und beim dritten Wurf, sah ich es. Dennis wurde so hoch geschleudert, dass er über das Dach flog und genau auf eine Stange fiel, so dass er damit durchbohrt wurde. Seine freudige Grimasse war im Mondlicht nur zu erahnen. Doch nun stand ich auf und sah mir das Übel genauer an. Jepp, nun war ich mir ganz sicher: Das Teleskop hatte einen kleinen Kratzer. So ein Mist.