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Wie Treibholz
Ein Schotterweg, übersät mit Spuren von Kinderwagen und Pärchenschritten, dann folgt, ich kann ihn nicht bis zum anderen Ufer überblicken, ein gestorbener Teich, umgekippt, eine einsame kleine Ente ackert sich durch dunkelgrünen Schlick, der so fest ist, dass Dosen nicht versinken, und ein Fahrrad, dessen Vorderrad bei jedem Windstoß leicht angetrieben wird, ragt heraus.
Alles schwach beleuchtet durch eine Laterne, die ihr Licht müde in den nächtlichen Park spuckt.
Ich strecke einen Arm über die Parkbanklehne; das Eichenholz ist kalt und schon etwas feucht, die Nacht ist spät, der Morgen früh.
Noch immer hämmert der Bass in meinen Ohren, meine Beine wippen unruhig, mein Herz schlägt einen schnellen Takt, und wenn ich die Augen schließe, sehe ich mich noch auf der Welt, in der die Diskokugel die Sonne ist. Das Licht des Stroboskopes durchflackert noch mein inneres Auge, und Felis ist bei mir, unsere nassgeschwitzten Körper prallten gegeneinander, wollten sich festhalten, und wir küssten uns schließlich, als sie signalisierte, das Leuchtstäbchen in meinem Mund haben zu wollen. Der Kuss dauerte lange, dauerte eine Bahnfahrt, dauerte ein Treppenhaus, endete in ihrem Zimmer, in ihrem Bett und glühte in einem zarten Traum nach.
Im Grunde kannte ich diese Frau genau diesen Kuss lang. Denn vor ungefähr einer Stunde bin ich aufgewacht und habe versucht, mich leise anzuziehen, um auf dem Balkon zu rauchen, während in meinem Bauch die Schmetterlinge fickten. Auch sie erwachte etwas und fragte mich, nuschelnd und mit geschlossenen Augen, wo ich denn diese ganzen vielen Narben herhätte. „Ich hole mir schnell was zu trinken, dann erzähl ich es dir“, hatte ich geflüstert und jetzt sitze ich hier und suche die kleine Ente, die sich durch den Schlick kämpft. Es ist mittlerweile hell geworden, erste Wolken schubsen sich über die Himmelsleinwand, und ich finde die kleine Ente auf dem Rücken treibend. Schade.
Schade ist es auch, dass ich vor Felis flüchten musste, aber ich bin nicht hierher gekommen, in diese fremde Stadt, ohne jemanden zu kennen oder jemandem gesagt zu haben, wo ich jetzt arbeite, um über meine Vergangenheit zu reden. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Sofort musste ich wieder an die dunklen Winkel in meinem Elternhaus denken, in denen ich mich vor diesem einen Menschen versteckt habe, wenn er verdreckt und staubig und betrunken von der Arbeit kam. Ich mochte den Winter, da es zu dieser Zeit schon dunkel war, wenn er sich auf die Suche nach mir machte. Dann fand er mich manchmal nicht, wenn er schon zu betrunken war, und das Licht im Keller wieder einmal nicht funktionierte. So war die Dunkelheit zu einem wichtigen Freund geworden.
Felis hatte die Narben diese Nacht gestreichelt, hatte kurz gestockt, das habe ich gemerkt, als sie das erste Mal mit ihren Fingern hinübergeglitten war, jedoch nicht gefragt. Sie fragen nur sehr selten, wenn sie betrunken sind, und so ist der Alkohol zu einem Hilfsmittel geworden. Ich selbst trinke nicht, denn ich möchte nicht so sein wie dieser Mensch, den ich nicht wiedersehen muss, wenn ich es nicht will, und der doch so viele Wunden in mir gelassen hat, die niemals verheilen, die ich mit ins Grab nehmen werde.
Felis ist nicht die Erste, bei der ich mich nicht melden werde, die ich nicht wiedersehen werde, die ich im erhitzten Bett zurückgelassen habe, wobei ich auch mich wieder einsam vorfinde, hier auf dieser Parkbank, die Sonne drückt ihr Licht in die Welt, macht alles noch hässlicher, als es eh schon ist. Ich mag den Sommer nicht, das sagte ich ja schon.
Es beginnt zu regnen und ich bin durchnässt, als ich zuhause eintreffe, rauche, sich der Sommerregen gegen die Fenster schmeißt, ich den Veranstaltungskalender durchforste und an diesen Menschen denken muss, zu dessen Fratze sich jetzt sogar schon der Rauch formt; ich möchte nicht schlafen, niemals mehr, denn da ist er immer, so lebendig wie früher. Ich werde aufwachen und die Wunden werden wieder bluten, da ich sie aufreiße, während ich schlafe, denn schon zu sehr bin ich an den Schmerz gewohnt. Aber zumindest kann ich mir sicher sein, dass mich niemand nach den Narben fragen wird, wenn ich wach werde. Und morgen Abend werde ich mich wieder durch die Nacht treiben lassen und vielleicht dort stranden, wo nicht nach meiner Herkunft gefragt wird, wo es als Information reicht, dass ich nicht verloren herumtreibe.