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Wiederentdeckte Talente

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08.05.2006
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Wiederentdeckte Talente

Der Baulärm vor ihrem Fenster riss sie aus dem Schlaf. Am Abend vorher war sie spät angereist, und in ganz Frankfurt war dies das einzige Hotel, in dem sie noch ein Zimmer bekommen hatte. Kein Wunder, schließlich war Buchmesse.
Mit der Decke über dem Kopf versuchte Helena zurück in ihren Traum zu finden, aber das Kreischen der Sägen und die brummenden LKWs ließen ihr keine Chance.
Müde schälte sie sich aus dem Bett, schaltete den Fernseher an und zappte solange durch die Programme, bis sie einen Musiksender gefunden hatte.
Sie schlenderte zum Fenster und beobachtete das frühe Treiben auf der Baustelle. Das Hotel plante einen Ausbau, der in rasanter Geschwindigkeit fertig gestellt werden sollte.
Es war sieben Uhr und im Fernseher spielte BAP „Time is cash, time is money”.

„Guten Morgen Ann-Katrin Melcher“, begrüßte sie ihr Spiegelbild, „heute müssen wir gut aussehen. Streng dich an!“
Als Newcomerin am deutschen Buchmarkt hatte Helena in kürzester Zeit unter dem Pseudonym Ann-Katrin Melcher ihren dritten Roman veröffentlicht. „Einsame Stunden“ sollte an diesem Tag auf der Messe vorgestellt werden. Geplant war ein Interview mit anschließender Signierstunde.
Die warme Dusche weckte ihre Lebensgeister und eine gute Laune. Trällernd packte sie ihre Tiegel, Töpfe und Sprays aus. Mit achtundvierzig Jahren musste man zwar etwas tiefer in den Topf und das Portemonaie greifen, aber dafür, so fand Helena, hielt die Kosmetikindustrie einiges bereit, womit sich erstaunlich gute Ergebnisse erzielen ließen.
Überhaupt legte sie seit ihrer Ehekrise großen Wert auf zufrieden stellende Ergebnisse.
Nachdem sie fertig angezogen war, warf sie einen letzten kritischen Blick in den Spiegel.
„Well done, baby.“ Sie knipste sich ein Äuglein zu und dem VIVA-Moderator den Fernseher aus.
„Gutte Morge, bella Donna“, begrüßte sie der italienische Kellner, während er mit seinen Armen Schnörkel in die Luft fuchtelte.
„Bon Giorno, Senore Fardella“, antwortete sie fröhlich, seinen Namen von dem kleinen Schild an seinem Jackett ablesend.
„Ah, söne Fraue wie sie dürfe Alfredo sagen.“, lachte er und begleitete sie zu einem Tisch, wo er ihr galant den Stuhl zurückzog, damit sie sich setzen konnte.
Helena sah dem kleinen Kellner nach, der bereits den nächsten Gästen entgegen wieselte. Der Frühstücksraum schien seine Bühne zu sein. Mit der gleichen Hingabe wie ein Schauspieler versuchte er sein Publikum zu verzaubern. Alfredo musste seinen Beruf lieben.
Sie dachte an die langen Jahre, die sie in der öden Versicherungsagentur gearbeitet hatte, stets pflichtbewusst, aber niemals mit Freude. Nach dem Abitur hätte sie gerne Literatur studiert, aber der Vierer im Fach Deutsch ließ sie an ihren Fähigkeiten zweifeln. Damals glaubte sie dem Urteil der strengen Lehrerin, der sie nie etwas hatte Recht machen können, egal wie sehr sie sich anstrengte.
Erst die Krise in ihrer Ehe hatte Helena zurück zu sich selbst und ihren Begabungen finden lassen. Plötzlich erfuhr sie einen kreativen Schub, der ihr Leben gehörig auf den Kopf stellte. Als sie den Verlagsvertrag erhielt, hatte sie den Job in der Agentur nach fast fünfundzwanzig Jahren gekündigt, um sich gänzlich der Schriftstellerei zu widmen.
Helena konnte nun auch endlich von sich behaupten, ihren Beruf zu lieben.
Obwohl sie wie der Phönix aus der Asche gestiegen war, schmerzte die Erinnerung an damals, als sie das Verhältnis ihres Mannes mit seiner Kollegin aufdeckte noch immer.
„Die Bilder werden verblassen,“ hatte ihr Bettina prophezeit, die aus Erfahrung sprach, „aber ist wird lange dauern.“
Wie Recht sie behalten würde!


Die Vergangenheit zog erneut vor Helena auf.
Sie hasste ihr Tun und das Gefühl, dass sie dabei hatte, als sie Manfreds Brieftasche durchwühlte und den Schnipsel Papier mit der Handynummer fand.
Seit geraumer Zeit spürte sie, dass etwas im Busch war.
Zwei Tage trug sie den Zettel, der wie ein Damoklesschwert über ihr hing, mit sich herum.
Dann war sie bereit.
„Hier ist die Mailbox von Tina Schöffler, leider bin ich zurzeit nicht….“
Helena schnitt dem zuckersüßen Singsang, der nach einer noch sehr jungen Frau klang, abrupt das Wort ab.
„Oh, nein“, stöhnte sie.
Skurriler Weise musste sie an ihre eigene Stimme denken und fand sie plötzlich alt und rau.
Helena wollte weitere Gewissheit, darum lauerte sie Manfred in der Mittagspause auf. Sie wusste, dass ihr Mann stets seinen Arbeitsplatz verließ, um außerhalb ein Mittagessen zu sich zu nehmen.
Noch immer erinnerte sie sich genau an den Moment, als die beiden aus dem Bürogebäude kamen: Scherzend, lachend, flirtend.
Natürlich war sie schön, natürlich war sie jünger und schlanker war sie auch, hatte lange blonde Locken und Helena nur einen brünetten Kurzhaarschnitt. Sie war verheißungsvolles Neuland, Island in the sun, die neuen Ufer, die es zu erstürmen galt.
Und Helena? Altbekanntes Heimatdorf.
Sie sah, wie der Gockel das Küken an die Hand nahm und balzend mit ihr die Straße entlang schlenderte.
Tränen schossen in ihre Augen und bitterer Saft in den Magen, ihre Glieder wurden lahm, während ihr Herz pumpte, das es wehtat. Helena schwankte zwischen ohnmächtigem Rückzug und hemmungsloser Mordlust.

„Habe Senora keine Appetit?“, Alfredo riss sie aus den Gedanken vergangener Schreckgespenster.
„Doch, doch“, entgegnete sie und bestrich sich eilig eine Scheibe Brot mit Magerquark. Zehn Kilo hatte sie damals im null Komma nichts abgenommen. Manfred hatte alles zugegeben, seine Liebelei beendet und sie beschworen bei ihm zu bleiben. Helena tat sich schwer, so tief saß die Verletzung. Wie oft hatte sie in Gedanken das Küken genüsslich zu Hackfleisch verarbeitet und Manfred in die Wüste geschickt. Aber sie liebte ihn und darum starteten sie einen Neuanfang.
Helena schaute auf ihre Uhr. Es war aller höchste Zeit sich zum Messegelände zu begeben.

Das Interview war gut verlaufen. Helena saß glücklich an dem kleinen Schreibtisch und empfing ihre Bewunderer. Fröhlich schrieb sie jede gewünschte Widmung in die Bücher.
Plötzlich ging ein ungemütliches Raunen durch die Menge.
„Unverschämtheit, wie die sich vordrängelt!“
„Ich habe mich nicht vorgedrängelt, ich habe ordentlich angestanden.“, kam es giftig zurück.
Helena sah auf und schaute der Beschuldigten direkt ins Gesicht. Sofort erkannte sie die Frau.
Sie interessierte sich für Liebesromane? Für ihre Liebesromane? Helena konnte es nicht glauben. Die Besucherin hielt ihr die „Einsame Stunden“ unter die Nase:
„Ich bin eine große Bewunderin von Ihnen, Frau Melcher.“, säuselte sie und ihre Stimme schnitt Helena wie ein Messer ins Ohr.
„Wenn Sie so freundlich wären?“ Ungeduldig wippte sie mit dem Buch.
„Aber natürlich.“, Helena bemühte sich ihre Fassung wieder zu finden.
Da stand die Frau, von der sie drei Jahre gequält wurde und die um Haaresbreite zu verschulden gehabt hätte, dass sie ihrer großen Liebe nicht gefolgt wäre. Die anderen Messebesucher beschwerten sich noch immer über ihr dreistes Verhalten.
„Was soll ich schreiben?“
„Glaube, Hoffnung, Liebe. 1. Korintherbrief, Kapitel 13, Vers 13.“
Helena gruselte es vor soviel Bigotterie, doch dann sagte sie:
„Wie schön, die christlichen Tugenden! Wollen Sie mir später noch ein wenig Gesellschaft leisten in meinem Hotel?“
Die Frau schaute Helena erstaunt an, willigte aber sogleich geschmeichelt ein. Hoch erhobenen Hauptes und mit siegreicher Miene schob sie sich an den anderen Besuchern vorbei.

Sie saßen in der menschenleeren Lobby und Helena bot ihr eine Zigarette an. Die Alte zierte sich erst, doch dann griff sie gierig nach dem Stängel. Sie, die früher die Schüler bei Eltern und Direktorin verpetzt hatte und ihre eigene Tugendhaftigkeit pries, qualmte heimlich selbst.
„Als große Liebhaberin der deutschen Literatur freue ich mich, mich einmal adäquat zu unterhalten“, gab sie eingebildet von sich.
„Jahrelang habe ich jungen Gören versucht die Liebe zum geschriebenen Wort zu vermitteln. Wie oft dachte ich Perlen vor die Säue.“
Ihr Mund hing noch verkniffener nach unten als damals und verlieh ihrem Gesicht eine abstoßende Hartherzigkeit.
„Alles Hohlbirnen, nur Sex im Kopf“, sagte sie ordinär und Helena erschrak davor, wie sehr Intoleranz und Selbstüberschätzung ihre ehemalige Deutschlehrerin jetzt entgleisen ließen.
„Aber ich sage ihnen, ich habe sie alle in ihre Schranken verwiesen.“
Sie lachte wie eine Hexe, die sich ihrer teuflischen Macht bewusst ist. Helena dachte daran, wie erbarmungslos sie einschüchtern konnte.
„Wollen wir nicht ein bisschen im Hotelgarten spazieren gehen?“, fragte sie freundlich.
Die alte Frau nickte und erhob sich erstaunlich flink aus dem Ledersessel. Sie konnte kein mühseliges Arbeitsleben hinter sich gebracht haben, denn die Schülerinnen auf dem katholischen Mädchengymnasium parierten unter dem eisernen Regiment wie die Kadetten.
„Lassen Sie uns den Seitenausgang nehmen. Er führt zwar über die Baustelle, aber dafür sind wir schneller im Garten.“, schlug Helena vor.
Die Alte folgte wie ein Lamm.
„Das sieht aber gefährlich aus“, jammerte sie, als Helena sie auf einen schmalen Steg dirigierte, der über ein frisch gegossenes Betonbett führte.
„Vertrauen Sie mir! Halten sie meine Hand!“
Sie tat wie geheißen. Auf der Mitte des Stegs angekommen, blieb Helena stehen.
„Mein richtiger Name lautet übrigens Helena Weber.“ Die Lehrerin schaute sie verständnislos an.
„Sie erinnern sich nicht? Ich bin eine, die sie in ihre Schranken verwiesen haben.“ Helena kostete den Moment aus, bis es der Alten dämmerte.
„Und jetzt verweise ich Sie in Ihre.“
Mit weit aufgerissenen Augen und einem dumpfen Blopp versank Frau Oberstudienrätin Beckmann a.D. im nassen Beton.
Helena klopfte sich die Hände ab wie ein Gärtner, der gerade Blumenzwiebeln gepflanzt hatte.
Als sie zurück zum Hotel ging, beschloss sie, dass ihr nächstes Buch ein Krimi werden würde. Talent, das wusste Helena jetzt, hatte sie genug.

 

Hallo Katinka,

leider konntest du mich mit deiner Geschichte nicht wirklich überzeugen.

Du hast sie meines Erachtens etwas ungünstig aufgebaut. Die Einleitung ist sehr lang und voller Details. Das erzeugt zwar auf der einen Seite Stimmung ist aber auf der anderen Seite manchmal zuviel des Guten. Zum Beispiel fand ich die Passage mit dem Kellner nicht so wahnsinnig aufregend.
Danach folgt der Rückblick auf die Ehe deiner Protagonistin bzw. auf den Betrug. Was hat das aber letztlich mit dem Mord am Ende zu tun? Wie fügt sich das alles in die Geschichte? Die Szene steht einfach so im Raum und als am Ende die ehemalige Lehrerin auftauchte dachte ich kurz, dass es sich dabei wohl um Tina Schöffler handelt.

Den Mord selbst handelst du zu schnell ab. Also nicht nur den Mord selbst, sondern das ganze drumherum. Eigentlich wirkt deine Protagonistin nicht wie eine Mörderin - ihre Motivation diesen Mord zu begehen schneidest du nur an. Ok - die Lehrerin hat gesagt, sie hat mit der Schreiberei nichts am Hut - klar, dass deine Prota daraufhin wütend wird - aber gleich einen Mord zu begehen? Dazu müsstest du ihre Motivation und die Gründe noch stärker herausarbeiten.

Insgesamt solltest du vielleicht darüber nachdenken, die Geschichte etwas anders aufzubauen. Vielleicht hat deine Prota den Krimi schon geschrieben und wird gefragt, wies sie auf diese tolle Idee gekommen ist (Einstiegsszene) - danach könntest du z. B. mit Rückblenden arbeiten die zeigen, dass deine Protagonistin von der Lehrerin gequält wurde. Oder du fängst damit an, dass eine Leiche im Beton gefunden wird. Auf die Ehebruchszene würde ich ganz verzichten, ehrlich gesagt.
Das ist jetzt natürlich nur ein Vorschlag wie du deine Geschcihte meiner Meinung nach spannender gestalten könntest.

Lieben Gruß, Bella

 

Hallo Bella,

danke fürs Lesen und Kommentieren.
Die Szene mit dem Ehebruch habe ich gewählt, um die Wendung im Leben der Prota zu erklären und das der Leser zuerst denkt, es sei Tina Schöffler, die auf der Messe vor ihr stand war Absicht. Wenn das allerdings eher langweilig auf den Leser wirkt, nutzt die beste Absicht nix.
Über deinen Vorschlag, die Geschichte anders aufzubauen, denke ich nach und danke dir für die kostruktive Kritik.

LG
Katinka

 

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