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Wiedersehen.
Wiedersehen
Die Bäume sind schon ganz kahl.
Siehst du das?
Und die Menschen, die stehen jetzt wieder mit hochgezogenen Schultern unter gelben Bushaltestellen-Schildern.
Merkst du nicht auch, wie die Gänsehaut an deinen Beinen emporkriecht, bis sie dir über den Bauch huscht?
So wie früher?
Elefantenpickel hat der dicke Junge immer gesagt.
Mich schüttelte es jedes Mal bei diesem Gedanken und dann hast du dagesessen und gelacht. Quer über beschmierte Tische hinweg, bis ich von meinem wackligen Stuhl fiel.
Ich hatte deinen Namen vergessen, als ich am Dienstag in meinen Briefkasten sah und musste fünf Stunden unablässig deine Schuhgröße aufsagen. An die erinnere ich mich immer.
Vor drei Tagen hast du also aufgehört, dir die Haare sorgfältig zu einem Zopf zu binden und vor vier Tagen hast du den vergilbten Umschlag in einen Briefkasten fallen lassen. In einen mit rotem Punkt.
Du hast es immer zu eilig gehabt.
Heute stehe ich vor deiner Tür und lasse meinen Stolz zwischen den Fugen in deiner Einfahrt verschwinden.
Dein Name ist derselbe wie früher
Nur die Klingel, auf der er klebt, hat ihr Zuhause in einer dieser abgewetzten Gassen gefunden, die nach Freiheit rochen, damals, als wir Bier tranken und alle drei Wochen nach dem Glück suchten.
Ich muss lächeln und deine Tür hängt nur mutlos in ihren Angeln.
Der modrige Geruch im Treppenhaus lässt mich über meine eigene Unbekümmertheit stolpern; das Klingeln erscheint mir unwirklich laut in diesem tristen Verließ.
Fünf Minuten warte ich und denke darüber nach, ob deine Fenster an der Süd- oder an der Nordseite den Himmel in dein Haus lassen und wo die Sonne jetzt gerade steht.
Toilettenspülung. Schritte. Schlüsselklirren – das traurigste Lächeln der Welt direkt vor meinen Füßen.
Ich hatte Sätze auswendig gelernt, nur für den zu lauten Moment zwischen Tür und Angel, weißt du?
Aber ich frage dich nur, ob du Fenster hast. Und nach dem blöden Spruch mit der Sonne und den Himmelsrichtungen.
Ich glaube, du verstehst mich trotzdem.
Vielleicht hat dein Spiegelbild dir heute morgen schon verraten, dass alles ein wenig anders ist.
Dass alles anders sein sollte. Und dass alles einmal anders war.
In deinem Wohnzimmer steht nur ein einziger Sessel.
Ich versuche mir ein wenig Platz zu machen und räume Socken und Zeitungen und ungeöffnete Briefe und zerknüllte Papierfetzen und leere Kaffetassen und volle Aschenbecher beiseite.
Du zwirbelst nevös an der Kordel des viel zu großen Pullovers und fängst an zu erzählen.
Ich setze mich auf die Knie und streiche ununterbrochen meine Jeans glatt.
Du redest davon, dass dich noch nie so viel Menschen in den Arm genommen haben wie in den letzten zwei Wochen und dass du dich erdrückt fühlst von ihnen.
Das Glück sei vorbei und das Leben habe jetzt erst angefangen. Das Leben sei vorbei und das Überleben habe jetzt erst angefangen.
Es sei nicht leicht, mit Koffein gegen den Schlaf zu kämpfen und den Hunger mit Nikotin zu stillen.
Und noch viel schwerer sei es, die Lücke mit zerknülltem Papier und schiefen Buchstaben zu füllen.
Du erzählst von Träumen, die sich in der rauchgeschwängerten Luft aufgelöst haben und von Versprechen, die unter den Teppich gekehrt wurden.
Dann weinst du.
Ich habe Angst, dass deine Stimmbänder zerbesrten, weil du doch früher nur Worte in mein Haar flüstern konntest.
Du schreist, dass er geatmet hat. Dass du gesehen hast, wie sein Brustkorb sich gesenkt und gehoben hat. So wie in den zu kalten Nächten, durch die er dich brachte. So wie es immer war. So wie es immer weitergehen wird.
Und dass sie ihm seinen Lieblingspullover zerschnitten haben. Dass du es ihnen nie verzeihen wirst, diesen Göttern in Weiß, dass sie ihm nicht einmal das ließen, während du ihm ins Gesicht schlugst und längst schon deinen Halt verloren hattest.
Ich schlucke und versuche meine Hand von den Teppichfransen zu lösen.
Dann erzählst du von dem Salz.
In deinen Augen. In deinem Kopf. In deinem Körper. Überall.
Du sagst, dass du nicht weißt, ob du dich vielleicht einfach auflöst, wenn du seinen Pullover nicht mehr trägst. Wenn du nicht mehr jede Nacht auf seiner Jacke einschläfst.
Und dann sitzen wir da, zwischen unfertigen Briefen ins Niemandsland, und trinken schweigend unseren Tee aus Plastikbechern.
Ich frage mich, wie lange du es noch aushältst in dieser Papierhölle voller Kartons.
Überall stößt man mit dem großen Zeh gegen Erinnerungen und der einzige warme Platz ist die Heizung, die sich häutet und ihre weiße Farbe in großen Stücken abwirft.
Als ich gehe, drücke ich deine Hand. Ein wenig zu fest, ein wenig zu lang.
Wir sind anders und doch trotzdem noch ein bisschen wie früher.
Jedenfalls jetzt gerade. Mit deinen Kopf auf meiner Schulter und deiner Traurigkeit in meinem Jackenärmel.
Ich glaube, ich bleibe noch ein bisschen. Bis spätestens um zehn, vielleicht auch bis nächste Woche.
Dann reden wir über früher. Über die Löwenzahnkronen auf unseren Köpfen. Und über den dicken Jungen mit den Elefantenpickeln im Herbst.
Und übermorgen hängen wir dann diese dunkelblauen Gardinen ab.
Wenn ich mich nicht irre, müsste die Sonne dann morgens um halb elf durch die Staffelei direkt auf dein verstaubtes Regal fallen.