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Willkommen zu Hause
Entweder war ich verdammt langsam gefahren, oder Entfernungen wachsen mit dem Alter. Denn in meiner Erinnerung war der Weg zu der alten Villa meiner Eltern nicht so lang gewesen. Doch diesmal kam es mir so vor, als fuhr ich stundenlang an Äcker und Weiden vorbei, bis ich endlich da war. Mein Gott – wann war ich das letzte Mal hier? Wie lange sind sie tot? Diese Fragen schossen mir wieder und wieder durch den Kopf doch ich weigerte mich, auch nur annähernd eine Antwort zu geben. Ich hatte meine Gründe solange nicht zu diesem alten Haus voller Erinnerungen gefahren zu sein, genauso wie ich meine Gründe hatte jetzt auf dem Weg dorthin zu sein.
Langsam bog ich in die lange Auffahrt. Man sah dem Park hinauf zum Portal genau an, das sich hier niemand darum kümmert. Ich hielt direkt vor der Haustür an. Das alte Gemäuer schien zu stöhnen unter der Last der Jahre die es auf dem Buckel hatte. Und die mangelnde Pflege zeichnete den Stein wie Karies ein Gebiss, welches nicht gepflegt wird.
Erst als mir langsam schwindelig wurde, merkte ich das ich vor der Tür stehend die Luft angehalten hatte. Ein altes Haus flößt wohl jedem ein bisschen Respekt ein. Ich schluckte dreimal heftig, dann ging ich rein.
Die Beklommenheit schlug mich wiederholt heftig als ich eintrat. Und ich gebe offen und ehrlich zu, ich hatte Angst. Aber was hatte ich erwartet? Oder sollte die Frage eher lauten, was erwartete mich wohl noch?
Ich schloss die Tür. Und mit dem Geräusch der zufallenden Tür passierte etwas. Passierte es wirklich? Oder geschah es nur in meinem Kopf? Urplötzlich vermischten sich die Erinnerungen mit der Realität. Ich ging ein Stück ins Wohnzimmer hinein. Möbelstücke aus Staub fingen an Geschichten zu erzählen. Plötzlich saß da mein Vater in seinem Sessel direkt beim Kamin, in dem ein erloschenes Feuer prasselte, von dem eine wunderbare Wärme ausging ... er hatte seine Pfeife im Mund und strahlte mich an. Nur kam das Lächeln aus einem toten Mund. Da waren keine Zähne – keine Zunge – nur Staub ... und im nächsten Moment lag wieder das Bettlaken und die dazugehörige Staubschicht auf dem Sessel. Ich schüttelte mich kurz und sah aus dem Fenster. Dort waren Kinder beim Spielen. Ich sah wie sie auf der Schaukel saßen und ich glaubte meine Schwester zu erkennen, wie sie mit ihrer Freundin um die alte Eiche im Park herumrannte. Die alte Eiche? Bin ich nicht eben an ihr vorbeigefahren? War sie nicht nur noch ein Mahnmal? Welches vermuten ließe, dass sie mal in voller Pracht stand? Und jetzt da draußen stand sie im vollen Saft und überhaupt ... meine Schwester ... sie kam doch ums Leben, als der Blitz in eben diesen Baum einschlug.... verblüfft starrte ich auf das blinde Fenster. Da war überhaupt nichts... man konnte nicht einmal rausschauen.
Jetzt fing meine Mutter in der Küche an zu singen. Ein herrlicher Geruch bester Kochkunst stieg in meine Nase. Ich schloss für einen Augenblick die Augen und versuchte zu identifizieren, was meine Mutter zu diesen besonderen Anlass gemacht hat. Hmmm es roch nach leckeren Braten im Ofen – ich steuerte auf die Küche zu um zu sehen, was es leckeres als Zutaten gebe doch als ich um die Ecke kam, brach ich in die morsche Holzbodendiele ein. Mein Fuß tat weh und war gefangen und der aufgewirbelte Staub stieg mir in die Nase und ich musste Niesen.
Es war nicht so ganz einfach sich zu befreien, doch ich schaffte es. Als ich mich umdrehte saß die ganze Familie – ungefähr 20 Leute – im Wohnzimmer und guckten mich an. Nach einem kleinen Moment der Wiedererkennung strahlte in ihren Gesichtern die Wiedersehensfreude und ich hörte das Geräusch von toten Händen die Willkommen klatschten. Dann waren da nur noch die Knochen der Hände die Klatschen und dann zerfiel alles zu Staub und ich stand wieder alleine da in mitten von sämtlichen Möbelstücken die allesamt mit Bettlaken abgedeckt wurden und aussahen wie Gestalten aus Staub. Und diese mir bis dato unbekannten Gestalten erzählten mir Geschichten. Geschichten aus der Vergangenheit.
Durch diesen Kauderwelschnebel ging ich benommen die Treppe in den oberen Stock hoch. Hier oben wuchsen Pilze direkt neben der teuren Brücke, die den Holzfußboden im Flur schmückte.
Langsam ging ich den Flur runter. Kurz bevor ich zur Tür meines ehemaligen Kinderzimmers kam, bemerkte ich das diese fehlt. Das störte mich aber nicht. Ich verlangsamte nur mein Schritt. Drinnen hörte ich eine Stimme. Und ich erkannte die Stimme sofort – es war mein langjähriger Schulfreund. Ganz langsam – aber auch wirklich nur ganz langsam spähte ich in mein Zimmer hinein. Er saß auf dem Bett – sah aus als kämen wir gerade von draußen, wo wir wieder rumgetollt waren. In seiner verwaschenen Jeans und seinem dreckigem Pullover – ich schmunzelte – und sein Totenkopf grinste zurück.
Ich stolperte weiter – bloß weg – ich weiß nicht ob ich kurz aufschrie.
Aus dem nächsten Zimmer, bei dem die Tür offen stand, kam eine Briese Frühlingsluft – Ahh das tat gut. Es war das Schlafzimmer meiner Eltern und meine Mutter musste zum lüften das Fenster geöffnet haben. Ich lugte vorsichtig um die Ecke. Alles war so ordentlich, sauber und aufgeräumt. Es war ein sehr majestätischer Raum. Und in der Mitte des Raumes thronte das riesige Ehebett – in dem sich zwei Ratten liebten.........
Ich weiß nicht genau ob ich vor Schreck mit dem Kopf gegen den Türpfosten geknallt bin oder verging die Zeit einfach nur so, in dem ich einfach gar nicht mehr gedacht habe. Kann man überhaupt von vergehen reden, wenn sie doch eigentlich rückwärts läuft? Plötzlich war ich total eingeschlossen in die Vergangenheit.
Ich ging zurück. Begab mich langsam die Treppe herunter.
Und unten – am Fuße der Treppe – standen meine Eltern – nahmen mich in Arm uns sagten
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