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Willkommen
Überflüssig, das sag ich dir.
Denkst wohl, du kannst dem entkommen. Glaubst, Rost hätte sich durch die Gitterstäbe gefressen, glitschige Steine wären locker, würden unter deiner tastenden Hand nachgeben. Bist wohl der Meinung, du könntest es hier raus schaffen.
Hör auf mich, du kannst es nicht.
Was? Willst das wohl nicht hören, wie? Die Wahrheit tut weh, ich weiß. Am Anfang war ich genauso wie du. Ich war verwirrt, zu verwirrt, um mich von der Hoffnungslosigkeit gefangen nehmen zu lassen.
Die Nässe hat mir zu schaffen gemacht, mehr noch als die verflixte Dunkelheit, die dich langsam und qualvoll zu erdrücken droht. Überall nur … nichts. Nur du und das Knurren deines eigenen Magens, wenn du dich zu lange weigerst, das Fleisch zu essen, das sie dir hinstellen. Irgendwann wirst du blind tastend den Boden danach absuchen, wenn der Hunger dir das erste Mal die Besinnung raubt, wenn deine Kraft nicht einmal mehr dazu ausreicht, dir die Hosen hoch zu ziehen, die immer öfter von deinen knochigen Hüften rutschen.
Nur du, das Tropfen in unzählige Wasserlachen, die sich wie Tretminen über dem Boden verteilt haben und das Quietschen der Ratten, die unsichtbar zwischen deine Beine hindurch huschen.
Und die Schreie. Diese unendlich grausamen Schreie, die sich wie Nadeln durch deine Trommelfelle bohren, sich in dein Gehirn vorarbeiten um dort Wurzeln zu schlagen, damit du sie auch nicht vergisst, wenn sie verstummen. Was selten geschieht.
Da brauchst du die Hoffnung noch.
Bist eher der ruhige Typ, hm? Das wird schon noch. Früher oder später wird dir klar, dass ich die einzige Gesellschaft bist, die du hast und die du jemals haben wirst. Vorbei die Partys, vorbei das Geschnatter am Telefon. Vorbei die entspannten Fernsehabende, in Sofa und Mädchen versinkend. Willkommen in der Langeweile. Willkommen zum letzten Schritt in Richtung Ewigkeit.
Hey, ich würd dir raten, dich nicht mit mir anzulegen. Du bistn Greenhorn, ich bin seit Monaten hier. Oder Jahren, keine Ahnung. Auf jeden Fall länger als du. Und so wie du dich anhörst, dein Gewimmer, dein Gejammer, dein Mitleid erregendes Geheule, glaube ich nicht, dass du mir gegenüber im Vorteil bist. Ich an deiner Stelle würde versuchen, meine Freundschaft zu erlangen und … mein Gott, was tust du?
Musst du ausgerechnet jetzt gegen die Gitterstäbe schlagen? Die vibrieren sich direkt in mein Gehirn!
Setz dich doch hin, atme durch. Du bist kurz vorm Hyperventilieren. Ich kanns doch hören. Nicht, dass du noch röchelnd zu meinen Füßen verreckst, helfen werd ich dir nämlich nicht.
Ha, wie naiv du bist. Glaubst du wirklich, dass es eine Erlösung wäre? Was denkst du, wo du dich hier befindest? Erinnerst du dich an deine Gefangennahme? Erinnerst du dich daran, wer dich hierher gebracht hat? Wie sie aussahen? Weißt du überhaupt noch irgendetwas davon?
Nein? Und weißt du weshalb? Weil das hier bereits das Ende ist.
Ich weiß, tut mir leid. Aber mein Feingefühl hab ich zusammen mit meiner Menschlichkeit irgendwann zwischen dem Erwachen und dem ersten Entleeren meines Magens von teilweise rohem Fleisch verloren.
Denkst du, so bringst du sie dazu, dich raus zu lassen? Niemand wird dir helfen. Du brauchst nicht zu glauben, dass es sie interessiert, ob du dich selbst verletzt. Geschweige denn, dass es mich interessiert. So scharf bin ich nicht auf deine Anwesenheit.
So ists besser. Für dich vor allem.
Warte – sei mal still.
Du sollst still sein, hab ich gesagt.
Verdammt.
Hörst du es nicht? Das leise Scheppern, als würde jemand mit einem Becher die Gitterstäbe um Wasser anflehen. Sie kommen. Jetzt kriegst du deine erste Henkersmalzeit.
Jedes Mal könnte dein letztes sein. Immer wieder verstummen leise Schreie, um von kräftigeren abgelöst zu werden, die sich noch an eine Rettung, an eine Hoffnung klammern, die sie vor der Dunkelheit beschützt.
Vor der Unwissenheit.
Vor der Unendlichkeit.
Psst, du verdammter Idiot, ich an deiner Stelle würde leiser sein. Sie können sehr … sehr ungehalten werden, wenn ihnen jemand auf den Geist geht. Halt einfach die Klappe und versuch wenigstens, das Beste aus deiner Situation zu machen.
Was willst du damit sagen? Dass ich ein Feigling bin? Du hast ja keine Ahnung, was sie mit dir anstellen können! Was denkst du, woher ich das weiß? Du glaubst wohl, ich würde wegen ein paar Schlägen, Tritten und Fingerknöcheln, die sich in meine Wangen bohren, aufgeben? Den Schwanz einziehen? Mich wie ein misshandelter Köter in die Ecke verkriechen?
Noch hast du keine Ahnung, was sie mit dir machen können, was sie mit dir machen werden. Noch glaubst du, die Dunkelheit gegen ein paar blutige Hiebe eintauschen zu können. Noch kannst du dir nicht vorstellen, wie sie dir jeden Finger einzeln brechen, wie sie dir knirschend mehrere davon abschneiden. Kannst nicht wissen, wie du an die Heckenschere denkst, mit der du das Gebüsch in deinem Rasen beschnitten hast.
Wie …
Ich hoffe für dich, du lässt mir ein Stück übrig.
Später. Momentan hab ich keinen Hunger. Ich brauche in letzter Zeit nicht viel.
Bewegung hab ich hier drinnen ja keine. Anfangs … es ist bescheuert ich weiß, da bin ich unzählige Male die Wände entlang geschritten, immer im Kreis, meine Fingerspitzen über die glitschigen Wände streifen lassend. In der Dunkelheit verlierst du leicht die Orientierung und wenn du es schaffst, deine Gedanken auszuschalten, hast du das Gefühl, als würdest … als wärst du nicht eingesperrt. Als wären es keine Wände, die hinter der Dunkelheit lauern, sondern nur Mauern. Über Mauern kann man klettern.
Über Wände nicht.
Blödsinn. Alles Blödsinn.
Wir alle haben es verdient. Du, ich, und jeder einzelne, der unser Schicksal teilt.
Hör endlich auf zu glauben, du wärst etwas Besonderes. Du wärst nur durch Zufall hierher gekommen. Jemand anderes hätte Mist gebaut.
Der einzige, der Mist gebaut hat, bist du.
Schmeckt widerlich, was? Ja, die ersten paar Mal hab ich mich auch übergeben. Aber man gewöhnt sich dran, solange man nicht darüber nachdenkt, woher das Fleisch kommt.
Der Mensch gewöhnt sich schließlich an alles.
Ja, eigentlich ist es ein Wunder, dass ich noch immer bei Verstand bin. Hier bei Verstand bleiben konnte. Dass ich bester Gesundheit bin. Aber ich bin hart, so hart wie die Gitterstäbe unter deinen Fäusten. Du kannst auf sie einschlagen wie du willst, sie werden nicht nachgeben. Vorher brichst du dir die Knochen, und glaub nicht, jemand würde sie dir schienen, jemand würde einen Arzt schicken oder deinem Geschrei auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenken.
Ich weiß das, noch heute schmerzen mich die schlecht verheilten Brüche in den Händen und Füßen. Wie oft ich und diese Gitterstäbe aneinander geraten si…
Hey, spinnst du, oder was? Mein Gott, musst du so brüllen? Bist du etwa wie die anderen? Wirst du auch wie sie ab jetzt jede wache Sekunde schreien, bis deine Stimme einem gurgelnden Abfluss gleicht?
Das ist es doch, was sie wollen! Sie wollen hören, wie du leidest!
Halt die Klappe … Halt deine verdammte Klappe! Bild dir ja nicht ein, dass ich mich von dir unterkriegen lasse. Da wärst du nämlich der Erste, der das schaffen würde.
Du willst mich wohl wirklich reizen, was?
Gut. Ich gebe dir noch eine Chance. Setz dich hin und halt dein verfluchtes Maul. Ich will nicht handgreiflich werden, glaub mir, aber langsam … na schön, Arschloch! Wo … Wo zum Teufel … Glaub nicht, du kannst mir hier drin entwischen!
Dein ewiges Geschrei um Hilfe wird dich nicht hier raus bringen! Deine Fäuste werden die Wände nicht einschlagen! Deine Füße das Schloss nicht zertrümmern!
Und weißt du wieso? Wieso, verdammt?
Weil es meine … spürst du meine Faust? Mein Knie? Meine Ferse? Meine … Zähne?
Sie haben es hier auch nicht rausgeschafft. Und du schaffst es nicht einmal, mit ihnen fertig zu werden. Ich kann deinen Oberarm mit einer Hand umfassen und dabei bist du gerade erst hier rein gekommen. Und wie du zitterst … oh, hast du etwa Angst?
Natürlich hast du vor ihnen Angst, du Idiot, ich meine vor mir?
Fürchtest du mich?
Nein? Nein! Bei dem Gedanken daran, hier eingesperrt zu sein, fängst du an zu schreien, doch wenn du dir vorstellst, wie ich dir mit meinen Zähnen deine Ohren ausreiße, gibst du keinen Ton von dir?
Denkst du wirklich, ich würde es nicht tun? Wäre zu feige dafür?
Na?
Merscht du, `ie ich mich kraue?
Schpürscht dusch, du Arschlo`?
Gefällt es dir? Mir … oh ja, mir gefällt es. Es ist, als würde ich leben.
Ach, komm schon. Hör auf dich zu winden.
Hör – auf – dich – zu – winden!
…
So ists besser, findest du nicht?
Die Stille hat mir gefehlt, seit du hier bist. Ich habe schon genug Probleme, da kann ich mich nicht auch noch mit deinem Gebrüll rumschlagen. Ich kann es nicht und will es nicht.
Ich möchte das eben Geschehene nicht rechtfertigen. Das habe ich nicht nötig. Ich will es dir nur mitteilen.
Du hättest das Beste daraus machen sollen und ruhig sein, wie ich es dir gesagt habe. Siehst ja, was du davon hast.
Irgendwann, mag es auch noch Tage oder Wochen dauern, wirst du anfangen zu stinken. Dann werden sie dich holen und die schrecklichsten Dinge mit dir machen, die du dir vorstellen kannst.
Dann wirst du sehen, was dir deine Freiheit eingebracht hat.
Dann wirst du merken, dass die Hölle für dich gerade erst begonnen hat.
© Tamira Samir