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Willst du?
"Du hättest dich wenigstens verabschieden können."
Alex betrachtet sie, während in ihm Wut und Zuneigung ihren üblichen Ringkampf austragen. Corinna wirkt still, schüchtern, verstört, ist so alles andere als sie selbst. Ihre schmalen Hände, der Nagellack blass und zerkratzt wie ein Spiegelbild ihrer Seele, falten sich zitternd über dem unbeteiligten Leben, das in ihr wächst.
"Ich weiß."
"Ich hab mich ja inzwischen daran gewöhnt, dass du alle Nase lang aus meinem Leben verschwindest..." Er hält inne. Was soll er sagen? Er könnte ihr eine Million Vorwürfe machen. Zum Beispiel darüber, dass sie sechs Monate nichts von sich hat hören lassen, um jetzt völlig am Boden und hochschwanger zurück zu kommen und ihm wieder mal ihr Leben vor die Füße zu spucken, damit er sich um alles kümmert. Und er weiß, was er eigentlich tun sollte. Weiß, dass er genau dazu niemals fähig wäre. Am liebsten würde er laut schreien.
"Ich weiß, ich hab eine Menge Fehler gemacht", sagt sie leise. "Deshalb bin ich ja hier. Ich möchte endlich mal was richtig machen."
"Ist es das, was ich für dich bin?" Er ist verletzt, und sie soll es verdammt noch mal ruhig spüren können. "Der sichere Weg?"
"Ist das so schlimm?" Ihr Blick wird tief und seltsam verletzlich. "Es gibt keinen Menschen, dem ich so vertraue. Keinen, der mir so viel bedeutet."
"Eine seltsame Art, mir das zu zeigen..."
Sie erbebt, bäumt sich plötzlich innerlich auf. "Denkst du, ich weiß nicht, wie beschissen ich mich verhalten habe?" Die Worte zittern, genau wie ihre Hand, die sich zur Faust ballen will und auf halbem Wege innehält, zuckt, als wolle sie nach etwas greifen, das nicht mehr da ist, mit Phantomfingern aus Eis. "Kannst du dir vorstellen, welche Angst ich hatte herzukommen - nach allem, was war?"
Er wendet sich ab. Von ihren Tränen. Ihrer Hilflosigkeit.
"Wenn ich dir soviel bedeute, warum war ich dann die ganze Zeit allein? Warum bist du dann mit einem anderen fort gegangen?" Seine Stimme – tonlos und dumpf. Gleichgültig reflektiert vom Glas des Fensters. Diese eine, entscheidende Frage schneidet eine lange Stille in den Raum zwischen ihnen.
"Weil ich dumm war", gesteht sie nach schier endlosem Schweigen schließlich ein. "Ich bin so oft in meinem Leben irgendwo fort gegangen. Aber du bist der einzige, zu dem ich jemals zurückgekehrt bin."
Vor ihm das Fenster. Jenseits davon der Winter. Und dann plötzlich ihre Berührung. Ihre Hand an seinem Arm. Ihr Kopf, der sich an seinen Rücken lehnt. Ein kleiner Punkt der Berührung, der sich groß wie die Sonne durch ihn hindurch brennt. Er fühlt sich hilflos, ausgeliefert. Gegen diese Attacke besitzt er keinen Schutz. Seine Wut, seine Angst, seine Zweifel - alles ist machtlos gegen die Gewalt dieser zaghaften Berührung.
"Alles wird so sein, als wäre ich nie fort gewesen. Als hätte es nie jemand anderen gegeben." Ihre Hand streichelt über seinen Bauch, ihre zitternde Stimme schleicht durch den Stacheldraht um seine Seele. "Schlaf mit mir. Hier und jetzt. Das hast du dir doch immer gewünscht. Wir werden einfach so tun, als sei es dein Kind. Unser Kind..."
Lügen wir uns ruhig was vor, denkt Alex bitter. Warum jetzt damit aufhören?
"Liebst du mich?", fragt er leise.
"Du bist gut für mich. Das weiß ich jetzt."
"Das beantwortet meine Frage nicht."
Sie zögert. Ihre Hand streichelt sich durch dicke Schichten der Furcht, gräbt sich unter sein Hemd, bis sie warm auf seiner nackten Haut zur Ruhe kommt.
"Was bedeutet Liebe?", flüstert sie dann. "Ich war so oft sicher, ich würde lieben. Schau dir an, wohin es mich gebracht hat."
Er dreht sich um. Ihr Blick trifft ihn wie eine Gewehrkugel. So hat sie ihn noch nie angesehen. Ihr "Ich will dich!"-Blick. Früher hätte er dafür getötet, dass sie ihn nur ein einziges Mal so ansieht. Jetzt, da es soweit ist, wühlt es ihn auf, ein Haifisch, der sich durch seine Eingeweide schlängelt, um sich beißt, frisst und tötet, was an Widerstand noch übrig sein will. Ihr Kuss, die ultimative Waffe, brennt auf seinen Lippen. Ihre Worte plätschern durch dieses Feuer hindurch, wie Sonnenstrahlen durch ein Blätterdach.
"Wir können eine Familie sein. Für immer zusammen. Wäre das nicht wunderschön?"
Ihr kleiner Kopf an seiner Brust. Sein ganzer Körper zittert unter der Last ihrer Nähe. "Ich werde nie wieder fortgehen. Ich werde deine Frau sein." Sie sieht zu ihm auf, ihr blasses Gesicht immer noch schön, weil er sie niemals anders sehen kann. "Willst du?"