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Willst du?

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24.10.2001
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Willst du?

"Du hättest dich wenigstens verabschieden können."
Alex betrachtet sie, während in ihm Wut und Zuneigung ihren üblichen Ringkampf austragen. Corinna wirkt still, schüchtern, verstört, ist so alles andere als sie selbst. Ihre schmalen Hände, der Nagellack blass und zerkratzt wie ein Spiegelbild ihrer Seele, falten sich zitternd über dem unbeteiligten Leben, das in ihr wächst.
"Ich weiß."
"Ich hab mich ja inzwischen daran gewöhnt, dass du alle Nase lang aus meinem Leben verschwindest..." Er hält inne. Was soll er sagen? Er könnte ihr eine Million Vorwürfe machen. Zum Beispiel darüber, dass sie sechs Monate nichts von sich hat hören lassen, um jetzt völlig am Boden und hochschwanger zurück zu kommen und ihm wieder mal ihr Leben vor die Füße zu spucken, damit er sich um alles kümmert. Und er weiß, was er eigentlich tun sollte. Weiß, dass er genau dazu niemals fähig wäre. Am liebsten würde er laut schreien.
"Ich weiß, ich hab eine Menge Fehler gemacht", sagt sie leise. "Deshalb bin ich ja hier. Ich möchte endlich mal was richtig machen."
"Ist es das, was ich für dich bin?" Er ist verletzt, und sie soll es verdammt noch mal ruhig spüren können. "Der sichere Weg?"
"Ist das so schlimm?" Ihr Blick wird tief und seltsam verletzlich. "Es gibt keinen Menschen, dem ich so vertraue. Keinen, der mir so viel bedeutet."
"Eine seltsame Art, mir das zu zeigen..."
Sie erbebt, bäumt sich plötzlich innerlich auf. "Denkst du, ich weiß nicht, wie beschissen ich mich verhalten habe?" Die Worte zittern, genau wie ihre Hand, die sich zur Faust ballen will und auf halbem Wege innehält, zuckt, als wolle sie nach etwas greifen, das nicht mehr da ist, mit Phantomfingern aus Eis. "Kannst du dir vorstellen, welche Angst ich hatte herzukommen - nach allem, was war?"
Er wendet sich ab. Von ihren Tränen. Ihrer Hilflosigkeit.
"Wenn ich dir soviel bedeute, warum war ich dann die ganze Zeit allein? Warum bist du dann mit einem anderen fort gegangen?" Seine Stimme – tonlos und dumpf. Gleichgültig reflektiert vom Glas des Fensters. Diese eine, entscheidende Frage schneidet eine lange Stille in den Raum zwischen ihnen.
"Weil ich dumm war", gesteht sie nach schier endlosem Schweigen schließlich ein. "Ich bin so oft in meinem Leben irgendwo fort gegangen. Aber du bist der einzige, zu dem ich jemals zurückgekehrt bin."
Vor ihm das Fenster. Jenseits davon der Winter. Und dann plötzlich ihre Berührung. Ihre Hand an seinem Arm. Ihr Kopf, der sich an seinen Rücken lehnt. Ein kleiner Punkt der Berührung, der sich groß wie die Sonne durch ihn hindurch brennt. Er fühlt sich hilflos, ausgeliefert. Gegen diese Attacke besitzt er keinen Schutz. Seine Wut, seine Angst, seine Zweifel - alles ist machtlos gegen die Gewalt dieser zaghaften Berührung.
"Alles wird so sein, als wäre ich nie fort gewesen. Als hätte es nie jemand anderen gegeben." Ihre Hand streichelt über seinen Bauch, ihre zitternde Stimme schleicht durch den Stacheldraht um seine Seele. "Schlaf mit mir. Hier und jetzt. Das hast du dir doch immer gewünscht. Wir werden einfach so tun, als sei es dein Kind. Unser Kind..."
Lügen wir uns ruhig was vor, denkt Alex bitter. Warum jetzt damit aufhören?
"Liebst du mich?", fragt er leise.
"Du bist gut für mich. Das weiß ich jetzt."
"Das beantwortet meine Frage nicht."
Sie zögert. Ihre Hand streichelt sich durch dicke Schichten der Furcht, gräbt sich unter sein Hemd, bis sie warm auf seiner nackten Haut zur Ruhe kommt.
"Was bedeutet Liebe?", flüstert sie dann. "Ich war so oft sicher, ich würde lieben. Schau dir an, wohin es mich gebracht hat."
Er dreht sich um. Ihr Blick trifft ihn wie eine Gewehrkugel. So hat sie ihn noch nie angesehen. Ihr "Ich will dich!"-Blick. Früher hätte er dafür getötet, dass sie ihn nur ein einziges Mal so ansieht. Jetzt, da es soweit ist, wühlt es ihn auf, ein Haifisch, der sich durch seine Eingeweide schlängelt, um sich beißt, frisst und tötet, was an Widerstand noch übrig sein will. Ihr Kuss, die ultimative Waffe, brennt auf seinen Lippen. Ihre Worte plätschern durch dieses Feuer hindurch, wie Sonnenstrahlen durch ein Blätterdach.
"Wir können eine Familie sein. Für immer zusammen. Wäre das nicht wunderschön?"
Ihr kleiner Kopf an seiner Brust. Sein ganzer Körper zittert unter der Last ihrer Nähe. "Ich werde nie wieder fortgehen. Ich werde deine Frau sein." Sie sieht zu ihm auf, ihr blasses Gesicht immer noch schön, weil er sie niemals anders sehen kann. "Willst du?"

 

moin Horni.
Als rahmen genügt sie mir zwar, aber dem Wunsch nach einem Mehr schließe auch ich mich an.
Inhaltlich ist soweit nix zu meckern, aber gerade die gegenseitige Suche(nach was auch immer) dürfte besser beleuchtet werden.
Solch von dir beschriebene "Seelenvampire" gibt es leider zuhauf, solche altruistischen Deppen wie ihn auch, sie scheinen einander zu bedingen...
Lord

 

Hallo Marcus!

Ich kann mich den meisten vorangegangenen Kritiken anschließen: Die Situation ist sehr intensiv rübergekommen, richtig kribbelig, aber dennoch etwas zuwenig.
Die Diskussion von vom-Hof-jagen ect fand ich interessant. Auf der einen Seite macht sie ihn kaputt und er sich mit seinem immer-wieder-helfen ebenfalls. Auf der anderen Seite - und wie Lord schon geschrieben hat - gibt es eben Menschen, die einen anderen hilfesuchenden nicht wegjagen können und unter der Situation ebenso leiden...
Hat mich nachdenklich gemacht, wie gesagt, ich fand die Situation sehr intensiv.

liebe Grüße und beste Besserung, du arme Vierenschleuder...
Anne

 

Hallo Horni,

obwohl ich kein Fan kurzer Geschichten bin, hat mir diese ausgesprochen gut gefallen.

Ich konnte mir die Charaktere sehr gut vorstellen, musste richtig mit dem Mann leiden. Ich wünsche mir sehr, dass er sie abweist, obwohl ich befürchte, dass er es nicht tun wird.
Ich glaube, die Frau wird sich nicht ändern. Alex ist meiner Meinung nach der einzige, der ihr eingefallen ist.
Was Alex wirklich an sie bindet, weiß ich nicht. Ob sie tatsächlich so schön ist? Ob er sie deswegen so sehr möchte, weil er sie im Grunde genommen nicht haben kann?
Keine Ahnung...
Ich denke, dass Alex immer hoffen wird, dass sie ihn doch irgendwann liebt, dass er doch mehr ist oder wird als eine Notlösung...

Hat mir sehr gefallen, auch wenn es mich etwas traurig zurück gelassen hat.

LG
Bella

 

Moin, Bella!

Da hast Du ja ein Relikt ausgegraben... :D

Freut mich, wenn der Text Dich angesprochen, die Situation Dich erreicht und etwas bei Dir bewegt hat - darum ging es mir wohl eigentlich. Ich bin ansonsten immer wieder erstaunt, welch unterschiedliche Reaktionen (von "grottenschlecht" bis "Ich bin begeistert") dieser Text auslöst... hängt wohl wirklich davon ab, wie und in welcher Stimmung etc. man ihn liest?

Jedenfalls vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren! :)

Gruß,
Horni

 

Hallo Horni,

ich finde es lohnt sich ja immer wieder mal Geschichten aus der Antike von KG.de auszugraben. *g*

Ich war nicht in negativer Stimmung, als ich deinen Text gelesen habe. Aber ich kenne so etwas. Insofern hat er mich schon berührt. Jemand, der so etwas noch nie empfunden hat, wird mit dem Text allerdings wirklich nicht so viel anfangen können, da er eben auf diesen Gefühlen und nicht wirklich auf Handlung basiert.
:)

LG
Bella

 

Hallo Horni,

eine stilistisch ausgezeichnete Geschichte. Ich bin beeindruckt. Jeder einzelne Satz ist dir hier gelungen, und sogar mehr als gelungen, fast schon perfektioniert. Ich kann mich kaum erinnern, dass ich jemals eine dermaßen durchweg stilistische Perle gelsen hab. Und nun kommen wir zu dem großen Aber :D .

Die Geschichte ist nicht viel mehr als eine Momentaufnahme. Eine sehr gut geschriebene, gewiss. Aber dennoch fehlt mir der Hintergrund, die Folgen, die Motive. Die Figuren sind mir als Leser nur oberflächlich erschließbar. Und so ausgefeilt, dass der Text ausschließlich von Sprachspielereien leben könnte, ist er doch nicht, dazu müsste er dann noch subjektiver, noch eindringlicher geschrieben werden, die Handlung noch mehr vernachlässigt. Versteh das nicht falsch, sprachlich ist der Text unwahrscheinlich gut. Aber das trägt ihn leider nicht :shy: , es fehlt eben doch etwas.

Wenn sie hochschwanger ist und ihn vor sechs Monaten verlassen hat, das Kind aber sicher nicht von ihm ist, muss sie ihn betrogen haben und darf drei Monate lang nicht mit ihm geschlafen haben - ansonsten würde er sich doch sicher fragen, ob es nicht doch sein Kind sein kann. Vielleicht könntest du in der Geschichte auf diesen Punkt noch eingehen, um dem Leser mehr Klarheit zu geben.

lieben Gruß,
Anea

 
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Hallo, Anea!

Freut mich, dass Dir der Text zumindest stilistisch gut gefallen hat. Was die von Dir angesprochene Momentaufnahme angeht: Das ist es in der Tat, und das ist wohl auch die große Schwäche des Textes, die andere ja auch schon angesprochen haben. Im Grunde ist es ein Fragment, das aus einer bestimmten Stimmung und aus den Überlegungen zu einer anderen Geschichte entstand. Beim Schreiben hab ich mich tatsächlich ausschließlich auf die momentanen Stimmungen/Emotionen/Bilder konzentriert - der komplette Hintergrund war mir halt bekannt, aber ich wollte wohl auch mal sehen, in wie weit ein solcher Text evtl. ohne bestehen kann - die Ergebnisse sind ja doch etwas durchwachsen, wie ich sehe... :D

Dass es nicht bei allen richtig funktioniert, zeigt sich z.B. auch an einem Umstand, den der Text offenbar nicht richtig transportiert, da zumindest Du das wohl missverstanden hast: Das Alex und Corinna nie ein Paar waren und auch vorher nie Sex hatten. Insofern kann das Kind natürlich auch nicht von ihm sein.

Ob ich an diesem Text jetzt noch großartig rumfeilen werde, glaube ich eher nicht. Da würde dann entweder nicht viel übrig bleiben oder nicht viel besser werden, ergo nehm ich einfach mal hin, dass er halt so ist wie er ist und leider nur zu 50% funktioniert.

Aber ich nehme das Feedback auf jeden Fall mit und weiß jetzt, das bestimmte Dinge nur bedingt funktionieren. Und zu wissen, dass zumindest sprachlich alles ok ist, ist ja auch schon mal viel wert.

Daher: Vielen Dank für das ausführliche Feedback! :)

Gruß,
Horni

 

eine sehr berührende geschichte, wahrscheinlich wirklich für jeden verknüpft mit persönlichen assoziationen ...

meine lieblingsstelle ist auch:

"Zum Beispiel darüber, dass sie sechs Monate nichts von sich hat hören lassen, um jetzt völlig am Boden und hochschwanger zurück zu kommen und ihm wieder mal ihr Leben vor die Füße zu spucken, damit er sich um alles kümmert. "

aber es stimmt, auch ich musste stutzen bei dem umstand, dass sie nach sechs monaten hochschwanger ist und es offenbar glasklar ist, dass das kind nicht von ihm ist?

gibts nicht vielleicht ein sequel :D ?

lg,

h.

 

Danke für deine Rückmeldung - stimmt, das hab ich missinterpretiert. :shy: Und im Bezug auf die Kürze des Textes ist die fehlende Handlung doch nicht sooo schlimm... (notwendig ist eine Überarbeitung daher auch nicht unbedingt) - werde bald mal etwas längeres von dir lesen müssen.
Schön wenn dir mein Kommentar weiterhelfen konnte.
lg Anea

 
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Moin! :kaffee:

@tante h. : Auch Dir vielen Dank fürs Lesen! Und: Ja, ich denke, der Text funktioniert wohl tatsächlich vor allem über Assoziationen - oder halt auch nicht... Aber ein Sequel... neee. Im Grunde ist das hier ja schon ein "Sequel"... aber sag's nicht weiter. ;)

@Anea: Naja, ob Du missinterpretiert hast oder andersrum der Text einfach nicht eindeutig genug ist... wir werden es wohl nie erfahren. (Und lies ruhig mal was längeres - angeblich soll es sich ja lohnen. :D).

Gruß,
Horni

 

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