Was ist neu

Windmühles Heimgang

Mitglied
Beitritt
25.03.2021
Beiträge
5
Zuletzt bearbeitet:

Windmühles Heimgang

Ich erinnere mich an jede Einzelheit:

Ein kalter Ostwind blies über die Felder, und die Sonne stand tief und bleich wie ein verhärmtes Gesicht vor dem Fenster. Gelegentlich, wenn ich in den Garten mit den alten Kirschbäumen sah, bemerkte ich eine Schneeflocke, die so langsam und würdevoll herabsegelte, als sei sie eine dicke Hofdame auf dem Ball zu Ehren der Königin. Kalt war es, bitterkalt, und alle Geräusche schienen wie aus weiter Ferne zu kommen: das Bellen eines Hundes, ein Auto, das auf der Landstraße vorüberkroch, der Ruf eines Falken, hoch droben in den sich nur mühsam lichtenden Nebeln.
Das war der Tag, an dem Windmühle von uns ging. Ein schwerer Tag. Wir alle hatten darauf gewartet, mit vor Trauer ganz bangen Herzen, und ich bin sicher, nicht einem war es gelungen, in der vorangegangenen Nacht „eine Mütze voll Schlaf“ zu finden.

Marie sprang als erste aus dem Bett. Das muss unmittelbar nach Sonnenaufgang gewesen sein. Ich hörte ihre nackten Füße an meinem Zimmer vorübertapsen und war daraufhin mit einem Schauder und leise stöhnend ebenfalls unter der Decke hervorgekrochen. In der Küche, wo das Wasser für den Kaffee brodelte, begrüßten wir uns mit stummen Blicken und verzogen uns dann jeder in seinen Winkel. Kurze Zeit später kam mein Onkel herein, ein drahtiger Mann, nicht sehr groß, mit scharfgeschnittenen Gesichtszügen und Augen, die erkennen ließen, dass ihm beständig der Schalk im Nacken saß. Immer. Ja. Aber gewiss nicht heute.
„Guten Morgen, Kinder“, sagte er, nahm die Kasserolle vom Herd und goss Wasser in den Filter, durch den es leise glucksend in die blassblaue Kanne sickerte. „Gut geschlafen? Ihr müsst was frühstücken. Mögt ihr ein Glas Milch?“
Wir schüttelten die Köpfe. Wir würden nichts hinunterbekommen. Ganz gewiss nicht.
Mein Onkel nickte, als habe er das erwartet, goss den dampfenden Kaffee in einen Pott aus Porzellan, gab Milch hinzu, rührte Zucker hinein, setzte sich an den Tisch, blies in das heiße Gebräu und nahm behutsam den ersten Schluck.
„Gut“ stellte er fest. „Sehr gut.“
Nachdem wir so eine Weile beieinandergesessen hatten, wortlos, aber uns dennoch an der Gegenwart der anderen wärmend, ja sogar ein bisschen Trost daraus ziehend, sagte er leise: „Zieht euch an, ihr Räuber.“
Also gingen wir und zogen uns an.

Kennt ihr das Gefühl, wenn einem die kalte Luft wie die Klinge eines Schwertschluckers in die Kehle rutscht? Wenn die Füße in dicken, klobigen Schuhen über die steinfest gefrorenen Krumen eines Waldweges stapfen? Wenn der Atem dampft, als habe man einen Kessel mit kochendem Wasser im Magen, und doch alle Glieder dermaßen kalt und träge sind, dass man glaubt, man wäre schon nicht mehr ganz von dieser Welt, der Welt der Lebenden nämlich.
Genauso war das an jenem Tag.
Vorneweg schritt der Onkel, sehr würdevoll, die Hände auf dem Rücken verschränkt, dabei in seine üblicherweise tiefen Gedanken versunken und gekleidet in einen leicht abgenutzten dunkelblauen Anzug, dessen Erscheinen in der Öffentlichkeit ausschließlich hohen Anlässen vorbehalten war: Hochzeiten z. B. oder dem Geburtstag des allergnädigsten Landesherrn. Das hellblonde Haar wurde von einem Hut bedeckt, der etwas zu klein geraten schien und vielleicht deshalb nach vorn gebeugt auf seinem Schädel hockte, so wie ein alter, schon etwas kurzsichtiger Rabe.
Direkt dahinter ging Marie, mit verheulten Augen und triefender Nase, immer wieder mal einen kleinen Hüpfer ausprobierend, aber dennoch sichtlich um die dem Begängnis und ihrer Stellung angemessene Würde bemüht. Ich erinnere mich genau: sie trug ein weißes Sonntagskleidchen, das mit aufgenähten Blütenblättern verziert war, einen knallroten Anorak mit Kapuze, Gummistiefel und in den Händen einen Strauß getrockneter Blumen.
Anschließend kamen Plisch und Plum, die beiden Nachbarsjungen, die bereits vor der Tür auf uns gewartet hatten. Selbstverständlich hießen sie nicht wirklich Plisch und Plum, wurden aber doch so mit den Namen gleichgesetzt, dass sie die wahrscheinlich heute noch tragen. Obwohl sie längst erwachsene Männer sind.
Vorletzte in der Reihe war meine Tante, eine stattliche Erscheinung, die sich kerzengerade hielt, und deren Kleid schwarz und schlicht war, aber genau deshalb sehr vornehm wirkte, so wie es angemessen erschien für den Heimgang eines lieben Freundes.
Am Ende des Trauerzuges folgte ich, Max, ein schwarzes Kreppband als Trauerflor um den Ärmel geknotet, den Schuhkarton mit dem teuren Verblichenen wie die Bundeslade vor mir hertragend. Eine Aufgabe die mich, trotz aller Wehmut, die ich empfand, doch mit einem gewissen Stolz erfüllte. (Marie hatte darauf bestanden, dass wir mit einem Kugelschreiber Löcher in den Deckel bohren müssten, was natürlich komplett sinnlos war. „Wenn man tot ist, braucht man keine Luft mehr“, hatte ich zu erklären versucht, doch gehörte meine Kusine gewiss nicht zu der Sorte Mädchen, die sich durch unumstößliche Fakten, wie sie z. B. das Wirken der Gravitation auf die Raumzeit oder die Entfernung zwischen Berlin und Moskau darstellen, von einem einmal gefassten Entschluss abbringen ließen. So taten wir es denn, „in Gottes Namen“, und hatten, wie mein Onkel ebenfalls bemerkte, „unsere wohlverdiente Ruhe“.)
Wir schritten an einer kleinen Senke in einem Waldstück hinter dem Haus vorüber, an deren gegenüberliegendem Ende der verwilderte Eingang einer Höhle zu sehen war, von der es hieß, dass Zwerge darin hausten. Gesehen habe ich sie nie, und auch kein anderer, soweit ich weiß, doch glaubte ich stets, die Blicke ihrer rotglühenden Augen in meinem Nacken zu spüren, was mich jedes Mal veranlasste, meine Schritte unmerklich zu beschleunigen. Allerdings nur insoweit, als das meiner Ehre als Kapitän der hiesigen Fußballmannschaft und meiner erwachenden Mannbarkeit keinen Abbruch tat.
Bald danach öffnete sich, inmitten uralter Bäume, eine im Licht des Tages dämmernde Lichtung, die das Ziel unseres Trauerzuges war. Dort, am Rande der Schneise, hatte der Onkel bereits am Vortag ein Grab ausgehoben, unter Zuhilfenahme von Spitzhacke und Spaten, denn der Boden war steinhart gefroren.
Wir versammelten uns um das Erdloch, der Onkel am Kopfende, die Tante rechts davon, ich mit dem teuren Verblichenen auf der linken Seite und Marie, blass wie der morgendliche Nebel, am Fußende. Plisch und Plum drückten sich etwas abseits und wienerten die Mundharmonikas, denn ihre Aufgabe sollte sein, die musikalische Untermalung zu liefern. (Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao!)
Eine Weile standen wir mit gesenkten Häuptern da. Meine Kusine schluchzte, und die Tante beugte sich ein ums andere Mal hinab, um ihr Trost zu spenden. Dann, nachdem er sich geräuspert hatte, trat mein Onkel nach vorn, nahm den Hut vom Kopf, hielt ihn wie den federbuschbekrönten Paradehelm eines Feldmarschalls vor die Brust, sah uns ernst der Reihe nach an, verbeugte sich vor dem Heimgegangenen und begann mit seiner Rede.
Einer Rede, so schön und doch so wahr, dass ich sie hier, als Trost für alle, die jemals einen guten Freund verloren haben, annähernd wortgetreu wiedergeben will:

„Windmühle“, sagte mein Onkel, „war ein außergewöhnliches Kaninchen; so außergewöhnlich, dass ich, der ich das Vergnügen hatte, in meinem Leben viele Kaninchen kennenzulernen, ihm ohne Zögern das Attribut ,menschlich‘ verleihen würde.
Was aber bedeutet das, menschlich zu sein, wenn man doch ein Kaninchen ist und damit insgesamt auch recht zufrieden? Nun, es bedeutet, nach meiner Auffassung, dass Windmühle unverwechselbar war, in seinem Charakter, in der Art, wie er den Stürmen des Lebens begegnete, kurzum: in seinem ganzen Denken, das stets von Liebe und Großherzigkeit bestimmt wurde.
Drei Jahre ist es her, dass er zu uns kam. Doch vielleicht sollte ich besser sagen: vom Himmel fiel; denn eines Morgens saß er im Garten, einfach so, ein schneeweißer Ball aus flauschigem Fell, der sich an unseren Kräutern labte und dabei so unbekümmert wirkte, als vermöchte ihn kein Wässerchen zu trüben. Niemand wusste, was ihn bewegt haben mochte, ausgerechnet uns durch seine Anwesenheit zu beehren, und niemand hat das je in Erfahrung gebracht, denn Kaninchen sind verschwiegen, und Windmühle, unser treuer Freund, war in diesen Dingen besonders eigen. Doch was auch immer seine Motive gewesen sein mögen, von Beginn an gab es keinen Zweifel daran, dass die Beziehung zwischen ihm und meiner Tochter Marie einer innigen Seelenverwandtschaft entsprach.
,Das ist Windmühle‘, sagte sie mit einer Überzeugung, als ob sie das verbindlich wüsste, streckte den kleinen Zeigefinger aus und strahlte übers ganze Gesichtchen. Windmühle, müsst ihr bedenken, ist ein gar nicht so einfaches Wort für eine Dreijährige; ein Wort, dessen Aussprache sie im Übrigen gerade zu der Zeit mit großem Eifer und der ihrem Charakter stets eigenen Entschlossenheit praktizierte. Alles, buchstäblich alles, konnte Windmühle sein: eine Gießkanne, ein Baum, ihre liebe Mutter, die Sonne, warum nicht auch ein schneeweißes Kaninchen? Dann hob sie ihn auf den Arm, ohne dass sich Windmühle, der bis dahin vielleicht Franz Biberkopf oder Johann Tunichtgut geheißen hatte, ernsthaft dagegen sträubte, und ging mit ihm davon.
Vielleicht werdet ihr einwenden, so ihr Schlaumeier seid, was bestimmt der Fall ist, dass Windmühle kein geeigneter Name für ein Tier sei, das man doch besser Purzel oder Putzi oder Murmel nennen sollte. Da liegt ihr allerdings komplett falsch. Denn Windmühle, unser Windmühle, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er den Namen nicht allein schätzte, sondern auch willens war, ihn mit Stolz zu tragen. Dergestalt nämlich, als wäre dieser Name von Beginn an für ihn bestimmt gewesen, und es bedurfte nur noch meiner kleinen Marie, ihn einmal laut auszusprechen, damit er von da an so hieß.“
Der Onkel verstummte, um uns Gelegenheit zu geben, über diese Fügung des Schicksals angemessen zu sinnieren, dann, den Hut wieder auf den Kopf setzend, denn es hatte zu regnen begonnen, ein Regen von der dünnen, eisigen Sorte, setzte er seine Ansprache fort:
„Windmühle war eine große Persönlichkeit. Und wie alle großen Persönlichkeiten hatte er seine verschrobenen, gleichwohl liebenswerten Eigenheiten. So schätzte er es beispielsweise sehr, mit seinem Freund Eckermann Fangen zu spielen, und auch Eckermann, ebenfalls eine große Persönlichkeit, maß der Bekanntschaft mit Windmühle einigen Wert bei. Insoweit man das von einem Kater, der nur noch ein halbes Ohr besitzt, mit Gewissheit behaupten kann. Oftmals sah man die Kumpanei wie Derwische über den Rasen toben, einander jagen und necken, Haken schlagen, in die Luft springen und dabei Purzelbäume von großer Kunstfertigkeit vollführen, kurzum so, als seien sie von den schlichten Freuden des Daseins dermaßen überwältigt, dass sie ihre gute Kinderstube völlig vergessen hatten. Bei solchen Gelegenheiten war es an Marie, die beiden Missetäter mit mütterlicher Strenge zu tadeln, doch verhallten ihre Worte im Eifer der Lustbarkeiten stets ungehört. Die Freude daran, am Leben zu sein, zu atmen, zu schnuppern, die Kraft in den Gliedern zu spüren, überwog doch bei weitem die Entschlossenheit, sich wie ordentliche Steuerzahler zu benehmen und, wenn ich dieses fremdartige Wort einmal verwenden darf, eine gewisse Distinguiertheit an den Tag zu legen.
Nun, liebe Gemeinde, wer unter uns ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein! Herr Eckermann jedenfalls, der die ganze Nacht bei seinem toten Freund gewacht hat, befindet sich nun dort hinten, am anderen Ende der Senke, wie ich soeben bemerke. Ich bin sicher, er hätte manches zu berichten, und vieles davon könnte dazu angetan sein, uns das Leben mit anderen Augen betrachten zu lassen, doch zieht er es vor, still dazusitzen, den Bart zu putzen und das Reden den Menschen zu überlassen, die stets glauben, dass sie mehr von diesen Dingen verstünden als ein alter halbohriger Streuner. Was für ein Hochmut!“
Noch einmal legte der Onkel eine Pause ein, und der Wind, kalt, aber auch irgendwie belebend, zupfte derweil an unseren Mantelschößen.
„Leben, verehrte Trauergemeinde, bedeutet stets auch, fehlzugehen! Niemand von uns ist dagegen gewappnet, niemand steht in dieser Hinsicht über seinem Nachbarn, oder meinethalben über dem König von Taka-Tuka-Land. Auch Windmühle hat gefehlt. Allerdings, wie ich betonen möchte, nur im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten. Ja, es ist eine Tatsache, dass manch guter Salatkopf aus den Beeten meiner Gattin seinem Heißhunger zum Opfer fiel. Des Weiteren Körbe voller Möhren, mindestens ein Fuder Salatgurken und zahllose, höchst kapriziös mit den Köpfchen nickende Petersilienbüschel. Unser Freund, das wollen wir ihm zugutehalten, dachte sich nichts dabei. Und niemals – Auf keinen Fall! – wäre er auf den Gedanken gekommen, etwas zu fressen, bei dem auch nur entfernt die Möglichkeit bestanden hätte, dass so etwas wie eine Seele in dessen Brust anzutreffen gewesen sei. Ich denke da an Giraffen, Rhinozerosse oder hinterindische Waldelefanten. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mir bei den Waldelefanten nicht sicher bin. Sie sind in unserem Teil der Welt nicht häufig anzutreffen, doch meine ich gelesen zu haben, in flüssiger Schokolade gewendet und mit Liebesperlen bestreut wären sie auf den Andamanen eine gesuchte Delikatesse.“
Da mussten wir allerdings vor Vergnügen prusten, und es war wie eine kleine Befreiung für unsere wundgescheuerten Seelen.
„Abschied von einem lieben Freund zu nehmen, ist keine leichte Sache. Insbesondere dann nicht, wenn man erst sechs Jahre zählt und noch nicht so viele Freunde verloren hat. Windmühle, unser treuer und tapferer Weggefährte, wird nun den Kurs hinter jene Hügel setzen, die unser irdisches Dasein naturgemäß begrenzen. Aus einem guten Grund begrenzen, sage ich, obwohl weder ich noch irgendein anderer Lebender, und sei er der Weiseste von allen, ihn zu benennen vermag! In diesem Sinne wird er heute Trixi Piratenbraut nachfolgen, jener tapferen kleinen Puppe, die nur noch einen Arm, ein Bein und fast keine Haare mehr hatte, ohne dass dadurch, wie ich betonen möchte, die Liebe und der Respekt, die wir ihr entgegenbrachten, auch nur um ein Jota geschmälert wurde.
Wisst ihr überhaupt, was das ist, ein Jota? Nein? Nun, es kann das Kleinste und gleichzeitig auch das Größte sein! Ein Jota Liebe z. B. wiegt mehr als ein ganzer Berg, ja mehr sogar als eine ganze Insel voller Markklößchen, die in einem Ozean aus Hühnersuppe inmitten eines Tellers aus dem Lande des Riesen Goliath schwimmt.
Die Liebe, die wir für einen Menschen empfinden, oder für ein höchst respektables Kaninchen, ist niemals verschwendet, auch wenn wir scheinbar nichts dafür bekommen. Am Ende verstehen wir umso besser, dass nur jene Dinge einen Wert besitzen, die keinen Preis haben.
Liebe hat gewiss keinen Preis. Und dennoch ist sie kostbarer als alle Schätze des Kalifen Harun al-Raschid und seines Freundes Ali Baba zusammen. So sind auch die Tränen, die wir um Windmühle vergießen, wertvoller als alle Geschmeide am Dekolletee der schönsten Prinzessin aus dem Märchenland. Und die Erinnerungen an die gemeinsam mit ihm verbrachten Zeiten, die schönen wie die traurigen, die heiteren wie die dunklen, wiegen allen Schmerz auf, den uns sein Hinscheiden in dieser Stunde noch bereiten mag.
Lieber Windmühle, wenn es je dein Traum war, wie ein Vogel in den Himmel zu steigen, dann ist jetzt der Moment gekommen, ihn zu verwirklichen. Du bist frei, Windmühle, frei von allen Ketten des Fleisches, von den Zwängen des irdischen Daseins, von alldem, was uns am Boden hält und verhindert, dass wir die Sterne mit unseren Schwingen berühren.
Flieg empor, flieg hoch zu deinen Kaninchenahnen, die dort droben auf dich warten, um gemeinsam mit dir, auf einer immergrünen Aue hockend, bis in alle Ewigkeit zu mümmeln. Wir können dich nicht begleiten, Windmühle, noch nicht, unsere Liebe aber, soviel steht fest, wird immer bei dir sein!
Wenn es daher so etwas wie eine Göttin aller Kaninchen geben sollte, und wenn sie diejenige ist, die darüber entscheidet, wer ins Himmelreich hineindarf und wer nicht, dann bitte ich demütig um das: Nimm diesen hier auf, große Häsin, denn er, unser Freund, hat sich das durch Berge aus Liebe, die er uns schenkte, ganz gewiss verdient.“

Sanft treibt eine Brise die Blätter des letzten Jahres über die Ebene. Herr Eckermann sitzt neben dem frisch aufgeschütteten Grabhügel und prüft mit gespitzter Nase den Wind. Es wird Schnee geben, denkt er vielleicht, sagt es aber nicht. Was würde das für einen Sinn machen, den Menschen zu beweisen, dass auch andere Geschöpfe Meinungen besitzen. Es würde sie nicht ändern, die Menschen. Vermutlich nicht.
Gute Nacht, alter Freund, maunzt Herr Eckermann, so darf man zumindest annehmen, wedelt mit dem Schwanz, dreht sich um und verschwindet wie ein Schatten im letzten Glosen der Sonne.

 

Hej @LaFong und herzlich willkommen!
Bitte schau doch noch mal nach der Formatierung. Dein Text enthält zu viele Absätze und bläht ihn - ohnehin ist er schon recht lang - unnötig auf. Es wäre schön, wenn du das korrigieren könntest. Ansonsten wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen und Gelesenwerden!

Freundlicher Gruß. Kanji

 

Hola @LaFong,

gleich zu Beginn war Schmunzeln angesagt:

… die Sonne stand tief und bleich wie ein verhärmtes Gesicht vor dem Fenster.
Volltreffer für meinen Geschmack – und derart eingestimmt, mag man den Text schon, ohne ihn gelesen zu haben.
Gut für Dich, denn der Vorlauf zum Begängnis (dieses Wort ist mir noch nie begegnet, Google half) ist mir zu langatmig, beispielsweise die exakte Beschreibung von Mariens Kleidung. Auch für deren kleine Verrücktheiten finde ich keine Erklärung:
… Marie, mit verheulten Augen und triefender Nase, immer wieder mal einen kleinen Hüpfer ausprobierend, …
Die heult Rotz und Wasser, trotzdem ist ihr nach Hüpferln zumute? Dann lese ich noch von ihrer Stellung bzw. Würde:
… aber dennoch sichtlich um die dem Begängnis und ihrer Stellung angemessene Würde bemüht.

… das Wirken der Gravitation auf die Raumzeit oder die Entfernung zwischen Berlin und Moskau …
Dessen hätte es mMn nicht bedurft, sehr beredt.

Am Ende des Trauerzuges folgte ich, Max, ein schwarzes Kreppband als Trauerflor um den Ärmel geknotet, den Schuhkarton mit dem teuren Verblichenen wie die Bundeslade vor mir hertragend.

Den Urnenträger (es wird doch nicht der Erbonkel sein?) könnte ich mir einleuchtender als Ersten der Prozession vorstellen. Das mit dem Schuhkarton ist … putzig, oder eine wertvolle Information? (Jaja, ich weiß jetzt, es ist der Korpus und nicht die Urne, also: gut gemacht.)

Ich lese Deinen Text gerne. Er lässt beinahe kein Detail aus, dennoch wird es durch die gelungenen Formulierungen nicht langweilig. Nur gelegentlich schießt Du über das Ziel hinaus:

… Eingang einer Höhle zu sehen war, von der es hieß, dass Zwerge darin hausten. Gesehen habe ich sie nie, … ... doch glaubte ich stets, die Blicke ihrer rotglühenden Augen in meinem Nacken zu spüren,
Er hat sie nie gesehen, wohl aber ihre rotglühenden Augen?

… im Licht des Tages dämmernde Lichtung, ...

Plisch und Plum drückten sich etwas abseits und wienerten die Mundharmonikas, denn ihre Aufgabe sollte sein, die musikalische Untermalung zu liefern. (Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao!)

So ein Scheiß-Witz! Konnte leider das Lachen nicht unterdrücken – und das mit dem verhärmten (wundervolles Wort!) Sonnengesicht zusammengerechnet ergibt jede Menge Pluspunkte.

… und begann mit seiner Rede.
Einer Rede, so schön und doch so wahr, ...
Erzähl, erzähl! Ich bleibe dran. Selten so viel Spaß an einem Text gehabt, der handlungsmäßig nicht von der Stelle kommt (ich weiß, bei solchen Anlässen wird sehr langsam geschritten), doch sich durch – ja, jetzt gehe ich in die Vollen: durch Schreibkunst – wegen meiner auch im Kreise drehen könnte.

… dabei so unbekümmert wirkte, als vermöchte ihn kein Wässerchen zu trüben.
Umgekehrt: … als vermochte (könnte) er kein Wässerchen trüben.

Des Onkels Rede allerdings hat mir dann weniger Spaß gemacht:

Vielleicht werdet ihr einwenden, so ihr Schlaumeier seid, was bestimmt der Fall ist, dass Windmühle kein geeigneter Name für ein Tier sei, das man doch besser Purzel oder Putzi oder Murmel nennen sollte. Da liegt ihr allerdings komplett falsch. Denn Windmühle, unser Windmühle, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er den Namen nicht allein schätzte, sondern auch willens war, ihn mit Stolz zu tragen. Dergestalt nämlich, als wäre dieser Name von Beginn an für ihn bestimmt gewesen, und es bedurfte nur noch meiner kleinen Marie, ihn einmal laut auszusprechen, damit er von da an so hieß.“
Hier ist mein Bedarf an ausschweifender Erzählung gedeckt – wir sind immerhin bei Kurzgeschichten. Es wird, wie in Klischee-Kaffeerunden, nur noch geklönt, der Inhalt ist abhanden gekommen.
Das ist letztlich doch zu ausgedehnt, schlimm ist, dass sich ein plötzlicher Widerwille einstellt – aber das kennen wir auch aus anderen Lebensbereichen.

… dann, den Hut wieder auf den Kopf setzend, denn es hatte zu regnen begonnen, ein Regen von der dünnen, eisigen Sorte, setzte er seine Ansprache fort:
Nicht merkwürdig, sondern erklärlich: Mir genügt das bisher Gelesene. Ich erwarte nicht Neues, keine Überraschung mehr – ich fürchte, dass ich so schön langsam eingesülzt werde, und darauf habe ich keine Lust. Trotzdem lese ich bis zum Ende, sonst wäre der Komm für die Katz.

Liebe LaFong, der Text ist zu lang, die Handlung ist winzig. Sicherlich ist die Idee lustig – bin ja auch hereingefallen. Jedoch ein Feeling für das richtige Ende kann ich nicht ausmachen; es scheint, dass der Autor alles reinpacken möchte, was der Zettelkasten / das Hirn / die momentane Eingebung offerieren:

Missetäter mit mütterlicher Strenge zu tadeln, doch verhallten ihre Worte im Eifer der Lustbarkeiten
Das Fette ist Kammerzofen-Deutsch und nicht lustig. Oder es ist lustig, doch funktioniert es nicht in Überdosis.

Ich scrolle bis zur letzten Zeile, lese zugegebenermaßen nur noch flüchtig und muss bei meiner Meinung bleiben:

Wisst ihr überhaupt, was das ist, ein Jota? Nein? Nun, es kann das Kleinste und gleichzeitig auch das Größte sein! Ein Jota Liebe z. B. wiegt mehr als ein ganzer Berg, ja mehr sogar als eine ganze Insel voller Markklößchen, die in einem Ozean aus Hühnersuppe inmitten eines Tellers aus dem Lande des Riesen Goliath schwimmt.
Dann kommt noch Ali Baba … und das Maß ist übervoll.
Da haste zu viel reingepackt!

Überleg doch mal, wie der Text zu straffen wäre. Das Herausgenommene hätte teilweise das Zeug für eine neue Geschichte – ein Mangel an Fantasie ist wohl nicht Dein Problem.

Bin erstaunt, und andrerseits auch nicht: Erst schwärme ich wie bei 72 Jungfrauen, und dann ist es mir zu viel :schiel:.

Schöne – hat jetzt Emil Steinberger Recht mit Oktern, oder heißt es doch Ostern?
Jedenfalls noch viel Spaß im Forum!
José

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber José,
besten Dank für Deinen umfangreichen und sehr detaillierten Kommentar. Ich bin hier noch nicht sattelfest genug, um zu wissen, ob ich jetzt auf jeden Punkt eingehen sollte, wahrscheinlich aber nicht. Daher beschränke ich mich auf einige wenige Anmerkungen:
Zunächst: Ich finde es problematisch, einen Text zu lesen und gleichzeitig zu korrigieren, denn ich glaube, dass dabei zwangsläufig der Gesamteindruck zerstört wird.
Ob der Text zu lang ist, lasse ich mal dahingestellt, dass er allerdings handlungsarm ist, stimmt. Kennst du Thomas Manns "Zauberberg"? Bitte nicht falsch verstehen, ich will meine armselige Schreibkunst keineswegs mit dem überragenden Können von Thomas Mann vergleichen. Ich will damit lediglich zum Ausdruck bringen, dass man mit Handlungsarmut, immerhin auf 1000 Seiten niedergelegt, durchaus Weltliteratur produzieren kann.
Wie die Augen fiktiver Zwerge beschaffen sind, wissen wir selbstverständlich nicht, stellen sie uns aber dennoch insgeheim vor. In meiner Imagination sind sie jedenfalls rotglühend, aber das ist eine Marginalie.
Dass die Rede des Onkel "sülzig" sei, trifft mich allerdings. Vielleicht ist es mir nicht gelungen, die vielen kleinen ironischen Einsprengsel deutlich herauszubringen? Im Übrigen ist die Idee, die dahintersteckt, einem Kind Trost zu spenden, das ein geliebtes Haustier verloren hat. Kann man natürlich sülzig finden, muss man aber nicht. Insbesondere wenn man selbst Kinder hat oder hatte.
Ob es wirklich darauf ankommt, in welcher Reihenfolge die Protagonisten zum Grab schreiten, darüber lässt sich streiten. (Es handelt sich ja, wie wir feststellen dürfen, nicht wirklich um ein offizielles Begräbnis.) Kurioserweise habe ich allerdings gestern auch darüber nachgedacht, ob die Reihenfolge stimmig ist.
Nochmal vielen Dank. Du siehst, ich habe mir deine Kritik zu Herzen genommen. Nicht alles, aber manches. Und das ist doch schon eine ganze Menge.
Liebe Grüße,
Peter

 

Hola @LaFong,

Deine Antwort auf meinen Komm ist interessant.

Ich bin hier noch nicht sattelfest genug, um zu wissen, ob ich jetzt auf jeden Punkt eingehen sollte, wahrscheinlich aber nicht. Daher beschränke ich mich auf einige wenige Anmerkungen
Das hält jeder, wie er will. Man kann jeden Punkt ‚abarbeiten‘, aber auch ‚Danke. Und Tschüss‘ sagen.
Es ist eh klar, dass der Kommentator nicht recht haben muss, ebenso wenig müssen seine Änderungs-/Verbesserungsvorschläge berücksichtigt werden. Bei Rechtschreibe- und Interpunktionsfehlern jedoch sollte Falsches berichtigt werden, damit nicht die folgenden Leser erneut darauf stoßen – aber das ist ja Dein Problem nicht.

Verwundert war ich über:

Ich finde es problematisch, einen Text zu lesen und gleichzeitig zu korrigieren, denn ich glaube, dass dabei zwangsläufig der Gesamteindruck zerstört wird.
Haste höflich gesagt. Trotzdem wird es mit den Jahren, in denen man sich mit Texten beschäftigt, weniger und weniger problematisch, weil das irgendwann zur Routine wird.
Auf mich bezogen: Bevor ich ins Detail gehe, lese ich den Text, um einen Gesamteindruck zu bekommen. Das geschieht zwar flott, zugegeben, doch für die erste Übersicht genügt es.

Jedenfalls stelle ich fest, dass Du (völlig zu Recht) den Text verteidigst. Da hat mein Vorschlag zur Kürzung/Straffung keine Chance.
Vielleicht kennst Du ‚kill your darlings?‘ Das ist das Härteste, was man einem Autor zumuten kann. Da fließt echtes Herzblut, ich bin auch nicht der große Killer.
(Diese radikale amerikanische Tour muss ja nicht eliminieren bedeuten, denn Du hast viele schöne Sachen im Text – es geht nur um die Überfrachtung. Die Lieblinge können in anderen Texten eine neue Heimat finden.)

LaFong: Ob der Text zu lang ist, lasse ich mal dahingestellt, …
Du willst Feedback, also bekommst Du‘s. Ja, er ist zu lang! Viel zu lang! Da sehe ich eine Verbindung zur ausbleibenden Resonanz. Die gesamte Onkel-Rede ist überflüssig, auch wenn Du den Zauberberg als Alibi nimmst. Weltliteratur? Für mich ein schrecklicher Langweiler.
,Der Butt‘ hat‘s nur auf über sechshundert Seiten gebracht, ist wegen des Nobelpreises auch Weltliteratur. Ist mir aber wurscht – wir sind bei Kurzgeschichten.

LaFong: Dass die Rede des Onkel "sülzig" sei, trifft mich allerdings.
Das tut mir leid, war nicht beabsichtigst. Die Rede für sich genommen ist sehr hübsch, besonders für Kinder; allerdings hat der Leser bis zu deren Anfang schon eine Menge detailverliebten Text hinter sich. Ich zumindest war an dieser Stelle gesättigt.

LaFong: Vielleicht ist es mir nicht gelungen, die vielen kleinen ironischen Einsprengsel deutlich herauszubringen.
Das würde ich nicht sagen, doch es sind zu viele, von „das Wirken der Gravitation auf die Raumzeit*) oder die Entfernung zwischen Berlin und Moskau“, „König von Taka-Tuka-Land“ bis „Jota“ und „Ali Baba“.

LaFong: Im Übrigen ist die Idee, die dahintersteckt, einem Kind Trost zu spenden, das ein geliebtes Haustier verloren hat. Kann man natürlich sülzig finden, muss man aber nicht. Insbesondere wenn man selbst Kinder hat oder hatte.
Huh, mit der Rückhand durch die Brust ins Auge. Das sitzt! Es geht aber nicht um Sensibilitäten, sondern um Textarbeit. Man kann die schönen Texte in einer Kladde sammeln, oder man geht an die Öffentlichkeit und stellt sie zur Diskussion. Texte, die aus irgendwelchen Gründen bei der Leserschaft nicht ankommen, werden nicht kommentiert. Das kränkt sehr, zumindest mehr, als wenn ein Kommentator seine ehrliche (und sehr private) Meinung sagt. Die ist eh völlig unmaßgeblich.

Ich hoffe, das hast Du nicht übersehen:

gleich zu Beginn war Schmunzeln angesagt
Volltreffer für meinen Geschmack
also: gut gemacht.)
Ich lese Deinen Text gerne. Er lässt beinahe kein Detail aus, dennoch wird es durch die gelungenen Formulierungen nicht langweilig.

(Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao!)
So ein Scheiß-Witz! Konnte leider das Lachen nicht unterdrücken – und das mit dem verhärmten (wundervolles Wort!) Sonnengesicht zusammengerechnet ergibt jede Menge Pluspunkte.
Erzähl, erzähl! Ich bleibe dran.
Selten so viel Spaß an einem Text gehabt
jetzt gehe ich in die Vollen: durch Schreibkunst
Willste noch mehr Lob?
Gerne beim nächsten Text (wenn er nicht allzu sehr ausufert:D).

José
PS: „das Wirken der Gravitation auf die Raumzeit*)
Für Kinder?

 

Danke dir, Josè.

Fangen wir mit deinem letzten Hinweis zuerst an: In der Tat stelle ich fest, dass ich es nicht genau auf den Punkt gebracht habe. Nicht im Text, sondern in meiner Antwort an dich. Ich formuliere es neu: Im Übrigen ist die Idee, die dahintersteckt, die, einen Text zu schreiben, in dem es darum geht, einem Kind Trost zu spenden, das ein geliebtes Haustier verloren hat. Der Text an sich richtet sich jedoch vornehmlich an Erwachsene. Und für die ist auch der Gag mit der Wirkung der Gravitation auf die Raumzeit gedacht. Wie auch die meisten anderen, die für Kinder tatsächlich unverständlich sind.

Dass ich wenig Resonanz erhalte, bin ich durchaus gewohnt, und es ist nett, dass du das erwähnst. :lol: Ich hoffe allerdings, dass es nicht nur an meiner schlechten Schreibe oder der Länge meiner Texte liegt, sondern auch an meiner amateurhaften "Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit". Die Onkel-Rede ist insofern nicht überflüssig, als sie tatsächlich das primäre Ziel ist, auf das sich die Erzählung (wie der Trauerzug) konsequent zubewegt. Wenn ich die Onkel-Rede weglasse, habe ich nach meiner Auffassung keine Geschichte mehr, sondern nur noch einen Text, der nach der Hälfte der Zeit in der Luft hängenbleibt.

Wer den "Zauberberg" nicht schätzt, den möge, mit Verlaub gesagt, der Blitz treffen. Bis dahin wünsche ich dir allerdings noch viele gute Jahre sowie Kinder, Enkel und Urenkel. Der "Butt" ist tatsächlich Scheiße, denn Günter Grass war ein aufgeblasener Stümper.

Im Übrigen brauchst du dir keine Sorgen wegen meiner Befindlichkeiten zu machen. Ich bin ein ziemlich robuster Typ, der auch gerne austeilt. Wirst du vielleicht noch an anderer Stelle bemerken. Ich lege allerdings großen Wert auf den Respekt, den man anderen zunächst einmal schuldig ist - auch wenn man sie nur vom Bildschirm her kennt. Und in der Hinsicht bist du ohne Fehl und Tadel.

Liebe Grüße,
Peter

PS: Du merkst vermutlich, so leicht lasse ich mich nicht überzeugen. Allerdings darf ich dir verraten, oft zeigen kluge Anmerkungen wie die deinen bei mir mit einer gewissen Verzögerung Wirkung. Nochmal vielen Dank, dass du dich meiner angenommen hast.

P.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom