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Wintermorgen und ein Baum
An einem dieser unbarmherzigen Wintermorgen, die nur mit einer Minimalration an Licht ausgestattet sind, huschte ich sicheren Zieles durch die Straßen dieser Stadt. Schneematsch säumte die Straßenränder und Gehsteige. Von der Straßenmitte wischten die Autos mit eingeschalteten Scheinwerfern den braunen Matsch, das einzige, was vom weißen Glück übriggeblieben war, an den Straßenrand. Meine Augen wollten gar nicht recht offen bleiben, selbst wenn ich sie ganz geöffnet hatte, so dachte ich mir, würde ich auch nichts Erfreuliches erblicken. Also hielt ich meine Augen halb geschlossen und tatsächlich tat es seine Wirkung. Da kam mir gleichzeitig mit dem plötzlich einsetzenden Tröpfelregen eine Idee.
Wenn es funktioniert, dass ich, wenn ich die Augen nicht ganz öffne, nicht alles der miesen Nasskälte der Saison mitkriege, so würde ich, wenn ich meine Augen gänzlich schlösse, gar nichts der Umwelt erkennen. Es erschien mir als eine revolutionäre Idee, eine ganz unglaubliche Entdeckung.
Unvermittelt begab ich mich sofort in das Kaufhaus zu meiner Linken, suchte nicht lange und ließ mich einfach auf die kleine Bank in der Schuhabteilung nieder. Nun ließ ich meine Augen zufallen, es sollte losgehen. Anfangs funktionierte es jedoch nicht so recht. Ich versuchte an etwas Warmes zu denken und mir viel nichts Besseres als eine Kochplatte aus der soeben passierten Haushaltswarenabteilung ein. Nach einigen Minuten der verzweifelten Suche verfiel ich einer Fantasie.
Es war eine blaue Nacht, kein schwarzer Himmel.
Meine eher empfindlichen Füße gingen zaghaft über den Sandboden, welcher von ein kleinen Steinchen und winzige Ästen übersäht war. Das pieken war nicht besonders unangenehm und gleichzeitig gab der Sand noch ein wenig der Wärme, die er über den Tag geschenkt bekommen hatte, an mich ab. Die Spuren meiner Füße zeichneten sich bei jedem Schritt seicht in der dünnen Sanddecke ab, während ich einen halb umgekippten Baum entdecke. Der Baum ragte schräg auf den Fluss hinaus und einige seiner Äste stachen hemmungslos ins Wasser. Ich balancierte auf dem Baum entlang, und ließ mich auf seine faltige Rinde nieder. Meine Fußspitzen berührten die Wasseroberfläche und meine Zehen zogen immer wieder kleine Rillen in Form einer Acht durch das Wasser, welches am Tage von der Sonne geheizt wurde und nun immer noch wohlig warm war. Ich starrte auf die Wasseroberfläche und der Mond spiegelte sich ganz hübsch, denn heute war er wirklich groß. Es war so wohlig und ich fiel einfach kopfüber ins Wasser.
Eine Hand griff plötzlich an meinen Arm. Eine Art Seeungeheuer schien vor mir zu stehen. Ein fleischiger Mann im schwarzen Anzug, mit Glatze und offensichtlich sehr kräftigen Fingern griff mir in den Oberarm und sagte, dass das hier kein Obdachlosenheim sei. Ich antwortete, dass ich nur kurz eingenickt sei, machte mich los, rannte aus dem Kaufhaus durch all die Abteilungen und ging meines Weges, ein Bisschen schwimmen vielleicht.