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Wir vergessen uns

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29.08.2003
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Wir vergessen uns

Wir vergessen uns.

Ein langer Gang. Unzählbar viele Türen. Sie drängen um mich herum, ich kann vor lauter Menschen kein Gesicht mehr sehen. Aber sie halten mich aufrecht. Gemeinsam drücken wir uns zwischen die Wände durch, und ich spüre ein Pochen, ein rhythmisches Zusammenziehen und Auseinanderdrücken. Es kommt nicht von den Seiten, es hat seinen Ursprung hinter meinen Augen, und ich muss denken. „Du bist die Wolkentochter“, hat er gesagt. Es pocht weiter. Ich weiß nicht, wie ich hergekommen bin, ich kann mich aber an das Pochen erinnern, ich kenne es, ich muss schon einmal da, in diesem Gang gewesen sein und ich muss von dort hergekommen sein, wo das Klopfen ist. Ihre Hände ziehen mich weiter und es gibt kein Zurück.

Ein Netz aus schmelzenden Schneeflocken hält uns zusammen.

Eine Vorkammer. Nur eine Tür. Hier scheint das Ende zu sein, ich bin nun hinter meinen Augen aber ich bin noch nicht da. Ich fühle das Klopfen direkt auf meiner Haut. Eine Ahnung steigt in mir hoch, und Erinnerungen. Ja, ihre langen Finger haben mich weiter und weiter weggezogen und irgendwann ließ ich los und dann waren sie weg und ich lief zurück zum Pochen. „Pass auf, sonst frisst dich die Sonne wie Watte und spuckt dich aus“, hat er gesagt. Es ist ganz dunkel hier und laut, man könnte verrückt werden. Auch wir haben uns von der Stelle bewegt, auch wir haben uns verrückt.

Ich will reißfestes Papier.

Es klopft an der Tür. Ich mache auf und kein Mensch steht da. Nun bin ich hier, von wo ich gekommen bin. Aber es war anders, damals. Der Raum ist groß, und es tropft von der rötlich schimmernden Decke. Es ist fürchterlich kalt, und es sieht aus, als wäre schon lange keiner mehr an diesem Ort gewesen. Das Pochen verlangsamt sich bis es schließlich ganz aufhört. „Hier möchte ich von über mir heruntertropfen. Hier will ich sterben“, denke ich. „Pass auf, dass du nicht zu regnen anfängst“, hat er gesagt. Ich mag Glanz auf Wangen und tropfe mir Tränen in die Augen. Es gibt kein Zurück. Nicht, wenn man alleine zurückkehrt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi kardia,

ich melde mich mal, wenn ich auch nicht viel zum Text schreiben kann. Ich las ihn zwar schon mehrmals, aber bisher hatte ich hatte anfangs nur so Ideen wie Gefängnis oder geschlossene Anstalt, später dann dachte ich an Uterus und Geburt, aber mir ist das zu kryptisch, ich komm' nicht dahinter und stehe deswegen etwas ratlos davor.

Hier in Seltsam sicher richtig plaziert. Mal sehen, was andere dazu sagen.


Lieber Gruß
bernadette

 

sehr intensiv ... beeindruckend .. schrecklich .. schön

 

TWP schrieb:
sehr intensiv ... beeindruckend .. schrecklich .. schön

@ TWP
Schade, dass du dich mit vier Adjektiven begnügst. Da kann ich als Mitkritiker überhaupt nichts herauslesen und für den Autor hält sich der Informationswert sicher auch in Grenzen.
Ist es die Sprache, die dich so beeindruckt hat oder der Inhalt?
Wird dir klar, was gemeint ist oder bezieht sich dein Statement auf die Stimmung im Text?

 

Hallo kardia,

im Moment scheine ich immer auf Texte zu stoßen, bei denen der Autor Grenzen auslotet. Ist das literarische Deutschland im Umbruch? Ist etwas im Trinkwasser?
Zu deinem Text:
„ich kann vor lauter Menschen kein Gesicht mehr sehen“ – halte ich für unglaubwürdig, dieses „kein“.

„Aber sie halten mich aufrecht“ – Warum „aber“? Dieses Wort impliziert einen Gegensatz, der wird nicht beschrieben.

„Gemeinsam drücken wir uns zwischen die Wände durch“ - den Wänden?

„bin nun hinter meinen Augen aber ich bin noch nicht da“ - wo „da“? Hinter den Augen - wie auch immer - ist sie doch schon.

„Pass auf, sonst frisst dich die Sonne wie Watte und spuckt dich aus“ - das halte ich für einen ungünstigen Vergleich, weil die Sonne normalerweise keine Watte frisst und fressen kein Ausspucken ist.

„Pass auf, dass du nicht zu regnen anfängst“, hat er gesagt.“ - Ein schöner Satz, vor allem da er an eine „Wolkentochter“ gerichtet ist.

LG,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo Kardia,

leider bleibt auch mir dein Text unverständlich. Bilder, Assoziationen ja, aber igendwie kein Sinn. Oder sehe ich ihn nicht?

Zitat von Woltochinon
„Pass auf, dass du nicht zu regnen anfängst“, hat er gesagt.“ - Ein schöner Satz, vor allem da er an eine „Wolkentochter“ gerichtet ist.
Das macht Sinn. Also, wenn ich sonst noch was übersehe, bitte ich um Aufklärung.

Gruß, Elisha

 
Zuletzt bearbeitet:

Da hast du natürlich Recht, bernadette.

Mir gefällt sowohl die Sprache als auch der Inhalt. Mein Statement bezog sich jedoch schlicht auf die Stimmung, die der Text in mir hinterlassen hatte; doch ich denke, daß ich auch erahne, was gemeint ist. Der Rückzug zum Anfang, zum persönlichen Ursprung, in die völlige Individualität. Faszinierend finde ich dabei die zweite Stimme, die spricht.

 

hallo an alle!

ich erkenne leichte verwirrung... deshalb vorweg: der text steht in "seltsam". nicht umsonst.
ferner hilft es euch vielleicht, wenn ihr mit dem text auf lyrischer ebene umgeht. ich hab mir natürlich was gedacht bei dem text, aber er sollte trotzdem bedeutungsoffen sein. deshalb werd ich auch nicht sagen, was meine gedanken bei dem text waren/sind. es ist so eine sache mit autorintentionen... wenn es aber jemand unbedingt wissen will, kann er mir ja eine nachricht schicken.

ad Woltochinon:

Zitat: „ich kann vor lauter Menschen kein Gesicht mehr sehen“ – halte ich für unglaubwürdig, dieses „kein“.
es geht ja um ein großes gedränge, für mich ist es nicht so unplausibel, in diesem kein gesicht mehr erkennen zu können.

Zitat: „Aber sie halten mich aufrecht“ – Warum „aber“? Dieses Wort impliziert einen Gegensatz, der wird nicht beschrieben.
intendiert war, in dem textabschnitt vor diesem satz eine unwohlsame stimmung darzustellen: das Drängen. dann würde der gegensatz stimmen. ist mir wohl nicht gelungen.

Zitat: „Gemeinsam drücken wir uns zwischen die Wände durch“ - den Wänden?
ich weiß, dass "zwischen" mit akkusativ steht. ich hielt es aber für ein besseres bild durch den dativ.

Zitat: „bin nun hinter meinen Augen aber ich bin noch nicht da“ - wo „da“? Hinter den Augen - wie auch immer - ist sie doch schon.
erstens: woher weißt du, dass der Prot. eine "sie" ist?
zweitens: dir würde ein lyrischer umgang mit dem text nicht schaden. aber abgesehen davon darf man in der literatur doch verdrehte bilder erzeugen. ich finde, es ist ein schönes bild. und hat meiner meinung nach einen sinn. nicht nur einen. bedeutungsoffenheit.

Zitat: „Pass auf, sonst frisst dich die Sonne wie Watte und spuckt dich aus“ - das halte ich für einen ungünstigen Vergleich, weil die Sonne normalerweise keine Watte frisst und fressen kein Ausspucken ist.
schon mal was von metaphern gehört? die definieren sich dadurch, dass zwei ideen, die in der realität nix miteinander zu tun haben, kombiniert werden, z.B. die sonne lacht. die sonne lacht normalerweise auch nicht. also kann die sonne in meinem text watte fressen. und dann ausspucken.
ich weiß nicht, ob dir meine erläuterungen helfen konnten, aber danke für die kritik.

an die anderen: sorry, dass ich euch mit dem text etwas ratlos gemacht habe. aber das war nicht ungewollt.

danke,
kardia

 

Hallo kardia,

deine Geschichte steht nicht in "Seltsam".

"woher weißt du, dass der Prot. eine "sie" ist?"

Weil sie als "Wolkentochter" angesprochen wird. Das steht in deinem Text. („Du bist die Wolkentochter“, hat er gesagt.)

"zweitens: dir würde ein lyrischer umgang mit dem text nicht schaden. aber abgesehen davon darf man in der literatur doch verdrehte bilder erzeugen. ich finde, es ist ein schönes bild. und hat meiner meinung nach einen sinn. nicht nur einen. bedeutungsoffenheit."

Du versteckst dich meiner Meinung nach zu sehr hinter der Bedeutungsoffenheit, auch ein "verdrehtes" Bild muss passen.

"schon mal was von metaphern gehört?"

Aber ja, (s. Metaphernthread, KK) deshalb weiß ich auch, dass das, was du geschrieben hast, keine Metapher ist, sondern ein Vergleich. Was du meinst, "zwei ideen, die in der realität nix miteinander zu tun haben, kombiniert werden" ist streng genommen ein Oxymoron.

"ich weiß nicht, ob dir meine erläuterungen helfen konnten" - das geht mir genauso, aber danke für deine Rückmeldung.

L G,

tschüß... Woltochinon

 

hi!

da bin ich ja zweimal ganz schön eingefahren... peinlich. ich hab 39° Fieber, vielleicht rettet mich das noch ein bisschen?? ich dachte echt, die geschichte stehe in Seltsam, denn da gehört sie hin, und die Wolkentochter habe ich gestern im fieber noch eingefügt... schande über mich.

aber zu einem oxymoron gehören nicht nur zwei ideen, die eigentlich ncihts miteinander zu tun haben, sondern sie bilden eine logische Aussage, die sich selbst widerspricht, einen inneren Widerspruch (bittersüß, schwarzer schnee). den hat die wattefressende sonne nicht.

kardia, mit einem roten kopf

 

Hallo kardia,

"den hat die wattefressende sonne nicht" - behaupte ich auch nicht, sondern "ein Vergleich".

Gute Besserung und weiterhin viel Spaß beim Schreiben!

L G

tschüß... Woltochinon

 

ich hab mir natürlich was gedacht bei dem text,
na hoffentlich ;)

aber er sollte trotzdem bedeutungsoffen sein. deshalb werd ich auch nicht sagen, was meine gedanken bei dem text waren/sind. es ist so eine sache mit autorintentionen...
Schade. Ich hätte es gut gefunden, auch den Anderen gegenüber, wenn du da etwas mehr dazu geschrieben hättest.

wenn es aber jemand unbedingt wissen will, kann er mir ja eine nachricht schicken.
Nee, ich habe meine Verwirrung öffentlich gezeigt und würde das dann auch gerne in dieser Form weiterführen. Vielleicht möchtest du zum Nachdenken anregen, für mich ist das ein geziertes Verhalten.

Gute Besserung wünsche ich dir
bernadette

 

Nee, ich habe meine Verwirrung öffentlich gezeigt und würde das dann auch gerne in dieser Form weiterführen.
Hierbei kann ich mich Bernadette nur voll anschließen. Wenn es dir so unwichtig ist, verstanden zu werden, soll das für mich auch kein Problem sein.

 

Hi!

es geht nicht darum, dass es mir unwichtig ist, verstanden zu werden. mir ist es nur schon mehrmals passiert, dass ich zu schnell meine hintergedanken und interpretationen preisgegeben hab und daraufhin rückmeldungen kamen, dass es schade sei, da die herumrätselei nun ein ende habe und die leser nicht mehr nachdenken müssen.

meine idee, die dahinter steht, ist also folgende:
die figur geht den weg zum herzen zurück, der lange gang ist in meinem kopf irgendeine ader oder so, die menschenmasse das blut, dann kommt die vorkammer, und dann gelangt sie ins herz. dort ist keiner mehr. der zweite sprecher, der vorkommt, ist ein geliebter mensch, und irgendwann war eine zeit, da sie beide im herzen waren, sie liebten also. aber sie haben sich verloren, die beiden, sie kann sich kaum mehr erinnern, was das ist, zu lieben, und dann dämmert ihr was, und sie versucht den weg zurückzugehen und steht dann alleine da...

ich wollte das ganze so subtil machen wie möglich aus dem grund, um auch interpretationen wie zum beispiel irrenhaus oder so offen zu lassen. es war ein experiment, ein versuch. aber ich habe bewusst versucht, einen text zu schreiben, der meine idee, die hinter dem text steht, überhaupt nicht sichtbar macht. vielleicht um den ganzen herzenskitsch zu vermeiden *grins*

Lg,
kardia

 

Da der Text ganz offensichtlich in die Rubrik Seltsam gehört - auch nach den Worten der Autorin - kommt er da jetzt auch hin.

Verschoben aus Sonstige.

 

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