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Wissen was wird
Wissen was wird
Für Jemanden
Das Bier in meiner Hand schmeckt schal. Ich unterdrücke den Impuls es auszuschütten. Direkt vor meinen Füßen stolpert ein kleines Mädchen und landet hart auf dem Asphalt. Sie bleibt einen kurzen Moment still liegen, rappelt sich mühsam auf und sieht das Blut, das aus ihrem aufgeschrammten Knie zu fließen beginnt. Ihr ohrenbetäubendes Geschrei lässt mich zusammen zucken.
Ich beuge mich zu ihr und helfe ihr auf die Beine. „Mama“, kreischt sie und rennt davon. Schweiß rinnt über meinen Rücken. Ein viel zu heißer Tag für den Fußballplatz.
Ich wende mich wieder dem Turnier zu, feuere die örtliche Mannschaft an. Der Stürmer rennt alleine auf das Tor zu und schießt. „Tor“, schreien alle und ich schreie mit, als würde es mich interessieren. Kurz darauf wird das Spiel abgepfiffen.
Mario, einer der Spieler, kommt auf mich zu.
„Kommst du mit, ein Bier trinken?“
Ich nicke und laufe mit ihm zur anderen Seite des Spielfeldrandes, wo sich ein Getränkestand befindet.
Während Mario sich in die lange Menschenschlange einreiht, wandern meine Augen unruhig durch die Menschenmenge. Er ist immer noch nicht da.
„Hier, dein Bier“, sagt Mario und drückt mir das kühle Getränk in die Hand. „Komm setzen wir uns.“
Schwerfällig lasse ich mich auf eine Bierzeltbank fallen und presse das kalte Bier an meine Stirn. „Was für eine Hitze“, sage ich.
Mario lacht: „Das sagst ausgerechnet du, die gemütlich auf den Zuschauerbänken herumsitzt? Du hast Nerven.“
„Ihr spielt gut. Sag mal, ist Chris immer noch verletzt?“ Ich mache ein desinteressiertes Gesicht, als hätte ich die Frage nur so gestellt.
„Er hat einen Muskelfaserriss, das wächst sich nicht so schnell aus. Wir hoffen, dass er zum Saisonstart wieder fit ist.“ Ein anderer Spieler gesellt sich zu uns und verwickelt Mario in ein Gespräch über den Schiedsrichter. Erleichtert atme ich auf. Er kann sich nicht mehr über mein Interesse an Chris wundern.
Als ich zum nächsten Mal die Menschenmenge nach seinem Gesicht durchsuche, fühle ich mich blöd. Ich benehme mich wie ein Teenager. Was für eine dämliche Idee den ganzen Tag bei diesem Turnier herumzulungern, wo es an einem Baggersee ungleich schöner gewesen wäre. Er ist nicht gekommen. Chris war nicht da. Und selbst wenn, was hätte es geändert?
Bittere Enttäuschung steigt in mir hoch. Eine Enttäuschung, die durch unsere kurzen Begegnungen nicht gerechtfertigt ist.
Ich stehe auf. „Gehst du schon?“, fragt Mario.
Gerade möchte ich nicken, doch da sehe ich ihn. Er läuft von den Parkplätzen auf das Sportgelände zu. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. „Nein“, antworte ich. „Ich gehe nur in den Schatten.“
Ich stelle mich unter einen Baum und er kommt direkt auf mich zu. Den ganzen Tag lang, habe ich auf ihn gewartet und nun, da er kommt, möchte ich am liebsten am anderen Ende der Welt sein. Ich weiß nicht, wohin mit meinen Armen, meinen Beinen und meinem Grinsen, das von einer Backe zur anderen reicht.
„Hi“, grüßt er mich, hebt beiläufig die Hand und lächelt.
„Hallo“, antworte ich und wundere mich selbst, wie normal meine Stimme klingt.
Er läuft vorbei und ich stehe da und der ganze Tag fällt in sich zusammen. Ich stütze mich am Baum ab und fühle mich seltsam leer. „Idiotin“, denke ich. Wie konnte ich mir nur einbilden, er würde etwas für mich empfinden? Wie alt bin ich, dass ich in ein paar flüchtige Blicke und ein Augenzwinkern so viel hinein interpretiere? Wie blöd bin ich, dass dieser Mann so eine Faszination auf mich ausübt, wo ich ihn doch kaum kenne?
Ich sehe ihm nach und plötzlich dreht er sich um und lächelt dieses strahlende Lächeln, das eine seltsame Wärme in mein Herz zaubert. Sein Lächeln war es, das mir als erstes an ihm aufgefallen ist.
„Tor“, schreien einige Zuschauer und ich schreie mit.
Später, als das Turnier zu Ende ist, sitze ich mit einigen Leuten auf den Bierzeltbänken. Der Geruch nach gegrillten Würstchen hängt in der Luft. Er sitzt ein paar Tische weiter und obwohl nur wenige Meter zwischen uns liegen, könnte er genauso gut woanders sein. Ich scherze laut mit Mario und den anderen am Tisch, niemand könnte erraten, wie unruhig ich bin. Meine Blicke flattern immer wieder in Chris´ Richtung und gelegentlich sieht er mich auch an. Nur so kurz, dass ich an Einbildung glaube. Ich bin aufgekratzt, trinke zu viel Bier und rauche zu viele Zigaretten.
Später, als sie am Spielfeldrand Fackeln flackern und ich mir wieder einen Blick in seine Richtung gönne fange ich einen langen Blick von Chris auf. Mir wird heiß und ich sehe weg.
Ich könnte zu ihm gehen. Was habe ich zu verlieren? Ich könnte ihn in ein Gespräch verwickeln. Bestimmt würde er sich wundern und nicht wissen, warum ich zu ihm komme und am Ende wäre ich noch enttäuschter als jetzt schon.
In seinem Blick, in seinem Lächeln, meine ich eine Andeutung dessen gesehen zu haben, was sein könnte. Und wenn ich mich irre?
Zukunft. Liebe.
Ich lächle über meine alkoholbenebelten Gedanken, doch die kurze Heiterkeit währt nicht lange. Mit einem Mal fühle ich mich seltsam traurig, als hätte ich etwas verloren. Ich werde nie erfahren was sein könnte.
„Ein Schluck noch, dann gehe ich zu ihm“, denke ich mir. Ich habe nichts zu verlieren. Ich greife nach meinem Bierglas.
„Darf ich mich zu dir setzen?“, fragt er mich und lächelt.
Glück.