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Wo die Liebe hinfällt
Na klasse ! Schon wieder ein Kilo zugenommen.
Frustriert stieg ich von der Waage. Ein prüfender Blick in den Gardarobenspiegel bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen. In meinen sündhaft teuren Dessous kam ich mir geradezu lächerlich vor. Angewidert betrachtete ich die kleinen Speckröllchen, die sich am Bauch wölbten und Brüste, die förmlich die Körbchen sprengten.
Wie eine Leberwurst in der Pelle, dachte ich verächtlich.
Nein, so konnte es nicht weitergehen, ich musste etwas tun.
Da fiel mir ein...hatte nicht erst kürzlich in der Nachbarschaft ein Fitness-Center neu eröffnet? Schnell schnappte ich mir ein Sweatshirt und neue Jeans aus dem Kleiderschrank. Auf dem Boden liegend - durch kräftiges ziehen und zerren gelang es mir endlich, die Hose über die Hüfte zu zwängen. Das erste Hindernis überwunden, bekam ich dann den Reissverschluss nicht zu...zog daran und zog...da machte es raaaaaaaaaaaaaatsch...das war`s, ich hatte ihn gesprengt.
Zähneknirschend fiel mir die Verkäuferin aus der Boutique ein, die meinen Optimismus belächelte, als ich die Jeans in Größe 40 verlangte. Ihren gutgemeinten Ratschlag (nachdem sie meine Rundungen, nebst Hinterteil kritisch in Augenschein genommen hatte) doch besser eine Nummer größer zu wählen, lehnte ich dankend ab.
Den Triumpf meiner Niederlage gönnte ich ihr nicht und verzichtete statt dessen auf eine Anprobe. Missmutig stellte ich fest, dass auch einige, meiner anderen Lieblingshosen extrem eng geworden waren. Seufzend entschied ich mich für ein Kostüm, dessen Rock durch einen seitlichen Gummizug wesentlich bequemer saß.
So machte ich mich kurz darauf beschwingt auf den Weg.
Während man mich durch die Räumlichkeiten mit angrenzendem Sauna-Wellnessbereich führte, entging mir nicht der Anblick durchtrainierter Bodys, die sich an Laufband, Hantelbank, Crosstrainer oder sonstigen, schweißtreibenden Geräten austobten. An einem Rudergerät machte sich ein kerniger Typ zu schaffen, dessen Sixpack-Figur meinen Herzschlag rasant beschleunigte. Ich war ihm auch aufgefallen, denn er unterbrach seine Aktivitäten und hob die Hand zum Gruß. Die Vorstellung, mich nur leicht bekleidet, unter all den gut gebauten, makellosen Körpern zeigen zu müssen, trieb mir kleine Schweißperlen auf die Stirn. Ich kam mir völlig fehl am Platze vor, murmelte etwas von einem dringenden Termin, den ich vergessen hätte und verließ fast fluchtartig das Studio.
Ein wenig ziellos lief ich dann durch die Stadt, schlenderte durch die Fußgängerzone und betrachtete mir die Schaufenster der Kaufhäuser. Der Modetrend in diesem Frühjahr war Figurbetonend; die taillierten Blüschen konnte ich getrost vergessen. Fette Kuh...schalt ich mich innerlich. Wie sollte ich es nur schaffen, mindestens 6-8 Kilo abzunehmen? In einer Apotheke besorgte ich ein homöopathisches Mittel zur Unterstützung einer Gewichtsreduktion, sowie zusätzliche Sättigungskapseln.
An jeder Ecke stiegen mir lockende, verheißungsvolle Gerüche in die Nase. Einer Pizzeria und der Pommesbude direkt daneben, mit lecker duftenden Würstchen konnte ich noch widerstehen. In der Auslage einer Bäckerei lockten mich frische Waffeln, mit Puder überzogen an. Mein Magen knurrte; mir lief das Wasser im Munde zusammen.
Ich warf sämtliche, guten Vorsätze über Bord und steuerte zielstrebig ein kleines Cafè an. Als ich genüsslich meinen Kaffee schlürfte, mir dazu ein Stück Sahnetorte gönnte, bemerkte ich am Nebentisch einen sehr attraktiven Mann, der an einem Espresso nippte. Es war der umwerfende Typ aus dem Fitness-Studio, dessen Traumbody ich in Shorts und mit einem lässig um den Hals geschlungenen Handtuch bewundern durfte.
Als unsere Blicke sich trafen, lächelte er mich freundlich an und meinte: „Lassen Sie es sich gut schmecken“, und zwinkerte mir dabei gönnerhaft zu. Mit dieser Bemerkung hatte er mich auf dem falschen Fuß erwischt.
„Ist die Figur erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“, antwortete ich zynisch. Ausgerechnet in diesem Moment brachte die Bedienung mein zweites Stück Torte und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.
„Ab morgen mache ich Diät“ , stotterte ich verlegen. Möglichst unauffällig wollte ich die Medikamente von dem kleinen Bistrotisch verschwinden lassen, deren Beipackzettel ich gerade studierte. Er hatte sie aber schon entdeckt und deutete stirnrunzelnd darauf: „Gewichtsreduzierung? Das haben Sie doch gar nicht nötig!“
Machte er sich etwa lustig? Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er mich beobachtete. Das Klingeln seines Handys erlöste mich von seiner Aufmerksamkeit. Dankbar nutzte ich die günstige Gelegenheit und machte mich -den Bauch einziehend- schnell davon.
Im Supermarkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite erledigte ich ein paar Einkäufe, als ich den Herrn plötzlich wieder, in der Schlange hinter mir, an der Kasse entdeckte. Er winkte mir über die Köpfe hinweg zu...verfolgte er mich etwa? Um Entschuldigung bittend, drängte er sich an den Wartenden vorbei und blieb vor meinem Einkaufswagen stehen. Als er die Leckereien darin entdeckte, konnte er sich einen belustigten Gesichtsausdruck nicht verkneifen.
„Soso, ab morgen Diät“, grinste er mich an. Schuldbewusst überzog eine zarte Röte mein Gesicht.
„Die Einkäufe sind gar nicht für mich“, behauptete ich kühn, während ich wütend Pizza, Pralinen, Chips, Tiramisu und andere Köstlichkeiten auf das Band packte. Ich hielt es für völlig unmöglich, dass ich in sein Beuteschema fiel, traute meinen Ohren kaum, als ich ihn sagen hörte:„Ich finde Sie einfach bezaubernd. Darf ich Sie wiedersehen?“
Für einen Moment war ich in Versuchung, aber dann siegte meine Vernunft. „Mit Fielmann wäre das nicht passiert!“ mit diesen Worten ließ ich ihn ziemlich verdutzt einfach stehen.
Am späten Nachmittag folgte ich der Einladung einer guten Bekannten, die das Richtfest ihres neuen Eigenheims feierte und viele Freunde eingeladen hatte.
Ich stand gerade am kalten Buffet und war damit beschäftigt, das eine oder andere Häppchen auf meinen Teller zu balancieren, als ich die Stimme eines Mannes vernahm, dem ich in diesem Augenblick am allerwenigsten begegnen wollte.„Hallo, schöne Frau, so schnell sieht man sich wieder“, ertönte es fröhlich neben mir. „Wie ich sehe, haben Sie ihre Diätpläne aufgegeben...sehr vernünftig!“ setzte er (wie mir schien) leicht spöttisch hinzu. Der Kerl hatte anscheinend das Talent, immer zu denkbar ungünstigen Zeiten aufzutauchen.
„Man hat mir einen Modeljob für Mollige angeboten“, antwortete ich sarkastisch und schaufelte aus Trotz noch eine Portion Nudelsalat auf den sich schon, verdächtig biegenden Pappteller. Der Flegel fing doch tatsächlich zu lachen an. „Ach wissen Sie, ich persönlich stehe ja überhaupt nicht auf diese Hungerhaken, ich mag gerne Frauen mit weiblichen Kurven“, dabei musterte er ziemlich unverfroren meine Figur. Bildete ich es mir nur ein, oder flirtete er mit mir? Zum ersten Mal nahm ich bewusst seine schönen, grauen Augen wahr, die mich voller Bewunderung ansahen.
„Ich finde, Sie haben wirklich alles, wovon ein Mann so träumt“, fügte er hinzu und sah mich verschwörerisch an. Er machte mir Komplimente und trieb meinen Puls schon wieder in schwindelerregende Höhe. Langsam wurde mir heiss unter seinen durchdringenden Blicken und es fiel mir schwer zu glauben, dass ich ihm trotz meines leichten Übergewichtes gefallen könnte. Wieder einmal verfluchte ich meine Pfunde zuviel auf den Rippen. Im Gegensatz zu mir war Joe Hansen (so hatte er sich vorgestellt) ein beneidenswert schlanker Mann.
Wider Erwarten wurde es dann ein ausgesprochen netter Abend. Joe entpuppte sich als ein gebildeter, charmanter Mann mit viel Humor. Insgeheim gestand ich mir ein, dass er ausgesprochen anziehend auf mich wirkte. Wir unterhielten uns sehr angeregt, stellten dabei fest, dass wir gleiche Ansichten, Interessen und Hobbys teilten.
Als er mich weit nach Mitternacht nach Hause begleitete und um ein Wiedersehen bat, war ich überglücklich.
Von diesem Zeitpunkt an verbrachten wir jede freie Minute miteinander; kamen uns allmählich näher. So vergingen ein paar Wochen, aus einer anfänglichen Verliebtheit entwickelten sich langsam tiefe Gefühle, die immer stärker wurden. Joe erwiderte meine Liebe und zeigte mir, wie sehr er mich begehrte. Natürlich wünschte ich mir auch, eine leidenschaftliche Nacht mit diesem Mann zu verbringen, aber gleichzeitig hatte ich Angst davor, ihn zu enttäuschen. Dass ich keine Modelmaße besaß, dessen war ich mir durchaus bewusst, aber Joe schienen meine Pfunde nicht zu stören. Der Austausch von Zärtlichkeiten wurde immer intensiver, seine Küsse fordernder. Voller Sehnsucht streichelten seine Hände forschend über meinen Körper, bis ich völlig meine Hemmungen verlor. Das Verlangen ihm zu gehören, wurde übermächtig und endlich gab ich seinem Drängen nach. Als er mir den Büstenhalter öffnete und meinen Slip abstreifte, wollte ich das Licht löschen, aber er wehrte ab und flüsterte in mein Ohr:„Ich will Dich sehen, Du bist wunderschön, ich liebe jedes Gramm an Dir.“
Mit Joe an meiner Seite bin ich zu einer rundum zufriedenen, glücklichen Frau geworden. In seinen Armen fühle ich mich begehrenswert und sexy. Ich hadere nicht mehr mit meinem Gewicht, fühle mich nicht mehr zu dick, denn ich werde geliebt, so...wie ich bin.