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Wok
Der Wok
von pasenger99
Du, sehr verehrter Leser, weilst inmitten der historischen Stadthäuser, die sich eins nach dem anderen, die Stadtmauer drohend und stabil im Hintergrund, aneinander reihen, fast möchte man sagen: sich ineinander schieben, so eng sind sie aneinander gebaut. Der Abend dämmert und die Straße ist leer. Die Häuser sind klein und nicht höher als drei Stockwerke, haben Giebeldächer und eine hübsche Fachwerkfassade.
Das fächerförmige Kopfsteinpflaster schimmert feucht im Nieselregen des langsam ausklingenden Oktobers. Kalter Wind läßt dich deine Schultern anspannen und etwas in die Höhe ziehen, damit dich dein Mantel vor dem kalten Nass schützt.
Du stehst vor dem Haus von Jessika und wartest, bis es noch ein wenig dunkler geworden ist, damit du deinen düsteren Plan in die Tat umsetzen kannst. Ach ja, außerdem wartest du noch darauf, dass Jessika nach Hause kommt. Noch sind nämlich alle Fenster dunkel. Du hast keinen Schlüssel und es ist zu riskant, sich inmitten der Stadt eines Einbruchs zu bedienen, um in eines der Häuser zu gelangen. Denn obwohl es in der Gasse ruhig ist, sind in den meisten anderen Häusern einige Fenster beleuchtet. Es könnte also jederzeit jemand aus einem der Häuser heraus in die Gasse treten und dich bei deinen dunklen Machenschaften beobachten. Und das willst du auf keinen Fall riskieren! Denn du hast alles genau geplant, sofern man bei dem Umstand, dass dir dein Opfer nahezu unbekannt ist und du das Innere des Hauses nicht ansatzweise kennst, von genau geplant sprechen kann. Trotzdem bist du hier und wartest auf Jessikas Heimkehr. Du hast etliche Male mit ihr im Internet gechattet. Nächtelang habt ihr euere Fantasien ausgetauscht und du hast irgendwie ihren Namen herausbekommen und darüber hinaus ihre Anschrift samt Telefonnummer. Heute bist du hier, um euere Fantasien in die Realität zu transformieren. Dafür hast du die Strapazen einer 500 Kilometer langen Reise durch halb Deutschland auf dich genommen: Du standest auf der Autobahn im Stau, mußtest außerhalb des Stadtkerns kostenpflichtig Parken und dich durch die fremde Stadt bis hierher durchschlagen. Keine Frage, die Nervosität sitzt dir im Nacken, ebenso wie der kalte Wind und der Regen, der auf dich nieder rieselt.
Plötzlich siehst du zuerst den roten Regenschirm um die Ecke weiter oben in der Straße biegen. Unter dem Schirm folgt sie. Du kannst sie nur ungenau erkennen, weil ihr der Schirm ins Gesicht hängt. In ihrer rechten Hand hält sie den Schirmstil, in der linken einige Tüten mit Lebensmitteln. Du hörst den Klang, den die Absätze ihrer Stiefel auf dem Pflaster machen, siehst ihre eleganten, von einer Strumpfhose bedeckten Beine und den Minirock. Darüber trägt sie einen dunklen Mantel. Ihre langen, schwarzen Haare hängen über ihre Schultern. Schnellen Schrittes geht sie auf das Haus zu. Du versteckst dich hinter einem Hauswandvorsprung gegenüber ihres Hauses, presst deinen Körper gegen das alte Gemäuer. ‚Ja, das muss sie sein!‘, sagst du dir, als du siehst, wie sie die Eingangstüre aufsperrt und in dem Gebäude verschwindet. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, zu dem du dich in Bewegung setzten musst. Du haderst mit dir: Sollst du den Schritt tatsächlich wagen und das Haus betreten. Du bist immer noch eng an die schützende Hauswand geschmiegt und willst dich von ihr lösen als du gerade noch siehst, wie die Haustür von Jessikas Wohnung nochmals aufschwingt und sie den Schirm vor sich haltend, mit schnellen Bewegungen ihrer Arme, auf- und zuklappt um das Regenwasser abzuschütteln. Jetzt siehst du auch ihr Gesicht: Sie hat langes, dunkles Haar, hübsche, dunkle Augen mit langen Augenbrauen, eine zierliche Nase und die Lippen ihres Mundes schimmern rot im Halbschatten der Straßenlaternen.
Du kramst in deiner Manteltasche nach deinem Handy und drückst eine Tastenkombination, die du extra eingespeichert hast. Es ist der Anschluss von Jessika, der soeben von deinem Handy angewählt wird. Du siehst, wie Jessika in ihren Bewegungen innehält, den Schirm zusammenklappt und eilig in das Haus verschwindet. Im Gehen schubst sie die Eingangstür in Richtung Schloss. Die Eingangstür schwingt jedoch nicht schnell genug, um ins Schloss zu fallen und bleibt einen Spalt weit offen stehen. Jetzt ist deine – vielleicht einzige – Chance. Du stößt dich von der kalten Sandsteinfassade ab und hechtest schnellen Schrittes über das feuchte Straßenpflaster. Du gelangst zur Haustüre und lugst vorsichtig durch den Türspalt. Alles ruhig. Jessika geht an ihr Telefon. Du hörst ihre Stimme aus deinem Handylautsprecher. „Hallo?“, fragt sie ins Telefon. Unbeholfen und hastig kramst du in deiner Manteltasche nach dem Handy und drückst die Taste, mit der man die Verbindung beenden kann. Du stößt die massivhölzerne Haustüre sanft auf und schlüpfst von der regennassen Gasse in den in sanftes Licht getauchten Hausflur. Du musst dich vorsichtig bewegen, da deine nassen Schuhe auf dem Dielenboden quietschende Geräusche machen. Du hörst, wie Jessika in einem Raum weiter hinten verärgert den Hörer auf die Gabel knallt. Schnell tänzelst du auf die nächstbeste Tür zu deiner Linken um vom Flur zu verschwinden. Bei dem Raum, den du hastig betreten hast, handelt es sich um die Küche. Die Einrichtung der Küche zeichnet sich im Halbschatten des trüben Lichtes der Straßenlaternen, welches durch das Fenster scheint, nur Schemenhaft vor dir ab, da in dem Zimmer selbst keine Lampe leuchtet. Die Küche ist relativ groß und verfügt in der Mitte des Raumes über einen freistehenden Herd mit darüber montierten Dunstabzug. Auf dem Herd steht ein großer Wok-Topf. An der Kante der Arbeitsplatte der Herdinsel entlang verläuft eine Reling und über dem Herd hängen, in griffweite zur Kochstelle, an einer scheinbar stabil in der Decke verankerten Messingstange, mehrere große und kleine Pfannen an Haken herunter. Aus dem Hausflur hörst du Jessikas Stiefel auf dem Dielenboden klackern. Du handelst schnell: Aus deinem Mantel zeihst du das lange, aus Manilahanf gefertigte Seil. Eines der Enden ist bereits zu einer Schlinge geschlagen. Du nimmst das andere Ende und wirfst es über die pfannenbehangene Messingstange, die von der Decke herunterhängt. Du schnappst dir das eben über die Stange geworfene offene Ende und fädelst es hastig durch die Reling vor dem Herd. Du nimmst das offene Ende und greifst dir die von der Stange hängende Schlinge mit der anderen Hand. Du stellst dich hinter die Küchentür, die genau in diesem Moment von Jessika geöffnet wird. Sie schreitet in die Küche und knipst das Licht an. Der Raum wird hell und deine Augen benötigen einen Augenblick, um sich an das Licht zu gewöhnen. Du trittst in dem Moment hinter der Tür hervor, als Jessika sich gerade vom Lichtschalter abwendet und mit zwei Tüten in den Händen dem Raum zuwendet und erst die von dir montierte Seilkonstruktion, dann dich erblickt. Entsetzt stößt sie einen spitzen Schrei aus. Hastig wirfst du ihr die Schlinge über den Kopf. Sie lässt die beiden Tüten los. Jessikas Einkäufe fallen krachend zu Boden. Mit aller Kraft und beiden Händen ziehst du an dem offenen Ende des Seils, dass du, auch während du Jessika die Schlinge um den Hals geworfen, in deinen Händen behalten hast. Das Seil spannt sich von Jessikas Hals hinauf zur Messingstange an der Küchendecke wieder hinunter zur Reling an der Herdarbeitsfläche bis schließlich zum offenen Ende, das du fest mit beiden Händen umgriffen hast. Du stemmst dich mit aller Kraft gegen das Seil, so dass sich nun die Schlinge um Jessikas Hals zusammen zieht und dein Opfer einige Schritte nach vorne stolpert. Das alles geschieht innerhalb weniger Sekunden. Du ziehst weiter an deinem Ende des Taues und Jessika stolpert, mit beiden Händen die Schlinge um ihren Hals klammernd, in Richtung Herd. Du stemmst dich noch einmal mit aller Kraft gegen das Seil und ziehst Jessika in die Höhe. Schnell verknotest du das Seil am Türgriff hinter dir; dann drehst du dich um. Die folgenden Bilder imprägnieren sich für immer in deinem Gehirn:
Jessika baumelt nur wenige Zentimeter über dem Boden. Ihr Körper zappelt und sie versucht panisch ihre Finger zwischen die Haut an ihrem wunderschönen, langen, schlanken Hals und das sich immer tiefer einschneidende Tauwerk zu bringen. Ihre Stiefel klackern gegeneinander. Sie röchelt nach Luft und blinzelt fanatisch mit den Augen. Die an der Messingstange aufgehangenen Pfannen scheppern gegeneinander. Einige sind zu Boden gefallen als du Jessika nach oben gezogen hast.
Jessikas Mund ist weit geöffnet und mit herausgestreckter Zunge versucht sie nach Luft zu schnappen. Ihre dunklen, langen Haare schwingen im Takt ihres panischen Zappelns. Ihre Schenkel und Stiefel reiben aneinander beim Tanz um ihr Leben. Ihr Zappeln und das Blinzeln ihre Augen wird immer panischer, als versuche sie sich in der Schlinge hoch zu ziehen oder aus ihr herauszuwinden. Sie versucht immer noch verzweifelt Sauerstoff hinunter in ihre nach Frischluft lechzenden Lungen zu pumpen. Doch ohne Erfolg. Die Schlinge hat sich so tief in den Hals von Jessika geschnitten, dass kein Luftholen mehr möglich ist. Die Sauerstoffnot lässt Jessikas Kopf zuerst rot, dann leicht bläulich anlaufen. Ihre Zunge schiebt sich immer weiter aus dem weit aufgerissenen Mund. Speichel läuft aus ihren Mundwinkeln an ihrem Kinn herunter. Verbissen kämpft sie gegen die Bewusstlosigkeit. Ihre Augen tränen, die Schminke verwischt und ihre Bewegungen werden schwächer, weniger von ihr kontrolliert. Aus dem Tanz am Galgen werden Verkrampfungen und Zuckungen, die ihr Nervensystem aussendet um die letzten Lebensgeister zu mobilisieren. Schließlich sinken ihre beiden Hände, die bis jetzt versuchten die Schlinge um ihren Hals zu umfassen, kraftlos nach unten. Die Haut an ihren Fingern ist bereits dunkelrot. Ihre Augen blinzeln nun nicht mehr, sondern sind weit aufgerissen. Ihre dunklen Pupillen wandern blitzartig durch den Raum. Jessikas Zunge hängt aus ihren geöffneten Mund, der nur noch sporadische Auf- und Zu-Bewegungen macht. Einzelne glucksende Laute unterschiedlicher Tonlagen entfahren ihrem Rachen. Ihr Körper schwingt nun schlaff im Raum, ihr Kopf ist leicht zur Seite geneigt, die Augen leblos starrend. Einzelne Haarsträhnen ihrer rassigen, dunklen Haare kleben an ihrer Stirn. Jessikas Hände baumeln an ihrer Seite und ihre herrlich geformten, bestiefelten Beine sind leicht gespreizt.
Du stehst fasziniert und perplex, mit vor Staunen und Erregung offenem Mund und betrachtest die in Bluse und kurzem Rock gekleidete, am Strick hängende Frau.
Sie hat verloren – nein gewonnen, sagst du dir. Das war immer ihr Wunsch, in all den spätabendlichen Chats, die du mit ihr geführt hast.
Du konntest nicht ahnen, dass sie, trotz ihrer Leblosigkeit und in der Schlinge baumelnd, so gut aussieht. Oder gerade deswegen ...
Unter Jessikas noch schwach kreisenden Körper fließen die Soßen und Flüssigkeiten, die zur Zubereitung des Woks gedacht waren über die Fliesen. Als ihr die Tüten aus den Händen fielen und auf den Boden krachten sind wohl einige Behältnisse geplatzt.
Ungläubig bewegst du dich auf dein Opfer zu. Du stehst vor ihr und hebst deine Hand. Zitternd berührst du den Stoff ihrer Bluse, lässt deine Hand an der Seite ihres Bauches nach oben fahren und streifst über ihre sich deutlich durch den Stoff abzeichnende feste Brust weiter hinauf zu ihrem Hals. Deine Finger berühren jetzt ihre Haut. Du fühlst den dünnen Schweißfilm auf der Haut ihres Halses und führst deine Hand bis zu den Fasern des Seiles, welches sich tief in ihren Hals eingeschnürt hat. Du nimmst deine immer noch zitternde Hand wieder von ihr und streichst noch sanft eine Haarsträhne aus ihrer Stirn bevor du dich umdrehst und den Raum verlässt. Unachtsam stapfst du dabei über die ausgelaufenen Wok-Zutaten.
Der eiskalten Wind peitscht dir ins Gesicht als du schwer atmend auf die Straße stolperst. Der Regen nieselt immer noch auf das Kopfsteinpflaster, als wäre nichts geschehen. Ohne dich umzudrehen gehst du davon.
Ende