Worst story ever written
Jeder normale Mensch wäre gestorben. Es war einfach unmöglich, bei einer Massenschlägerei nicht mal einen Zahn zu verlieren, unter Stromschlägen kaum zusammenzuzucken oder aus einen Kugelhagel unverwundet hervorzukommen. Das Leben spielte da einfach nicht mit (außer in grottenschlechten Stories).
Doch John Toogood lebte, und nicht nur das: Gefesselt am Boden liegend. verbreitete er immer noch diesen heldenhaften Glanz, der den durchschnittlichen Schuft niederknien ließ. Nachdem er sich durch Horden von genmutierten Psycho-Ninjas geprügelt hatte, könnte er sofort in einen Smoking schlüpfen und darin blendend aussehen. Trotz wochenlangen Reisens durch den Dschungel auf der Suche nach dem Bösewicht hatte seine Gesichtsbehaarung die perfekte Dreitagebartlänge beibehalten. Es existierte auch kein Wurfmesser, dass es sich erlauben würde, sein attraktives Gesicht zu streifen.
All das waren die Vorteile, die das Leben eines strahlenden Helden mit sich brachte… neben dem luxuriösen, sportlichen Fahrgestell und tonnenweise technischen Gimmicks, deren Funktionen von dem Entschärfen explosiver Weltuntergangsmaschinen bis zum Öffnen von Konservendosen reichten.
Nur schade, dass John gerade nicht an seine Mega-Watch herankam. Übrigens eine Sonderanfertigung, die ihn alarmierte, brauchte er einmal viel zu lange für seine heroischen Einzeiler. Jetzt würde er diese einzigartige Stoppfunktion gerne verwenden, um zu messen, wie lange der neue Oberschurke für seinen Monolog brauchte.
Und das war eine der Schattenseiten des Heldendaseins: Langeweile und die Pflicht, sich die detaillierten Lebensläufe der Bösewichter anzuhören. Was für Otto Normalverbraucher unfassbar war, stellte für John Toogood die bittere Realität dar: Perfekt sein war nicht nur anstrengend, sondern auch nervenaufreibend. Natürlich war das für einen strahlenden Helden tabu, doch John kam für einen Augenblick sogar der Wunsch, mit der krummen, in einen Umhang gehüllten Gestalt vor ihm zu tauschen.
Der Inhaber dieses Outfits (welches, wie es dem Dresscode aller Schurken entsprach, schwarz war wie ein Monitor bei Computerabsturz) legte schon mit seiner Rede los: „Du hältst mich wohl für böse, was, Johny? Das schlimmste Übel dieser Welt, die ich bald regieren werde?“
Nach der Etikette der strahlenden Helden war für John Toogood jetzt grimmiges Schweigen angesagt, obwohl er am liebsten schreien würde: „Ja, also komm endlich zum Punkt, Meister!“. Wie die Erfahrung der wenigen guten Abenteuerstories bewies, war es ratsam, einen Schurken bei seinem Monolog nicht zu stören. Er könnte beleidigt sein, seine Rolle vergessen und sich quer stellen. Durch solche Zwischenfälle wurde der Weg zum Happy End unnötig erschwert, währenddessen konnte im schlimmsten Fall sogar ein bisschen obligatorische Geschmacklosigkeit verloren gehen!
Doch die durch exzessives Zigarrenrauchen aufgeraute Stimme des Doktor MacEvil wirkte auf John nur einschläfernd. Aber, wie es sich für einen strahlenden Helden gehörte, riss er sich zusammen und wartete geduldig seinen spektakulären Einsatz ab.
MacEvil trat ganz nahe an seinen Gefangenen heran. John roch seinen säuerlichen Atem und sah, wie das eine Auge seines Opponenten zuckte, als dieser rezitierte: „Aber ich war nicht immer so, oh nein, John! In früheren, glücklichen Tagen hätte man uns kaum voneinander unterscheiden können – außer, dass ich viel besser aussehe.“
Größenwahnsinnig, hystrionisch, ungesund… zu der heiligen Fünffaltigkeit der Bösewichter fehlten noch die beiden reizenden Charakterzüge Schizophrenie und manische Depressivität. Diese Schurken werden auch nicht origineller, dachte John verdrossen und gab sich Mühe, die Augen nicht zu verdrehen, seine himmelblauen Augen ernst und heroisch dreinblicken zu lassen.
„Ich war ein äußerst talentiertes Kind, doch meine Eltern haben mich nicht verstanden, ebenso wenig wie meine Geschwister. Auch von den Mitschülern wurde ich gemobbt – dafür mussten sie büßen. Und weißt du, warum ich so schlecht behandelt wurde?“
Ich nehme an, es lag an deiner Visage, dachte John Toogood. Er hielt sich aber an die Heldenetikette und ließ seinen Opponenten weiterschwafeln.
Dieser war kurz davor, in das schurkentypische Gelächter auszubrechen. Er brüllte: „Sie waren neidisch! In ihrer kleinen Welt war kein Platz für ein Genie wie mich, ihre unterentwickelten Gehirne konnten meinen hehren Gedankengängen nie folgen! Und deshalb waren sie neidisch!“ Dann, etwas leiser (Toogood hörte schon die düstere Hintergrundmusik), sprach MacEvil weiter: „Was soll’s, ich bin von zu Hause abgehauen und habe mich später an all ihnen gerächt. Und bald werde ich diese armselige Welt regieren und alle werden einsehen, dass sie mir Unrecht getan haben, dass ich besser bin als sie!“ Es war fast eine Erleichterung, den Wahnsinnigen hysterisch lachen zu hören. Das war für John das Zeichen, dass er die Monologphase überstanden hatte und nun zu dem halbwegs interessanten Teil übergehen durfte: Dem Bösewicht seinen genial-bösen Welteroberungsplan zu entlocken und diesen dann zu vereiteln. Wenn er sich weiterhin so tapfer schlug, würde es nicht mehr lange dauern, und er konnte sogar die wunderschöne, hohlköpfige Blondine befreien, die da in einem knapp sitzenden Kleidchen am anderen Ende der Halle angekettet darauf wartete, von ihm gerettet zu werden.
„Wie wollen Sie das anstellen? Die Weltherrschaft übernehmen, meine ich?“
Wieder ein irres Gekicher, bevor MacEvil antwortete und dabei mit seinem krallenartigen Finger auf die gewaltige, ominöse Apparatur in der Mitte des Raumes wies: „Siehst du diese Maschine? Mit deren Hilfe kann ich die Erde neu umpolen, dadurch versinkt die Welt im Chaos! Und die Menschen werden mich auf Knien anflehen, dass ich ihnen helfe, und über sie herrsche! Muhahaha!“
„Das ist mir schon klar, aber… wie genau funktioniert diese Maschine?“, hakte John nach und machte sich bereit, die einzige Schwäche des teuflischen Plans zu erfahren.
MacEvil holte tief Luft, um zu dem obligatorischen Vortrag anzusetzen… doch es kam nichts. Das Auge des Bösewichts zuckte noch stärker, als er mit einer gar nicht monolog-mäßigen Stimme sagte: „Du hältst mich wohl für total blöd, was, Johny?“
So könnte man es ausdrücken, schoss es dem stahlenden Helden durch den Kopf. Laut erwiderte Toogood aber: „Nicht doch, Professor! Ich halte Sie für genial… es wäre mir eine Ehre, in Ihre Pläne eingeweiht zu werden, auch wenn ich mit meinem Erbsenhirn sie nie begreifen würde!“
„Pustekuchen!“, bellte der veränderte Schurke. „Du willst mich hereinlegen, wie du zig andere 08/15-Bösewichter vor mir reingelegt hast, so ist es doch! Aber ich sage dir mal was, Johny! Das hier ist keine kitschige Abenteuergeschichte, wie du vielleicht gedacht hast!“
Und in seinem Tonfall war etwas, das es John zwang, MacEvil zu glauben. Auf einmal kroch etwas in ihm hoch, was für jeden anständigen strahlenden Helden eigentlich tabu war: Unbehagen. Irgendetwas stimmte hier nicht… konnte es sein, dass ein Bösewicht in der Midlife-Crisis es geschafft hatte, John Toogood, den Schrecken aller bösen Genies und Befreier tausender hohlköpfiger Blondinen, hereinzulegen?