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- 05.02.2009
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Wort-Gewand
Das Zwitschern der Vögel zieht mich aus dem Schlaf. Morgensonnenstrahlen lugen durch die Vorhänge und kitzeln meine Zehen, die unter der Decke herausgucken. Ich recke mich genüsslich, gähne noch einmal herzhaft und schwinge meine Beine aus dem Bett. Sofort kommt mein dicker Kater angeflitzt und streicht mir um die Waden. Ich kraule ihn unter dem Kinn und er schnurrt mit geschlossenen Augen. Genug geschmust, denke ich, gebe ihm noch einen aufmunternden Klaps und gehe ins Bad unter die Dusche.
Das warme Wasser perlt an meinem Körper hinunter, versammelt sich zwischen den Zehen und gluckert dann in den Abfluss. Ich beobachte das eine Weile, bis meine Haut an den Fingern schrumpelig wird und ich mich in ihr nicht mehr wohlfühle.
Dampfend steige ich aus der Wanne und rubble mich kräftig ab. Schnell noch die Haare gefönt, dann gehe ich wieder in mein Schlafzimmer, wo meine Sachen schon bereit liegen.
Die Seide der Unterwäsche raschelt auf meiner Haut... „Schmutzige Gedanken“, scheint sie zu flüstern, als das Hemdchen über meine Brüste hinuntergleitet.
Die dünngewebten Phrasen-Socken haben schon wieder Löcher. Ich seufze und nehme mir ein anderes Paar. Auch das ist schon fadenscheinig, auch sie werden nicht lange vorhalten.
Ich greife nach der spießigen, nichtssagenden Glätte der Baumwollbluse, die ich mir eigentlich schon rausgelegt hatte. Sie ist wie ein leeres Blatt Papier, wartend, dass es mit Worten gefüllt wird und so etwas wie Persönlichkeit bekommt. Aber heute ist mir eigentlich mehr nach meinem geliebten, viel getragenen Patchworkpullover, gestrickt aus allerlei Geschichten, mit vielen Mustern, teils kompliziert, manchmal schlicht und einfach, aus vielen verschiedenen Garnarten, bunt und aufregend wie das Leben. Ich kuschle mich hinein, finde mich selbst und weiß, ich bin zu Hause.
Die Hose dagegen ist schlicht, aber nicht einfach. Ich würde sie als Klassiker bezeichnen, dick und engmaschig gewebt, etwas, das gut warm hält und solide ist. Ich schlüpfe hinein und sie passt perfekt. Ich liebe diese Hose.
Es ist kühl draußen, also ziehe ich meine festen Meinungs-Schuhe an. Bevor ich sie anziehe, muss ich sie noch säubern, ich bin wohl damit in ein stinkendes Häuflein Gedankengut getreten, und das will ich nicht mit mir herumtragen. Das ist nun mal nicht auf meinem Mist gewachsen.
Nun noch schnell die Mütze der neuen Ideen aufgesetzt, vielleicht hält sie ja einige flüchtige Gedanken fest. Die Handschuhe der greifbaren Realität sind irgendwie etwas zu eng geworden. Das einschnürende, feste Leder gibt mir kein gutes Gefühl. Vielleicht sollte ich mir neue zulegen, die mir besser passen.
Zum Schluss noch den Mantel des Schweigens darüber geworfen. Denn wenn alle meine Gedanken, Worte, Meinungen, Geschichten und nutzlosen Phrasen an die Öffentlichkeit kommen würden... wer könnte das verkraften??