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Wortgewaltige Bilder erschlagen das keuchende Opfer mit viel Liebe

Seniors
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24.04.2003
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Wortgewaltige Bilder erschlagen das keuchende Opfer mit viel Liebe

Der Fernseher läuft, das Radio auch. Die Buchstaben der Zeitung werden zu Hieroglyphen und irgendwo am Ende, in weiter Ferne, da tanzen die Sterne zum Rhythmus des untergehenden Universums. Man klatscht Beifall, während die verfluchte Musik sich den Weg am Trommelfell vorbei direkt ins Gehirn freimacht. Das klatscht, und es ist gut so.

Markus sah ein wenig in meine Richtung, schielte aber vorbei.
"Das ist hanebüchener Overfuck, und wir sind mitten drin."
Er drehte das Radio lauter, warf einige Pizzaschachteln vom Sofa, und plötzlich verstummten die Klänge, und da gab es bloß noch diese Nachrichtensprecherin, mit weit aufgerissenen Augen, Cindy Crawford sehr ähnlich.
Sie plapperte was vom Krieg, doch Markus übergab sich auf den schlecht gefliesten Boden. Wir hingen uns in den Armen und kotzten zusammen, voller Solidarität und wider besseren Wissens, fraßen wir eine weitere Pizza mit unseren fettigen Fingern auf.
"Salami kann wie Hühnchen schmecken."
"Weiß ich", kam es mampfend zurück.
Es kann etwas Bemerkenswertes geschehen, wenn man den Alltag neu erfindet, graue Routine vernichtet, mit den Füßen drauf tritt, plötzlich eine neue Sache auf sich zuschweben sieht, die anfangs noch völlig ungreifbar, zumindest aber schonmal präsent ist; wer da lacht, der kennt nicht den Unterschied.
"Wasch dich mal, du Schwein!"
Außerhalb der schäbigen, abgebröckelten Wohnungsresidenz auf 30 Quadratmetern, da schneite es. Ich liebte Schnee, aber man kann ihn nicht behalten, weil er eigentlich gar nicht da ist.
"Komm! Nehm ihn in die Hand!"
Er kapierte einfach nicht, dass die Flocken nicht wirklich existierten. Gefrorenes Wasser. Dennoch wollte Markus sie auf seinen Handflächen sammeln, um einen Bonsai Schneemann daraus zu formen.
Endlich ging es weiter, rein in die Straßenbahn. Die niedliche Tramm, in deren Innerem sich der typische Bevölkerungsquerschnitt tummelte.
Dort ein schmutziger Penner, hier ein wichsender Studierender, zwischendrin ein pralles Mädchen mit saftigen Titten und in der Mitte wir: Markus und ich, der Overfuck des Imperiums, die sabbernden Reformer, die unbewussten Aussteiger, und die coolsten Kerle in Downtown. Scheiße Mann, wir hätten feine Anzüge tragen sollen und keinen befleckten Schlabberstoff.
"Wo müssen wir raus?"
Noch während er fragte fiel er nach hinten und schlug mit dem Kopf gegen eine Haltestange.
"Die Nächste. Und arbeite mal an deinen Manieren."
Markus schüttelte seinen Schädel. Geile Zeitlupeneinstellung, und Schuppen flogen davon wie Sternschnuppen.
"Aber das tue ich doch grad. Oder seh ich der Fotze hier etwa untern Rock? Obwohl ich von hier unten aus könnte."
Das dicke Ding blickte mich entsetzt an, als wenns keine Kriege auf der Welt gäbe, und ich Gentleman beschwichtigte auch noch: "Keine Angst, der steht nicht auf Seekühe."
Als wir ausstiegen, war der Schnee in Schneeregen übergegangen. Markus hielt kurz die Hand hin, ließ es dann aber sein.
Vor dem kompakt-wirtschaftlichen Einheitsbau mit zwanzig Etagen lag ein Bettler auf dem Boden. Es platzte mir fast das Herz, als ich ihm ein fünf Centstück vor die Alkinase schleuderte, und dann über ihn drüberstieg.
Markus gab ihm eins in den Magen. Da sind diese Trunkenbolde am empfindlichsten.
Lachend fuhren wir mit dem Fahrstuhl nach oben. Es muss keinen Grund geben, um zu lachen, genauso sinnlos wie Humor nunmal ist. Ein paar Glückshormone ausschütten, um die Sklaverei ertragen zu können.
Wir lachten viel, Markus und ich. Worüber, das wusste niemand. Auch ich nicht. Markus vielleicht, aber den Deppen konnte man ja nichtmals nach der Uhrzeit fragen, ohne dass sein Gehirn in Flammen aufging.
Am Besten, man ließ ihn lachen und stimmte mit ein.
Wir standen längst in der Wohnung, als ich mein Gedankenspiel beendet hatte.
"Wollter´ was fressen?"
Bumsmann quillte vor uns auf wie ein verstrahlter Thunfisch mit Knochen statt Gräten, und sein Gesicht waberte wie ein Filmeffekt. Er trug nette Schuhe, durch die sich der dicke Zeh abzeichnete.
"Ne, direkt an die Nadel."
Und da wurde Markus rot wie die Sonne, wenn sie die ganze Scheiße hier irgendwann mal beenden wird.
Kein sauberes Werkzeug, das hatte er liegenlassen.
"Aber Schnee sammeln, das kannst du?"
Fortan war er nicht mehr mein Freund, kein cooler Reformer mehr. Ich hätte ihm das eigene Gedärm um den Hals wickeln können.
"Mann, ich habs halt vergessen."
"Ich vergess´ mich auch gleich, du Arsch!"
Bumsmann mischte sich ein: "Kein Problem ihr Goonies. Bumsmann hat ein komplettes Besteck für euch. Kostet nur fünfzig Euro."
Ich sah zu Markus.
"Die zahlst du!"

Und dann zogen wir durch die nächtliche Nacht im Universum und versteckten uns in Ecken, trieben wilde Dinge, und schlugen Passanten nen paar rein, um dann wieder abzuhauen.
Philosophisch wurde es auch, als Markus zum Mond blickte, und sagte: "Der ist so bleich, so schön, bewegt sich nicht und hat tiefe Krater. Weißt du Mann, wir sind kein Abschaum, wir sind wie der Mond!"

Ich nickte.

 

Hallo Cerberus,

da du sicher auf Kommentare wartest, fang ich mal an:
Deine Geschichte macht mich ratlos. Bei dem Titel hatte ich an ´ne Satire gedacht; war´s aber nicht. Überhaupt ist mir nicht klar, was du erzählen willst. Zwei Junkies , angeätzt durch die Welt,ätzen die Welt an. Hmmm?
Du schreibst anschaulich, lebendig, aber mir fehlt eine Aussage, ein Ziel in der Geschichte. Es plätschert so und langweilt dann doch. Oder habe ich was übersehen, alles missverstanden?

Mir sind einige Fehler aufgefallen; guck doch noch mal drüber.
z.B.

Nehm ihn in die Hand
Nimm

Gruß, Elisha

 

Hallo Elisha.

aber mir fehlt eine Aussage, ein Ziel in der Geschichte.

Genau darauf kommt es an. Die Geschichte selbst hat keine Aussage. Sie ist eine Momentaufnahme eines Teils der Gesellschaft, der gerne übersehen wird, aber dennoch vorhanden ist.

Das mit dem "Nehm" ist beabsichtigt. Ist halt wörtliche Rede, und mit der nehmen es die beiden Prots nicht so genau.
Ansonsten schaue ich aber trotzdem nochmal wegen Flüchtigkeitsfehlern drüber.

Vielen Dank für deine Kritik.

Grüße

Cerberus

 

Hi cerberus,

natürlich hat diese Geschichte eine Aussage. Für mich ist dieses Stimmungsbild voll davon. Spannend dieser Kontrast, sich mit dem verachteten Drek zu assimilieren, diese fehlende Solidarität mit denen, denen es genau so beschissen geht, wie ihnen. Ein obdachloser Alkoholiker ist für sie weniger wert, als ein zynischer Fixer. Die Gewalt richtet sich nicht gegen die Verhältnisse, sondern gegen die anderen Opfer.

Sehr brutal, sehr stimmig.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim.

Nun, diese Momentaufnahme hat für sich natürlich eine Aussage. Es gibt allerdings keine direkte Aussage, die ich in den Text integriert habe.
Wie du richtig erkennst, hat der alleinige Alltag bereits genug Aussage, als wenn man da noch kommentieren müsste.

Danke für deinen Kommentar.

Grüße

Cerberus

 

Hallo Cerberus,

dein stil gefällt mir bei dieser geschichte hier, auch wenn ich mich manchmal an eine lektüre des guten, alten bukowski erinnert fühlte. z.b. bei sätze wie: prall mit saftigen titten. jedoch hast du nicht dieses trockene, was bukowski zu etwas besonderem macht. die aussage, wie sim sie sieht, kann ich nicht teilen. für mich ist diese kg ein kurzer ausschnitt aus einem mileu, dass sich heute leider immer öfter zeigt. kurz und gut zeigst du uns zwei "assis", wie sie ihren tag verbringen.
nette geschichte, aber für mich ohne eigentlich aussage, die jedoch auch niemand verlagnt, von daher hat sie mir gefallen.

einen lieben gruß...
morti

 

Hallo cerberus,

den Titel finde ich nicht gelungen, das „Opfer“ kann ich nicht finden - ist es der Leser, die Akteure? Ansonsten bringst du die Stimmung der beiden Typen gut rüber, wenn auch eher eine Situationsbeschreibung, als eine Kurzgeschichte.

L G,

tschüß… Woltochinon

 

Hi

Hat mir gut gefallen. Hat mich an trainspotting erinnert. Und ich dachte erst nicht an Fixer, sondern an Studenten, die sich bekiffen, und dachte dann, dass du deren Leben im Zeittraffer erzählst.
Und die Sprache ist den Charakteren angemessen, obwohl ich nach dem Titel und dem ersten Absatz erst an was poetisches gedacht hatte. Aber das sollte wohl den Trip beschreiben. Und schade, dass bei Titten und Fotze gleich immer so schnell mit Bukowsky verglichen wird. Das ist hier was ganz anderes. Und das meine ich als Kompliment für beide Autoren. Diese Geschichte braucht auch keine Ende. Es ist ein Ausschnitt. Und wirklich wichtige Dinge passieren in diesem Ausschnitt ja auch nicht. Und das ist auch gut so, denn so ist es authentisch.

Gruß

 

Hallo Cerb

Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Eine spannende Mischung aus Humor, Sarkasmus und Gesellschaftskritik. Auch den Titel fand ich passend.
Fazit: gern gelesen. :thumbsup:

Gruß Phoenix

 

Hallo auch.

@Woltochinon

Mit den wortgewaltigen Bildern ist im Grunde unsere Gesellschaft gemeint, die via Medien etc. gerne eine schöne Welt voller Liebe verkaufen will, mit der "Opfer" wie die beiden Protagonisten nicht viel anzufangen wissen.

Ansonsten vielen Dank für eure Kommentare.

Grüße

Cerberus

 

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