- Beitritt
- 24.04.2003
- Beiträge
- 1.444
Wortgewaltige Bilder erschlagen das keuchende Opfer mit viel Liebe
Der Fernseher läuft, das Radio auch. Die Buchstaben der Zeitung werden zu Hieroglyphen und irgendwo am Ende, in weiter Ferne, da tanzen die Sterne zum Rhythmus des untergehenden Universums. Man klatscht Beifall, während die verfluchte Musik sich den Weg am Trommelfell vorbei direkt ins Gehirn freimacht. Das klatscht, und es ist gut so.
Markus sah ein wenig in meine Richtung, schielte aber vorbei.
"Das ist hanebüchener Overfuck, und wir sind mitten drin."
Er drehte das Radio lauter, warf einige Pizzaschachteln vom Sofa, und plötzlich verstummten die Klänge, und da gab es bloß noch diese Nachrichtensprecherin, mit weit aufgerissenen Augen, Cindy Crawford sehr ähnlich.
Sie plapperte was vom Krieg, doch Markus übergab sich auf den schlecht gefliesten Boden. Wir hingen uns in den Armen und kotzten zusammen, voller Solidarität und wider besseren Wissens, fraßen wir eine weitere Pizza mit unseren fettigen Fingern auf.
"Salami kann wie Hühnchen schmecken."
"Weiß ich", kam es mampfend zurück.
Es kann etwas Bemerkenswertes geschehen, wenn man den Alltag neu erfindet, graue Routine vernichtet, mit den Füßen drauf tritt, plötzlich eine neue Sache auf sich zuschweben sieht, die anfangs noch völlig ungreifbar, zumindest aber schonmal präsent ist; wer da lacht, der kennt nicht den Unterschied.
"Wasch dich mal, du Schwein!"
Außerhalb der schäbigen, abgebröckelten Wohnungsresidenz auf 30 Quadratmetern, da schneite es. Ich liebte Schnee, aber man kann ihn nicht behalten, weil er eigentlich gar nicht da ist.
"Komm! Nehm ihn in die Hand!"
Er kapierte einfach nicht, dass die Flocken nicht wirklich existierten. Gefrorenes Wasser. Dennoch wollte Markus sie auf seinen Handflächen sammeln, um einen Bonsai Schneemann daraus zu formen.
Endlich ging es weiter, rein in die Straßenbahn. Die niedliche Tramm, in deren Innerem sich der typische Bevölkerungsquerschnitt tummelte.
Dort ein schmutziger Penner, hier ein wichsender Studierender, zwischendrin ein pralles Mädchen mit saftigen Titten und in der Mitte wir: Markus und ich, der Overfuck des Imperiums, die sabbernden Reformer, die unbewussten Aussteiger, und die coolsten Kerle in Downtown. Scheiße Mann, wir hätten feine Anzüge tragen sollen und keinen befleckten Schlabberstoff.
"Wo müssen wir raus?"
Noch während er fragte fiel er nach hinten und schlug mit dem Kopf gegen eine Haltestange.
"Die Nächste. Und arbeite mal an deinen Manieren."
Markus schüttelte seinen Schädel. Geile Zeitlupeneinstellung, und Schuppen flogen davon wie Sternschnuppen.
"Aber das tue ich doch grad. Oder seh ich der Fotze hier etwa untern Rock? Obwohl ich von hier unten aus könnte."
Das dicke Ding blickte mich entsetzt an, als wenns keine Kriege auf der Welt gäbe, und ich Gentleman beschwichtigte auch noch: "Keine Angst, der steht nicht auf Seekühe."
Als wir ausstiegen, war der Schnee in Schneeregen übergegangen. Markus hielt kurz die Hand hin, ließ es dann aber sein.
Vor dem kompakt-wirtschaftlichen Einheitsbau mit zwanzig Etagen lag ein Bettler auf dem Boden. Es platzte mir fast das Herz, als ich ihm ein fünf Centstück vor die Alkinase schleuderte, und dann über ihn drüberstieg.
Markus gab ihm eins in den Magen. Da sind diese Trunkenbolde am empfindlichsten.
Lachend fuhren wir mit dem Fahrstuhl nach oben. Es muss keinen Grund geben, um zu lachen, genauso sinnlos wie Humor nunmal ist. Ein paar Glückshormone ausschütten, um die Sklaverei ertragen zu können.
Wir lachten viel, Markus und ich. Worüber, das wusste niemand. Auch ich nicht. Markus vielleicht, aber den Deppen konnte man ja nichtmals nach der Uhrzeit fragen, ohne dass sein Gehirn in Flammen aufging.
Am Besten, man ließ ihn lachen und stimmte mit ein.
Wir standen längst in der Wohnung, als ich mein Gedankenspiel beendet hatte.
"Wollter´ was fressen?"
Bumsmann quillte vor uns auf wie ein verstrahlter Thunfisch mit Knochen statt Gräten, und sein Gesicht waberte wie ein Filmeffekt. Er trug nette Schuhe, durch die sich der dicke Zeh abzeichnete.
"Ne, direkt an die Nadel."
Und da wurde Markus rot wie die Sonne, wenn sie die ganze Scheiße hier irgendwann mal beenden wird.
Kein sauberes Werkzeug, das hatte er liegenlassen.
"Aber Schnee sammeln, das kannst du?"
Fortan war er nicht mehr mein Freund, kein cooler Reformer mehr. Ich hätte ihm das eigene Gedärm um den Hals wickeln können.
"Mann, ich habs halt vergessen."
"Ich vergess´ mich auch gleich, du Arsch!"
Bumsmann mischte sich ein: "Kein Problem ihr Goonies. Bumsmann hat ein komplettes Besteck für euch. Kostet nur fünfzig Euro."
Ich sah zu Markus.
"Die zahlst du!"
Und dann zogen wir durch die nächtliche Nacht im Universum und versteckten uns in Ecken, trieben wilde Dinge, und schlugen Passanten nen paar rein, um dann wieder abzuhauen.
Philosophisch wurde es auch, als Markus zum Mond blickte, und sagte: "Der ist so bleich, so schön, bewegt sich nicht und hat tiefe Krater. Weißt du Mann, wir sind kein Abschaum, wir sind wie der Mond!"
Ich nickte.